Kapitel 4: Gemischte Gefühle

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!Wichtig! Am Anfang dieses Kapitels möchte ich daraufhinweisen, das Gewalt, egal ob gegenüber Frauen oder Männern absolut nicht in Ordnung ist und es keine Rechtfertigung dafür gibt.

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„Hör mir mal zu du Idiot!", fahre ich ihn mit einer weinerlichen Stimme an. „Die ganze Woche habe ich nichts anderes getan, als zu arbeiten, zu lernen und darüber hinwegzukommen, dass ich die Aufnahmeprüfung zweimal nicht geschafft habe! Zusätzlich muss ich mir auch noch fast täglich deine dummen Sprüche anhören! Und jetzt schreist du mich an, weil ich meine ganzen Sorgen mit Alkohol ertränken wollte! Hast du noch nichts von Frust-Saufen gehört?" Ich lehne mich mit dem Rücken gegen die Wand und lasse mich dramatisch auf den Boden gleiten, während ich anfange, bitterlich zu weinen.

Mein Geheule erinnert bestimmt an einen sterbenden Schwan, doch das ist mir in diesem Moment vollkommen egal. All der Stress, der sich in den letzten Wochen bei mir angestaut hatte, schien sich etwas zu lösen, als ich wie ein Häufchen Elend auf dem Boden sitze und winsle.

Verdutzt sieht mich Oskar an, doch sein Gesichtsausdruck verändert sich schon wenige Sekunden später. Dann kniet er sich vor mir nieder. „Du weinst", stellt er fest und ich unterbreche mein Weinen, um zu ihm aufzusehen. „Ach wirklich? Erzähl mir was Neues!", schluchze ich, während ich mein Gesicht wieder in meinen Händen vergrabe. Was für eine dumme Aussage!

„Warum weinst du?", formuliert er seine Frage anders, aber nicht unbedingt besser. „Verdammt, das habe ich dir doch gerade gesagt! Idiot!", schnaube ich, während mir immer noch heiße Tränen über die Wangen kullern. Wie besoffen ist der bitte, dass er sich nach ein paar Sekunden nicht mehr daran erinnern kann, was ich gesagt habe? Hält mir vor, zu viel getrunken zu haben, ist aber selber nicht besser!

Außerdem, warum wirkt er auf einmal so ... nett und besorgt?

Er schüttelt den Kopf und fasst sich mit der linken Hand an die Stirn. Doch bevor ich weiter über seine plötzliche Besorgtheit nachdenken kann, richtet er sich wieder auf und blickt zu mir herunter. Ich denke zu sehen, wie er seine Stirn runzelt, doch es könnte auch nur durch den Schatten so wirken, welcher durch die schwache Beleuchtung auf dem Flur verursacht wird.

,,Steh auf", sagt er dann in einem befehlenden Ton, ohne mich anzusehen.

Gott. Dieser Mann hat Stimmungsschwankungen, wie eine Frau in den Wechseljahren.

Zuerst schien er sich um mich zu sorgen und jetzt erteilt er mir Befehle und kommandiert mich herum, als wäre ich ein Hund! Was glaubt der eigentlich, wer er ist? ,,Nein", erwidere ich trotzig und verschränke die Arme vor meiner Brust.

Als ich ihm nicht gehorche, beugt er sich zu mir hinunter - immer noch, ohne mich anzusehen - und packt mich plötzlich wie ein kleines Kind unter den Armen. Erschrocken reiße ich meine Augen weit auf und erstarre, als ich den Boden wieder unter meinen Füßen spüre. Sein Gesicht ist so nah an meinem, dass ich seinen nach Sekt riechendem Atem auf meinem Gesicht spüren kann.

Ich bemerke, wie meine Wangen zu glühen beginnen und versuche verzweifelt Augenkontakt mit ihm herzustellen, denn er immer noch gekonnt vermeidet, was mich zunehmend nervöser werden lässt. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen, doch ich kann nicht zuordnen, ob es Angst oder Aufregung ist, die sich in mir breit macht. In diesem Moment tendiere ich zu der Angst.

Ob er mir etwas antun will?

Ein kleines Wimmern entfährt mir, was seinen Blick sofort auf mich lenkt. Ich sehe, wie sich sein Gesichtsausdruck erneut verändert. Er entspannt seine Augenbrauen und lockert seinen zuvor festen Griff.

Seine Augen sind nun direkt auf die meinen gerichtet. Da ist er. Der Blickkontakt, den ich gesucht habe und mir den Mut verleiht, zu sprechen. ,,Was soll das? Was fällt dir ein?", fahre ich ihn an, und hole mit meiner rechten - meiner stärkeren - Hand aus, und platziere sie wenig später mit einem lauten Klatschen auf seiner Wange. Mit wild klopfendem Herzen und einem ängstlichen Gesichtsausdruck mustere ich seine darauffolgende Reaktion, während ich meine kribbelnde Hand auf meine Brust lege.

Er sieht mich perplex an und hält sich die Hand auf die Stelle, an der ich ihn getroffen hatte. Auf einmal wirkt er so, als wüsste er nicht, was er tun soll. ,,Ester... ich..."

Er räuspert sich, während er mir immer noch tief in meine braunen Augen sieht. ,,Ich wollte dir keine Angst machen", haucht er dann, kaum verständlich und ich beginne hysterisch zu lachen. Einerseits vor Erleichterung, dass er nicht zurückgeschlagen hat, und andererseits amüsiere ich mich über seine überaus dumme Aussage.

,,Du willst mir also weiß machen, dass ich keine Angst haben soll, wenn ein Typ, der einen Kopf größer ist als ich, mich gegen meinen Willen anpackt und fest gegen die Wand drückt?", frage ich ihn in einer lauten bedrohlichen Stimmlage. Er lässt seine Arme fallen, und ich nehme einen schuldbewussten Blick seinerseits wahr. Ich schubse ihn kräftig von mir und drücke ihn gegen die gegenüberliegende Wand des Flures. ,,Wie ist das hä? Wie fühlt sich das an? Sag es mir!" Ich stoße ihn mit beiden Händen an seinen Schultern noch einmal grob gegen die Wand, und lasse meiner Wut dabei freien Lauf.

Er verzieht schmerzhaft das Gesicht. Es ist das Letzte, was ich sehe, bevor ich mich umdrehe, und zu den anderen zurück gehen will. Doch er packt mich kommentarlos an meinem linken Handgelenk und zieht mich mit einer schnellen Bewegung zu sich. Ich lande sanft mit den Armen auf seiner Brust und sehe ihn überrascht an. Damit hatte ich nicht gerechnet. Er legt seine Arme um mich und ich bin über seine Handlung so überrascht, das es mir die Sprache verschlägt.

„Es tut mir leid", sagt er leise, so, dass ich ihn kaum verstehe, und ohne, dass er seinen Blick von mir abwendet. Er scheint begriffen zu haben, was für einen Schrecken er mir eingejagt hat. Sanft legt er streicht er mir über den Rücken und ich weiß nicht, wie mir geschieht.

Seine warmen, kräftigen Hände umfassen meine Taille und er zieht mich fest an sich. Seine Umarmung beruhigt mich ein wenig und ich komme zur Besinnung. ,,Ich hätte dich nicht ohrfeigen dürfen, tut mir leid."

Ich spüre seinen heißen Atem auf meinen Lippen, die nur einen Zentimeter entfernt von den seinen sind. Meine Arme liegen immer noch auf seiner Brust, und ich befinde mich regungslos in seinen Armen. Gänsehaut breitet sich auf meinem ganzen Körper aus, und mein Herz beginnt wild zu schlagen. Wir sind uns so nah wie noch nie. Keine Sekunde später liegen seine Lippen auf den meinen. Oskar Kluge küsst mich...

Überwältigt von meinen Gefühlen und dieser befremdlichen Situation entferne ich mich etwas von ihm. Ich halte kurz inne und mustere seinen verwirrten Blick, lege dann aber meine Arme um seinen Hals um die entstandene Lücke zwischen uns wieder zu schließen. Diesmal bin ich es, die ihre Lippen gierig auf die seinen drückt, als hätte ich schon den ganzen Abend darauf gewartet. Gerade hatten wir uns noch in den Haaren gelegen und nun will ich nichts mehr, als dass er mir noch näher kommt.

Er erwidert den Kuss, was ein Kribbeln in meinem Bauch auslöst. Ich bin verwirrt von meinem eigenen Handeln, genauso wie von meinen Gefühlen. Doch in diesem Moment habe ich keine Zeit darüber nachzudenken. Alles, was mir wichtig ist, ist Oskars Nähe zu genießen.

Als ich ihn erneut gegen die Wand drücke, keucht er auf und ich seufze leise, überwältigt, von dem intensiven Gefühl, welches mich durchströmt. Dieser Mann bringt mich um den Verstand, so wie es noch nie ein anderer getan hat.

Es fällt mir nicht schwer, zu erkennen, was ihm gefällt, und ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Noch nie hatte ich ihn so erlebt. Es gefällt mir, wie seine Aufmerksamkeit ganz bei mir ist. Ich genieße es, dass er sich um mich sorgt und mir das gibt, wonach ich mich schon die ganze Zeit gesehnt hatte – zumindest einen kleinen Teil davon.

Am liebsten würde ich ihn nie mehr loslassen, meine Lippen nie mehr von ihm lösen. Doch als er plötzlich unsere Knutscherei unterbricht und mich vorsichtig von sich schiebt, wird mir klar, dass mir dieser Wunsch nicht gewährt wird. „Habe ... habe ich etwas falsch gemacht?", stottere ich leise, doch er schüttelt nur den Kopf.

„Wir sollten zu den anderen zurück gehen. Es ist sowieso schon komisch, dass wir gemeinsam so lange weg sind", meint er. Sein Ernst? Das waren seine Gedanken? Was die anderen sich denken?

Er hatte die Stimmung zwischen uns ruiniert und ich verdrehe genervt die Augen, obwohl ich mir nicht ganz sicher bin, ob er sich im Klaren darüber ist, wie unangebracht er sich verhält.

„Sagen wir einfach wir waren eine rauchen", schlage ich vor, ohne genau darüber nachzudenken. „Du bist Raucherin?", fragt er mit einem fast schon angewiderten Ton. „Nein", winke ich ab. „Aber es wäre eine gute Ausrede."

„Du vergisst, dass ich Arzt bin. Ich würde niemals rauchen", behauptet er und ich grinse. Er tat so, als ob es keine Ärzte gab, die rauchen, was natürlich vollkommener Blödsinn ist. „Und jetzt komm. Ich bin mir sicher sie werden sowieso nicht nachfragen", fährt er fort und ich folge ihm. Es überrascht mich erneut, wie schnell sich seine Stimmung ändern kann. Liegt das vielleicht an dem vielen Sekt, den er getrunken hat?

Während ich mit meinen Gedanken immer noch bei unserem lustvollen Kuss befinde, wirkt Oskar so, als hätte er unseren gemeinsamen Moment schon wieder vergessen. Ich hingegen erwische mich dabei, wie ich meine Hand auf meine Lippen lege und mir vorstelle, was passiert wäre, wenn Oskar und ich uns in meinem Schlafzimmer befunden hätten.

„Dämlicher Alkohol", flucht er auf einmal, so leise, dass ich es fast nicht hören kann, während wir den Gang entlang zu unserem Tisch zurücklaufen. Sein genervter Ton lässt mich zusammenzucken und mein Gehirn beginnt, sich langsam einzuschalten. Mir ist bewusst, warum er plötzlich so genervt ist. Er hat die Kontrolle über sich verloren. Wegen mir.

Ich hatte ihn ernsthaft geküsst. Oskar Kluge. Den Mann, den ich am meisten verabscheue und der mir schon so oft das Leben erschwert hat. Angespannt massiere ich meine Schläfen. Ich beginne langsam zurück in die Realität zu kehren und bin dabei zu realisieren, was vor ein paar Minuten in diesem Gang passiert war. Wie sollte ich mich gegenüber Oskar denn nun verhalten? Was habe ich mir dabei gedacht? Wie konnte es nur so weit kommen? Warum habe ich ihn nicht einfach abgewiesen? Ich will einfach nach Hause und in mein Bett.

Es wäre besser gewesen, wenn ich mich doch dafür entschieden hätte, gar nicht erst hier her zu kommen. Ich laufe hinter Oskar her, der mit einem schnellen Schritt vor mir geht und sich kein einziges Mal mehr zu mir umdreht. Es scheint so als würde er meine Anwesenheit völlig ausblenden.

*

„Alles Okay bei dir?", fragt mich Selma, als ich mich wieder auf den Sessel setze, und sieht mich besorgt an. „Ja", bringe ich wenig überzeugend hervor. „Willst du noch dableiben?", will sie nun wissen und ich weiß nicht so recht, was ich ihr antworten soll. „Warum fragst du?", sage ich, anstatt ihr zu antworten.

„Ich würde gerne schon die Fliege machen. Es ist fast zwölf", meint sie und tippt dabei auf ihre Armbanduhr. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob sie wirklich schon fahren möchte, oder sich nur Sorgen um meinen Zustand macht, nicke ich und wir erheben uns fast gleichzeitig von unseren Stühlen.

Die anderen scheinen unsere Konversation gar nicht mitbekommen haben, denn sie werfen uns überraschte Blicke zu. „Ester und ich werden uns auf den Weg nach Hause machen", verkündet sie und ich bemühe mich noch einmal freundlich in die Runde zu lächeln. Vivien und Matt sitzen ebenfalls noch in der Runde, und ich frage mich, ob sich die beiden amüsieren.

Selma nimmt ihre Jacke von ihrem Sessel und zieht sie sich über. Ich tue es ihr gleich und wir verlassen gemeinsam das Restaurant.

Was hatte ich nur für ein Glück, dass mich Selma nach diesem verwirrenden Abend nach Hause bringt. Sie muss definitiv bemerkt haben, dass etwas mit mir nicht stimmt, doch das Einzige, was ich hervorbringe, als sie mich fragt, ob etwas passiert ist, ist: ,,Oskar Kluge." Wie peinlich. Aus dieser Aussage kann man alles Mögliche interpretieren.

„Hat er dir etwas angetan?" fragt sie mich schockiert, während ihr Blick immer noch auf die Straße gerichtet ist. Wir sitzen in ihrem schicken, rotem Opel und wir biegen gerade in der Straße ein, in der ich wohne.

„Nein, Oskar ist ein Arschloch, aber ich denke nicht, dass er zu sowas im Stande ist", stelle ich klar und sie atmet erleichtert aus. ,,Ich habe mir schon Sorgen gemacht, als ihr so lange weg wart, aber als ich nach euch sehen wollte, seid ihr gerade wieder gekommen", erzählt sie mir.

„Schon gut, ich bin nur sehr durcheinander, weil er zuerst so gemein zu mir war, und dann plötzlich, als ich ...", ich stoppe an dieser Stelle, denn ich will Selma nun wirklich nicht von meiner peinlichen Heulattacke, und der anschließenden Knutscherei mit Oskar erzählen. „Er war auf einmal so anders. Ich verstehe das nicht", fahre ich fort und seufze.

,,Das sind Männer. Bei denen versteht man vieles nicht. Glaub mir, ich habe es schon oft versucht, aber bin meistens daran gescheitert", meint sie.

,,Wie war es für dich, Dr. Dörfel wieder zu sehen?", versuche ich das Thema zu wechseln, was mir auch gelingt. ,,Nicht besonders. Ich weiß jetzt, dass ich über ihn hinweg bin. Ich habe mich sogar geekelt, als er meine Hand zur Begrüßung geschüttelt hat", erzählt sie und ich schmunzle. ,,Er hat dir wirklich die Hand gegeben? Das habe ich gar nicht mitbekommen", sage ich.

,,Hat er. Und er wollte mich überzeugen, seine Anrufe nicht länger zu ignorieren. So ein Trottel. Was denkt sich der eigentlich. Wenn ich nicht mit ihm reden will, dann will ich nicht mit ihm reden!", schnauft sie und es ist nicht zu übersehen, dass sie sauer auf ihren ehemaligen Liebhaber ist.

Gut so. Immerhin hatte er für eine lange Zeit grausam mit ihren Gefühlen gespielt, und ihre naive Art ausgenutzt. Die vielen Gespräche, die Vivien und ich mit einer aufgelösten Selma geführt hatten, werde ich nie vergessen.

Er hatte Selma immer wieder falsche Versprechungen gemacht und sie - nicht nur einmal - betrogen.

Ob Oskar genauso war wie Dr. Dörfel? Ich schüttle den Kopf. Irgendwas in mir will nicht, dass er genauso ist. Nicht, nach diesem Abend, auch wenn ich mir darüber bewusst bin, dass Oskar ebenfalls ein Idiot ist. Aber... vielleicht gibt es ja auch nette Idioten? Zumindest heiße Idioten gibt es... dafür war Oskar der lebende Beweis.

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