6. Kapitel: Räumliche Bekanntschaften

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"The past never leaves us; there's always atmosphere to consider; you can wound air as cleanly as you can wound flesh. In this way, the Dream House was a haunted house. You were the sudden, inadvertent occupant of a place where bad things had happened."


Urplötzlich zerriss ein dumpfes Klopfen das fein gesponnene Gebilde in tausend kleine Fetzten und beförderte Victoria sogleich wieder aus dem Reich der Träume in die spätnachmittägliche Realität zurück.

Während sich ihr umnebelter Verstand wie in klebrige Zuckerwatte eingehüllt anfühlte, versuchte hingegen ihr erwachter Geist rasch wieder Herr über alle fünf Sinne zu werden.

Fein Augenlider zitterten für den Hauche eines Wimpernschlages, bevor schließlich wieder zwei dunkelgrüne Iriden das Licht der Welt erblickten.

Herrenhaus, Urlaub...Charlotte und Louisa, folgende Erinnerungsfetzten bildeten sogleich den ersten konkreten Gedankengang seitens der noch teils schläfrigen Frau. 

Sich nun mit einer Hand über das blasse Gesicht reibend, probierte nun die Schwarzhaarige, so gut wie möglich,  den ächzenden Leib in eine halb sitzende Position aufzurichten. Nach ein paar erfolglosen Versuchen, sich die wirr vom Kopf abstehenden Strähnen aus dem Gesicht zu streifen, hisste Victoria schließlich ergeben die weiße Flagge.

Jede Zelle ihres Körpers schrie regelrecht nach befreiender Bewegung. Es war ihr,  als hätte jemand sie vor nicht all zu langer Zeit auf brutalste Art und Weise gerädert, geteert und gefedert.

»Autsch, also da hätte ich auch in einer bequemeren Position einschlafen können.... verdammter Mist«, schalt sich die junge Frau grummelnd, ehe sie die Beine geschwind vom Bett schwang.

»Erde an Victoria, pennst du noch oder warum so still?«, riefen ihr urplötzlich zwei bekannte Stimmen durch die trennende Zimmertür entgegen, kannten leider keinerlei Pardon mit ihrem dünn zerfaserten Nervenkostüm.

Abermals erklang das laute Klopfen, kratzende Geräusche auf blanker Holzfläche.

Unweigerlich machte sich in ihrem Gedankengang die schauderhafte Assoziation von Fingernägeln breit, die auf einer blanken Tafel kratzten.

Obgleich Victoria nicht übel Lust verspürte, beiden Freundinnen einfach die kalte Schulter zu zeigen und sich stattdessen wieder aufs Ohr zu legen, wusste sie dennoch ihre Schlachten besser auszuwählen. Denn mit Louisas unstillbare Neugier war oftmals nicht gut Kirschen essen, denn die hibbelige Schriftstellerin ließ meist wie ein Jagdhund, der seine Zähne in die arme Beute geschlagen hatte, nicht so einfach von seinem auserwählten  Opfer ab.

Im Endeffekt blieb der Schwarzhaarigen keine andere Wahl übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und ihrem Schicksal mit aufrechter Würde zu begegnen.

»Ja, ich kann euch beide klar verstehen. Bei eurer Lautstärke hat vermutlich sogar der gesamte Landkreis mitgehört!«

Ein dezenter Wink mit dem Zaunpfahl, um Charlotte und Louisas unverhohlener Neugier zumindest einen kleinen Dämpfer zu verpassen. Nichtsdestotrotz richtete sich Victoria zu voller Größe auf, nur um gleich darauf den verschlossenen Einlass anzusteuern.

Schnell schien die knarrende Tür weit aufgerissen - und schon im nächsten Augenblick sah sich Victoria den beiden Nervensägen gegenüber.

»Ich bitte dich. Schlafen kannst du auch, wenn du tot bist. Kommst du jetzt mit, oder was?«, fragte eine sichtbar erfreute Louisa zurück, die fortwährend ihr Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte.

»Äh....«

»Charlotte und ich wollten gerade eine kleine Erkundungstour durch das Haus antreten«, fiel ihr die Blondine sogleich ins Wort, sich hier eines strengen Stimmklangs bedienend, der mitnichten eine Widerrede gelten lassen würde.

Rasch richtete Victoria ihren Blick auf den abwartenden Rotschopf aus, die gleichfalls ein feines Lächeln offen zur Schau stellte.

Ich hasse es, wenn sich diese Pappenheimer gegen mich verbünden!

»Was's solls. Jetzt bin ich eh wach...«, lenkte sie schließlich händeringend ein. »Und wie heißt es doch so schön: Der Klügere gibt stets nach!«

»Ha, nur in deinen Träumen vielleicht!«

Natürlich hegte auch die Schwarzhaarige eine gewisse Neugier, wie wohl das weitere Interieur dieses altehrwürdigen Herrenhauses aussehen würde, obgleich sie dies niemals laut zugegeben hätte. 

Na, dieser kleine Spaziergang kann ja noch heiter werden.

»Sollen wir gleich mit den Bädern anfangen?«, schlug Charlotte bereitwillig vor, während sie sich mit ein paar Fingern unter dem Kinn kratzte.

»Passt. Klappern wir einfach Raum für Raum ab und sehen dann was passiert!«, erwiderte Victoria gleich darauf, eine bestätigende  Miene schmückte nun ihr Antlitz.

Auch Louisa erweckte schnell den Anschein, als würde sie keinerlei Widerworte über die Lippen bringen wollen.

Kaum Zeit schien ins Land gezogen, als sich das Trio schon bald an der bereits  bekannten Weggabelung vorfand.

»Also«, meinte Louisa, während sie ihre Stirn krauszog, »unsere Zimmer befinden sich hier. Ergo muss der Gang, der in die Mitte hinein führt, in den verbotenen Raum münden. Dem gemäß, wenn meine Logik stimmt, müssten wir jetzt dem rechts verlaufenden Flur folgen. Mir nach, lasst uns die Bude rocken!«

Über so viel an den Tag gelegten Eifer konnte Victoria nur mit Mühe und Not ein aufgestiegenes Schmunzeln runter schlucken.

In Windeseile folgten die Drei ihrem angepeilten Ziel.

Sobald die erste Türe in greifbare Nähe rückte, erwies Louisa ihrem tatkräftigem Ruf alle Ehre und riss, gefühlt zum x-ten Male an diesem Abend, mit Schwung einen ruhenden Eingang sperrangelweit auf.

Lange dauerte es nicht, bevor ihre flinken Finger einen Kippschalter an der rechten Wand ertasteten und jenen Mechanismus umgehend zur Seite klappten.

Zittriges Licht flutete augenblicklich den Waschsalon mit strahlender Helligkeit, der komplette Raum schien auf einen Schlag von Schatten und Dunkelheit befreit. 

Im Gegensatz zu den anderen Zimmern wies das Bad allerdings keinerlei eingebaute Fenster auf. Ein wahrlich dusterer Umstand, welcher der vorliegenden Stube eine geradezu bedrückende Atmosphäre verlieh.

Wie die Heizung in meinem Zimmer... so muss auch das Bad wohl in den frühen 1930er Jahre komplett renoviert worden sein, stellte Victoria unweigerlich im Stillen fest.

Laut der Gemäldeangabe muss das Haus im frühen achtzehnten Jahrhundert erbaut worden sein. Soweit ich weiß, haben die Leute damals, wenn sie ihr kleines oder großes Geschäft verrichten wollten, Plumpsklos oder gar Kloaken aufgesucht ...

Besser keinen Gedanken daran verschwenden, sonst kommt mir gleich nochmal das Essen von gestern hoch.

Erschaudernd vor dieser haarsträubenden Vorstellung, so konzentrierte sich die junge Frau rasch auf die betagte Einrichtung, denn Ablenkung schien zumeist die beste Methode um sich gewisser Eindrücke schleunigst zu entledigen.

Mit Argusaugen beäugte sie die Reinigungsstube, deren stattliche Größe für mindestens fünf Personen ausreichte.

Ein halb zerbrochener Spiegel, zerfurcht von tiefen Rissen, hing über einer Porzellanspüle. Mehrere aufgehängte Schränkchen, allesamt in weiße Farbe getunkt, flankierten herbei die glasige Oberfläche.

Als Victorias Blick unweigerlich auf den bronzenen Wasserhahn fiel, so machte sie schon bald auf dessen Oberfläche ein paar rostige Flecken aus, die fortwährend einen metallischen Geruch verströmen. Auch die Badewanne, gleichfalls aus feinem Stein bestehend, schien ihre besten Tage bereits vor langer Zeit hinter sich gelassen zu haben.

Hoffentlich spuckt das Haus kein braunes Wasser, sonst haben wir ein echtes Problem.

»Nicht schlecht«, kommentierte Louisa lauthals das Aussehen und schnalzte dabei, wie zur Unterstreichung ihrer Worte, mit der Zunge auf. »Dann gehe ich mal schwer davon aus, dass die anderen Waschsalons nicht anders aussehen. Hat man einen gesehen, hat man alle gesehen. Sollen wir dann im Erdgeschoss gleich weitermachen?«

»Unsere Göttin der Literatur hat gesprochen, wir haben ihrer Rede nichts mehr hinzufügen«, spöttelt Charlotte zur Antwort und fing sich gleich darauf einen bösen Blick ein.

Leise vor sich hin kichernd, kippte  Victoria schließlich den Lichtschalter um und folgte ihren beiden Freundinnen wieder auf den Gang hinaus.

In Handumdrehen hatten die drei plaudernden Frauen die wuchtige Eichentreppe erreicht.

Mit flinken Schritten tapsten Victoria, Charlotte und Louisa die knarrenden Stufen herab, sorgsam darauf bedacht, etwaigen Stolperfallen, wie zum Beispiel umgeknickte Teppichenden, bestmöglich auszuweichen.

Unten, im edlen Foyer angekommen, sprach Victoria schon bald mit einer leise erklingenden Stimme in die schwer auf ihren Schultern lastende Stille hinein.

»Wenn ich mich recht entsinne, dann sollten sich auf dem linken Gang der Lesesaal, das Musikzimmer und der Ballsaal befinden. Klingt doch verlockend, oder etwa nicht?«

Daraufhin grinste Louisa von Ohr zu Ohr, so breit, als hätte sie gerade buchstäblich den Sechser im Lotto gewonnen.

»Siehst du. Wenn du mal die Zähne aufbekommst, dann hast du es wirklich drauf! Auf geht's«,  lobte die Blondine mit blitzenden Augen, packte die Hände der anderen beiden Frauen und zog diese mit Sturmesdrang in die von ihnen aufzusuchende Richtung.

Die erste Holztüre stellte sich nach raschem Öffnen sogleich als das Musikzimmer dieses ehrwürdigen Anwesens heraus.

Nun war es an Charlotte, den hiesigen Lichtschalter zu aktivieren, der nach Sekunden des Wartens endlich ansprang. Waberndes Licht, stets von der Decke herab strahlend, füllte den Raum mit glänzender Helligkeit auf.

Es ließ sich nicht leugnen, dass der vor ihnen aufgebahrte Salon vor Schönheit beinah aus allen Nähten zu platzen drohte. Elfenbeinfarbene Tapete, über und über mit goldenen Ornamenten übergossen, zierten sowohl die weit verlaufenden Wälle als auch die tadellos sauber gehaltene Decke.

Victoria zählte insgesamt sechs Fenster, gleichfalls in regelmäßigen Abständen zwischen den umliegenden Außenwänden eingelassen.

Zentral in der Mitte stand ein wuchtiges Klavier. Wenige Meter von dem beeindruckenden Instrument entfernt, ruhte derweilen eine mit weißen Laken überzogene Couch, um das sich herum gemütlich aussehende Sessel tummelten.

Nebst dem bereits entdeckten Mobiliar tauchten auch schon bald mehrere Violinen, Flöten und Trompeten, fein säuberlich nebeneinander im hinteren Eck auf den Boden abgelegt, in Victorias Blickfeld auf. Dunkle Notenständer, allesamt beschriftete Blätter tragend, standen einsam und verlassen in der Gegend herum.

Ein Hauch von Vergangenheit lag in der Luft.

Gemächlich schlenderte Victoria, von einem eigenartigen Impuls angetrieben, in Richtung des mächtigen Flügels. Sein verarbeitetes, mit Lack überzogenes Ebenholz schimmerte in aller Pracht, so als hätte selbst der Zahn der Zeit seiner Ästhetik keinerlei Trübung verschaffen können.

Unweigerlich sprang ihrer Sicht ein Notenbuch entgegen, dessen Platz bisweilen auf der Oberfläche des Pianofortes verweilt hatte. Geschickte Finger griffen sogleich nach dem ausgebleichten Papier, die alternde Beschichtung fühlte sich seltsam porös unter den nieder streichelnden Kuppen an.

Zwar spielte Victoria zu ihrem eigenen Bedauern kein Instrument oder konnte auch keinerlei aufgezeichnete Notenreihenfolge erkennen, doch der Name, der oben auf der rechten Seite prangte, war ihr wohlbekannt.

Johann Sebastian Bach, der triumphierende Maestro.

Vorsichtig stellte die Urlauberin das Heft an seinen ursprünglichen Platz zurück. Rasch war der Platz an der Seite ihrer Freundinnen eingenommen, die im Gegensatz zur ihr vollkommen gelangweilt dreinblickten.

»Können wir bitte weiter gehen? Ist ja mega langweilig da«, quengelte Louisa voller Ungeduld, stets ein Wirbelwind auf zwei Beinen, der nicht lange an einem Ort verweilen konnte.

Und da die beiden anderen Frauen über ihren schnelllebigen Launenwechsel bestens Bescheid wussten, zögerten diese nicht für eine Sekunde, der gestellten Forderung nachzukommen.

In solchen Momenten zeugte es von größerer Klugheit, einfach Stillschweigen zu bewahren und keinen Streit vom Zaun zu brechen.

Welche Geheimnisse verbergen sich wohl noch in diese Hallen?, grübelte Victoria, nicht wissend, dass das Schicksal schon bald so manch grauenhafte Mysterien für sie in petto bereithalten würde.

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