05 - Wer bin ich?

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↠ ♟- 𝕯𝖎. 28.11. 𝖆.𝖉. 1570 - ♟↞

Sechs weitere Tage gehen ins Land. Wir feiern Ewigkeitssonntag, und ich gedenke meines Jacob Adam, der vor fast einem Jahr in einem Dezembersturm vom Scheunendach des Lehnsherrn gefallen und gestorben ist. Der Verwalter des Lehnsherrn wollte ihn in die Schranken weisen und seine Macht demonstrieren. Der kleine Peter wird seinen Vater nie erleben, und auch Susanna wird sich sicher nicht an ihn erinnern können. Aber mit dem fünfjährigen Jakob rede ich über das, was er von seinem Vater erinnert, damit er wenigstens ein bisschen was festhalten kann. Jacob Adam ist ein wundervoller, liebender Vater gewesen.
Der Fremde ist noch immer nicht erwacht. Inzwischen scheint es, als ob er einfach friedlich rund um die Uhr schläft. Ich kann ihm zu trinken einflößen, auch dicke, nahrhafte Suppe schluckt er. Aber richtig wach wird er nicht. Der Klaas trägt die Lene her, mit der Ausrede fürs Dorf, dass klein Susanna mal wieder die Mutter besuchen soll. Während ich Susanna bei den Ziegen Zick und Zack ablenke, ihr vorsinge und mit ihr Fingerspiele spiele, bringt Klaas die lahme Lene auf den Boden. Sie will sehen, wie die Wunde heilt, aber auch drüber nachsinnen, warum der Mann einfach nicht wach wird, obwohl es doch keinen Anlass dafür mehr gibt. Das Fieber ist verschwunden, er hat es vergleichsweise warm, die leichte Wunde am Arm ist fast verheilt, die tiefe an der Schulter auf dem besten Wege. Aber auch die Lene muss ohne gescheite Antwort wieder abziehen. Der Mann ist einfach ein Rätsel, und wir müssen Geduld haben, wenn wir es lösen wollen - ob es uns schmeckt oder nicht.

Draußen hat es wieder zu regnen begonnen. Ich sitze am Herd und führe grade die allerletzten Stiche am Kragen des feinen Hemdes für den Verwalter Brudenhusen aus. Da höre ich von oben ein schmerzhaftes Stöhnen. Schnell vernähe ich den Faden und beiße ihn durch, verstaue Hemd und Garne in der Truhe, nehme die Leiter von der Wand und steige nach oben. Der Fremde sitzt auf seiner Strohschütte, hält sich mit der gesunden Hand die rechte Schulter und mit dem verletzten Arm den Kopf. Sein Blick wandert mit einer Mischung aus Missmut und Irritation durch den düsteren, feuchten Raum. Er sieht einige Kleidungsstücke und andere Gegenstände von den Dachsparren baumeln und mittendrin eine arme Bauersfrau, die neugierig ihren Kopf durch die Bodenluke streckt.
Wäre seine Lage unseren Vermutungen nach nicht so ernst, könnte ich fast auflachen. Sein Blick und seine Haltung sprechen Bände. Der arme Mann hat wirklich absolut keine Ahnung, wo er grade steckt, wie er hierher gekommen ist und was das alles nun zu bedeuten hat. Solange er weiß, wer er ist und wo er herkommt, will ich ihm den Rest gern erklären.

Ich nähere mich ihm, mache einen tiefen Knicks und spreche ihn an.
„Hoher Herr, wie gut, dass Ihr endlich erwacht seid. Darf ich fragen, wie Euer Befinden ist? Ihr habt zehn Tage im Fieber und in tiefem Schlaf gelegen, ich habe mir sehr Sorgen um Euch gemacht."
Der Fremde mustert mich, versucht offensichtlich, das alles irgendwie einzuordnen, seufzt dann resigniert.
„Es ginge mir sicherlich besser, hätte ich nicht versucht, über die rechte Schulter abzurollen, damit ich mich aufrichten kann. Und vor Schreck über den Schmerz bin ich dann hochgeschreckt und habe mir den Kopf an diesem Dachsparren gestoßen."
Der Mann findet aber gleich seinen Humor wieder und schielt mit gespielter Empörung den Balken an.
„Also, Herr Dach, könntet Ihr demnächst geruhen, euch auszubeulen, wenn ich vorhabe, hier erschrocken aufzufahren. Ich wäre Euch sehr verbunden."

Wir lächeln uns an. Dann rückt er vorsichtig ein Stückchen vor, bevor er versucht aufzustehen. Das misslingt allerdings völlig, da er nach der langen Zeit im Liegen doch ziemlich schwach auf den Beinen ist. Kaum hat er sich erhoben, wird ihm schwindelig, er wankt, und ich springe zu ihm, um ihn zu stützen. Vorsichtig lasse ich den großen, aber nun sehr dünnen Mann auf den einzigen Schemel hier oben gleiten, hocke mich vor ihn und halte ihn, damit er nicht einfach umkippt. Für einen langen Moment schließt er die Augen, um sich zu fassen.
Dann öffnet er sie wieder und schaut mich fragend an.
"Könntet Ihr, gute Frau, mir verraten, wer Ihr seid, wo ich bin, wie ich hier hergekommen bin und warum meine Schulter so höllisch weh tut?"
Ich bin verblüfft, weil er mich anredet, als sei ich eine seines Gleichen. Aber noch mehr wundern mich die seltsamen Fragen, die er stellt.

„Um ehrlich zu sein, werter hoher Herr. Ich hatte von mindestens der Hälfte dieser Fragen gehofft, dass Ihr sie mir beantworten würdet. Ich bin die Witwe Anna Adam im Dorfe Lütgenhusen, das an der Südgrenze des Herzogtums Grubenhagen im Lehen Gieboldehusen liegt. Ihr seid vor knapp zwei Wochen in einer stürmischen Nacht hier zur Tür hereingestolpert, habt gerufen 'Überfall! Versteckt mich bitte!' Ich bin erst sehr erschrocken, habe Euch dann aber in meinem Schuppen verborgen. Kurz darauf kamen vier vermummte finstere Gesellen und haben jemand gesucht. Als sie fort waren, seid Ihr wieder rausgekrabbelt aus meinem Schuppen, nur um sofort in Ohnmacht zu fallen. Ich habe Euch auf den Boden hier geschafft, unsere Kräuterfrau hat sich um die Heilung Eurer beiden Wunden gekümmert, der Bauer Klaas Rand hat Euer Pferd versteckt, das ich am nächsten Morgen einfangen konnte. Und als das Dorf zum Holzsammeln in den Wald zog, haben wir noch Euren Mantel, einen abgebrochenen Degen und eine abgefeuerte Faustbüchse gefunden. Die beiden Waffen befinden sich nun beim Dorfvogt. Ihr seid also wohl durch den Grenzwald ins Dorf gekommen. Außer meinen direkten Nachbarn und dem blinden Jasper weiß sonst keiner im Dorf, dass Ihr hier seid."
Der Fremde hat mir aufmerksam zugehört, ich sehe in seinen Augen jedoch keine Spur einer Erkenntnis.
„Der Name des Herzogtums kommt mir bekannt vor, alles andere ist mir völlig schleierhaft."

Mich beschleicht eine ungute Ahnung. Schnell stelle ich die nächste Bitte.
„So sagt mir doch, hoher Herr, wer Ihr seid, damit wir Eure Angehörigen verständigen und euch sicher nach Hause geleiten können."
Ich sehe ihn dabei fest an.
„Ich ..."
Sein Gesicht zeigt Verblüffung.
„... bin ..."
Nun wandelt es sich zu Irritation. Und mit einem Mal zuckt er zusammen, seine Augen werden schwarz und völlig leer.
„... weiß ... weiß nicht, wer ich bin.... Es kommt ... kein Name."
Ich glaube ihm sofort jedes Wort. Denn nun wandelt sich sein ganzer Körper, seine ganze Ausstrahlung zu purer Verzweiflung. Er schließt die Augen, entringt sich ein tiefes Stöhnen.

Nach einer Weile flüstert er etwas.
„Darf ich dennoch bleiben? Vielleicht finde ich mein Gedächtnis wieder ..."
Er sinkt in sich zusammen und hält sich den Kopf.
Seltsame Frage.
„Hoher Herr, solange es nötig ist, werdet Ihr hier sicher und willkommen sein. Lasst Euch Zeit, gesund zu werden. Wenn Euer Geist sich erholt hat, werdet Ihr sicher wieder wissen, wer Ihr seid. Und..."
Ich überlege, wieviel ich ihm schon zeige, denn ich bin mir grade nicht sicher, ob sein überforderter Geist das schon verarbeiten kann.
„Wann immer Ihr es wünscht, werde ich Euch – außer den alltäglichen Dingen, die hier überall herumliegen und -hängen – zeigen, was Ihr noch alles bei euch getragen habt. Vielleicht kommt auch dadurch Eure Erinnerung wieder."
Mit einer ausladenden Geste zeige ich auf all die Dinge, die ihm gehören. Er folgt meiner Hand mit seinem Blick. Aber auch dabei flammt kein Erinnern in seinen Augen auf. Die wirklich wertvollen Dinge sind gut verborgen, und so weckt zunächst nichts sein Interesse. Er scheint wie eine leere Hülle, die auf Füllung wartet.

Müde, erschöpft lässt er sich vom Hocker auf die Knie, robbt zurück zu seinem Strohlager und legt sich nieder, wie mit Zentnerlast beladen.
„Ich danke Euch sehr, dass Ihr gemeinsam mit Euren Nachbarn mir offensichtlich das Leben gerettet habt. Doch sagt mir noch eines, gute Frau Adam. Warum nennt Ihr mich die ganze Zeit 'hoher Herr' und behandelt mich so zuvorkommend, als wäre ich ein König?"
Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen.
Weil Ihr vielleicht von Adel seid. Hoher Herr. Ich gebe Euch noch ein bisschen Zeit, von selbst darauf zu kommen. Aber all das, was Ihr hier um euch herum findet, muss Euch überzeugen, dass wir Recht haben.
Ich sage ihm noch nichts von unserem Verdacht, will ihn erst noch gesünder werden lassen. Aus irgendeinem Grund verweigert sein Geist jede Erinnerung.
„Herr, Ihr habt vornehme Kleidung, einen gut gefüllten Beutel und ein edles Pferd. Ich bringe Euch nur den Respekt entgegen, der Euch gebührt."

Ohne eine Reaktion, müde, schließt er seine Augen. Also decke ich ihn wieder mit ein paar Decken und seinem Mantel zu, stelle ihm einen Wasserkrug und etwas Brot bereit, damit er selbst sich versorgen kann.
Und spreche dann aus einem Impuls heraus noch eine Bitte aus.
„Ihr habt, werter Herr, in diesen bald zwei Wochen, im Fieber und auch danach, sehr häufig lebhaft geträumt. Ihr habt auch im Schlaf geredet, ich konnte nur kein Wort verstehen. Ich möchte Euch bitten, wenn Ihr das nächste Mal erwacht, sofort euren Träumen nachzuspüren – Namen, Gesichter, Orte, Räume, Gegenstände. Versucht doch, so viel wie möglich festzuhalten. Vielleicht kommt Ihr so Eurer Herkunft und Eurem Namen auf die Spur."
Er rührt sich nicht mehr, aber die steile Falte auf seiner Stirn spricht lebhaft von seiner inneren Anspannung und Sorge.
„Und scheut Euch nicht, mir jeden Eurer Wünsche mitzuteilen. Ihr seid hier oben versteckt, weil wir das Gefühl haben, Euch drohe weiterhin Gefahr. Solltet ihr Stimmen oder Kinder hören, verhaltet Euch bitte still. Ansonsten bin ich immer für Euch da. Und jetzt – ruht Euch aus."
Ich warte noch eine Weile, bis sein regelmäßiger Atem und seine entspannten Züge mir anzeigen, dass er nun wieder schläft.

Wenn mein kleiner Jakob vom Müller zur Lene heim läuft, springt er oft bei mir ran, erzählt mir von seinem Tag, vom Lob, mit dem Mathes und Britt nicht sparen und den Kleinen damit stolz und glücklich machen. Als auch heute wieder die Türe sich öffnet und die helle Kinderstimme nach mir fragt, komme ich sogleich von Zick und Zack nach vorne gelaufen, nehme ihn in die Arme und lasse mir allerlei berichten, was den Jungen erfüllt. Als er schließlich weiter zur Lene laufen soll, gebe ich ihm noch die Nachricht an Klaas und Lene mit, dass das Peterchen heute Mittag ganz lange wach war, jetzt aber wieder fest schläft.
Sie werden es verstehen ...
Als es dunkle Nacht geworden ist, höre ich meinen Gast oben leise rufen.
„Frau Adam?"
Ich vergewissere mich, dass meine Verbündeten allein zur Tür reinkommen können, und steige mit einer Suppe, etwas Brot und frischem Wasser die Leiter hinauf. Der Fremde hat sich diesmal vorsichtiger aufgerichtet. Er schrubbelt sich grade durch die zerlegenen Haare, reibt sich dann die Augen und schaut mir noch etwas abwesend vom Schlaf entgegen.

„Frau Adam? Ich habe geträumt."
Er scheint verängstigt von seinem Traum. Aber immerhin erinnert er sich sofort daran, wo und bei wem er ist. Das ist schon ein guter Fortschritt. Ich setze mich zu ihm, reiche ihm Suppe und Brot.
„Erzählt es mir, hoher Herr. Vielleicht können wir gemeinsam ein paar Brocken über Euch heraus finden."
Doch er schüttelt den Kopf.
„Es war alles dunkel. Ich habe nichts sehen oder hören oder fühlen können. Ich konnte mich überhaupt nicht bewegen, war wie gefesselt an allen Gliedern. Ich habe gerufen. 'Ludo! Lass mich gehen!' Immer wieder. Und eine Stimme hat aus dem Dunkel geantwortet, gefleht. 'Hannes, so bleib doch. Lass mich nicht allein!'
Ich konnte diesen Ludo nicht sehen, nicht greifen. Und plötzlich war ich heraus aus dem Dunkel. Aber ich war nicht mehr. Ich war nur noch Auge. Und ich habe gesehen, wie ein Pferd mit Reiter im Dunklen wild davon gestürmt ist. - Das war alles ..."
Seine Hände zittern, greifen ins Leere, seine Augen zeigen seine Angst, sie irren planlos umher, suchen einen Halt in all dieser Ungewissheit. Dann stöhnt er auf, greift sich an die Schläfe.
„Ich habe auf einmal so Kopfschmerzen!"

Ich kann seine Angst verstehen. Gefesselt im Dunklen von unsichtbaren Fesseln. Die Stimme eines Unsichtbaren. Und eine wilde Flucht. Und ein Name. Er scheint sich selbst als „Hannes" erlebt zu haben in diesem wirren Traum.
Er ringt seine Hände, zuckt zusammen unter dem Schmerz in seiner Schulter.
„Ich ... Ich ... muss doch ein Zuhause gehabt haben. Da müssen Menschen gewesen sein. Ich muss eine Arbeit gehabt haben. Vor dem Überfall wäre ich in der Lage gewesen, ... Ich ... spreche Eure Sprache. Also muss ich doch zumindest aus Eurem Land sein. Ich muss Eltern haben. Verwandte, vielleicht Geschwister. Bin ich gebildet? Bin ich redlich gewesen? Bin ich gläubig? Ich muss ein Leben gehabt haben! Aber da ist nur dieses Dunkel in meinem Kopf! Das macht mich wahnsinnig."
Ich streiche ihm kurz beruhigend über den Arm.
„Esst etwas, hoher Herr. Das wird Euch stärken und beruhigen."
Stumm nickt er und greift nach der Holzschüssel, betrachtet sie lange wie etwas völlig Fremdes. Dann greift er nach dem hölzernen Löffel, isst fast gierig nach den Wochen der Entbehrung. Allmählich beruhigt er sich, kaut genussvoll das grobe Brot, trinkt bald den Krug leer und lehnt sich schließlich deutlich entspannter zurück.
Dann fällt sein Blick auf mich.
„Bitte, Frau Adam. Nennt mich nicht mehr hoher Herr. Das bin ich nicht. Ich fühle mich so ... einfach. Und ... so verloren. Ich kann nichts besonderes gewesen sein."
Ich erschrecke sehr, denn ein einfacher Mann ist er ganz gewiss nicht gewesen. Aber was auch immer er „war" - es muss ihn zutiefst gequält haben, dass er so gründlich davor flieht. Dass er nicht einmal mehr weiß, wer er „war".
„Ich will es versuchen, Herr. Aber leicht fällt es mir nicht."
Mit einem beruhigenden Lächeln schaue ich ihn an und sehe echte Erleichterung in seinen Augen.

Da höre ich das Scharren an der Haustür. Mein Gast zuckt zusammen, schaut misstrauisch zur Luke nach unten.
„Wartet einen Moment hier. Es sind Freunde, sorgt euch nicht."
Schnell steige ich die Leiter hinunter und empfange den Jungbauern Klaas, der gleich den Vogt Drebber und meinen Nachbarn Jorge mitgebracht hat.
„Dank, Frau Adam, für die Botschaft."
Schnell und leise informiere ich die drei, dass der Fremde wach und gut zu Wege ist, aber vollständig sein Gedächtnis verloren, wirre Träume und ziemlich Angst vor irgend etwas Unbekanntem hat. Dann bitte ich noch Klaas, im Laufe des Gesprächs den Mann einmal mit „Hannes" anzureden und das Pferd zu erwähnen. Gemeinsam steigen wir nun auf den Dachboden hinauf.

Der Fremde schaut uns unsicher entgegen. Als ich ihm unsere Verbündeten vorstelle, schiebt er sofort mit ehrfürchtig geneigtem Kopf den einzigen Schemel in Richtung des Vogtes. Der wiederum muss all seine Hochachtung vor dem Mann im Zaume halten, dass er das Angebot überhaupt annehmen kann. Wir unterhalten uns eine Weile, vermeiden das direkte Thema seines Unfalls, lernen uns einfach kennen. Er fragt ganz wissbegierig nach dem Dorf und den Menschen hier, zeigt ehrliches Interesse, auch wenn er nicht viel vom Leben der Bauern zu wissen scheint. Wie schon am Mittag blitzt ab und zu sein feiner Humor auf, wie selbstverständlich fügt er sich ein in das freundliche Gespräch.
Nach einer Weile wagt Klaas den Versuch.
"Hannes, könntet Ihr mir sagen, wie ich Euer Pferd zu behandeln habe? Der Braune ist recht scheu, weicht mir immer aus. Er frisst zwar, lässt sich aber nicht anfassen noch putzen. Das tut seinem Fell nicht gut."
Ich höre scheinbar unbeteiligt dem Klaas zu, beobachte aber in Wahrheit den Fremden ganz genau. Die Anrede kam unerwartet, und doch hat er nicht irritiert darauf reagiert. Er scheint sich damit völlig sicher und normal zu fühlen, denn er antwortet Klaas sofort.
„Ach, Hurtig ist von kleinauf durch mich erzogen und darum sehr an mich gewöhnt. Aber er liebt Äpfel. Solltet Ihr also ab und zu mit einem Apfel locken, wird er sicher schnell zutraulicher werden. Ich danke Euch, dass ihr Euch so gut um meinen Hurtig kümmert."
Still ist es im Raum. Wir sehen ihn alle an. Da merkt er, dass wohl etwas seltsam ist, schaut fragend zurück.

„Herr, Ihr habt grade vollkommen selbstverständlich auf die Anrede 'Hannes' reagiert, es einfach hingenommen, so angesprochen zu werden. Und auch sofort gewusst, von welchem Tier die Rede ist. Es scheint, dass das tatsächlich Euer Name ist."
Der Mann schaut mich mit großen Augen an, und seine Miene wird wieder ängstlich, nachdem er sich doch allmählich in dieser Runde wohl und sicher gefühlt hat. Und wieder greift er sich an den Kopf. Vogt Drebber hat sich bisher die meiste Zeit zurückgehalten, hat still beobachtet, wie es oft seine Art ist.
Doch nun legt er Hannes beruhigend die Hand auf die gesunde Schulter.
„Sorgt euch nicht. Was auch immer Euch aus Eurem früheren Leben vertrieben hat – wir werden Euch an niemand verraten, werden Euch nicht dahin zurückschicken, solange Ihr selbst es nicht wollt. Ihr seid hier sicher, bis Euer Gedächtnis wieder vollständig da ist und Ihr selbst entscheiden könnt, wie es für Euch weitergehen soll."

Wir reden noch eine Weile – über das Dorf, über das schlechte Wetter in diesem Jahr, über die magere Ernte, über die nahende Adventszeit. Derweil wird mein Gast sichtlich immer müder, legt sich schließlich einfach mit geschlossenen Augen wieder auf sein Strohlager und zieht die Decken über sich.
„Dank, Frau Adam, dass ich hier Obdach, Sicherheit und Frieden haben darf."
Nach diesen Worten schläft der erschöpfte Mann sofort ein. Ich decke ihn auch noch mit seinem warmen Mantel zu und folge den anderen ganz leise die Leiter nach unten.

Ratlos stehen wir um mein kleines Herdfeuer herum, schauen uns im trüben Schein der flackernden Flammen an. Und der Vogt spricht schließlich leise aus, was wir alle denken.
„Ich habe noch nie einen Mann so sehr Angst vor seinem eigenen Leben haben sehen. Ich weiß nicht einmal, ob ich mein Versprechen, ihn zu schützen, bis er von selbst zurück will, auch halten kann. Er sollte aber erst mehr zu Kräften kommen, bevor wir ihm die Hinweise auf seine Herkunft zeigen. Und wir müssen dringend weniger herumraten und dafür wachsamer um uns schauen."
Wieder schweigen wir.
Und dann flüstere ich, ganz leise.
„Aber wir müssen es versuchen, ihn schützen, ihm Zeit lassen. Seine innere Not ist so erdrückend groß.

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28.11.2021  -  1. Advent

Dieses Gemälde kommt für mich am ehesten meinem Bild von Hannes nahe:

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