3. Das Lied von dunklen Gängen & Schatten

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"And whatever walked there, walked alone."

Das Reich der Schatten war betreten.

Victoria fühlte sich bei dem Anblick des Ganges, der geradewegs in das Gedärm des Herrenhauses hinein führten, an ein schwarzes Loches erinnert. So als wäre sie das Raumschiff Enterprise, dem mitnichten eine gute Reise durch Zeit und Dimension bevorstand.

Dunkelheit, Kälte und eine kaum greifbare Leere erfüllten jeden Quadratzentimeter dieses betagten Gemäuers. Licht und Leben hatten sich wohl bereits vor langer Zeit von diesem besonderen  Ort verabschiedet, die Beine in die Hände genommen und unweigerlich das Weite gesucht.

Urplötzlich aus ihrem tiefem Schlaf gerissen, tanzten unzählige Staubwölkchen, gleich mausgrauen Schneeflocken, in der kühlen Luft auf und ab. Unschlüssig in der Frage, an welchem schönen Ort sie vielleicht gerne wieder zu verweilen gedachten.

Während der flüchtige Herbstwind einen letzten Versuch wagte, seine gierigen Finger durch die sich schließende Tür hindurch zu strecken, musste die junge Frau hingegen laut auf niesen.

Obgleich der Klang für ein paar Sekunden das feine Samtgewand der hier reagierenden Stille zerschnitt, handelte es sich hierbei nicht mehr als um einen vergänglichen Augenblick innerhalb dieses jahrhundertealten Gemäuers.

Victorias Atem röchelte, rang wie eine verzweifelte Ertrinkende auf hoher See um jeden Zug. Immerhin war es ihr ein schwacher Trost, dass sie definitiv nicht alleine um Würde und Haltung kämpfte. Dem anderen Krächzen nach zu urteilen, erging es nämlich Louisa und Charlotte kein Stückchen besser. 

Geteiltes Leid ist halbes Leid, schoss es Victoria urplötzlich durch den Kopf. Aber....Himmelherrgott! Seit wann wurde denn hier nicht mehr sauber gemacht? 1880? Da wundert es mich nicht im Geringsten, wenn sich kein Käufer finden lässt! Mal abgesehen von diesem Fluchhumbug....

Beide Hände nun fest auf ihre Hüften gestemmt, so ließ Victoria gleich darauf ihren Blick in Richtung der beiden Freudinnen gleiten.

Während eine sichtlich um die Nase blasse Charlotte weiterhin den ein oder anderen Nieser ausstieß, schien sich Louisa soweit wieder in der Gewalt zu haben. Sich mit ein paar Fingern unter dem Kinn kratzend, bemühte sich die locker dastehende Blondine sogleich um eine heitere Miene.

»Gehen wir lieber weiter. Wer hier Wurzeln schlagen will, darfs gerne machen. Aber ich für meinen Teil will endlich meine Füße hochlegen!«

Ohne überhaupt auf eine Antwort zu warten, setzte sich Louisa in Bewegung. Ihren braunen Lederkoffer zog die Tattüchtige wie einen getreuen Kumpanen, der ihr auf Schritt und Tritt überall hin folgte, hinter sich her. Klackernde Geräusche ertönten im regelmäßigen Rhythmus, die dadurch entstandenen Echos prallten gleichfalls im geregelten Maße an der einengenden Steinmauer wider.

Charlotte, die über den blinden Aktionismus von Louisa nur den Kopf schütteln konnte, stieß unwillkürlich einen Seufzer der Frustration aus.

»Wie will sie sich hier bitteschön ohne Licht zurecht finden? Herr im Himmel, schenk mir Geduld mit ihr!«

Leise vor sich hin murrend, tastete die Rothaarige mit ihren Finger schnell die flankenden Wände ab.

Ein Unternehmen, das zum Glück rasch gelang.

»Wusste ich's doch..!«, triumphierte Charlottes, während sie den verstaubten Lichtschalter nach Links drückten. Rasch erfüllte schimmerndes Licht, von einer an der Decke hängenden Lampe herrührend, den vor ihnen liegenden Flur und gab nun das hier ausgestellte Ambiente preis.

Unzählige Kerzenhalter, aus feinstem Silber geformt, zierten wie Perlen an einer Schnur die ins Innere verlaufenden Wände. Heruntergebrannte rote Wachsgebilde saßen einheitlich auf ihren Gefängnissockeln fest. Unfähig, die Zelle nur für einen flüchtigen Moment zu verlassen.

Obgleich die Helligkeit einen guten Schutz gegen die Finsternis bot, so rückte ihr gleißendes Strahlen doch auch so manch grinsenden Schatten in den Vordergrund.

Wie im Sturme erfasste eine urplötzliche  Ahnung, konturlos und kaum greifbar, Victorias Gemüt. Sogar ihr verkümmerter Überlebensinstinkt erwachte schlagartig zu Leben. All Sinne schienen auf einen Schlag so scharf geschliffen wie eine gewetzte Klinge für die Schlacht.

Es war der jungen Frau, als befände sie sich gerade auf einem gruseligen Friedhof und müsste sich daher nach jedem getanen Schritt umdrehen. Nur um sich Vergewisserung zu verschaffen, nicht wie ein verirrtes Lamm direkt auf die eigene Schlachtbank zuzusteuern.

»Aber mit einer Sache hat Louisa durchaus recht gehabt«, plauderte Charlotte weiterhin aus dem Nähkästchen und riss somit Victorias gedankenverlorenes Bewusstsein wieder in die Realität zurück.

»Warum ausgerechnet hier versauern? Da kann ich mir doch wirklich Schöneres vorstellen!«

Gesagt, getan.

Im schweigenden Gleichklang folgten die Zwei dem vorangegangenem Beispiel von Louisa und glitten schnellen Tritts über den aufgebahrten Gang hinweg. Unentwegt knarrte dabei das vertäfelte Bodenholz zu ihren Füße auf, so als beschwerte es sich über die zu erduldende Last.

Feine Schauder des Grusels jagten ab und zu über den Rücken der Schwarzhaarigen hinweg, unablässige Begleiter ihrer stetig größer wachsenden Unruhe.

Während ihres gemeinsamen Marsches bemerkte Victoria aus den  Augenwinkeln, wie sich übergreifender Schimmel an vielerlei Ecken und Kanten festgesetzt hatte. Und als würde dieser Anblick nicht bereits ausreichen, schienen hier auch zahlreiche Spinnweben  silbrig glänzende Zelte in den verschiedensten Nischen aufgeschlagen zu haben. Geduldig darauf wartend, dass sich eine arme Fliege in ihrem gesponnen Netz verheddern würde.

Lange dauerte es allerdings nicht, bis Victoria und Charlotte endlich das rettende Licht am Ende des schwarzen Dunkels erblickten.

Ihre vorausgeeilte Freundin hatte bereits scheinbar dafür Sorge getragen, dass der vor ihnen liegende Saal mit ausreichend Helligkeit geflutet wurde.

»Na, lasst ihr euch auch endlich mal wieder blicken?«, spaßte Louisa und salutierte mit einer eindeutigen Handbewegung in Richtung der Zwei, so wie ein Oberst seine unterstellten Soldaten bei Dienstantritt begrüßte.

»Hab mir schon fast Sorgen um eure armen armen Seelen gemacht!«

»Du mich auch, Louisa!«, grummelte Charlotte in Richtung der Spöttelnden, woraufhin ihr diese ein überzuckertes Lächeln schenkte. »Sei lieber froh, dass ich überhaupt diese Odyssee mitmache. Der Schuppen hier ist mir wirklich nicht geheuer!«

Victoria, die nur mit halbem Ohr dem Geplänkel zuhörte, wusste ihren Blick nicht von dem dekadenten Aufenthaltsraum abzuwenden.

Vor langer Zeit hatte diese Einrichtung wohl als Empfangs- und Wohnsalon gedient, allerdings wohnte dieser Stube nun keinerlei einladende Aura mehr bei. Ganz im Gegenteil, auch dieser Ort hatte sich inzwischen das Kleid der Geselligkeit abgestreift und offenbarte nun der Welt sein einsames und verlassenes Knochengerüst.

Beide Augen in die Höhe richtend, so schätzte Victoria, dass knappe sieben Meter den Grund von der Decke trennten. Am vertäfelten Gestirn prangte in zentraler Position ein riesiger Kronleuchter, dessen weit ausgestreckte Kristallfangarme wunderschön funkelten. 

Hohe Fenster, eingelassen zwischen den weitläufigen Außenfassaden, wussten mehr mit Schmutz und Staub als mit einem polierten Glanz aufzuwarten. Finstere Ebenholzvertäfelungen säumten in Reih und Glied die komplette Inneneinrichtung und verliehen dem Ambiente einen Anstrich von mysteriöser Geheimniskrämerei.

Des Weiteren nahm Victoria auch davon Notiz, dass das aufgeschichtete Gehölz nicht unbedingt die beste Abdeckung bot, denn ab und zu verriet das wabernde Lampenlicht die Ankunft von gehauchten Windböen.

Kaum wahrnehmbare Atemzüge eines schlummernden Hauses.

Um all den schauderhaften Beobachtungen noch die Krone der Düsternis aufzusetzen, fegte von draußen ein donnernder Wind über die gewölbte Decke hinweg, so als plante er das Strebewerk gänzlich aus den Angeln zu heben. In jenem Moment kam es der Schwarzhaarigen so vor, als frönte diese stöhnende Behausung einem gänzlich untoten Leben.

Unweigerlich erschauderte ihr Gemüt bei dem Gedanken, dass hier vielleicht doch nicht alles mit rechten Dingen zuging. Doch so schnell wie ihr diese Eingebung gekommen war, so rasch verwarf sie diesen Aspekt wieder in den See der Unsinnigkeit.

Reiß dich gefälligst am Riemen, Victoria. Du bist doch kein ängstliches Waschweib. Geister gibt es nicht.

Sich über ihre eigene Torheit ärgernd, wandte die junge Frau schnell ihre Aufmerksamkeit auf die zahlreichen Bücherregale.

Darauf freue ich mich ja schon wie Bolle. Und wer weiß, vielleicht muss ich ja nur an einem Lesewerk ziehen und schon öffnet sich mir ein verborgener Geheimgang? Versprechungen, Versprechungen.

In der Mitte des Salons stand ein kleiner Mahagonitisch, auf dessen verstaubter Oberfläche ein edles Tee-Set und zwei Flaschen mit bernsteinfarbener Flüssigkeit verweilten. Mehrere Sessel und eine lang gezogene Couch umgaben letzten Endes die Anrichte. Weiße Laken bedeckten die Möbel, vermutlich um deren Bezüge vor Schmutz, Motten oder andern schädlichen Einflüssen zu beschützen.

Victoria fühlte sich bei der Darbietung allerdings eher an Leichentücher erinnert, unter deren Behütung regungslose Verstorbene ruhten.

Ein ausgerollter Perserteppich unterstrich den Flair der zerbrochenen Vergangenheit, ja verbreitete sogar einen süffelnden Geruch des Moders. Prächtige Ritterrüstungen, gepinselte Gemälde und aufgehängte Schwerter wussten ebenfalls ihren Part zu spielen und jeden Betrachter in eine düstere Zeit zu verbannen, die bereits mehr oder weniger dreihundert Jahre zurücklag.

Im hinteren Eck befand sich, als hätte es natürlich anders sein können, ein respekteinflößender Steinkamin. Pechschwarze Rußwolken trieben sich wie festgesetzte Schatten an der Innenmauer der offen Feuerstelle umher. Klägliche Überreste von morschen und verkokeltem Holzscheiten fristeten am Grund ein jämmerliches Dasein.

Doch schlussendlich hatte nicht die Darstellung des Kamins ihre ungeteilte Aufmerksamkeit erregt.

Hierbei fiel die Schuld auf das bemerkenswerte Gemälde, dessen güldener Rahmen ein paar Meter über dem stillen Rauchfang verharrte.

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