KAPITEL 20 - Teil 2

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Cassiopeia

Der Tag zog nur so an mir vorbei. In der Mittagspause aß ich wie immer zusammen mit Kadeem, Ranielle und noch ein paar weiteren von unseren Freunden, wobei sich Kadeem und Ranielle immer wieder bedeutungsvolle Blicke zuwarfen, wenn sie dachten, dass ich gerade nicht hinschaute. Es war offensichtlich, dass sie sich Sorgen um mich machten und früher oder später würden sie mich nicht mehr mit meinen Ausreden davonkommen lassen, das wusste ich. Dann würde ich ihnen die Wahrheit über Diego und mich erzählen müssen. Doch bis dahin hatte ich mit einer neuen Sorge zu kämpfen – Emilio.

Ranielle war fast ausgerastet, als ich ihr erzählt hatte, wieso ich ins Büro der Direktorin gerufen worden war. Einerseits weil sie es unmöglich fand, dass ich jetzt so um mein Stipendium zittern musste, weil die Stadt die Förderausgaben für Schulen runtergeschraubt hatte, andererseits weil sie begeistert darüber war, dass ich Emilio jetzt doch Nachhilfe geben würde. „Der steht auf dich, ich bin mir sicher", hatte sie mir immer wieder versichert und ihr Grinsen kaum verbergen können. Wahrscheinlich hoffte sie, dass ich Diego endlich abschießen würde, wenn ich jemand Neuen kennenlernte. Aber das würde ich nicht tun. Ich würde Emilio schön auf Distanz halten. Das war für uns beide besser.

Ich malte mir schon die ganze Zeit vor meinem inneren Auge aus, was Diego zu dieser Neuigkeit sagen würde. Nur weil die beiden jetzt in einer Footballmannschaft spielten, hieß das noch lange nicht, dass er Emilio in meiner Nähe dulden würde. Doch dieses Mal hatte er keine andere Wahl als das zu akzeptieren, denn ich würde ganz sicher nicht nachgeben.

Aber bisher hatte ich noch nicht die Möglichkeit gehabt, mit Diego zu sprechen, denn er war mir heute in der Schule kein einziges Mal über den Weg gelaufen und hatte auch nicht auf meine Nachrichten geantwortet. Das war zwar typisch für ihn, aber irgendwie ärgerte mich sein Verhalten heute mehr als sonst. Heute Morgen hatte ich noch das Gefühl gehabt, dass alles gut zwischen uns war, aber mittlerweile war ich mir da nicht mehr so sicher.

Die Schülerratssitzung zu der ich anschließend musste, lenkte mich zumindest für zwei Stunden von diesen Gedanken ab, denn wir diskutierten heiß darüber, was für Maßnahmen wir treffen könnten, um Diskriminierung an unserer Schule stärker vorzubeugen. Da dieses Thema mir auch persönlich besonders nahe ging, legte ich mein ganzes Herzblut in die Präsentation meiner Vorschläge, die auch auf großen Anklang stießen. So wurde es mir auch zur Aufgabe gemacht, der Schulleiterin demnächst ein Konzept über Aufklärungskurse über Rassismus für die unterschiedlichen Klassenstufen zu unterbreiten.

Doch als ich mich nach der Sitzung auf den Weg nach Hause machte, dachte ich wieder an Diego und versuchte erneut, ihn anzurufen, aber es war besetzt. Frustriert steckte ich mein Handy weg. Wenn Diego nicht mit mir reden wollte, war es mir egal, wie er davon erfahren würde, dass ich Emilio Hernandez jetzt Nachhilfe geben würde. Stattdessen lenkte ich mich mit dem Gedanken ab, was ich heute Abend zu essen kochen könnte.

Ich hasste die gemeinsamen Abendessen mit meiner Familie. Zwischen meiner Mutter, die oft nur dafür aus ihrem Bett stieg und kaum was aß und Owen, der dafür schlang wie ein Schwein und einen sexistischen Witz nach dem anderen machte, fühlte ich mich einfach nur unwohl. Der einzige Grund, wegen dem ich das Tag für Tag aushielt, war Adhara. Ich konnte es kaum erwarten, bis ich mein eigenes Geld verdiente und das Sorgerecht für meine kleine Schwester beantragen könnte.

Natürlich könnte ich auch jetzt schon das Jugendamt einschalten, denn die Umstände in unserem Haus waren definitiv kindeswohlgefährend, aber ich würde es nicht aushalten, wenn man mir Adhara auch noch nahm. Und sie würde auch nicht ohne mich sein wollen, das wusste ich.

Völlig in Gedanken versunken, hatte ich gar nicht bemerkt, dass ich mittlerweile schon in die Straße einbog, in der Owens Haus lag. Ich konnte nicht unser Haus sagen, denn das war es nicht. Es war nicht unser Haus und schon gar nicht unser zu Hause.

Wie oft hatte ich meine Mutter bekniet, sich in Therapie zu begeben und Owen zu verlassen, doch davon wollte sie nichts hören. Sie sagte dann immer nur, dass wir dankbar sein sollten, ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch zu haben.

Seufzend schloss ich die Haustür auf. „Ich bin wieder da", rief ich, als ich den Flur betrat. Es kam keine Antwort, weshalb ich stumm meine Schuhe auszog und ordentlich wegstellte.

Dann ging ich in die Küche, nur um überrascht im Türrahmen stehenzubleiben. Ich blinzelte ein paar Mal, doch meine Augen täuschten mich nicht. Dort am Herd stand tatsächlich meine Mutter, vollständig angezogen, und rührte in einem großen Topf. Sie hatte das Radio leise laufen und wippte sogar im Takt mit.

Ich spürte, wie mir die Tränen kamen. Früher war dies ein alltäglicher Anblick gewesen, meine Mutter so entspannt und aktiv zu sehen, doch seit dem Tod meines Vaters war das nie wieder vorgekommen. Nicht ein einziges Mal.

Einmal hatte ich sie in der Badewanne liegend gefunden, nachdem sie in einem von Owens Clubs Koks gezogen hatte, da war sie auch gut drauf gewesen, aber eine andere Art von gut drauf. Jetzt schien sie wirklich gute Laune zu haben.

Nachdem ich mich wieder etwas gefasst hatte und mir die Tränen aus den Augenwinkeln gewischt hatte, wagte ich einen Schritt in die Küche.

„Mom?", machte ich sie vorsichtig auf mich aufmerksam.

Sie drehte sich zu mir um und lächelte mir freundlich entgegen. „Hallo, mein Schatz. Heute gibt es Benachin, das magst du doch so gerne", begrüßte mich meine Mutter, so als würde es ganz normal sein, dass sie für ihre Kinder kochte.

Sie hatte Recht, das Reisgericht mit Tomatenmark, Maniok und Süßkartoffeln war eines meiner Lieblingsessen. Mein Vater hatte es früher oft gemacht, weil er den gesellschaftlichen Aspekt, dass alle aus einem Topf aßen, so schön fand. Und auch wenn ich selber gerne klassisch afrikanisch kochte, hatte ich Benachin ewig nicht mehr gemacht.

„Danke, Mom", murmelte ich mit belegter Stimme.

Meine Mutter lächelte mir mild entgegen. „Das mache ich doch gerne." Sie merkte nicht, dass sich das Danke auf so viel mehr als auf das Essen bezog.

Meine Mutter so zu sehen, gab mir so viel Hoffnung. Die hatte ich jedes Mal, wenn es ihr etwas besser ging, doch meistens war am nächsten Tag schon alles wieder wie sonst, doch ich wollte nicht damit aufhören, an meine Mutter zu glauben.

„Und wie war die Schule?", fragte meine Mutter, während sie sich wieder dem Essen zuwandte. Ich setzte mich derweil auf einen Stuhl, weil ich das Gefühl hatte, dass meine Beine sonst früher oder später zusammenbrechen würden, unter den ganzen verschiedenen Emotionen, die sie gerade zu tragen hatten.

Für einen Moment zögerte ich. Sollte ich meiner Mutter von der Unsicherheit über mein Stipendium erzählen? Nein, ich wollte sie in diesem schönen Moment nicht belasten, aus Angst, dass es sie zu sehr aufwühlen würde.

„Gut. Ich gebe ab sofort einem Neuen in meinem Jahrgang Nachhilfe in Mathe", antwortete ich ihr stattdessen.

„Oh, das ist toll. Du bist immer so fleißig, ich bin echt unfassbar stolz auf dich. Du bist so eine selbstständige, starke junge Frau."

Jetzt konnte ich es doch nicht mehr verhindern, dass mir eine leise Träne die Wange hinterlief. Zum Glück stand meine Mutter immer noch mit dem Rücken zu mir, sodass ich mir schnell und unbemerkt übers Gesicht wischen konnte. Sie konnte gar nicht wissen, wie viel mir ihre Worte bedeuteten und wie sehr ich es gebraucht hatte, genau das zu hören.

Ich wollte gerade dazu ansetzen, mich zu bedanken, als meine Mutter weiterredete.

„Und wie sieht es mit dir und Diego aus? Hast du mittlerweile mit ihm Schluss gemacht?", fragte sie im Plauderton.

Vor Überraschung blieben mir meine Worte im Hals stecken. Die Diskussion, ob ich mit Diego Schluss machen sollte oder nicht, hatten wir bereits vor ein paar Wochen gehabt und ich war ehrlich verwundert, dass es jetzt so klang, als hätte sie gar kein Problem damit, wenn es so wäre, während sie mir beim letzten Mal noch vorgeworfen hatte, was ich dabei alles aufs Spiel setzen würde.

„Nein, wir sind noch zusammen. Es läuft mal besser und mal schlechter, aber wir kommen schon klar", presste ich heraus, mir bewusst darüber, was meine Worte für eine Untertreibung waren. Aber ich wollte meine Mutter schonen und außerdem half es mir auch selber, besser mit der Situation klarzukommen, wenn ich sie runterspielte. Um nicht weiter über Diego reden zu müssen, stand ich schnell auf. „Kann ich dir bei irgendetwas helfen, Mom?"

„Du könntest den schon mal den Tisch abwischen und dann Adhara holen. Wir essen nur zu dritt, Owen kommt heute später", bedeutete sie mir.

Ich nickte und machte mich an die Arbeit. Dabei konnte ich nicht unterdrücken, dass sich ein kleines Gefühl von Freude in mir ausbreitete bei dem Gedanken, den heutigen Abend nur mit meiner Mutter und meiner Schwester zu verbringen.

Schnell wischte ich den Tisch ab, dann lief ich die Treppe nach oben und klopfte an der Tür zu dem Zimmer meiner kleinen Schwester. Von drinnen tönte ein leises Herein und ich betrat den Raum.

Adhara lag auf dem Boden und puzzelte das Puzzle, das ich ihr zum letzten Geburtstag geschenkt hatte. Ich ließ mich im Schneidersitz neben ihr nieder.

„Hey, Addy", begrüßte ich sie. „Wie geht es dir?"

Sie richtete ihren Blick auf und strahlte mich an. „Mir geht es super. Ich bin heute nach der Schule bei Jasper mitgegangen und die haben im Garten einen kleinen Pool, wo wir geplanscht haben, das war richtig toll!"

Die Augen meiner Schwester leuchteten bei ihrem kleinen Bericht lebhaft auf und ich freute mich für sie, dass sie so einen schönen Tag gehabt hatte. Gleichzeitig keimte in mir aber auch der Wunsch auf, ihr dasselbe hier bieten zu können und dass sie nicht immer zu Klassenkameraden mitgehen musste, um mal richtig Spaß zu haben.

Dann legte sich Adharas kleine Stirn jedoch in Falten. „Und wie geht es dir? Du siehst erschöpft aus." Während ich sonst relativ gut darin war, zu verbergen, wie es mir wirklich ging, durchschaute sie mich jedes Mal. Auch wenn sie erst acht Jahre alt war, ihr entging einfach nichts.

„Die Schule ist im Moment etwas stressig, ich muss jetzt einem neuen Jungen aus meinem Jahrgang Nachhilfe geben. Aber du musst dir keine Sorgen machen, mir geht es gut", antwortete ich ihr sanft und lächelte ihr beruhigend zu. „Aber jetzt sollten wir runtergehen, Mama hat Benachin gekocht."

„Oh, wie cool." Adhara klatschte freudig in die Hände und sprang dann auf, um noch vor mir aus der Tür zu flitzen. Sie liebte dieses Gericht mindestens genauso sehr wie ich und ich war echt froh, dass Owen heute Abend nicht da war, denn er hatte nicht viel Verständnis für unsere afrikanischen Traditionen.

Das Essen war richtig schön. Ich war mir sicher, meine Mutter seit Ewigkeit nicht mehr so oft lachen gesehen zu haben. Die Stimmung war richtig ausgelassen und wir redeten über alles Mögliche, während wir mit unseren Händen aus einer großen Schale von dem Reisgericht aßen. Es fühlte sich so an, als wären wir eine richtige Familie und das ließ mein Herz ganz warm werden, auch wenn immer ein Stich der Wehmut dabei war, dass mein Vater nicht mehr hier sein konnte.

Nachdem wir tatsächlich den ganzen Topf aufgegessen hatten, war es schon richtig spät und ich brachte Adhara ins Bett, damit Mom sich etwas erholen konnte. Auch wenn es unglaublich schön war, sie so aktiv zu sehen, hatte ich Angst, dass sie wieder einen Rückfall erleiden würde, wenn sie sich überlastete. Ihr Körper war schließlich schwach von all den Medikamenten, die sie sich täglich einwarf.

Anschließend machte ich mich selber bettfertig und legte mich auf mein Bett, um noch etwas zu lesen. Ich war völlig zwischen den Seiten meines Romas versunken, als mich plötzlich ein leises Klirren an meiner Fensterscheibe aufschreckte. Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich mir das nur eingebildet hatte, aber da hörte ich das Geräusch nochmal. Es klang, als wäre ein kleiner Stein gegen meine Fensterscheibe geprallt.

Mit klopfendem Herzen stand ich auf und ging zu meinem Fenster. Draußen war es so dunkel, dass ich nicht genau erkennen konnte, was sich da draußen abspielte, aber nachdem sich meine Augen etwas an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte ich den Umriss einer Person. Und ich konnte mir nur eine Person vorstellen, die nachts vor meinem Fenster auftauchen würde.

Also öffnete ich es. „Diego?", rief ich gedämpft in die Dunkelheit und hoffte, dass man mir nicht anhörte, wie ungebeten mir dieser nächtliche Besuch kam.

„Cassie?", kam es zurück. „Kann ich reinkommen?"

Überrascht hielt ich inne. Diegos Stimme klang zittrig und das tat sie nie. Irgendwas musste passiert sein, das spürte ich sofort. Und trotz allem, was in letzter Zeit vorgefallen war, wusste ich sofort, dass ich helfen musste.

„Ich mache dir die Tür auf", antwortete ich und lief dann auf leisen Sohlen nach unten, um meinem Freund zu öffnen.

Er wartete bereits auf der Veranda, sein Kopf drehte sich dabei immer wieder nach rechts und links, als würde er nach jemandem Ausschau halten. Oder vor jemandem Angst haben.

„Komm rein", sagte ich schnell und machte einen Schritt zur Seite, damit Diego eintreten konnte.

Sobald ich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, war es als würde seine aufrechte Haltung in sich zusammenfallen. Mit einem Mal sah Diego völlig erschöpft und gebrochen aus. Ich hatte ihn noch nie so aufgelöst gesehen und ich konnte nicht anders, als ich fest in den Arm zu schließen.

Erst versteifte sich Diego unter meiner Berührung, doch dann schlang er seine Arme ebenfalls um mich und presste mich noch fester an sich. Dabei stieg mir der Geruch von Rauch aus seinen Klamotten in die Nase. Nicht Zigarettenrauch, sondern Rauch von Feuer.

„Diego", setzte ich zögerlich an. „Was ist passiert?"

„Sie haben uns aufgelauert und die verdammten Bullen gerufen. Die sind dann mit schwer bewaffnetem Großaufgebot gekommen und haben Hardy erschossen. Dabei hatte er noch nicht mal eine Waffe."

Diegos Körper wurde von einem Zittern geschüttelt und ich konnte nicht genau sagen, ob er gerade tatsächlich weinte. Ich wartete, ob er von sich aus weitersprechen würde und streichelte ich nur beruhigend den Rücken. Und das tat er.

„Diese miesen Wichser! Sie werden dafür bezahlen, alle! Die Bullen sowie die Jokers, ich bringe sie alle um." Diegos Stimme war kaum mehr als ein Murmeln, aber trotzdem so bedrohlich, dass sie mir eine Gänsehaut einjagte.

Ich wusste zwar, dass sein Vater und er hohe Tiere bei den Devils of Detroit waren, aber ansonsten hatte Diego mich nie mit vielen Details aus der Szene behelligt. Meine Familie und ich standen zwar unter ihrem Schutz, aber ansonsten hatte ich keine Ahnung, was mein Freund und seine Gang so trieben. Und das wollte ich auch gar, ich wollte gar nicht wissen, was die Devils alles verbrachen.

Deshalb traf es mich jetzt aus heiterem Himmel, dass Diego mir erzählte, was offensichtlich gerade passiert war. Hardy hatte ich nur einmal bei Diego zu Hause gesehen und ich hatte nicht das Gefühl gehabt, dass die beiden sich besonders nahestehen würden, aber ich konnte verstehen, dass seinen Tod mitanzusehen, für Diego schrecklich gewesen sein musste. Und sofort überkam mich eine Welle an Mitleid für ihn, aber vor allem auch für Hardy. Niemand hatte es verdient, auf den dreckigen Straßen von Detroit durch eine Kugel zu sterben, schon gar nicht durch die eines Polizisten. Aber wenn sich die Cops mal in unser Viertel vortrauten, dann hieß erst schießen, dann reden. Das machte mich so traurig und wütend zugleich.

„Verdammte scheiße, das tut mir so leid", stieß ich leise aus. „Aber Diego, ich bin für dich da. Es wird alles wieder gut."

Mit einer ruckartigen Bewegung löste sich mein Freund von mir und ich zuckte kurz zusammen. Natürlich war Diego gerade emotional völlig aufgewühlt, aber ich konnte mir nicht erklären, was ich jetzt falsch gemacht haben sollte.

„Das sagst du jetzt nur, um mich zu trösten. Du wartest doch nur auf eine Möglichkeit, mich endlich zu verlassen", fuhr Diego mich an und begann, wie ein Tiger im Käfig im Flur auf und ab zu laufen. Dabei raufte er sich unentwegt die Haare. Er wirkte richtig verzweifelt.

Geschockt blickte ich ihn an und versuchte meine Atmung unter Kontrolle zu halten. Diego hatte direkt ins Schwarze getroffen, aber das konnte ich ihm auf keinen Fall sagen. Aber wie? Wie hatte er das gemerkt, wo ich doch alles gegeben hatte, nie zu zeigen, was ich wirklich fühlte?

„Wie kommst du da denn darauf?", hauchte ich und es gelang mir tatsächlich, ein kleines bisschen fassungslos zu klingen.

„Tue nicht so dumm, Cassie, das wissen wir beide. Du bist viel zu gut für mich. Du bist viel zu schlau und viel zu liebenswert und früher oder später wird es einen Typen in deinem Leben geben, der dich behandelt, wie du es verdient hast und der dich mir wegnehmen wird", sagte Diego mit rauer Stimme, doch ich versuchte ihm das Wort abzuschneiden, bevor er noch weitersprechen konnte.

„Diego, ich-...", setzte ich an, doch Diego ließ mich gar nicht zu Wort kommen.

„Nein, lass mich aussprechen!", forderte er. „Du bist genau wie meine Mutter. Sie war auch viel zu schön und zu schlau für meinen Vater. Du wirst mich verlassen, so wie sie ihn verlassen hat. Ich merke doch jetzt schon, wie du mir entgleitest, du willst noch nicht mal mehr mit mir schlafen."

So gerne hätte ich entgegnet, dass all das, was Diego da gesagt hatte, nicht stimmte. Dass ich nicht seit Monaten nur noch daran dachte, wann ich ihn endlich verlassen konnte. Doch in Momenten wie diesem spürte ich all die alten Gefühle für Diego wieder in mir aufsteigen. Er tat mir so leid, denn ich wusste, dass seine familiäre Situation noch nie leicht für ihn gewesen war und trotz allem, was er mir angetan hatte, hatte ich ihn immer noch gern.

Auch wenn Diego nie viel erzählt hatte, wusste ich, dass seine Mutter ihn und seinen Vater verlassen hatte, als er noch ganz klein gewesen war. Sein Vater war Diego sehr ähnlich, deshalb konnte ich mir nur zu gut vorstellen, wieso. Aber bei dem kleinen Diego hatte dieses Gefühl, ungewollt zu sein, deutliche Spuren hinterlassen. Ich war mir sicher, dass er deshalb auch so sehr klammerte und so eifersüchtig war, aber er gab sich auch keine Mühe, daran zu arbeiten.

„Du hast mich in letzter Zeit nicht gut behandelt, Diego. Ich habe wirklich lange gehofft, dass sich etwas ändert, aber irgendwann hört man auf zu hoffen", antwortete ich ihm leise und wahrscheinlich so ehrlich wie seit Langem nicht mehr. Es tat weh, diese Worte auszusprechen und ich hatte auch etwas Angst vor Diegos Reaktion, aber ich wusste, dass dies das einzig Richtige war.

„Ich weiß, Baby. Ich habe mich benommen wie ein Arschloch, dich gedemütigt, dich von mir gestoßen und dir wehgetan. Aber du musst mir glauben, dass ich dich über alles liebe. Ich bin nur verdammt verkorkst und weiß einfach nicht, wie das alles geht. Mein Vater hat mir nie beigebracht, wie man Frauen richtig behandelt und manchmal hasse ich mich selbst dafür, wenn ich so zu dir bin."

Diegos Worte trafen mich direkt ins Herz. Noch nie hatte er mir so viel von sich preisgegeben. Doch jetzt zeigte er sich mir offen und verwundbar und als mein Blick auf seine Augen traf, konnte ich sehen, dass diese feucht glitzerten. Es musste für ihn eine riesige Überwindung gewesen sein, sich das einzugestehen und ich spürte, wie das auch mit mir etwas machte. Neben dem Mitleid, das ich für Diego in dieser Situation verspürte, begann mein Herz ein kleines bisschen schneller zu schlagen, als würde es mir sagen wollen, dass Diego mir nicht egal war. Dass da immer noch etwas war. Dass ich immer noch etwas für ihn empfand.

Ich legte meine Hand an sein Gesicht und streifte sanft mit meinem Daumen über die erhitzte Haut. Unter meinen Fingern spürte ich, wie Diego augenblicklich ruhiger wurde und Blickkontakt mit mir aufnahm.

„Du bist kaputt, aber das bin ich auch. Du kannst mit mir reden, anstatt mich anzuschreien oder mir aus dem Weg zu gehen. Wenn du willst, dass ich dir noch eine Chance gebe, dann musst du an dir arbeiten und dieses Mal wirklich", sagte ich nachdrücklich und schaute Diego dabei fest in die Augen.

Ich merkte, wie ein hoffnungsvolles Schimmern in ihnen aufblitzte. „Das werde ich, versprochen", antwortete Diego und bei der Eindringlichkeit, mit der er sprach, hätte ich ihm in diesem Moment alles abgenommen. „Wir könnten in Paartherapie gehen", schlug er dann vor.

Ich runzelte die Stirn und überlegte, ob der Junge mir gegenüber gerade einen Scherz machte, aber sah mich vollkommen ernst an.

„Wir könnten auch erstmal damit anfangen, dass du akzeptierst, dass ich Emilio Hernandez Nachhilfe geben werde", erwiderte ich. Nachdem, was Diego gerade gesagt hatte, konnte er mir jetzt kaum eine Szene deshalb machen. Und wenn doch, dann wusste ich, woran ich war.

„Was?", stieß Diego aus und bemühte sich offensichtlich, die Fassung zu wahren.

„Ich werde Emilio Nachhilfe geben, weil ich sonst mein Stipendium verlieren könnte. Das hat nichts damit zu tun, dass ich in irgendeiner Weise etwas von ihm will, sondern einfach, dass ich dieses Stipendium brauche", erklärte ich ruhig und beobachtete dabei Diegos Reaktion.

Ich konnte sehen, dass ihm der Gedanke nicht behagte, bei der Grimasse, die er zog, aber dann nickte er. „Natürlich. Das ist okay für mich", sagte er.

Erstaunt blinzelte ich. Ich hatte mich für eine lange Diskussion gewappnet und nicht damit gerechnet, dass Diego so schnell einwilligte. Aber das gab mir Hoffnung. Hoffnung, dass er sich dieses Mal vielleicht wirklich ändern würde.


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Hey hey 🤗
Ich hoffe euch geht es allen gut und ihr haltet den Lockdown gut durch! Ich hatte dieses Wochenende ein Blockseminar und bin jetzt völlig fertig, aber dieses Kapitel habe ich zum Glück vorgeschrieben, so dass ich mich zum ersten Mal seit langem wieder an einen Rhythmus halte. 🥳😂

Ich fand es mega spannend, eure Vermutungen über Diegos Reaktion zu lesen, aber das habt ihr nicht erwartet, oder?
(Ich werde auch wirklich noch auf alle Kommentare antworten, im Moment habe ich nur leider so wenig Zeit☹❤)

Sieht doch so aus, als würde sich Cassies Situation jetzt ein bisschen verbessern... oder?

Bleibt gesund und bis nächste Woche 👋

Eure Amy

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