Mittwoch - 1.3 - Atmen

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Don't forget  -  it's fiction!                                    Triggerwarnung  Bulimie

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Nach dem Schrecken am frühen Morgen und der ganzen Orga für unsere Versorgung und Sicherheit scheint nun beim Frühstück etwas Entspannung einzutreten. Alle sind begeistert von dem Geschmack von deutschem Brot. In Korea spielt Brot bei der Ernährung keine Rolle. Und ansonsten kennen sie nur süßen, amerikanischen Labberkram. Das hier scheint eine Geschmacksoffenbarung für sie zu sein. Das Essen klingt mit fröhlichem Small Talk aus. Wir haben wahrscheinlich auch die Situation noch nicht ganz realisiert. Und den meisten ist sicher auch nicht klar, was uns aufgrund der Enge und Unsicherheit noch an Turbulenzen blühen wird. Trotzdem habe ich wenigstens im Moment das Gefühl, die Situation im Griff zu haben. Da steht Jimin plötzlich auf und geht leise zur Tür.
Oh, nein! Nicht schon wieder?! Was mach ich denn jetzt??? ...
Mein Hirn rotiert auf der Suche nach einer Lösung.
Ich probiere was aus ...

„Jimin?"
Ich gehe ihm leise nach und spreche ihn vorsichtig an. Er bleibt zwar an der Tür stehen, dreht sich aber nicht zu mir um sondern sackt wie resigniert in sich zusammen.
„Jimin, do you feel sick?"
Er nickt, hält sich die Hand vor den Mund, dreht sich aber immer noch nicht um.
„Can you trust me? May I try to help you to feel better?"
Zögerlich nickt er, nachdem er die englischen Worte in seinem Kopf sortiert hat. Ich lege meinen Arm um seine Schulter, nehme ihn mit zur Terrassentür und öffne sie. Dann stelle ich Jimin vor mich hin, mit Blick zum Garten und wage mein Experiment: ich lege ihm von hinten meine flache Hand auf den Bauch.
„Jimin, could you try to breathe very deep? Try to push my hand away with your breath!"

Mist, versteht er überhaupt, was ich meine? Ah, Namjoon hat geschaltet und kommt zum Übersetzen.
Es wird ganz still im Raum, doch nicht unangenehm, es will einfach keiner die Ruhe und Konzentration stören. Alle warten ab, was jetzt wohl geschieht. Jimin lässt sich drauf ein, obwohl er sichtlich mit dem Würgereiz kämpft, und fängt an, seine Atmung zu regulieren. Ich will ihn ablenken von seiner Übelkeit und gleichzeitig achtsamer machen für sich selbst. Vielleicht funktioniert es ja.
„Konzentrier dich einfach auf deinen Atem. Atme ganz tief ein und aus. Atme gegen meine Hand an." ...

„Schließ deine Augen, atme einfach."
Er schließt die Augen, nimmt schließlich sogar die Hand vom Mund.

„Spüre, wie die frische Morgenluft dich ganz ausfüllt." ...

„Entspann dich und genieße einfach die Ruhe, die sich in dir ausbreitet."

Einige Minuten stehen wir so da. Längst ist seine Atmung ganz gleichmäßig und tief. Er braucht auch meine Hand als Kontrolle nicht mehr, ich bleibe einfach nah hinter ihm. Schließlich stellt er sich aufrechter hin und öffnet langsam die Augen. Ganz leise wage ich zu fragen.
"Do you feel better?"
Er nickt. Alle atmen aus, als hätten sie die Luft angehalten.

Und plötzlich fliegt er herum und fällt mir in die Arme wie ein Kind, das von seiner Mutter getröstet und beschützt werden will. Ich gehe mit ihm zum Sofa und ziehe ihn auf meinen Schoß. Ich spüre jeden einzelnen Knochen. Er vergräbt sein Gesicht an meiner Schulter und rollt sich ein wie ein Baby. Er ist so furchtbar leicht! Ich spüre, dass ihm kalt sein muss, und greife nach der gelben Fleecedecke, die immer auf unserem Sofa liegt. Als ich ihn darin einwickele, muss ich schmunzeln. Ich muss an die gelbe Decke aus Serendipity denken. Mein absolutes Lieblingslied. Gesungen von diesem traurigen Engel.

Ganz still liegt er in meinen Armen, als wollte er nie wieder dort weg. Ich zeige ihm ein Fingerherzchen und bringe ihn so für einen Moment zum Lächeln. Er hat sich nicht übergeben! Er hat es geschafft, die Übelkeit wegzuatmen. Ich bin sooo froh – und gleichzeitig irritiert, denn in diesem Moment scheine ich sein Rettungsanker zu sein, so wie er in mich reinkriecht. Und ich weiß gar nicht, ob das gut ist. In ein paar Tagen ist er wieder weg von hier und muss selbst seinen Weg aus der Hungerfalle finden. ER muss essen WOLLEN, ER muss lernen, sich und sein Leben anzunehmen und zu lieben. Ich werde dann weit weg sein, wir werden uns vielleicht nie wieder sehen.
Er darf sich jetzt bloß nicht auf mich fixieren! Ich muss die Atmerei unbedingt an Tae deligieren. Der steht Jimin am nächsten.

Die anderen decken möglichst geräuschlos den Tisch ab und scharen sich dann um uns. Keiner kann jetzt weggehen, der Moment scheint so bedeutungsvoll zu sein. Tae rutscht an meine eine Seite, legt Jimins Beine quer über seine und wickelt ihn sorgfältig wieder in die Decke. Namjoon setzt sich an die andere Seite bei Jimins Kopf – da kann er am besten übersetzen wenn nötig. Ein paar landen hinter mir auf der Sofalehne, andere hocken sich auf den Boden vor uns. Wie eine Schutzmauer bauen wir uns um Jimin auf und lassen ihm seine Zeit. Wir warten einfach ab.

Nach einer kleinen, warmen, geborgenen Ewigkeit blickt er endlich hoch, setzt sich auf in meinen Armen und schaut seine Freunde an. Dann fängt er an zu sprechen, ganz leise, und ich begreife, dass ich gar nicht das Gespräch mit ihm führen muss. Er ist nun bereit und leitet es selbst ein. Ich signalisiere Namjoon, dass er nicht übersetzen soll, und so erfahren wir hinterher, was Jimin erzählt. Sein Tonfall, sein Gesicht und seine Gestik verraten aber auch so, was er sagt. Immer wieder zögert er, stottert, versteckt sein Gesicht hinter seinen Händen. Und das tut er ja immer, wenn ihm etwas sehr peinlich ist...

„Ich schäme mich so, dass ich euch so viele Sorgen gemacht habe. Ich mache alles kaputt für BTS. Ich habe so Angst, dass ich diese Tournee nicht schaffe. Dann werden die ARMY's alle enttäuscht sein. Und ich schade euch! ... Dieses Flughafengedrängel, die Morddrohungen. Dieses pausenlose unter Beobachtung stehen und sich beweisen müssen. ... Nichts kann ich richtig gut. Hobi kann besser tanzen, Kookie kann stabiler singen, Jin kann leckerer kochen, Namjoon kann tiefer und schneller denken, Tae kann ausdrucksstarker schauspielern und Yoongi kann perfekt rappen. Nichts mache ich richtig gut. Ich halte den Druck einfach nicht mehr aus, vielleicht sollte ich einfach aufhören."

Schlagartig laufen ihnen allen bei diesen Worten die Tränen übers Gesicht. Seine Freunde sind einfach nur entsetzt, dass dieser so liebenswerte Mensch so schlecht über sich selbst denkt. Sie lieben ihn so sehr, genau so, wie er ist! Warum kann er das nicht verstehen??? Sie haben es ihm doch schon so oft gesagt!

Ich schaue auf Jimin, der die Augen geschlossen hat und wieder in meinen Armen zusammen gesackt ist. Ein unendlich trauriges Bündel Mensch. Ich streichele ihm sanft über den Rücken, er öffnet seine Augen – und erstarrt.
„Warum weint ihr? Ich bin das nicht wert! Ihr müsst mich doch loswerden wollen!"
Schneller fließen die Tränen, viele Hände greifen von allen Seiten nach ihm, als wollten sie verhindern, dass er sich einfach in Luft auflöst. Keiner kann etwas sagen, nur Schluchzen ist zu hören. Taes Augen sind vor Schreck geweitet, fast panisch schüttelt er den Kopf. Und schließlich huscht ein Ausdruck des Verstehens über Jimins Gesicht. Ein Staunen. Wie ein Licht. Wo alle guten Worte über die Jahre nicht zu ihm durchdringen konnten – die Tränen seiner Freunde erreichen ihn endlich. Sie weinen UM IHN! Sie können gar nicht anders. Ganz leise kommt sein Flüstern.
"Bin ich euch sooo wichtig, dass ihr um MICH weint?"
Fast fallen sie über ihn her, um ihm ihre ganze Zuneigung zu zeigen. 

Ich werde hier nicht mehr gebraucht. Ich löse mich aus dem Kuddelmuddel von Armen und Beinen und übergebe Jimin an Tae, der ihn ganz nah zu sich zieht und ihn fest umarmt.
"Ich würde es niemals ertragen, dich zu verlieren! Du bist der wertvollste Mensch, den ich kenne."
Auch die anderen finden Worte der Zuneigung, die endlich(!) bei ihm ankommen.

Wir als Familie setzen uns daneben und warten einfach ab. Nach einer ganzen Weile erzählt uns Namjoon, was grade alles gesagt wurde, woraufhin auch uns die Tränen in die Augen schießen, und er übersetzt nun synchron. Denn wieder fängt Jimin an zu reden.
"Seit Jahren wissen alle, was am besten für mich ist. Dein Gesicht ist zu rund, dein Gesicht ist zu eckig. Deine Nase ist zu platt, deine Nase ist zu spitz. Du bist zu dick, du bist zu dünn. Friss nicht so viel, du musst mehr essen. Es macht mich wahnsinnig! Ich habe uns als Gruppe und das Performen auf der Bühne und die Fan-Kontakte immer geliebt, aber allmählich gleichzeitig auch gehasst. Und dann mich gehasst, weil ich doch dankbar sein und dieses Leben lieben sollte. Ich habe gar nicht bewusst aufgehört zu essen. Mir war einfach der Appetit vergangen. Irgendwann wurde mir immer schon beim Anblick von Essen schlecht. Ich habe keinen Hunger mehr gespürt. Und schließlich konnte ich selbst dann nicht essen, wenn ich es wollte. Ich weiß, dass das total ungesund ist. Aber ich konnte nicht mehr zurück. Und dann habt ihr angefangen, mich zum Essen zu zerren und mir den Teller voll zu schaufeln. Das schlechte Gewissen euch gegenüber wurde immer größer. Also habe ich versucht, mich zum Essen zu zwingen. Aber es ging nicht. Mir war so unsäglich schlecht, dass ich das hinterher einfach wieder ausspucken MUSSTE. Inzwischen wiege ich nur noch 47 Kilo, und ich weiß einfach nicht, wie ich wieder anfangen soll mit Essen. Diese drei Weintrauben eben sind das erste seit fünf Tagen, was vollständig drin geblieben ist." Ich schnappe entsetzt nach Luft.

Wieder Tränen. Doch diesmal ist es nicht nur Schrecken sondern auch Erleichterung und Hoffnung. Namjoon bricht das Schweigen.
"Ich bin so dankbar, dass du dich uns endlich anvertraust. Und so stolz, dass du das eben geschafft hast, die Übelkeit wegzuatmen. Wir werden dich nie mehr zum Essen drängen. Ich bitte dich nur um eins: bitte, bitte, bitte höre nie wieder auf, mit uns zu reden. Dein Schweigen und dein innerer Rückzug waren das allerschlimmste für uns!"
Jimin nickt.
„Ich verspreche es. Aber - Ich schaffe das mit dem Atmen bestimmt nicht allein."
Wie aus der Pistole geschossen antworten die anderen.
„Dann werden wir dir helfen!"

Ich vergehe grade vor Erleichterung, schicke einen Dank nach dem nächsten zum Himmel, dass das Gespräch so gut läuft, und schlage etwas vor.
Jimin, such dir doch ein oder zwei Member aus, von denen du glaubst, dass sie dir besonders gut dabei helfen können. Und dann nutzt ihr die Gelegenheit, dass ihr hier eingesperrt seid, und übt das miteinander. Macht ein unauffälliges Zeichen aus, dass du Hilfe brauchst. Das muss und sollte da draußen ja keiner mitkriegen. Findet heraus, wie ihr diese Atempausen gestalten müsst, damit sie dir gut helfen. Entwickelt eine Routine dafür."

Und Jin stellt plötzlich eine geniale Frage.
"Was für Essen vermisst du denn am meisten?"
„Ramen!"
Das kommt ohne jedes Zögern. Schallendes, gelöstes Gelächter von allen Seiten.
„Und Obst. Und ihr habt mich vorhin echt neugierig gemacht mit dem Brot. Ich würde so gerne das Brot probieren."
Leise schiebt er nochwas hinterher.
"Aber ich traue mich nicht."

Wortlos steht Jin auf und geht zur Küche. Ich ahne, was er vorhat, und gehe hinterher. Gemeinsam füllen wir drei ganz kleine Schalen jeweils mit ein paar Würfeln Brot, Apfel, Käse und 1-2 Weintrauben. Mundgerechte Häppchen, nur nicht zu große Mengen. Ich lege noch in jedes Schälchen ein Stück Schokolade. Dann stellt Jin ein Schälchen auf die Treppe nach oben und verteilt zwei im Wohnzimmer.
„Schau, Jimin, das ist für dich. Wann immer du Hunger hast und es probieren willst, wirst du ab jetzt überall im Haus was zu essen finden. Keiner drängt dich. Wir werden uns einfach innerlich halb tot freuen, dir dann beim Atmen helfen und später die Schüsselchen wieder auffüllen."
Und erst 2, dann 4, 6, schließlich 20 kleine Fingerherzen strecken sich ihm entgegen, begleitet von breitem Grinsen über Jins komische Formulierung.

Jimin nickt. Jimin zögert. Dann nimmt er sich ein kleines Stück Brot und steckt es in den Mund. Kaut. Holt tief Luft, legt seine Hand auf den Bauch. Atmet. Macht große Augen.
„Boah, ist das lecker!"
Und Jin schafft es, ihm nicht sofort die Schüssel unter die Nase zu halten und zu sagen:"Nimm noch eins!"

5½ Stunden, nachdem uns die Sirenen brutal aus dem normalen Leben gerissen, das ganze Haus in Hektik gestürzt und vor allem unseren Gästen große Sorge und Not bereitet haben, sitzen diese sieben jungen Männer aus Südkorea wie ein einziges Knäuel aus Liebe und Geborgenheit durcheinander auf unserem Sofa und schweigen sich glücklich. Die Zeit steht einfach still.

Danke, Gott!
Leise schleichen wir uns hinaus.

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20.10.2018    -    5.4.2019    -    15.8.2019
27.10.2019    -    23.3.2020

Nochmal ganz deutlich: ich bin keine Ärztin oder Therapeutin.
Ich weiß, dass mir bewusstes, tiefes Atmen in ganz vielen Situationen hilft,
und habe das deshalb hier so eingebaut.
Ich kann aber nicht beurteilen, ob das tatsächlich hilft. 

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