4. Kapitel: Im Bannkreis der Gemälde

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"Photographs are so ironically impermanent. They capture one moment in time to perfection. A painting can capture eternity"


Victoria hielt augenblicklich den Atem an, sobald ihr Blick erstmals auf die präsentierte Fläche des an der Wand hängenden Gemäldes traf.

Im unverkennbaren Stile des achtzehnten Jahrhunderts gemalt, stierte ihr nun das stolze Abbild einer sehr ehrbar dargestellten Familie entgegen. Selbst der verblichene Goldschimmer des beschützenden Rahmens wusste um seine eigene Schönheit, jede Pore verströmte den einzigartigen Duft von Reichtum und Adel.

Wenn mich mein Gedächtnis jetzt nicht völlig im Stich lässt, so kann es sich hier nur um die ursprüngliche Familie von Lahnstein handeln...

Das prächtige Ölbild schien wohl einst dem Zweck gedient zu haben, die Darbietung einer lächelnden Aristokratenblutlinie für die Nachwelt festzuhalten. Ein Vater und sein erwachsener Sohn hielten sitzende Haltungen ein, während die Mutter und ihre Tochter neben ihnen standen und geschwungene Lächeln offen zur Schau stellten.

Für Victoria ließ es sich nicht leugnen, dass gerade das attraktive Aussehen des Sohnemanns bei ihr großen Anklang fand. Doch schnell war über etwaige Anziehung hinweg gesehen, da sich ihrem Verstand bereits im nächsten Moment weitaus mysteriöse Überlegungen aufdrängten.

Tadellos geschneidertes Gewand, natürlich der gegebenen Epoche entsprechend, vervollständigte den scheinbar fehlerlosen Eindruck. Alles in allem lebte der Geist der vergangenen Jahrhunderte innerhalb dieses Ausstellungsstückes weiter, ein Hauch von Unsterblichkeit lag nun schwer in der Luft.

Und doch war es Victoria, als würde der perfekte Schein trügen.

So als hätte es den beauftragen Künstler heillose Anstrengungen gekostet, über etwaige Spannungen hinweg zu malen.

In der Tat schien der Anblick idyllisch, doch beim genaueren Hinsehen offenbarten sich schon bald die ersten Risse im ausgestellten Familienporzellan. Kleine Beobachtungen, wie die sichtbar fehlende Nähe zwischen Patriarch und Sohnemann oder das beinah zu dick aufgetragene Lächeln der Frauen, ließen auf der Stelle ihre Alarmglocken läuten.

Wellen des Grusels jagten über ihren Rücken hinweg, ja drangen sogar bis in den bestgehüteten Herzenswinkel vor und streuten dort fröstelnde Eiskristalle hinein. Je länger sie auf die Malerei stierte, desto stärker verdichteten sich die zusammenhangslosen Fäden in ihrem Verstand.

Fragen über Fragen türmten sich in Victorias Geist auf, ohne Aussicht auf zufriedenstellende Antworten.

Wie hat nur so eine schreckliche Handlung in diesen stille Hallen stattfinden können? Aber hat sich diese Tat wirklich so zugetragen?Wer weiß, wie mündliche Überlieferungen die wahre Begebenheit verfälscht haben? Nichtsdestotrotz bin ich gespannt, welche Geheimnisse hier schlummern und nur darauf warten, endlich gelüftet zu werden!

Das eigenartige Gefühl von Bekanntsein und Trauer lag ihr wie ein schwerer Stein im Magen, ja drückte sich sogar wie eine geschliffene Splitterkante tief ins blutende Fleisch.

»Dieser Wohnsalon mag ja ganz schön und gut sein, aber nach Däumchen drehen ist mir so gerade echt nicht! Lasst uns erstmal die Zimmer anschauen...«, seufzte Louisas schließlich laut auf, so als bereitete es ihr eine Höllenqual, nur für ein paar Sekunden an einem Ort verweilen zu müssen.

Im selben Sekundenschlag schien Victoria aus ihrem Dornröschenschlaf aufgewacht. Erst ruckelte ihr Verstand, so als klemmte dieser wie eine versperrte Tischschublade fest, bevor sich das  Gewinde wieder loslösen konnte.

»Wie immer stellt unsere liebe Louisa die Stimme der Vernunft dar«, spöttelte Victoria, im Insgeheimen der Hoffnung nachgehend, so schnell wie möglich die letzten Augenblicke in Vergessenheit geraten zu lassen.

»Aber ich bin durchaus ihrer Meinung. Es gibt noch viel zu sehen!«

Louisa, die als Reaktion darauf lediglich ihre Augen verdrehte, ergriff abermals das Zepter der Führung und nahm sogleich Kurs auf eine offen stehende Tür, angebracht im hinteren Abschnitt des hiesigen Wohnsalons.

»Da schreitet sie hin, unsere Kämpferin für die Gerechtigkeit«, meinte Victoria trocken in die bleierne Stille hinein, ehe ein leises Lachen erklang.

»Also, da hast du mir gerade die Worte aus dem Mund genommen!«, gluckste die Rothaarige, sichtbarer Humor glomm wie eine flackernde Flamme in ihren geweiteten Augen auf.

»Wie ich Louisa allerdings kenne, wird sie sich direkt das Beste aller Zimmer unter ihre manikürten Fingernägel reißen! Und ich will verdammt sein, dass sich Las Vegas wiederholt!«

»Na dann, ... schwing gefälligst die Hufe! Es ist noch nicht aller Tage Abend!«, spaße Victoria zurück, während sie durch das Portal hindurch trat und im Handumdrehen in einem weiteren Foyer landete.

Zu beider Behagen hatte Louisa auch hier bereits für reichlich Licht gesorgt.

Victoria erkannte auf Anhieb drei Umrisse, deren schattige Konturen alsbald in unterschiedliche Richtungen führten. Scheinbar verlief der erste Gang links, der Zweite mündete in dem rechts Abschnitt und der gerade verlaufende Weg zielte direkt auf eine beeindruckend große Treppe ab.

Allerdings fiel Victorias Blick auf das stattlich aussehende Ambiente dieser mit Holz vertäfelten Vorhalle. Edle Perserteppiche schienen hier gleichfalls in Hülle und Fülle zugegen, ja reichten sogar weit über die nach oben führenden Treppenstufen hinweg.

Die edle Stiege, aus starkem Eichenholz geschnitzt und mit zahlreichen Maserungen versehen, wandte sich einmal um die eigene Achse, bevor sich das obrige Ende mit dem Beginn des ersten Stockes verschmolz. Sicheren Halt bot hierbei ein flankierendes Geländer. 

Nebst zwei großen Fenstern ließen sich hier auch zahlreiche Kerzenständer, kleine Teak-Tische und weitere düstere Wandgemälde entdecken.

Wenige Schritte von ihnen entfernt, so hielt die vorausgeeilte Blondine geradewegs in ihrer nächsten Bewegung inne. Ein nachdenklicher Ausdruck huschte über das Gesicht der Schriftstellerin hinweg, während sich diese zur gleichen Zeit mit ein paar Finger den Nasenrücken massierte.

»Puh, lasst mich einmal kurz nach denken. Der alte Kauz hat mir nämlich vor unserer Anfahrt einen Lageplan des Herrenhauses zu gemailt. Wenn ich mich recht entsinne...«, erinnerte sich Louisa, während ihre aufmerksame Sicht immer wieder zwischen den  wegstrebender Flure hin und her huschte.

»Meines Wissens nach müssten sich auf dem rechten Korridor die Küche, der Speisesalon und der Ballsaal befinden. Auf der linken Seite sollten dann Bibliothek und das Musikzimmer zu finden sein. Und zu guter Letzt verteilen sich die Schlafzimmer, Bäder und diese eine verbotene Stube über die zwei bewohnbaren Oberetagen«

»Und wir werden ganz gewiss keinen Ärger auf uns ziehen, indem wir uns unerlaubten Zugriff auf den angesprochenen Salon verschaffen!«, ermahnte Charlottes, sich dabei eines ernsten Tonfalls bedienend, der mitnichten etwaige Widerrede zulassen würde.

»Hey, wieso starrt ihr ausgerechnet mich an?«

»Weil wir dich kennen! Muss ich dir etwa deine Las Vegas-Tat ins Gedächtnis zurück rufen? Bei der du dich einfach,  voll wie eine Haubitze, in ein fremdes Hotelzimmer gestürzt hast?«

»Jetzt mach mal halblang, wenn ich bitten darf! Ich dachte, was in Las Vegas passiert, bleibt auch auch in Las Vegas!«, empörte sich Louisa, doch das leichte Lächeln auf ihren Lippen strafte den gesprochenen Worten durchaus Lügen. »Muss aber sagen, dass das schon eine nice Nacht gewesen war...«

»Ha, für dich vielleicht! Victoria und ich durften hingegen die Sicherheitsleute anbetteln, dass sie dich nicht hinter schwedische Gardinen verfrachten!«

»Sag mal, willst....«

Amüsiert über das Wortgefecht, so richtete die Dritte im Bunde schon bald ihren Fokus auf die zu erklimmende Treppe aus.

Wer zuletzt lacht, lacht doch bekanntermaßen am besten. Gleich das schönste Zimmer schnappen und die anderen blöd aus der Röhre gucken lassen, stichelte Victoria in Gedanken, sich im Stillen bereits als ungekrönte Siegerin feiernd.

Was ein Kinderspiel.

Vorsichtig versuchte sie ihren mitgebrachten Trolli über jede einzelne Treppenstufe hinweg zu bugsieren. Derweilen ächzte das tragende Holz zu ihren Füßen laut auf, sodass Victoria zeitweise unter der Befürchtung litt, dass der Bau möglicherweise jede Minute in sich zusammen fallen könnte.

Während die junge Frau das mächtige Gestell bestieg,  so kam sie nicht ohnehin zu denken, welch unheimliche Grabesstille hier zu allen Seiten vorherrschte.

Sobald sich Victoria auf der ersten Etage vorfand, fielen ihr direkt ein paar seltsame Sammelsurien ins Auge. Dicht auf den Fersen gefolgt von drei weiteren Gängen, welche sich wiederum in verschiedene Himmelsrichtungen schmiegten.

Hoffentlich verlaufe ich mich in naher Zukunft nicht...aber mit meinem hundsmiserablen Orientierungssinn kann ich wohl leider auf kein anderes Ergebnis hoffen,  bangte die Dunkelhaarige in Gedanken, während sie die zahlreichen Wandverschönerungen genauer unter die Lupe nahmen.

Gleich dem Abbild des Wohnsalons und des Foyers, so zierten auch hier aufgehängte Gemälde die umliegenden Holzwälle. Allerdings wiesen die Porträts einen eklatanten Unterschied auf. Anstelle von festgehaltenen Ahnenvorfahren wechselten sich hier die Darstellungen der unterschiedlichsten Objekte ab.

Ein bemerkenswertes Bildnis zeigte sogar eine tapfere Galeone mit einer treuen Besatzung, welche sich geradewegs durch wütende Meerwellen kämpfte.

Freilich besaß jenes Gemälde einen eigenen Charme, doch war es eine andere Präsentation, die umgehend Victorias Aufmerksamkeit in Ketten legte.

Anno Domini 1709 - Ein Frühlingsfest im Hause von Dunkelmoor, las die junge Erwachsene im Stillen vor, eine verschnörkelte Handschrift hatte jenen Sachverhalt in der linken Ecke des Abbildes festgehalten.

Und als sich Victoria umgehend die Darstellung des stattlichen Gutes aufdrängte, so wusste sie doch augenblicklich um die Bedeutung von Lorenz von Lahnsteins schauderhaften Bemerkungen.

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