2: Ein kompetenter Auftragsstart

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Nach der Aufführung konnte Siegfried sich endlich mit seinem Sektglas in der einen und einem halben Salami-Brötchen in der anderen Hand unter die Besucher des Stiftungsfestes des „Geselligkeitsclub Immertreu 1919 e.V." mischen. Für einen allseits bekannten Verbrecherverein war es ein wirklich schöner Name. Das musste der Neid ihm lassen.

Aber Siegfried blieb konzentriert. Immer wieder spürte er auf seinen „sechsten Hexensinn", ob nicht irgendwo ein Hauch der Auramagie zu spüren war, die den Brand-Talismanen innewohnte.

Dabei kam er nicht umhin, sich über die Prominenz der Gäste zu wundern. Es war faszinierend und schockierend zugleich. Nicht nur Vereinsmitglieder waren an diesem schönen Sommertag der Einladung gefolgt, sondern auch allerhand renommierte Persönlichkeiten aus Berlins gehobener Gesellschaft. Der Ringverein war gut vernetzt. Politiker, Künstler, Wissenschaftler. Sogar die Koryphäe Kommissar Ernst Gennat, saß da an einem der Tische und unterhielt sich mit Muskel-Adolf höchst persönlich – dem Vorsitzenden dieses Vereins. Alle taten so, als wäre das ein ehrenhafter, solider Männerverein und kein Verbrecherring, der Prostitution, Drogen und Glücksspiel durch alle Klassen der Berliner Gesellschaft schleuste. Diese Heuchler.

Die Brand-Talismane. Siegfried atmete einmal ein und wieder aus, um seine Konzentration wiederzufinden. Aura ... Magie ... spürte er was? Nein. Hier war nichts – außer jede Menge Menschen, die erfolgreich verdrängten, dass draußen in den Gassen noch immer Kinder unter den Krankheiten litten, die der Krieg keine zehn Jahre zuvor gebracht hatte. Mit zusammengebissenen Zähnen vertrieb der Hexer die Erinnerungen an seine Kindheit. Die Freunde, die Nachbarn, die Straßen, in denen vom Bomben und Gift entstellte Soldaten um ein paar Münzen gefleht hatten, weil die Gesellschaft sie vergaß.

Plötzlich schlugen seine Hexensinne an. Aura. Hinter ihm. Unruhig drehte er sich um. Doch da war nur Lillians zierliche Gestalt, die aus der Masse an Gästen auftauchte, wie eine dunkle Vorahnung. Natürlich. Sie trug den Ring-Talisman am Finger und einen Nekromanten-Talisman an ihrem Herzen, der ihren toten Körper Leben verlieh. Natürlich spürte er die Magie zweier so mächtiger Artefakte. Als sie sah, dass er auf sie zukam, änderte sie ihren Kurs zur Wand hin, wo sich keine Gäste in Hörweite tummelten.

Wenn sie ihm nun so direkt gegenüber stand, war sie fast einen Kopf kleiner als er, geradezu niedlich, wenn nicht die kühle Distanz in ihren Augen gewesen wäre. „Und? Haben Sie schon etwas gefunden?", fragte die Vampirin leise und höflich wie immer.

Natürlich. Nicht ablenken lassen. Siegfried schüttelte den Kopf und aß mit zwei letzten großen Bissen sein Salami-Brötchen auf. Dummerweise dauerte es einen Moment, bis er alles heruntergekaut hatte. Doch Lillian wartete geduldig auf seine Antwort. „Hier sind die Talismane nicht. In den Umkleideräumen auch nicht. Vielleicht in den Logen? Weißt du, wo die Zugänge sind?"

Ihr Gesicht blieb unbewegt. „Jede Tür wird diskret von einem ‚immertreuen Bruder' bewacht. Ich denke, den dort rechts", antwortete sie mit gesenkter Stimme und nickte in Richtung eines großen, breitschultrigen Kerls, „werde ich ablenken können, damit Sie und Raik durch die Tür kommen."

Der Hexer konnte eine gewissen Genugtuung nicht unterdrücken, als er registrierte wie brav eine der angeblich erfolgreichsten Sergeanten des Ordens auf seine Fragen antwortete. Aber als Knappe stand er in der Hierarchie weit genug über ihr, dass sie ihn genauso zu behandeln hatte. Vielleicht tanzten Raik und Lillian besser – aber er war es, der den Auftrag leitete. Wenn er sich das so vor Augen führte, war der Tag gar nicht mehr so schlimm.

„Wie kommst du darauf?", wollte Siegfried wissen und nippte etwas zufriedener an seinem Glas, während sein Blick wieder durch den Raum glitt und an den Wappen-Wimpeln des Vereins kleben blieb, die überall als Deko hingen. Und dort an der Tür der Banner mit dem Vereins-Motto: ‚Laß Neider neiden, Hasser hassen. Was Gott uns gönnt, muß man uns lassen.'

Schon ironisch für einen Verbrecherverein.

„Weil er schon während der Tanzvorstellung gegafft und Lilly mit Blicken ausgezogen hat", riss Raiks Antwort ihn aus seinen Gedanken zurück, als er sich mit zwei Sektgläsern in der Hand zu ihnen gesellte. „Wie einige andere Männer hier im Raum auch", fügte der Jäger noch mit einem süffisanten Grinsen und kalten Augen hinzu, die sich direkt auf Siegfried richteten.

Der Hexer ignorierte das. Nicht zuletzt deshalb, weil Lillian schon wieder genervt zu sein schien. „Na dann hat der ganze Aufzug doch genau den Zweck erfüllt, den es sollte. Also sei so gut und behalt deine unqualifizierten Kommentare für dich. Ich kann es nicht mehr hören."

Siegfried wäre bei der Wut in ihrer Stimme in sich zusammengesunken. Doch an Raik schien das alles einfach abzuprallen. Stattdessen zwinkerte er Lillian frech zu. „Du weißt doch: Nur, wenn ich schlafe, oder", das Zwinkern wurde noch zweideutiger, „abgelenkt bin ..."

Damit reichte er ihr eines der Sektgläser, die er dabei hatte. „Nebenbei: du solltest etwas trinken. Alles andere ist zu auffällig."

Die Vampirin verzog das Gesicht. Ob wegen seiner Aussage oder der Tatsache, dass sie etwas trinken sollte, wusste Siegfried nicht. Er wusste aber, dass ein toter, vampirischer Körper jede Form von Nahrung oder Flüssigkeit bei nächster Gelegenheit unter Krämpfen wieder ausschieden – kein Wunder, dass Lillian keinen Durst hatte.

Trotzdem nahm sie das fein gemusterte Kristallglas und nippte daran. „Wenn der Abend hier vorbei ist, solltest du dich erholen. Bisschen schlafen. So für ein oder zwei Tage, damit ich entspannt endlich wieder dreihundert Kilometer zwischen dir und mir bringen kann."

Raik musterte sie einen Moment lang ganz offen von oben bis unten. „Also, ehrlich gesagt, glaube ich, dass du etwas Schlaf wesentlich nötiger hättest, als ich."

Lillian starrte den Werwolf mit wachsendem Ekel an. „Ich schlafe nicht. Und-"

Siegfrieds Gedanken stoppten.

Was Raik hier andeutete, war ungeheuerlich.

Jeder wusste, dass Vampire nicht schliefen. Nie. Außer, sie hatten einen Blutrausch durchlebt. Denn obwohl sie – im Gegensatz zum Volksmund – Blut nicht zum Überleben brauchten, schickte es sie doch in einen glücklichen Rauschzustand, an dessen Ende ein tiefer, angeblich erholsamer Schlaf stand. Viele Vampire sehnten eine solche Pause geradezu herbei, was diese Kombination umso verführerischer machte und viele Untote schnell in eine Blutabhängigkeit trieb. Gefährlich. Für die Vampire, aber auch für die Menschen, die oft die ersten Opfer waren. Deshalb hatte der Orden all seinen vampirischen Mitarbeitern den Blutkonsum, egal woher, strikt untersagt. Und für alle anderen Vampire galt zwar kein Tierblutverbot – aber Menschen durften sie nicht anrühren und bezahlten ein solches Vergehen meist mit dem Tod.

Aber, was, wenn Lillian gegen dieses Gebot verstieß?

Einen kurzen Augenblick lang, sah der Hexer sich selbst, wie er über genaue Informationen und Beweise für ein solches Vergehen verfügte. Er könnte Gerechtigkeit walten lassen. Oder alles von ihr fordern. Er hätte sie in der Hand. Die, die angeblich einige der schmutzigsten Geheimnisse der hochrangigsten Ordensritter kannte. Dieser Gedanke war verlockend.

Aber ein solches Geheimnis – wenn es denn eines gab – würde sie nicht freiwillig preisgeben. Unruhig bewegte er sein Handgelenk, sodass die Talismane an seinem Armband beruhigend klapperten.

„Also, Herr Werstein? Bleiben wir dabei?", durchschnitt Lillians Stimme seine Gedanken und er sah ertappt beiseite, weg von Lillian, hinüber zu den Gästen, die sich mittlerweile die Tanzfläche unter der verspiegelten Decke eroberten.

„Ja... ja.", murmelte Siegfried abgelenkt. „Du lenkst den Herrn ab. Ich und Raik gehen durch die Tür und suchen die Talismane." Dabei tasteten seine Finger nach der goldenen Münze in seiner Tasche. Der Plan würde funktionieren. Er musste. „Wir müssen den Austausch der Münzen schaffen, bevor der Käufer sie abholt. Damit wir dem Ortungszauber folgen können."

„Und die Verkäufer?", fragte Raik leise.

Der Hexer presste die Lippen zusammen und schüttelte knapp den Kopf. „Über die habe ich keine Informationen erhalten. Daher sind sie auch nicht Gegenstand unseres Interesses."

Lillians grüne Augen verengten sich missbilligend. Doch sie wagte sich nicht, den abfälligen Kommentar auszusprechen, der ihr gerade so offensichtlich auf der Zunge lag. Besser so. Also überging auch er das Ganze und kam zum nächsten Punkt: „Bevor wir anfangen, habe ich noch was für euch." Er angelte aus seiner anderen Hosentasche drei lederne Armbänder, in die jeweils eine kleine, silberne Münze eingewebt war. Ein Talisman. „Hier. Tragt das. Ein Telepathierzauber, der ab jetzt für etwa eine Stunde aktiv sein wird. Damit können wir uns auch über Distanz verständigen."

Raik schüttelte den Kopf. „Muss das sein? Ich kann nicht denken, was ich sage und muss dann wie ein Irrer vor mich hinmurmeln, wenn ich auf was antworte."

Lillians Blick wurde noch abschätziger, sofern das überhaupt ging. „Ich hab dir schon zig mal gesagt, dass du das in den Griff kriegen musst!"

Raik lächelte sie bittersüß an. „Ja. Aber keine Lust. Denn wenn ich so ein Ding in die Finger bekomme, benutze ich es lieber... anders."

Siegfrieds Blick glitt erst von einem, dann zum anderen. Täuschte er sich oder wandte Lillian gerade verlegen den Blick ab? „Was..?"

„Sex, Herr Werstein", antwortete Raik überraschend schlicht, wobei seine grauen Augen jedoch wieder vom Hexer wegglitten, hin zu der Vampirin neben ihnen. „Nichts ist so erfüllend, wie die Lust seiner Liebsten zu spüren, wenn man..."

Der dünne Absatz von Lillians feinen Tanzschuh landete ebenso unauffällig wie punktgenau auf Raiks kleinen Zeh. Der Werwolf ächzte, doch die Vampirin ließ es sich nicht nehmen, den Fuß noch einmal hin und her zu drehen und damit jede ihrer Silben zu unterstreichen. „Halt. Den. Mund."

Raik ächzte wieder und flüsterte: „Was ich eigentlich sagen wollte-" Lillian nahm ihren Schuh langsam wieder von seinem Fuß. „Ich bin doch bei Herr Werstein. Da reicht es doch, wenn er und du den Telepathie-Talisman benutzen."

Lillians Fuß tappte warnend auf den Parkettboden, aber sie sagte nichts mehr.

Der Hexer fand die Idee eigentlich auch nur semi-gut. Aber er wollte auch nicht länger trödeln. Also nickte er Raiks Ersuchen unter der Auflage, dass Raik den Talisman wenigstens in der Hosentasche hatte, großzügig ab. Dann reichte er der Vampirin ohne ein weiteres Wort das andere Armband, das sie sich geschickt um ihr schmales Handgelenk band.

Als er den Talisman neben seinem anderen Armband befestigte und zurecht schob, spürte er ihren Geist neben dem seinen.

Hallo? Hörst du mich?', fragte er in Gedanken und versuchte, die Unsicherheit zu verstecken.

Ja', kam die knappe Antwort.

Fürs Erste sollte das Siegfried reichen. „Gut. Dann lasst uns endlich anfangen."


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