03: Wenn einer etwas wissen will

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Tatsächlich dauerte es nicht lange bis Lillian den bulligen Aufseher im schwarzen Anzug mit viel Lächeln und Augenklimpern in ein anregendes Gespräch verwickelte. Derweil standen Raik und Siegfried in der Nähe und warteten auf den passenden Moment.

„Worüber die beiden wohl gerade reden?", fragte sich Siegfried, während er teils fasziniert, teils angewidert beobachtete, wie Lillian sich „unabsichtlich" vorbeugte und dabei mehr als nur ein wenig Einblick gab.

„Die Schwierigkeiten, die das Einstudieren eines neuen Tanzes so mit sich bringt. Insebesondere, wenn wenig Zeit da ist", antwortete Raik plötzlich mit ausdrucksloser Stimme. „Er erklärt ihr auch gerade, dass er auch einmal einen Tanzkurs hatte, aber schon ziehmlich eingerostet ist. Trotzdem würde er gern..."

„Danke. So genau hatte ich es nicht wissen wollen", unterbrach der Hexer ihn rasch und fragte sich einmal mehr, wie gut Raiks Ohren eigentlich waren.

Dann schaute er wieder zu Lillian. „Stört es dich nicht?", murmelte Siegfried plötzlich. „Sie so zu sehen, meine ich? Mit einem anderen Mann und-"

Er brach ab, als er Raiks kalte Miene sah und fragte sich im gleichen Moment, ob seine Neugierde das wirklich wert war. Aber Raik würde ihm nichts tun. Durfte nicht. Er war ein Jäger des Ordens.

„Warum sollte es?", antwortete der Werwolf schließlich mit einem Unterton, der so hart war, dass man Steine damit spalten könnte. „Sie gehört mir nicht. Über die Arbeit hinaus, haben wir kein Verhältnis, das irgendeine Form von Loyalität zueinander einfordert."

Siegfried nickte und glaubte nicht ein Wort. Aber wenn Raik die Distanz wahren wollte, würde er das respektieren. Fürs Erste. Jetzt zeigte Lillian dem Türwächter ihre Hände, an denen er irgendetwas fühlen oder sehen sollte – in jedem Fall eine willkommene Ausrede für erste Berührungen. Auf eine morbide Art und Weise war es bewundernswert. „Sie ist wirklich ein Profi – selbst die Tauentzien Girls könnten noch viel von ihr lernen."

Raik neben ihm grollte so tief, dass es selbst in Siegfrieds Brust vibrierte – oder war es sein plötzlich rasendes Herz? „Das ist die Erste und letzte Warnung. Sollten Sie Lillian jemals wieder als Edelnutte bezeichnen: Sie werden eine sehr lange Zeit keine solche Begleitung mehr aufsuchen können."

Siegfried klappte den Mund wieder zu. ‚Das ist gelogen. Das darf er nicht!', war das Erste, was seine ängstlichen Gedanken zur Sprache brachten.

Raik war ein Sergeant, ein Jäger, die Niederste des Ordens. Sie durften Gewalt nur auf Geheiß der Oberen anwenden – und niemals gegen den Orden selbst. Falls doch, würde über sie gerichtet werden. Der Werwolf wusste das. Und er würde sich daran halten. Oder? Unwillkürlich dachte der Hexer an die Dinge, die man ihm über Raik und Lillian erzählt hatte – wie viel die beiden miteinander verband.

Resolut drückte er sein Sektglas einem vorbeieilenden Küchenjungen in die Hand. Er konnte kaum älter als neun sein. Eine Schande, dass das Kind heute hier arbeiten musste. Hoffentlich gab es wenigstens gutes Geld. „Lass uns anfangen. Einen besseren Moment erwischen wir nicht mehr", murmelte er, ehe er sich vorsichtig auf die anvisierte Tür zuschob.

„Nicht so", murrte Raik mit einem genervten Seufzen. „So springen Sie jedem ins Auge. Gennat guckt auch schon. Sie müssen sich bewegen, als wäre ihre Anwesenheit hinter dieser Tür gefordert und absolut selbstverständlich."

Wie um das zu beweisen, zog der Werwolf die weiß-gold-bemalte Tür schwungvoll auf und machte eine überdeutliche Geste, die Siegfried den Vortritt ließ. Mit einem innerlichen Grummeln folgte der Hexer der Aufforderung und trat in den dunkleren Flur ein. Hinter ihnen fiel die Tür mit einem leisen Klicken ins Schloss.


Siegfried wäre gern direkt weiter gelaufen. Doch seine Augen mussten sich erst an das düstere Zwielicht gewöhnen, denn der Betreiber hatte sämtliche Lampen in diesen Fluren ausgeschaltet. Nur durch die Fenster des zweiten Stocks fiel ein wenig Licht auf die mit weichem Teppich ausgelegten Treppe.

Raik hinter ihm murrte ungeduldig etwas Unverständliches, doch immerhin hielt er sich zurück und wartete, bis Siegfried so weit war, die Stufen vor sich vernünftig erkennen zu können. Dann schritt er zielstrebig voran und versuchte, sich auf seine Hexensinne zu konzentrieren. Die sagten ihm in der Regel zuverlässig, ob sich irgendwo freigesetzte Aura oder Magie befand.

Für jede Hexe und jeden Hexer eine ganz normale Fähigkeit. Schließlich konnten sie Aura in nutzbare Magie umwandeln, wodurch das Element „Aura" für sein Volk so essentiell war, wie Luft zum Atmen.

Doch seine Hexensinne schwiegen beharrlich – auch als sie den oberen Treppenabsatz erreichten. So blieb ihm nichts anderes übrig, als zu raten, in welche Richtung er sich wenden sollte. Spontan entschied er sich für links.

Hinter sich hörte er das leise Rascheln von Raiks Kleidung. Selbst wenn er sich nicht umdrehte, hatte er den Eindruck, dass der Werwolf ihm viel zu nah war. Allein bei dem Gedanken lief ihm ein unangenehmes Prickeln den Hals hinab.

Um sich abzulenken, drifteten seine Überlegungen zu seiner ‚Lillian-konsumiert-Blut-Theorie' zurück. Wenn das wahr sein sollte und Raik das wusste ... dann hieß das im Umkehrschluss, dass er seine ehemalige Partnerin deckte. Ganz egal, wie sie nach außen hin zueinanderstanden. Aber das hieß auch, dass er von Raik einen Hinweis bekommen könnte, wenn er sich nur klug genug anstellte. Immerhin schien er impulsiver und unüberlegter zu handeln als die Vampirin. Oder er versuchte, sie beide aus der Reserve zu locken. Aber wie? Vielleicht mit einem kleinen Trick, den sein Mentor ihm mal gezeigt hatte...

Vorsichtshalber prüfte Siegfried noch einmal die Telepathieverbindung. Sie war geschlossen, wie sie sein sollte. Zeit, das zu ändern. ‚Für dich zur Information. Wir sind jetzt in der zweiten Etage auf dem Weg zu den Logen. Bisher gibt es keine Spuren von weiteren Personen oder den Talismanen.'

Einen Moment lang herrschte Stille und Siegfried dachte schon, er hätte etwas falsch gemacht. Doch dann kam Lillians Antwort: ‚Gut. Hier ist alles normal. Euer Verschwinden scheint niemandem aufzufallen und es ist euch keiner gefolgt.'

Der Hexer nickte, auch wenn seine Gesprächspartnerin das nicht sah. Dabei ließ er wie zufällig die Telepathieverbindung offen, sodass sie weiterhin jedes seiner Gespräche mit Raik mitverfolgen könnte. Jetzt musste er den Werwolf nur noch in die richtige Richtung lenken und sehen, was passierte. Nur wie? Nach einigen weiteren stillen Herzschlägen, entschied er sich für die einfachste Frage von allen: „Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt? Du und Lillian mein ich?"

Der Geruch von Blut und der Geschmack von Asche – es war so überwältigend real, dass Siegfried einen Moment lang nach dem Feuer suchte. Doch da war keines. Es war nicht echt. Nur Lillians Erinnerung, die genauso schnell ging, wie sie gekommen war, als sie ihrerseits rasch die gedankliche Verbindung schloss. Der Hexer unterdrückte ein selbstzufriedenes Lächeln. Das war ein guter Anfang.

An diesem Gefühl konnte auch Raiks missbilligendes Schnauben nichts ändern. „Ist das relevant für unseren Auftrag?"

Der Hexer presste die Lippen aufeinander. „Ich möchte es wissen."

Und als das ranghöhere Ordensmitglied standen ihm sämtliche Antworten zu. Raik wusste das. Und Lillian auch – er war sich sicher, dass sie weiterhin im Hintergrund zuhörte. Er hatte ganz bewusst alle Verbindungen offengelassen.

Schließlich seufzte der Werwolf geradezu dreist-widerwillig. „Auf einer Hochzeit in Magdeburg. Ist schon ne Weile her."

In seinem Kopf hörte er Lillian schnauben, doch sonst schwieg sie sich aus.

Siegfried grinste selbstgefällig. Er hatte sie beide an der Angel. Mit diesem Wissen wandte er sich wieder an Raik: „Was meinst du damit?"

„Da will es einer ja ganz genau wissen." Der Blick des Werwolfs sah aus, als würde er gleich durch Fleisch schneiden.

Aber er durfte nicht, vergegenwärtigte sich Siegfried noch einmal und ließ nicht locker. „Du bist mir zu Antworten verpflichtet, Sergeant." Das letzte Wort, seine niedrige Stellung innerhalb des Ordens, betonte er mit Nachdruck.

Einen Moment lang herrschte aggressive Stille. Dann knurrte Raik unwillig. „In Magdeburg, 1631 irgendwo zwischen Feuer und Tod hat sie mich gefunden."

Während er das sagte, spürte er über die telepathische Verbindung zu Lillian wieder diesen Hauch von Asche. Schwächer als letztes Mal, aber definitiv da.

Das reichte ihm. Damit würde er herausfinden, ob sie dem Blutrausch verfallen war. Entschlossen streckte der Hexer seinen Geist nach diesem Gedanken aus, griff danach und zerrte sie zu sich herüber. Schwach hörte er Lillians Proteste in seinem Kopf, doch er achtete nicht darauf, zog es nur weiter zu sich.

Dann überlagerte sich seine Sicht. Natürlich war er noch immer in dem Varieté. Doch jetzt sah er nicht mehr nur die dunklen Gänge zu den Logenräumen. Darüber lagen wie durchscheinende Fata Morgana, Lillians Erinnerungen.

Niedergebrannten Häuser und verschütteten Straßen. Er hatte es geschafft. Er hatte ihr diese Erinnerung entrissen. Jetzt würde er die Wahrheit finden. Doch das Gefühl der Zufriedenheit zerfiel, als er nur Blut roch und Asche schmeckte. Und Schreie in der Ferne hörte.


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