Besuch einer Fürstin

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Als die Kutschen mit ihrer Begleitung auf Altkirch zurollten, ernteten sie etliche verblüffte Blicke. Die Menschen auf den Feldern ließen Rechen und Hacken sinken und starrten diesem so seltenen Anblick nach. Und die meisten packten ihre Werkzeuge und rannten den Fahrzeugen hinterher.

Im Dorf wurden die Leute ebenfalls aufmerksam. Und sie alle verließen die Häuser und strömten auf dem Dorfanger zusammen. Denn da war etwas im Gange und alle wollten wissen, welches Unheil sie jetzt schon wieder treffen würde.

Vor dem großen, grasbewachsenen Anger hielt die Reisegesellschaft an. Ein Teil der Soldaten bildete einen Halbkreis hinter den drei Fahrzeugen, die restlichen sprangen von den Pferden und stellten sich zwischen den Kutschen und den Dorfbewohnern auf. Die ‚menschlichen' Wilkos in Uniform, die zu Fuß mühelos Schritt gehalten hatten, gesellten sich zu ihnen. Die Wölfe liefen vor und legten sich unmittelbar vor den erschrockenen Bewohnern auf den Anger. Sie bedrohten niemanden direkt, waren aber eindeutig bereit zum Eingreifen. Und sie drückten klar aus, dass die Menschen dort bleiben sollten, wo sie standen.

Die Fürstin wartete, bis nur noch vereinzelte Menschen zu der Versammlung stießen. Jetzt standen vier Wölfe auf und postierten sich hinter den Dörflern. Natürlich waren sie viel zu wenig, um die Leute aufzuhalten, aber hier erstand das gleiche Phänomen wie bei einer Schafherde: Die verängstigten Menschen kamen gar nicht auf die Idee, die zahlenmäßig weit unterlegenen Wölfe anzugreifen und ließen sich brav zusammentreiben.

Jetzt sprang Maciej aus der Kutsche und bot seiner Mutter die Hand als Stütze. Die Leute schnappten nach Luft, als ihnen klar wurde, wer sie da besuchte. Niemand hatte je zuvor die Fürstin gesehen, aber die reiche Kleidung aus blauem Samt und Goldbrokat, das goldene Diadem im kastanienbraunem Haar und vor allem die stolze Haltung sagten genug.

Die Leute schubsen und drängelten, bis der Bürgermeister von Altkirch, nur halb freiwillig, ganz vorne stand. Dort wirkte er ziemlich verloren und drehte verlegen die hastig abgenommene Mütze zwischen den Fingern.

Natalia schritt gelassen auf ihn zu, ohne irgendwelche Scheu vor den riesigen Raubtieren zu zeigen, die zwischen ihr und ihm lagen. Als sie den Kreis der Wölfe erreichte, standen die beiden, zwischen denen sie hindurch ging, gelassen auf und geleiteten sie. Flankiert von einem grauen und einem hellbraunen Wolf hielt sie schließlich vor dem innerlich bebenden Mann an, der nur mühsam seine Fassung wahrte.

„Du bist der Bürgermeister?", fragte sie und er nickte. „Ulryk, Euer Hoheit – Euer Durchlaucht – Eure Majestät ..." Offenbar suchte er nach der richtigen Anrede.

Sie unterdrückte ein Lächeln. „Hoheit genügt. Du weißt also, wer ich bin?"

„Fürstin Natalia?!", das kam halb als Frage, halb als Antwort heraus.

Natalia nickte nur.

„Und was – ich meine warum – Willkommen, Hoheit", dem guten Ulryk kam der Gedanke, dass es vielleicht nicht angebracht war, seine Landesherrin rundheraus zu fragen, was sie in dieses abgelegene Dorf geführt hatte.

„Du fragst dich, was ich hier zu suchen habe", stellte sie klar. Verdattert nickte Ulryk.

„Ich suche jemanden und ich bringe jemanden", erklärte sie. Auf ihr Zeichen kamen Piroska, Stepan und Kriszta aus den Kutschen und traten zu ihr.

Ein zweifacher Schrei ertönte. „Piri! Stepka!" Bevor sie jemand daran hindern konnte, raste Malia durch die Menge, passierte achtlos die Wölfe und umarmte ihre beiden Kinder gleichzeitig. Stumm, aber nicht weniger bewegt folgte Dawid ihr. Er schlug Stepan auf die Schulter und drückte Piri kurz an sich, das war für ihn schon Nähe genug. Aber die Freude, seine Kinder wiederzusehen, war nicht zu verkennen.

Der zweite Schrei stammte aus Marians Kehle, der weinend seine Schwester in die Arme schloss. „Ach Kris! Ich dachte, du wärest tot!"

Im Gegensatz zu Kriszta, die ebenfalls in Tränen ausbrach und sich an Marian klammerte, standen Stepan und Piroska bleich und scheinbar ungerührt da. Verwundert löste sich Malia von ihnen. Dawid bemerkte ihre starren Mienen und wurde blass. Überraschend sanft nahm er seine Frau an den Schultern und zog sie ein wenig weg von den Geschwistern. Doch auch dann ließ er seine Hände auf ihren Schultern liegen. Ob dieser ungewohnten Zärtlichkeit verunsichert, aber auch berührt, griff Malia nach seiner Rechten.

Natalia hatte sich währenddessen nicht geregt. Nun wandte sie sich an Ulryk: „Mir scheint, dein Dorf hat drei seiner Bewohner verloren. Wie konnte das passieren?"

Ulryk schluckte. „Ich weiß es nicht, Hoheit. Wir glaubten diese drei tot – von Wölfen zerrissen."

„Von diesen da?", Natalia wies auf die Wölfe auf dem Platz. Verwirrt schüttelte Ulryk den Kopf. „Sie scheinen euch zu gehorchen, Hoheit."

„Nein, das tun sie nicht. Sie gehorchen nur sich selbst."

Ulryk ging ein Licht auf. „Sind es Wilkos?"

„Du weißt also, dass es die Wilkos gibt?"

„Ja, natürlich. Manchmal kommen sie auf den Markt in Grünanger."

„Und dir ist klar, dass es dort, wo Wilkos leben, keine Wölfe gibt?"

„Ja, Hoheit. Die echten Wölfe fürchten die Wilkos."

„Und dennoch hast du geglaubt, eure Leute wären von Wölfen getötet worden?"

Mehrere überraschte Ausrufe verrieten, dass so einigen Dörflern der Widerspruch erst jetzt aufging. Allerdings waren nicht alle informiert. In der eintretenden Stille hörte man eine jugendliche Stimme: „Papa, was sind Wilkos?"

Diese Frage beantwortete der lichtbraune Wolf. Er trat einen Schritt vor, dann verschwamm seine Gestalt und die verblüfften Menschen sahen eine bemerkenswert schöne, gutgeformte Frau vor sich, deren einzige Bekleidung das lange, hellbraune Haar war. Vor allem den Männern stand der Mund offen.

Die Werwölfin betrachtete die Menschen nachdenklich, zog verächtlich die Mundwinkel herunter und nahm wieder ihre Wolfsgestalt an. Natalia mühte sich, nicht zu lächeln, als sie meinte: „Damit dürfte diese Frage wohl geklärt sein."

Dem war offensichtlich nicht so, denn aufgeregtes Wispern in der Menge verriet, dass vor allem die jungen Leute noch einige Fragen hatten. Das Wissen um die wölfischen Nachbarn hatte man im Dorf den Kindern und Jugendlichen – und vor allem den jungen Frauen - wohlweislich vorenthalten. Die Älteren hingegen musterten die Soldaten nun genauer und schraken sichtlich zusammen, als ihnen klar wurde, dass nicht wenige der Uniformierten ebenfalls Wilkos waren.

Ulryk bemühte sich, die Sachlage zu verstehen. „Sind die drei also von den Wilkos entführt worden?"

Natalia fixierte ihn streng. „Nein", erwiderte sie. „Stepan zum Beispiel fiel den Wegelagerern in die Hände."

„Und Eure Soldaten haben ihn befreit?"

„Auch das nicht. Ulryk, was meinst du, wen ich hier im Dorf suche?"

Ulryks Gesicht verriet absolute Ahnungslosigkeit.

„Ich bin auf der Suche nach Wegelagerern", erklärte Natalia ruhig.

Ihre Worte wurden alles andere als ruhig aufgenommen. Ulryk starrte sie entgeistert an und versuchte, das aufgeregte Tuscheln in seinem Rücken zu überhören. „Aber – da müsst Ihr im Wald suchen, Hoheit." Er schien es ehrlich zu meinen.

Natalia musterte die Dörfler genauer. Viele wirkten wie der Bürgermeister völlig überrumpelt und verständnislos. Aber einige wandten beschämt die Augen ab oder versuchten, sich hinter anderen zu verbergen. Natalia überschlug die Menge grob und schätzte, dass gut ein Achtel der Dörfler genau Bescheid wusste.

Auch Malia und Dawid, die noch immer weit vorne standen, wirkten betreten, aber nicht direkt schuldbewusst. Entweder waren sie gute Mimen oder nicht so tief involviert, wie die Fürstin befürchtet hatte.

„Im Wald haben wir die Räuber bereits gefunden", erklärte Natalia nun. „Und auch gefangengenommen. Aber so einige entkamen und ich bin sicher, dass viele der Wegelagerer heute nicht beteiligt waren."

„Und Ihr glaubt, sie haben sich im Dorf versteckt?"

„Das tun sie seit fünfzehn Jahren. Seht euch um, zählt durch, wer fehlt. Vermisst ihr denn niemanden von euch?"

Jetzt sah die Fürstin in lauter betroffene Gesichter. Und tatsächlich blickten sich die Dörfler um. Und riefen verblüfft die Namen der Männer und Frauen, die eigentlich um diese Zeit im Dorf sein sollten. Nur wenige antworteten.

„Göran?", hörte man jemanden fragen. Augenblicklich kam eine gelassene, tiefe Stimme: „Ich bin hier!" Der schwarzhaarige Jäger stand weit vorne und wirkte nicht weniger verwundert als seine Nachbarn.

„Die Fehlenden haben wir bereits in unserem Gewahrsam", erklärte Natalia. „Stepan wird euch nachher genau sagen, wer aus eurem Dorf beim letzten – und damit meine ich wirklich den endgültig letzten - Überfall dabei war. Wer bei früheren Angriffen beteiligt war, aus Altkirch oder aus einem der anderen drei Dörfer, werden wir auch herausfinden."

„Aber wie – was?" Ulryk verstand offenbar überhaupt nichts mehr. Natalia würdigte ihn keiner Antwort; sie wandte sich an die Dörfler. „Ich habe auch erfahren, warum das alles geschehen ist und gebe mir eine gewisse Mitschuld daran. Ich wusste nicht, wie sehr ihr unter den Steuern leidet, die euch mein Beauftragter auferlegt hat und die ganz bestimmt nicht in meinem Sinne waren.

Das bedeutet für euch, wer dabei war, aber keinen Mord begangen hat, kann mit einer milden Strafe rechnen. Erst recht, wenn er freiwillig gesteht. Ich möchte euch aber warnen – wir haben Unterlagen in die Hände bekommen, die uns in die Lage versetzen, jeden von euch über kurz oder lang zu identifizieren. Natürlich könnt ihr vorher fliehen, aber wohin? Und wollt ihr wirklich eure Höfe und Werkstätten, eure Familien in Stich lassen, für die ihr das alles getan habt? Ich rate euch, mit den Ermittlern zusammen zu arbeiten, die sehr bald ihre Arbeit aufnehmen werden."

Sie ließ den Blick erneut über die Menge schweifen und entdeckte nun Erstaunen und Erleichterung in vielen Gesichtern. „Zwei Missetäter allerdings werden von mir keine Gnade zu erwarten haben", verkündete sie. „Der eine ist der Graf dieses Landstriches, der euch eine so schwere Last auferlegt hat. Der andere ist der Anführer der Wegelagerer, der auch zugleich auch derjenige ist, welcher die meisten Morde begangen hat." Dieses Wissen hatten sie von Patryk.

„Und wer ist das?" Göran hatte gefragt. „Ist auch er aus Altkirch?"

„Wer es ist, wissen wir noch nicht", gab Natalia zu. „Aber wir sind sicher, dass er aus Altkirch stammt. Er entkam beim Überfall."

Erneutes Raunen und Wispern. Nun sahen die Menschen einander misstrauisch und nachdenklich an. Jeder schien zu überlegen, wem so etwas zuzutrauen war.

„Also ist einer von uns ein vielfacher Mörder?" Ulryk hatte Probleme, das zu begreifen. Natalia stimmte zu. „Mindestens ein Dutzend Tote in den letzten zehn Jahren gehen auf sein Gewissen. Die genaue Anzahl werden die Ermittlungen ergeben."

„Ich kann mir nicht denken, dass jemand von hier so etwas tun könnte", platzte Dawid heraus. „Wer ...? Ich meine, was wisst Ihr von ihm?"

„Laut Zeugen ist er groß, kräftig gebaut und blond", Natalia wandte sich den Kutschen zu und sagte laut: „Und wir haben einen Zeugen, der ihn finden kann."

Spontan entstanden in der Menge lauter freie Stellen. Die Dörfler wichen von jedem großen, blonden Mann zurück und diese fanden sich plötzlich geradezu auf dem Präsentierteller. Dann begann einer mit Schubsen, andere folgten und kurz darauf standen alle blonden Männer des Dorfes ganz vorne. Und Dawid streiften etliche kritische Blicke. Aber er wusste auch so, was von ihm erwartet wurde; er stellte sich zu den anderen. Auch Marian trat mit völlig verstörtem Blick hinzu.

Von den Kutschen her kam nun Ylvigur auf sie zu. Er hatte das Hemd ausgezogen, so dass alle die roten Narben sehen konnten, die seine linke Schulter und die Brust verunzierten und die furchtbare Verletzung erahnen konnten, welche diese Male zurückgelassen hatte.

„Dieser eine Mord wurde nicht vollendet", führte Natalia an. „Und das Opfer ist in der Lage, den Täter zu finden."

Ängstliche und verunsicherte Blicke trafen Ylvigur, als er mit weit geöffneten Nasenflügeln an der Reihe der blonden Männer vorbeiging. Einige wenige duckten sich oder wandten sich ab, aber die meisten standen aufrecht da und blickten dem Werwolf gerade in die Augen, als er sie musterte. Keinem aber schien bewusst zu sein, dass Ylvigur nicht nur seine Augen, sondern auch seine Nase einsetzte. Stepan und Piroska hielten einander an der Hand, Kriszta hielt die Luft an.

Vor Marian und Dawid, die nebeneinander standen, blieb Ylvigur stehen und hob den Kopf. Piroska drückte Stepans Hand so stark, dass dieser geschrien hätte, wären nicht seine Kiefer so fest aufeinander gepresst gewesen.

Noch einmal prüfte der Werwolf die Luft, dann wandte er seinen Blick einem bestimmten Mann zu. „DU!" fauchte er.

Aber es war weder Dawid, noch Marian, den er meinte. Es war Göran.

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