» Der Firefly-Effekt «

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Kapitel 8

◌ ◌ ◌  

          Ich hatte Brams Arbeit nie gelesen. Ich wusste nicht, inwiefern sich der Firefly-Effekt von dem Butterflyeffekt unterschied. Aber während meine Augen über den zerstörten Salon wanderten, wurde mir bewusst, dass die Situation außer Kontrolle geraten war und keine Berechnungen mehr erahnen konnten, wohin uns diese Katastrophe tragen würden.

„Hier", Jules reichte mir eine Tasse Tee, in die er vorher den halben Zuckerbecher entleert hatte. Er sah aus, als hätte er aus einem brennenden Haus Katzen gerettet. Es gab keine Stelle in seinem Gesicht, die nicht entweder von Kratzern oder Dreck verziert worden war. Er war buchstäblich die Überreste meines geschlagenen Teams. Und nach den roten Rändern seiner Augen zu urteilen, wusste er das auch.

Ich saß auf einem Sessel, nahe eines bodentiefen, zersprungenen Fensters. Gemeinsam beobachteten wir den Sonnenaufgang über den Dächern der Stadt. Der grüne Dampf verlieh den ersten Lichtstrahlen einen beinahe außerirdischen Glanz. Er reflektierte sich in den Scherben zu unseren Füßen und in Jules gleichfarbigen Augen.

Ungemütlich rutschte ich auf den aufgeplatzten Seidenpolster hin und her, bis mein Rock sich in sich verknotete und meine Beine fesselten. Jules hatte sich unterdessen ebenfalls eine Tasse eingeschenkt und hockte sich auf den Boden vor mich.
„Bram ist ein Idiot", nuschelte er in seinen Tee hinein und nahm einen verfrühten Schluck, den er mit viel Husten sofort bereute.

„Er könnte tot sein", erwiderte ich tonlos.

„Oder er lebt und bekommt gerade von General Carstenson den größten Einlauf, den ein Bram jemals in seiner Karriere gehört hat." Er schnaubte, überzeugt von seiner eigenen Vorstellung. „Ich wünschte, du hättest ihn außerhalb von Pria kennen gelernt. Er ist eigentlich ein Genie. Wirklich. Fürchterlich herablassend, weil wir alle außerordentlich dumm in seinen Augen sein müssen, aber gutherzig. Er berechnet dir alles auch im Kopf, wenn er nicht gerade zu viel Angst zum Denken hat."

Für einen kurzen Moment versuchte ich, ihn mir vorzustellen. Das Bild eines vollkommen schmutzigen, aber erleichterten Bram. Der mit ordentlich gestutztem Backenbart und Brille zwischen seinen tausend Apparaturen saß und von dem General einen Vortrag über Wahrscheinlichkeitstheorien und Glücksspiel bekam.
„Zumindest wird niemand bei Verstand ernsthaft wieder darüber nachdenken, ihn irgendwo anders als zum nächsten Einkaufszentrum zu schicken", stimmte ich ruhig ein.

„Forges wird ihn auf jeden Fall nicht mehr mitnehmen."

Der Gedanke an den Captain wusch das winzige Lächeln aus meinen Gedanken fort. Nach dem heutigen Vorfall würde auf jeden Fall das Militär involviert werden. Wir hatten die Geschichte auf neue Gleise geschoben und es würde nur noch ein Wunder oder eine weitere Katastrophe diesen Zug stoppen.

Jules dachte ähnliche Gedanken, kam aber zu einem vollkommen anderen Schluss.
„Ich glaube wir müssen Nathaniel sagen, wer wir sind." Entschlossen stellte er seine Teetasse auf den Boden, sodass ihr hohes Klirren durch mich hindurch fuhr.

Etwas zittriger senkte ich ebenfalls meinen Tee.
„Das ist die eine Regel, auf die Major General Carstenson am Meisten wert legt. Niemand- und ich wiederhole es gerne noch einmal- niemand in der Geschichte der TWTA hat jemals unsere Organisation verraten", ich schüttelte den Kopf und meine blonden Haare fielen mir ins Gesicht, „Das ist keine Art berühmt zu werden."

„Es wäre eine Art einen weiteren Angriff auf den Bürgermeister zu stoppen", gab er entschlossen zurück. Nathan war ein guter Mann. Man konnte mit ihm reden. „Wir sind ehrlich zu ihm und-..."

Ich tippte ihm behutsam auf die Schulter, dass er sich zu mir umdrehte.
„Und was ist, wenn du ihm mit unserer Zeitkapsel erst die Idee zu seiner Erfindung gibst?"

Er zog die Unterlippe zwischen seine Zähne.
„Wäre es denn so schlimm? Wir mögen Nathan. Er wird nicht in unsere Welt reisen und versuchen die Präsidentin zu ermorden."

Die Hoffnung in seinen Worten lockte das winzige Lächeln von vorher zurück. Nathan in unserer Welt. Eine Spur das Chaos hinterlassend.
„Erinnerst du dich, was Carstensen zu uns gesagt hat, nachdem die Schwester 27 Nadeln in uns gesteckt hat?"

Jules runzelte die Stirn über meinen scheinbaren Themenwechsel.
Das sollte das Gröbste abdecken?"

Ich nickte bestätigend.
„Es gibt Krankheiten in Pria, gegen die wir keine Heilmittel haben. Gegen die unsere Körper keine Antikörper mehr bilden, weil sie entweder in unserer Welt nicht mehr existieren oder noch nie existiert haben."

Jules verzog das Gesicht, als sähe er plötzlich überall um sich herum Bakterien und Bazillen auf dem Mobiliar sitzen.
„Schicken sie uns deshalb immer nur so kurz rüber? Und ich dachte immer, der Chef hätte einfach nur einen Nadelfetisch", mit einem schiefen Grinsen deutete er hinter sein Ohr, wo der Sensor beruhigend blinkte.

„Nathan könnte in unserer Welt eine Epidemie auslösen, ohne es zu wollen", mit einem Seufzen sah ich wieder hinaus zu den toxischen Dämpfen vor unserem Fenster, „Würdest du das wirklich Forges Kindern antun wollen?"

Anstatt einer Antwort ließ Jules den Kopf hängen. Er sah verloren aus mit seinen weißen Schuhen, die nichts in dieser Welt verloren hatten. Zu jung, um bereits derartige Entscheidungen zu treffen. Mit neunzehn hatte ich noch nicht einmal Alkohol für mich entdeckt. Geschweige denn mit einer Fremden Tee inmitten eines Bürgerkriegs getrunken.

Ich holte tief Luft und rutschte mitsamt meiner Tasse von meinem Sessel neben ihn auf den Boden. Er war kalt und dreckig und mein weiter Rock schob mehrere große Scherben über die Fliesen.
„Ich wünschte, wir könnten einfach alles so belassen wie wir es vorgefunden haben und Nathan einfach bereits im Hauptquartier abfangen."

Jules nickte und lehnte seine Schulter gegen meine. Gemeinsam beobachteten wir, wie unter uns Pria zu einem neuen Tag erwachte. Der dunkle Teich meiner Erinnerungen breitete sich in mir aus, doch das grünliche Licht, stahl ihm einen Teil der Finsternis.
„Wusstest du, dass Pria in knapp 300 Jahren eine Heilung für amyotrophe Lateralsklerose erfindet?"

Jules bewegte sich, löste sich jedoch nicht von mir.

„Es war der Grund, warum meine Mutter so besessen von dieser Welt war. Und ich fürchte täglich, dass wir irgendetwas verändern werden, was diese Erfindung verhindert." Und welche Auswirkungen das auf mein Leben haben mochte. 16 Jahre hatte sie mit ihrer Faszination für eine Welt überlebt, die meinem Vater das Leben hätte retten können. Wer wusste schon, wie lange sie bei mir geblieben wäre, wenn-...
Ich schüttelte den Kopf.
„Bram hatte für mich berechnet, dass das Überleben des Bürgermeisters keine Auswirkungen darauf haben würde. Deshalb bin ich hierher mitgekommen. Um sicherzustellen, dass wir niemanden in Gefahr bringen."

Jules drückte sich noch dichter an mich heran.
„'Niemand' würde aber Nathan einschließen."

◌ ◌

          Es brauchte lediglich einen leisen Klicklaut, um meinen Schlaf mit einem Schlag zu beenden.
„Nein!" Das Wort hatte meine Lippen verlassen, noch bevor ich wusste, wo ich mich befand. Ich saß aufrecht im Bett, geschüttelt von hektischen Atemzügen.

„Hey, hey." Nathan war sofort an der Bettseite, eine Hand auf meinem Arm. Vorsichtig versuchte er, mich in die Kissen zurückzudrücken, während die Welt um ihn herum für meinen verängstigten Geist langsam Gestalt annahm.

Obwohl wir uns Mühe gegeben hatten, die gröbste Unordnung zu beseitigen, sah man selbst im Schlafzimmer die Spuren des Kampfes deutlich. Der Sessel neben dem Schrank war mit einem Messer zerschnitten worden. Die Vorhänge lagen in zwei großen Haufen vor den Fenstern und dem Bett fehlte ein Pfosten.

Nur sehr langsam brachte ich meine Aufmerksamkeit zu dem Mann neben mir zurück. Bilder der letzten Nacht drängten sich an die Oberfläche und verdüsterten meine Sicht. Bram. Panisch griff meine linke Hand an die Tasche des Nachtgewands und mein steigender Puls beruhigte sich erst wieder, als ich den kleinen Sensor darin ertastete.

„Ich bin nur hier, um dir zu sagen, dass wir den Bürgermeister unverletzt aufgelesen haben. Anscheinend hat dieses Haus so etwas wie einen Bunker eingebaut, den die Männer nicht gefunden haben." Sein Daumen zeichnete beruhigende Formen über meinen Arm, doch ich konnte seinen Worten kaum folgen.

Ich wollte erleichtert sein, dass Bürgermeister Ives es geschafft hatte, doch die Bilder von der Explosion füllten meinen Kopf, bis für nichts anderes mehr Platz war. Die umherfliegenden Splitter. Das Blut. Noch halb im Traum, spürte ich es auf meiner Haut.

„Queenie", Nathan rückte ein Stück näher an mich heran. Mitleid spiegelte sich in seinen blauen Augen, doch da war noch mehr. Verzweiflung. Zerrissenheit. Sein Glaube an Jeters Sache war erschüttert.
„Ich wollte das alles nicht. Dass Unschuldige in die Politik gezogen werden..."

Das nannte er Politik? Bilder von Brams Angst hatten mich in meinen unruhigen Schlaf verfolgt. Das Zimmermädchen... meine eigene Panik... Es war nicht mehr genug, dass ich zu meinem Apartment und dem Sofa zurückkehrte. Ich würde diese Bilder nie wieder vergessen. Ich sah sie in den Schatten des Zimmers, hinter meinen geschlossenen Augen und in meinen Träumen. Das war keine Politik gewesen.

Allein Nathans Stimme schaffte es, mich in der Realität zu verankern. „Ich- Ich werde zu Jeter zurückgehen und mit ihm reden", er kam ins Stocken, unsicher ob er wirklich weitersprechen sollte, „Ich werde das alleine durchziehen müssen." Noch bevor er den Satz beendet hatte, schloss er die Augen und ließ den Kopf gegen meinen Arm sinken.

Sein Atem wärmte meine Haut. Es waren die unregelmäßigen, abhackten Züge einer resignierten Person. „Es tut mir so leid", er vergrub sich noch tiefer in der Berührung, „Es ist meine Schuld und ich werde das wiedergutmachen."

Meine Brust zog sich noch enger zusammen, bis ich glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Das hier war nicht seine Schuld. Es war meine. Ich hatte diesem Unterfangen zugestimmt und sie alle überredet weiter zu machen.
„Ich bin nicht wegen dir hierhergekommen. Das war meine eigene Entscheidung." Er durfte sowas überhaupt nicht denken. Im Gegensatz zu mir und meinem Team, hatte er die Zukunft nicht voraussehen können. Behutsam strich ich ihm über die kurzgeschorenen Haare.

Unter meiner Handfläche hob Nathan den Kopf. Tiefe Augenringe und der Kratzer an seinem Kinn machten ihn um Jahre älter und geschlagener.
„Du solltest wieder gehen."

Überrascht zog ich meine Hand weg.

Nathan richtete sich ein Stück auf und umschloss beide meiner Hände mit seinen. Der Blick aus seinen Augen wurde drängender. „Kehr in dein Dorf zurück, so lange du noch kannst. Diese Sache mit Jeter wird aus dem Ruder laufen. Ich werde versuchen ohne seine Gruppe die Sache durchzuziehen, aber es wird schwierig abzuschätzen, wie die Geschichte danach verlaufen wird."

Ich schüttelte den Kopf, noch bevor er geendet hatte. Ich wusste sehr wohl, wohin die Geschichte verlaufen würde. Nach Ives Tod würde kurzzeitig Chaos herrschen, bevor Jeters Gruppe einen gewissen Silver als Nachfolger vorschlagen würde. Da sie treibende Kraft hinter dem Putsch gegenüber Ives waren, würde sich andere Widerstandsorganisationen ihrem Willen beugen.
„Wenn du den Bürgermeister alleine umbringst, ist das Mord und kein Putsch mehr."

„Meine Familie ist bereits der Stadt zum Opfer gefallen. Ich habe nichts weiter zu verlieren, aber jeden Grund. Du hast Jules", er setzte sich auf meine Bettkante, „Vielleicht ist es besser, wenn ich Jeter und seine Leute aus dieser Sache heraushalte."

Ganz bestimmt nicht. Und mit einem Mal traf mich die ganze Wucht des Firefly-Effekts. All die Lügen, die ich erzählt hatte. Die Auswirkungen auf Nathaniels Entscheidungen hatten eine Dominoreihe an Ereignissen ausgelöst, die mir in diesem Moment keine andere Wahl mehr ließen.
„Wenn du Ives alleine tötest, wer wird dann seinen Nachfolger bestimmen?"

Nathan zog die Nase kraus, dachte jedoch über seine Antwort nach.
„Jeter und-..."

„Und warum sollten die anderen Jeters Entscheidung akzeptieren?", bohrte ich nach, jetzt wach von meinem nervös schlagenden Herz, „Mit einem Mord öffnest du einem langen und noch viel schmutzigeren Bürgerkrieg die Tür."

Verblüfft sah Nathan mich an.
„Das kannst du nicht wissen."

Doch, das konnte ich schon. Ich konnte es ihm nur nicht beweisen.
„Rede mit Jeter und blast die ganze Sache ab, bevor das Militär involviert wird", beschwor ich ihn.

Erfolglos.
„Abblasen? Ich kann das alleine durchziehen, Queenie. Du kommst vom Land. Du weißt nichts über die Straßenpolitik der Großstädt-..."

Behutsam löste ich eine Hand aus seinen und fischte in meiner Tasche nach dem Sensor.
Mit unbewegtem Gesicht reichte ich ihn Nathaniel. Jules hatte recht gehabt.

„Ist das ein Ring?", er drehte ihn hin und her, stand auf und trat näher an das Licht der Fenster heran. Ich hatte bis in den späten Mittag geschlafen und die Strahlen zeichneten ihre Muster auf meinen zerstörten Fußboden. „Willst du mir einen Antrag machen?" Der Anflug eines Lächelns zuckte an seinen Mundwinkeln und ich rollte mit den Augen.

Das wäre so viel leichter als das, was kommen würde. Mühsam trat ich die Decke zurück und schwang die Beine über die Bettkante. Der Boden fühlte sich kalt gegen meine Füße an, als ich zum Schrank tapste. Mein Knie sandte kleine Schmerzwellen hoch in meine Hüfte, doch alles blieb erträglich.
„Sei lieber vorsichtig. Da ist eine Nadel-..."

„VERDAMMT!" Mit dem Zeigefinger im Mund drehte er sich zu mir um und lief sofort hochrot an, als er bemerkte, dass ich mich bereits auf die Unterwäsche ausgezogen hatte. Mit einem Ruck machte er wieder kehrt und starrte aus dem Fenster. „Was tust du da?"

„Ich muss dir etwas zeigen", erwiderte ich weitaus entschlossener, als ich mich fühlte und stülpte mir ein Unterkleid über. Wenn ich Forges davon erzählen würde, würde es mich den Kopf kosten. Doch das hier tat ich für seine und Brams Familie. Für die Leute, die sie beschützen wollten, als sie hierhergekommen waren.
„Nathan? Ich brauche deine Hilfe."

Er wandte sich nicht zu mir um. Nervös drehte er den Sensor in den Händen, während er intensiv die Bäume außerhalb der Scheibe studierte. „Ich kenn mich nicht so gut mit weiblicher Mode aus, wie es vielleicht aussehen mag."

„Aber deine Schwester hat bestimmt auch Korsagen getragen." Umständlich fummelte ich an den Schnüren herum. Es war ein ledernes Exemplar, das weitaus weniger ‚Gast beim Bürgermeister' sagte als die seidenbestickten Mieder.

„Das war etwas anderes", kam es kleinlaut aus seiner Ecke zurück. Der Sensor fiel zu Boden und er bückte sich danach. Für einen kurzen Moment kreuzten sich unsere Blicke und er lief rot an. Dann warf er mit einem geschlagenen Seufzen die Hände in die Luft, steckte den Ring ein und kam zu mir herüber. Mit einem kleinen Augenrollen nahm er mir die beiden Enden des Kleidungsstücks ab.
Doch anstatt mit der Schnürung zu beginnen, tastete seine Hand über meinen Rippenbogen.

Ich zuckte aus zweierlei Gründen weg. Und nur einer davon war, dass sich meine Seite immer noch nicht von meinem Football- Attentat auf den flüchtigen Jungen erholt hatte. Ein stechender Schmerz ließ mich scharf einatmen und Nathans Hand schnellte sofort zurück.

„Ich werde vorsichtig sein." Seine Stimme wurde tiefer, beinahe kratzig, so dicht wie er an meinem Ohr sprach. Dann fädelte er die Schnur durch und zog sie behutsam an.

Meine Annahme, dass er das nicht zum ersten Mal tat, sah sich darin bestätigt wie schnell und effektiv er arbeitete. Er sagte dabei kein Wort, sondern konzentrierte sich vollständig auf seien Aufgabe. Testete meine Schmerzgrenze und bemerkte selbst die kleinste Anspannung meiner Muskeln.
Zufrieden mit dem Endprodukt tat er einen Schritt zurück und umrundete mich, um zu prüfen, ob alles richtig saß. Vor mir angekommen hielt er kurz inne, ehe seine Augen zu meinen zurückkehrten.
„Weißt du, wofür die Haken dort vorne angebracht wurden?"

Ich schaute an mir herunter. Nein? Sie machten es lediglich offensichtlich für mich, dass über diese Korsage kein weiteres Kleidungsstück getragen wurde. Also riet ich einfach.
„Zur Dekoration?"

Er schüttelte den Kopf und trat von mir fort. „Das hier ist eine Piloten-Korsage. Wir würden sie als Schutz nutzen. Zum Kämpfen." Und mit diesen Worten gab er den Blick auf mein Spiegelbild frei, das auf mich auf der Innenseite der Schranktür wartete. Selbst mit all meiner Fantasie konnte ich mir meinen Enten-Pyjama nicht an dem Mädchen im Spiegel vorstellen.

Und dieses Bild verfolgte mich bis zu den Stadttoren und den Weg danach. Ich hatte Jules nicht Bescheid gegeben. Vermutlich, weil ich instinktiv wusste, dass er versucht hätte mich abzuhalten. Doch für diese Entscheidung gab es kein Zurück.

Die Stadt selbst war vollkommen leergefegt. Die Neuigkeiten über den Angriff auf das Bürgermeisteramt, hatten jeden effektiver unter Hausarrest gesetzt als der grüne Dampf zwischen den Dächern. Und dennoch fühlte ich mich beobachtet, wie wir zu zweit aus dem Stadttor traten und den Weg hinab zu einer verdeckten Bodensenkung liefen.

Mit verschränkten Armen stand ich einige Momente später neben Nathan und wartete seine Reaktion ab. Sein Profil zeichnete sich scharf gegen die mittägliche Sonne ab. Die Brauen kritisch zusammengezogen. Der Mund eine harte Linie.
„Was ist das, Queenie?", wachsam trat er einen Schritt näher heran, um einen besseren Blick darauf zu bekommen, „Hat der Bürgermeister das hergestellt?"

Das hätte er wohl, wenn er von ihrer Existenz wüsste. „Das ist eine Zeit und Raum Kapsel." Ich beobachtete ihn dabei wie der die Maschine umrundete, einzelne Teile inspizierte und schlussendlich den Eingang fand. „Sie erlaubt Menschen, in fremde Welten zu reisen."

Nathans hielt mitten in der Bewegung inne, die Finger nur Zentimeter von der metallischen Oberfläche entfernt. Unsicher wanderten seine Augen von links nach rechts, als er versuchte, Sinn aus den Worten zu schöpfen. Dann richtete er sich widerwillig auf.
„Wie würde so eine andere Welt zum Beispiel heißen?"

Die fehlenden Emotionen in seiner Stimme ließen mir kalte Schauer über die Haut wandern. Unbehaglich rieb ich meine Arme und überbrückte den kleinen Abstand zu ihm.
„Erde. Skubus. Pria." Mit jeder gelisteten Welt kam ich einen weiteren Schritt auf ihn zu.

Die Augen blieben immer noch rastlos. In seinem Verstand verbanden sich nacheinander Punkte. Fragezeichen wurden zu Antworten und zeichneten ihre steilen Linien in die Stirn. Aus der Tasche beförderte er den Sensor ans Tageslicht.
„Und welches Interesse hat die Erde an Pria?"

Ich schluckte gegen meine Gefühle an. Ich sah den Sturm in seinem Kopf. Die Wände, die sich das erste Mal für mich erhoben, kaum da ich glaubte, meine eigenen nicht länger aufrecht erhalten zu können. „Wir sind hier, um den-...", meine Stimme ließ mich im Stich und Nathans Augen schnellten nach oben, um meine festzuhalten.

Die Intensität seiner dunklen Iris, kostete mich für einen kurzen Moment die Konzentration und meine Sicherheit, dass das hier der richtige Weg war. Er verstand. Und es veränderte sein Bild von mir. Seine Denkweise über die Situation. Nacheinander kehrten sich die Effekte meiner Entscheidungen um, als ihm bewusst wurde, woher sie stammten. Ich musste weiter machen.
„Wir sind hier, um den Bürgermeister zu schützen."

Er blinzelte nicht einmal. Die Wucht der Erkenntnis prallte an ihm ab und richtete sich wieder gegen mich. In einem Versuch, ihr auszuweichen, zog ich mich ein Stück zur Tür der Kapsel zurück.
„Möchtest du das Innere sehen?" Ich betätigte den Hebel, der den runden Eingang aufschwingen ließ.

Doch Nathan wandte seine Augen nicht von mir ab. Sein folgender Schritt erinnerte an den einer Raubkatze, die erst jetzt bemerkte, dass sie in einem Käfig alleine mit ihrem Wärter war.
„Warum?"

Die Frage fühlte sich wie ein Schuss an. Ich ließ den Hebel los, bereit noch weiter die Flucht zu ergreifen.
„Weil ohne den Bürgermeister-..."

„Nein!", schnitt er mir energisch das Wort ab und kam noch einen Schritt näher, „Warum hast du mich angelogen?"

Weil ich deine Hilfe brauchte. Weil du unser einziger Weg zum Ziel warst. Meine Atmung wurde kürzer. Ich sah das Spiegelbild meiner Antworten in seinen Augen. Und dennoch wollte er es von mir hören. Die Wahrheit. Den Verrat.
„Jules und ich können nicht heim, wenn der Bürgermeister nicht in Sicherheit ist." Innerlich flehte ich ihn an zu verstehen. Flehte ihn an, meine Fehler nicht gegen mich zu halten, auch wenn ich dazu kein Recht hatte. Wir hatten ihn ausgenutzt.

In meinem Innersten spürte ich, wie sich die Weichen für die Zukunft neu stellten. Wie der eingestellte Pfad sich selbst korrigierte. Nathan durfte mir nicht verzeihen. Wenn die Mission gelingen wollte, musste er zu Jeter und seinem Glauben zurückkehren.

Nathan zuckte, kniff die Augen zusammen und rieb sich schlussendlich mit der flachen Hand über sein Gesicht.
„Ich hätte es wissen müssen", als er mich endlich wieder ansah, war seine stoische Maske verrutscht. Zorn über Trauer. Sie sogen mich in ihren Strudel, während er sich schrittweise vor mir zurückzog, „In dieser Welt gibt es niemanden, der nicht seine eigenen Motive verfolgt."

Hinter ihm schoben sich die Wolken vor die Sonne. Der Schatten dämpfte jedes Gefühl.

Für eine gefühlte Ewigkeit hingen die Worte zwischen uns. Doch dann endete der Moment viel zu schnell, als er sich zum Gehen wandte und ich zurückbleiben musste.
Mit den Augen folgte ich ihm zu den Stadttoren. Wartete, bis sein Rücken mit der Menschenmasse verschwamm. So hatte es sein sollen. Meine Fehler waren beglichen.
Doch warum fühlte es sich dann so schrecklich an?

◌ ◌

Im Eingangsbereich hing gegenüber der Tür ein Bild schief in seiner Befestigung. Jemand hatte mit dem Messer die untere linke Ecke der Leinwand gelöst.
Ich löste mich mit einem Ruck von dem Anblick, als irgendwer ein Zimmer weiter meinen Namen rief.
„Elizabeth!" Bürgermeister Ives saß hinter einen Schreibtisch, mehrere Briefrollen vor sich aufgetürmt. Der Füller tropfte mit Tinte, bereit ein weiteres Schreiben aufzusetzen. In seinem Ohr befand sich eine kleine Apparatur, die mich an die alten Abbildungen von Grammophonen erinnerte.

Als ich die Tür hinter mir schloss, hob er den Kopf und winkte mich näher. Der Füllfederhalter fand seinen Weg zurück in das Tintenfass und er verschränkte die Arme vorm Oberkörper. Er nahm sich die Zeit, mich eingehender zu mustern.
„Du hattest gestern mehr Glück, als du jemals brauchen solltest", eröffnete er das Gespräch schließlich.

Ich faltete die Hände vor meinem Rock und senkte den Blick. Glück? Mein Wäscheschrank war bestimmt nicht so sicher wie sein Bunker gewesen. Nein. Glück würde ich das nicht nennen.
„Ich betrauere immer noch den Verlust meines Begleiters."

„Natürlich. Die Umstände sind tragisch", bestätigte mir der Mann und neigte den Kopf, „Weswegen du mir ganz gewiss verzeihen wirst, dass ich deiner Mutter geschrieben habe? Deine Abreise sollte so bald wie möglich stattfinden."

Natürlich. Obwohl seine Sorge Eliza galt, erwärmte sie das Licht, in dem ich den älteren Mann sah.
„Mit Verlaub würde ich gerne bleiben?"

Überrascht hob der Bürgermeister den Kopf.
„Eliza..." Seine schwarzen Augen wurden weicher und er ruckelte einmal an seinem Hörgerät, ehe er hinter dem Schreibtisch vortrat und sich gegen dessen Platte lehnte. „Das hier ist absolut kein sicherer Ort mehr. Nach den Ereignissen der letzten Nacht wirst du mir zustimmen, dass-..."

„Bitte. Schickt mich nicht zurück", etwas unbeholfen suchte ich nach einer passenden Ausrede, einer Begründung, der er nicht wiedersprechen konnte, „Ihr könnt nicht von mir verlangen einen Freund in Not alleine zu lassen." Meine Hände fanden Beschäftigung an meiner ledernen Korsage und deren Dutzend Haken und Ringe.

Seine buschigen Augenbrauen drängten sich zusammen und er verschränkte die erstaunlich muskulösen Oberarme vor seiner Brust. Geduldig wartete er einen neueren Versuch der Erklärung ab, doch als ich stumm blieb, stieß er sich seufzend von der Tischkante ab und kam zu mir herüber.
„Wie geht es zuhause deiner Mutter seit dem Tod ihres Mannes?"

Jetzt war es an mir, verdutzt den Kopf zu heben. Meine Mutter? Hektischer kramte ich nach meinem Hintergrundwissen über Eliza, doch vor ihrer einmaligen Ausreißerrolle war nie sonderlich viel über sie bekannt gewesen. Doch ein zweiter Blick zu ihm hinüber verriet mir, dass er mich dieses Mal nicht auf die Probe stellte. Er wusste die Antwort nicht.
„Sie gibt sich Mühe...", antwortete ich schließlich.

Er stand vor mir, ein Hüne vor den untergehenden Sonnenstrahlen, die sich um seine breiten Schultern brachen.
„Sie kann froh sein, dass sie jemanden wie dich an ihrer Seite an. Ohne dich würde es so viel schwieriger sein. Du bist ihre ganze Stärke, Eliza. Ich könnte ihr das niemals nehmen."

Erinnerungen an meine richtige Mutter drängten sich in die Schatten meines Sichtfeldes. Wie sehr hätte ich mir damals diese Worte gewünscht? Ein kleines Stück Bestätigung wäre alle Sicherheit gewesen, die ich gebraucht hätte.
Instinktiv wandte ich den Blick ab.
„Manchmal... manchmal fürchte ich, dass ich nicht genug sein werde. Dass ich nicht ausreiche."

Seine Hand fand meine Schulter und ihr Gewicht verankerte mich in seinem Arbeitszimmer. Verständnis, tiefgehendes Mitfühlen schwemmte von ihm zu mir herunter und rührte mich beinahe zu Tränen. Ich sprach sonst mit niemandem darüber und doch wusste ich, dass das hier etwas anderes war.
„Du glaubst, weil sie dich hierhergeschickt hat, dass sie dich als Belastung empfindet? Aber Kind, du liegst vollkommen falsch. Deine Mutter fürchtet, dass sie dich zu sehr belastet. Manchmal reden wir uns die falschen Dinge ein, verrennen uns in fixe Ideen. Aber zweifle niemals an ihrer Liebe zu dir, auch wenn sie sie falsch ausdrückt. Sie ist da." Seine zweite Hand folgte und ich hob das Kinn, um seinem Blick zu begegnen und die rettende Wahrheit hinter seinen Worten zu finden, „Nur weil der Himmel bewölkt ist, glaubst du doch auch nicht, dass die Sonne verschwunden ist?"

Konnte das auch für mich wahr sein? Für meine Mutter? Ich wünschte es mir fast so sehr, wie Brams und Forges Überleben. Egal wie klein die Chance war, ich wollte daran glauben.

Mit einem ermutigenden Nicken gab mir der Bürgermeister wieder Platz und kehrte zu seinem Schreibtisch zurück.

Hinter mir wurde die Tür neuerlich geöffnet und Jules schob sich in das Arbeitszimmer.
„Ich habe mich um beide Beerdigungen gekümmert, Sir", richtete Jules sich mit einem knappen Kopfnicken an den Hausbesitzer.

„Gut", der Mann blätterte durch mehrere verstreute Zettel, „Dann werde ich euch nicht länger halten. Eliza, fühl dich frei dir eine Garderobe aus deinem Schrank für die Reise zusammen zu stellen und-..."

„Ich wollte nicht wegen meiner Mutter bleiben, sondern für Euch", unterbrach ich ihn vorsichtig. Das Schlimmste war noch nicht überstanden. Vorher würden wir nicht gehen. Vor allem, weil ich nicht wusste, was Nathan jetzt vorhatte.
„Ich habe keine Angst", fügte ich schnell hinzu, bevor er mich noch selbst überzeugte. Die Wahrheit war: Ich hatte fürchterliche Angst. Ich wollte nichts lieber, als in die Zeitkapsel steigen und all das hier hinter mir lassen. Aber die Vorstellung Brams oder Forges Familie entgegenzutreten und die Mission als gescheitert zu erklären, drängte alles andere in den Hintergrund.

„Deine Mutter, Eliza-..." Er sah beinahe verzweifelt aus.

Aber ich würde in dieser Hinsicht nicht nachgeben. Vielleicht auch wegen meiner eigenen Mutter. Um ihr über 16 Jahre ein Rettungsboot zu schmieden, damit sie die Kraft hatte, bei mir zu bleiben.
„Sie würde wollen, dass ich für diese Sache kämpfe."

Jules rückte unmerklich näher an mich heran. Instinktiv verstand er, wie sehr ich seine Unterstützung jetzt brauchte. Wir hatten nie über meine Eltern gesprochen, aber seine Eltern hatten ihn Forges anvertraut, weil sie wussten, dass er trotz der Gefahr Großes in anderen Welten bewirken konnte. Weil sie ihn auch dafür liebten.

Der Bürgermeister schüttelte den Kopf, doch die Falten um seine Augen waren bei meiner Zusicherung deutlich weicher geworden. Er öffnete gerade den Mund, als neben seinem Schreibtisch eine winzige Kapsel durch eine Tube aus dem Fußboden hochgeschossen wurde und mit ihrem Deckel an eine Klingel stieß. Der hohe Ton ließ und alle drei die Köpfe drehen.

Prias Postsystem. Der Erste kehrte zu unserem Gastgeber zurück, als er eine kleine Tür in der durchsichtigen Röhre öffnete und die Kapsel entnahm. In ihr war ein winziges Schriftstück enthalten, das er mit spitzen Fingern auseinanderfaltete. Nach mehreren Versuchen mit zusammen gekniffenen Augen, trat Jules vor und reichte ihm ein goldenes Monokel mit vorgesetzter Lupe von einem Beistelltisch neben den Fenstern.

Mit einem dankbaren Nicken und einem unkommentierenden Brummen, nahm er es entgegen, setzte es ein und studierte das Schriftstück eingehender.

Fragend sah ich zu dem Mechaniker, der ein kleines Schulterzucken mimte. Es war nichts Ungewöhnliches, dass der Bürgermeister Post erhielt, aber direkt an seinen Schreibtisch? Gesellschaftliche Post wurde an die Haustür geschickt und mit dem Frühstück serviert. Das hier musste eilig gewesen sein.

Gerade als wir glaubten, er hätte unsere Anwesenheit vergessen, richtete sich der Bürgermeister auf und fand zurück in unser Zimmer.
„Eliza Liebes, können wir deine Abreise während des Abendessens besprechen?"

Was hatte das zu bedeuten? Dass er plötzlich etwas Wichtigeres im Kopf hatte? Zweifelsohne. Aber was?
Jules und ich tauschten mehrere Blicke, doch anscheinend waren wir entlassen. Er bemerkte nicht einmal, wie wir das Zimmer verließen, da hatte er sich bereits zu einer schriftlichen Antwort wieder hinter seinen Schreibtisch gesetzt.

„Hast du etwas lesen können?", fragte ich leise, als wir zurück auf dem Flur waren.

Jules schüttelte den Kopf. Er sah müde aus, mit tiefen violetten Schatten unter seinen grünen Augen.
„Das war Morse-Code. Forges hätte das entziffern können, aber für mich sind das nur Punkte und Striche wie ein neo-modernes Kunstwerk."

„Shit." Ich hätte das ebenfalls lesen können. Meine Mutter hatte mir als Kind solche Nachrichten geschrieben. ‚Unsere Geheimschrift' hatte sie das genannt, ohne mir zu sagen, dass es auch andere gab, die sich darin unterhalten konnten. Ich war vierzehn gewesen, als ich herausfand, dass das nur eine weitere ihrer verrückten Vorbereitungen für unser zweites Leben in Pria gewesen war.

„Wo warst du eigentlich vorher?", wechselte Jules das Thema. In stummem Einverständnis navigierten wir unseren Weg zu meinem Zimmer durch die halbwegs beseitigte Zerstörung im Haus.

„Ich habe Nathan unsere Zeitkapsel gezeigt." Es war nicht einmal so schwer, die Worte zu sagen. Lediglich ernüchternd.

Jules fiel allerdings beinahe auf die Nase, als sein Hirn kurzzeitig von dem eigentlich autonomen Prozess des Fuß-Setzens abgelenkt wurde.
„Du... Und? Wie ist es gelaufen?"

Er wurde kurz so laut, dass ich hektische Blicke die Korridore hoch und runter warf. Doch wir waren beinahe beängstigend alleine. Resigniert wischte ich eine blonde Strähne aus meiner Stirn.
„Ich bin nicht einmal dazu gekommen, ihm zu erklären, warum genau wir hier sind."

Jules verzog das Gesicht, als hätte ich ihn gezwungen in eine Zitrone zu beißen.
„Und was glaubst du, wird er jetzt machen?"

Ich hatte keinen blassen Schimmer. Meine beste Idee war, dass er vermutlich zu Jeter zurückgekehrt war. Zumindest in dieser Hinsicht hatte ich den geschichtlichen Verlauf wieder zurechtgerückt: Keine Bandenkriege, falls der Bürgermeister sterben sollte. In anderer Hinsicht aber...
„In jedem Fall weiß er jetzt, dass es andere Welten gibt. Und ich bin mir umso sicherer, dass er seine eigene Raummaschine erfinden wird, sollte Ives gestürzt werden."
Wir hatten nicht nur versagt, ihn davon abzuhalten, wir hatten ihm auch noch die Inspiration dazu geliefert. Wie genau würde ich das Bram und Forges erklären?

Jules nickte zu meiner Katastrophe wie ein Soft Metal Singer.
„Während du geschlafen hast, war er wieder viel in der Bibliothek. Hat sich ein richtiges Nest dort eingerichtet. Falls die Widerstandskämpfer nicht alles verwüstet haben, finden wir dort vielleicht Hinweise, was er geplant hat? Ich meine, niemand liest so viele Bücher ohne Grund."

Ich nickte- zu seinem Plan, nicht zu der Aussage über die Bücher- und wir machten uns sofort auf dem Weg. Doch in der Stille breitete sich mein Gespräch wieder mit ihm aus. Er musste sich furchtbar verraten vorkommen. Er hatte uns seinen Instinkten zum Trotz vertraut. Genug, um unser Spiel mit dem Bürgermeister mitzumachen. Genug, um mich vor seinen eigenen Männern zu schützen. Drei Mal hatte er mir das Leben gerettet und ich hatte ihn lediglich ausgenutzt. Auch wenn es nicht in Absicht geschehen war.

Wir fanden die Bibliothek in überraschend gutem Zustand. Tatsächlich im besten des ganzen Hauses. Mehrere verschobene Tische und Schreibsekretäre standen direkt vor der Tür verteilt, was in mir den Verdacht erweckte, dass jemand sich hier drinnen verbarrikadiert hatte.

Wer auch immer es gewesen war, für den Moment war ich ihm ausgesprochen dankbar, denn außer der Tür und einigen Kratzern auf dem polierten Parkett, hatte nichts Schaden genommen. Es war kein ausgesprochen großer Raum. Schlichte Buchregale reihten sich aneinander und unterschieden sich lediglich in der Aufschrift auf den goldenen Plaketten an ihren Enden, die ihren Inhalt betitelten.

Am Kopfende des Raums waren zwei oder drei Bücher in Vitrinen ausgestellt und zwei größere Tische, von denen der Linke sich beinahe unter einem Stapel mehrerer noch aufgeschlagener Bücher beugte.

Als Jules meinen Blick bemerkte, nickte er, umrundete den weggeschobenen Stuhl und begann die offenen Bücher vorsichtig voneinander zu heben. Ihren gleichartigen Einbänden nach zu urteilen, handelte es sich um eine zusammenhängende Buchreihe, die alle ziemlich mittig aufgeschlagen worden waren.

Ich konnte mir Nathan hier drinnen richtig vorstellen, auf seinem Stuhl hängend, die Lehnen als Fußstütze missbrauchend und so vollkommen versunken. Einen Stift zwischen den Lippen, mit dem er hastig die Notiz gekritzelt hatte, die nun vergessen auf dem Tisch lag. Eine kleinere war heruntergefallen, mir direkt vor die Füße.

Versonnen beugte ich mich danach runter und faltete sie auseinander. Sie enthielt nichts weiter als ein Datum und eine Zeitangabe. ‚9. Mai. 16 Jahre später' Ich schluckte trocken. Es war, als hätte ich nicht mitbekommen, wie der Boden unter mit wegsackte. Als säße ich in einer Achterbahn und sah den Fall nicht. Warum? Wie-...?

„Das hier sind Geburtschroniken", unterbrach Jules meinen Gedankengang, die Nase tief in einen der schweren Wälzer gesteckt. Das Rascheln seiner umblätternden Finger half mir, meine Konzentration auf ihn zu richten, „Hier sind die Daten aus ganz Pria aufgezeichnet. Er hat über Jahre immer dasselbe Datum eingekreist."

„Der neunte Mai." Meine Stimme kam gerade einmal als Flüstern heraus. Ein Tag wie jeder andere. Manchmal sogar ein Donnerstag. Die waren ganz besonders schlimm. Nathan hatte nicht nach einem neuen Weg gesucht, den Bürgermeister umzubringen. Er hatte nach dem Todesdatum meiner Eltern gesucht.

„Woher-...", Jules linste über den Rücken seiner Chronik hinüber und ich hob den Zettel mit der Aufschrift in die Luft. Nickend blätterte er wieder einige Seiten weiter und drehte dann das Buch um, damit ich ins Innere sah, „Er hat sie mit unterschiedlichen Zeichen versehen. Immer in Paaren... vierzeh- nein sechzehn Jahre auseinander. Eine Ahnung was das zu bedeuten hat?"

Moment. Mit zusammengekniffenen Augen kam ich näher. Das waren Geburtstage. Warum suchte er nach-... oh. OH.
Ruckartig zog ich mich wieder zurück und mein Blick fiel sofort auf den größeren Zettelhaufen neben den Büchern. Briefe, ohne Absender. Ein hektischer Vergleich zeigte immer den gleichen Inhalt auf.
„... könnte der Name deiner großen Liebe sein. Du solltest sie finden."

Er hatte die Pärchen auf einander aufmerksam gemacht, für den Fall, dass meine Mutter doch recht gehabt hatte und sie wiedergeboren worden waren. Sechszehn Jahre nacheinander.
Tränen brannten hinter meinen Wimpern und drohten die gekritzelten Tintenkunstwerke zu ruinieren.

Es war kompletter Blödsinn, doch er hatte kein Risiko eingehen wollen. Für die vernichtend kleine Möglichkeit, dass sie doch recht gehabt hatte.
Meine Hand fand ihren Weg von alleine zu meinem Mund. Es war klar, dass er irgendwann eine Zeit-und-Raummaschine weit vor seiner Zeit erfinden würde. Jemand, der selbst für kleine Wunder so weit ging, war zu wahrer Magie jeden Tag fähig.

Jules hatte unterdessen ebenfalls einige Briefe überflogen und legte sie mit dem Ausdruck absoluter Besorgnis zurück.
„Oh man, Queenie... Ich glaube, der Mann hat den Verstand verloren."

Ein Lachen blubberte zwischen meinen Fingern hindurch, das von dem Öffnen der Bibliothekstür abgeschnitten wurde. Ein livrierter Butler maß uns und das Chaos vor uns mit einem einzigen vernichtenden Blick, ehe er dünnlippig verkündete, dass das Abendessen angerichtet sei.

◌ ◌

„Meine eigenen Leute haben mir berichtet, dass diese Anarchisten bereits einen neuerlichen Anschlag auf mich planen."

Wir hatten es nicht einmal durch die Vorspeise geschafft, ehe Bürgermeister Ives gewichtig die Gabel fortlegte und mich mit seinen schwarzen Augen fixierte.

Eisige Kälte kroch durch meine Adern. Er hatte selber Männer in Jeters Reihen? Wie viel wusste er tatsächlich? Ich wechselte einen kurzen Blick mit Jules, der mir gegenüber rechts vom Tafelkopf saß.
„Ich werde mindestens zwei Tage brauchen, um mich von all meinen Bekanntschaften in der Stadt zu verabschieden. Eine übereilte Abreise wäre ein Skandal. Die Leute würden spekulieren", wurde ich mit meinen Ausreden langsam kreativer. Irgendetwas musste ich in den letzten Tagen schließlich aus seiner Sicht getan haben.
Ich konnte nicht gehen, bevor ich nicht noch einmal mit Nathan gesprochen hatte. Die Vorstellung, dass er glaubte, ich hätte ihn lediglich ausgenutzt, war über die vergangene Stunde unerträglich geworden.

„Ihr habt doch sicherlich einen Plan, um einen neuerlichen Anschlag zu vereiteln?", mischte sich Jules in das Gespräch ein und das erste Mal seitdem ich ihn kennen gelernt hatte, war ich froh darum. Er spielte die Rolle des besorgten Begleiters perfekt.

Der Bürgermeister kratzte sich an seinem Bart. „In der Tat plane ich, ihnen eine Falle zu stellen. Der Mord an euren Freunden sollte nicht ohne Konsequenz bleiben. Das letzte Attentat hat mir da ein sehr deutliches Bild gezeichnet, mit was für Menschen ich es zu tun habe. Wie man mit ihnen umgehen muss."

Jules runzelte die Stirn und legte ebenfalls seine Gabel fort. „Ihr wollt zu einem Gegenschlag ausholen?"

„Wenn ich es richtig anstelle, wird ein Gegenschlag überhaupt nicht nötig sein. Jeder, der bewaffnet dieses Haus betritt, ist teil einer politisch motivierten Rebellion und wird ebenso behandelt."

Was Erleichterung sein sollte, fühlte sich wie ein Schlag in den Magen an. Er würde Nathan zu fassen bekommen. Mein Plan die Zukunft wieder gerade zu rücken, steuerte geradewegs auf das nächste Desaster zu. Der Schock ließ mich stumm zurück. Auf Rebellion stand der Tod. Es würde noch nicht einmal einen Prozess geben.

Jules versteifte sich sichtlich auf seinem Stuhl, doch er blieb besser in der Situation verankert.
„Dann werden wir Euch gerne bei den Vorbereitungen helfen." Er deutete eine kleine Verbeugung an, doch ich sah seine zusammen gepressten Lippen. Er wusste ganz genau, was hier auf dem Spiel stand.

Wie weit konnte ich dazwischen gehen, ohne dass ich die eine oder andere Seite zu sehr beeinflussen? Er durfte Nathan nicht umbringen. Aber wie konnte ich beide Männer in Sicherheit wissen?
„Ist das wirklich nötig? Wäre es nicht vielleicht sinnvoller, wenn Ihr wie ich vorübergehend die Stadt verlasst?"

Ives nahm sich wieder seinem Salat an.
„Ein Bürgermeister darf niemals solche Schwäche zeigen, mein Kind. Ich erkenne dieselben Qualitäten auch in dir. Du warst tatsächlich die Quelle dieser Entschlossenheit, mit deiner Weigerung mich zu verlassen."

Oh bitte. Ich konnte es doch nicht jedes Mal schlimmer machen, wenn ich den Mund öffnete. Mein einziger Job auf dieser Mission war es gewesen, genau solche Missverständnisse zu verhindern!
„Ich würde auch mit Euch gehen", bot ich in leiser Verzweiflung an, doch die Diskussion war beendet.

Jules und ich trauten uns nicht einmal, wortlos miteinander über den Tisch zu kommunizieren, so angespannt war die Stimmung im Speisesaal. Und als das Essen offiziell beendet war, stürzten wir beinahe gemeinsam zur Tür.

Doch ich wurde von Ives zurückgerufen.
Nachdenklich massierte er seine Augenbrauen, unzufrieden mit dem Ausgang unserer Unterredung.
„Ich hoffe wirklich, du weißt, was du tust", ließ er mich wissen, ehe er sich von seinem Sitzplatz löste, „Für den Fall der Fälle, dass uns diese... Mörder doch überraschen, musst du mir versprechen, dass du hinunter zu den Kellergewölben rennen wirst."
Er ließ sich von einem Diener eine Pfeife reichen und steckte sie an. Rauchergesetzte gab es hier auch noch nicht. „Im Treppengang findest du einen großen Spiegel mit einem goldenen Rahmen. Im dritten Engel ist ein Knopf versteckt, der dich in einen Geheimweg aus der Stadt lassen wird. Egal was passiert- schließ die Tür hinter dir und renn."

Ich wünschte, ich hätte ihm ordentlich zugehört. Doch alles, was in meinem Gehirn Platz fand, war die Erkenntnis, dass Nathan sterben würde.

  ◌ ◌ ◌    

Das hier hätten drei Kapitel sein können, aber tatsächlich ist es nur eines, dass mit jedem Überabeiten dicker wurde. Ähnlich wie Tj. Wenn die erste Dose nicht schmeckt, muss Morgan ihre Futtervorschläge überarbeiten und iiirgendjeeeemand wird dicker. :D

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro