35 - banges Warten

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FR. 16.3.1571

Ich wache wie immer sehr früh auf. Im Haus sind die üblichen Geräusche zu hören, Maria bringt mir mein Frühstück, ich beginne zu arbeiten. Kaum ist die Sonne ganz aufgegangen, sehe ich, wie einer von Karl von Pagenstechers Männern zu den Stallungen geht und mit drei gesattelten Pferden zurückkommt. Sehr kurz nimmt er Blickkontakt zu mir auf, bevor er die Tiere um das Schloss herumführt.
Nun geht es also los. Ich wünsche ihm, uns! so sehr, dass dieser Ausflug von Erfolg gekrönt wird. Dass er Hannes findet oder doch wenigstens Gewissheit über Hannes Aufenthaltsort bekommt und irgendwie Kontakt aufnehmen kann. Hannes MUSS zurück in sein altes Leben!

Kurz darauf berichtet mir Jochen Hannover, dass Karl von Pagenstecher dem Brudenhusen beim Frühstück Informationen zu Herzberg entlockt hat. Und dass der sehr erleichtert wirkte, den unerwünschten Gast für einen ganzen Tag los zu sein. Hans Brudenhusen hat sehr bereitwillig und sehr schwärmerisch von Herzberg erzählt und die zahlreichen Vorzüge aufgezählt, um nur den ungewollten Gast sicher auswärts lange beschäftigt zu wissen.
Noch eine Weile später kann Jochen Hannover mir verraten, dass Pagenstechers dritter Wachmann dem Trupp mit großem Abstand gefolgt ist und deshalb sicher sagen kann, dass sein Herr zwar verfolgt wurde, aber nur bis kurz nach dem Stadttor. Dann ist der heimliche Schatten wieder umgekehrt und hat dem Brudenhusen wahrscheinlich berichtet, dass der Fremde tatsächlich auf dem Weg nach Herzberg ist.
Sehr gut! So schöpft der Brudenhusen nun wirklich keinen Verdacht. Von Pagenstecher und auch Hannes und das Dorf sind sicher.

Mir bleibt ja nun nichts anderes übrig, als den Abend abzuwarten. Ich singe und sticke mich also durch den Tag und bete und hoffe, dass alles glatt geht und der Pagenstecher heute Abend mit guten Nachrichten wiederkommt. Je später er kommt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er Hannes gefunden hat, denn die beiden haben sich nun sicher eine ganze Menge zu erzählen.
Hoffentlich erkennt Hannes seinen Freund überhaupt. Vielleicht ist der auch erstmal damit beschäftigt, Hannes davon zu überzeugen, wer er ist.
Ich ärgere mich ein bisschen über mich selbst, dass ich nicht danach gefragt habe.
Naja, vielleicht denke ich ja heute Abend dran, wenn ich hoffentlich gute Nachrichten bekomme.

Als es draußen dunkel wird, ich mein Nachtmahl bekomme, sich schließlich Jochen und Maria Hannover zur guten Nacht verabschieden, werde ich allmählich nervös. Doch dann kommt endlich noch einmal Leben in den Wirtschaftshof. Ein Reiter bringt drei Pferde in den Stall. In der Eingangshalle entsteht Unruhe. Ich arbeite einfach weiter, bis wieder alles still ist.
Sicherlich wird er bald zu mir kommen, um mir hoffentlich nur Gutes zu berichten.
Da kratzt es an meinem Fenster, ich öffne es, Karl von Pagenstecher schwingt sich herein und schließt das Fenster gleich wieder.

Mit einem zufriedenen Grinsen setzt er sich rittlings auf meinen einzigen Stuhl, schaut zu mir auf und schon platzt es aus ihm heraus.
„Ich hab ihn. Endlich hab ich Hannes gefunden! Und du hattest Recht, Anna Adam. Es war wirklich nicht leicht, an Klaas vorbeizukommen. Hätte ich nicht gewusst, wer er ist, er hätte mit seinem Verhalten sein Leben riskiert."
Wir müssen beide schmunzeln.
„Hat ... er euch erkannt, Herr?"
Der Pagenstecher kratzt sich ein wenig verlegen am Kinn und scheint nun seine Worte sehr sorgfältig zu wählen.
„Hannes war vor zwei Tagen zurückgekommen, obwohl er nicht sollte. Ganz, wie wir es befürchtet hatten. Bei der Heimsuchung durch den Hauser gestern konnten sie ihn und seine drei Soldaten rechtzeitig in Sicherheit bringen. Aber er war wohl sehr trotzig und uneinsichtig. Und darum haben sie ihn dann heute in deiner Kate eingesperrt und ihm seine eigenen Soldaten als Wachhunde vor die Tür gesetzt. Entsprechend schlecht gelaunt war er, als ich endlich Klaas Widerstand überwunden hatte und wir auf dem Weg zu ihm waren. Als er dann die Leiter runter war und mich gesehen hat - ist er erstmal in Ohnmacht gefallen. Einfach lautlos umgekippt."

Erschrocken sehe ich ihn an.
„Ist er verletzt?"
„Nein, alles gut. Wir haben ihn auf deine Pritsche gelegt und einfach abgewartet. Klaas meinte, dass er sich schon öfter so an den Kopf gepackt hat wie direkt vor dem Umkippen. Dann allerdings ... Anna, das war nicht so schön. Vor allem für Klaas nicht. Als Hannes nach einigen Minuten wieder aufgewacht ist, war er wieder der Alte. Aber ... diesmal hat er sich nicht an die Zeit in deinem Dorf erinnern können. Klaas konnte gar nicht so schnell auf unterwürfiger Bauer umschalten, wie Hannes ihn für sein respektloses Benehmen auseinander genommen hat.
Danach haben wir stundenlang geredet. Erzählt von Salzderhelden und Ludo, von Hannes Unfall und seiner Zeit im Dorf, von seiner Suche nach sich selbst, von all dem, was mich hierher und zu ihm geführt hat. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis Hannes seine beiden Leben wieder zusammen bekommen hat. Klaas war ehrlich erleichtert. Es hatte ihn sehr mitgenommen, dass der Freund so plötzlich so abwertend zu ihm war."

Ich senke den Kopf.
Nun ist es also soweit. Hannes ist zwar in meiner Kate, aber in ihm drin ist er nun fort. Es tut weh. Aber ich weiß ja doch, dass es richtig ist.
Ich wende mich zum Fenster und starre in die Nacht.
„Darf ...ich fragen, wer Hannes ist?"
Einen Moment ist es still, dann höre ich, wie Karl von Pagenstecher aufsteht und hinter mich tritt. Sehr sanft legt er mir seine Hände auf meine Schultern.
„Bitte nicht erschrecken. Und bitte nicht aufgeben! ... Hannes ist ... Johann III. Herzog von Grubenhagen."
Ich zucke zusammen.

„Aber er will das nicht sein, er wollte das nie sein. Er war dreizehn Jahre alt, als seine Mutter starb. Das hat ihn aus der Bahn geworfen. Danach war er nie wieder derselbe. Er ist auf und davon in der Nacht im November, als sein Vater, unser alter Herzog starb. Er hatte Ludo gebeten, dass er abdanken darf und Ludo neuer Herzog wird. Dummerweise ist Ludo so treu und loyal, dass er nein gesagt hat. Und schwupp, weg war Hannes.... Den Rest der Geschichte kennst du ..."
Ich ziehe die Schultern hoch und spanne mich an. Am liebsten wäre ich jetzt allein. Aber der Pagenstecher spricht weiter.
„Anna? Ich bin nicht blind. Ich meine das so: bitte nicht aufgeben. Als Hannes heute von dir sprach, hatte er zum ersten Mal seit dem Tod seiner Mutter wieder ... ich weiß nicht, wie ich es greifen soll. Da war der Hannes, der nicht gegenüber jedem seinen Kopf und sein Herz abschottet, der sich nicht von seinen Gefühlen abschneidet, der nicht alles mit einem Scherz von sich weghält.
Ich ... Ich weiß, dass eigentlich er dir das erzählen sollte. Aber ich greife ihm vor, weil ich glaube, dass du das jetzt brauchst. ... Hannes wird abdanken, wird Ludo den Thron überlassen. Er wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mal in der Hauptstadt bleiben sondern hier leben wollen. Auch ohne zu wissen, wer er ist, hat er sich schon an den Gedanken gewöhnt, dass er in seinem Lehen anwesend sein und hier Ordnung und Frieden hineinbringen will. Waisenhaus und Schule sollen wieder aufblühen. Er möchte Unrecht wieder gut machen, möchte von glücklichen Menschen umgeben sein. Und er wird mit allen Mitteln nach einem Weg suchen, dass der Unterschied zwischen euch keine Rolle mehr spielen kann. Anna, bitte. Er wird um dich kämpfen. Bitte, kämpfe du auch um ihn. Gib nicht auf!"

Bedrückende Stille lastet auf dem Raum. Ich schüttele den Kopf, bin irgendwas zwischen verzweifelt, wütend und unendlich müde. Dann hole ich tief Luft und fasse mir ein Herz.
„Hoher Herr, Ihr versteht nicht. Ich habe drei kleine Kinder. Der älteste ist nicht mal meiner, der ist aus erster Ehe von meinem Mann. Er ist der Erbe einer maroden Kate, eines zu kleinen Ackers und der Unfreiheit seines Vaters. Er ist so intelligent, dass er grade dabei ist, sich das Lesen und Schreiben selbst beizubringen. Aber wahrscheinlich wird er in seinem ganzen Leben niemals etwas anderes lesen als das, was er selbst geschrieben hat. Ich bin alles, was ihm geblieben ist, was ihm Halt gibt.
Dann habe ich Susanna und Peter, die beiden Kinder von mir und Bauer Adam. Unfrei wie er und nicht mal Erben. Alle drei wären selbst für die Bediensteten in Gieboldehusen Abschaum. Und völlig undenkbar als Neffen und Nichte eines Herzogs.
Sie werden ihr Leben auf dem Dorf bestehen müssen. Ich kann sie nicht in ein Schloss verpflanzen und dann zurück in ein Leben schicken, dem sie entwachsen sind, dem sie dann nicht mehr gewachsen sind. Ich bin eine kleine Magd und bleibe eine kleine Magd. Hannes würde nicht nur auf seinen Titel verzichten sondern auf jeglichen Kontakt zu irgendjemand aus seiner Gesellschaftsschicht, wenn er mich heiratet. Mich - eine unfreie Bäuerin, die schon einmal verheiratet war und drei Kinder am Rockzipfel hängen hat. Das kann uns nicht glücklich machen, weil er sich gegen zu viel in sich selbst entscheiden müsste."

Endlich drehe ich mich um und sehe ihn an. Ich habe mich wieder gefasst.
„Es kann kein Wir geben."

Sa.17.3.1571

Von Zuhause nach Zuhause

Klaas und ich haben einfach weiter geredet bis in den Abend hinein. Jorge, der Drebber, der Pastor, der Ferz, der blinde Jasper und die alte Lene sind irgendwann auch dazu gekommen. Sogar Rudolph und meine drei „Könige" sitzen mit am Tisch. Und sie alle müssen Klaas schwören, nicht vor Ehrfurcht aus der Bank zu kippen. Dann erzählt Klaas ihnen, wer ich bin – und mindestens die Hälfte von ihnen kippt vor Ehrfurcht fast aus der Bank. Wir brauchen eine ganze Weile, bis alle wieder normal mit mir reden können. Selbst, als ich ihnen androhe, sie genauso huldvoll anzureden wie sie mich, habe ich keinerlei Erfolg. Duzen tut mich nun endgültig nur noch Klaas. Und ich bin ihm unendlich dankbar dafür.

Der alte Jasper grinst wenigstens noch, wenn er mich „Durchlaucht" nennt.
„Dann geit es morg'n also endlich wedder nach Huus, Durchlaucht?"
„Ich weiß gar nicht, Jasper. Ich glaube, ich habe jetzt zwei Zuhause. Denn hier in dieser Kate, da, in diesem Schuppen, dort oben auf diesem Dachboden hat mein zweites Leben begonnen. Mein Hurtig ist nun in Klaas Stall zu Hause, ein Teil meines Gepäcks liegt bei Siegfried Crüger in Duderstadt. Ohne euch alle wäre ich mit Sicherheit nicht mehr am Leben."
Ganz bewusst und mit großer Dankbarkeit schaue ich in die vertraute Runde.
„Und bis auf die Lebensbedrohung möchte ich auch keine Sekunde mit euch missen. Ich werde ganz gewiss nie wieder der Alte sein. Weil ich hier euer Leben geteilt habe, in euren Schuhen gesteckt habe, gelernt habe, was es heißt, ein Land zu ernähren und doch nichts selbst entscheiden oder sicher behalten zu dürfen."

Und - etwas leiser.
„Außerdem habe ich mich selbst im Spiegel gesehen. Ich bin wahrscheinlich ein umgänglicher, netter Mensch. Aber viel zu oft bin ich ein Drückeberger, furchtbar kurzsichtig, impulsiv, verantwortungslos und egoistisch. Ich habe viel zu lernen, und auch diese Erkenntnis verdanke ich euch."
Sie wollen protestieren, aber das lasse ich nicht zu.
„Bitte. Nur, weil da jetzt dieses verflixte 'von' in meinem Namen aufgetaucht ist, bin ich doch kein Heiliger. Wenn ich ein besonnener Mensch wäre, der erstmal nachdenkt, wäre ich überhaupt nicht gekommen im November und hätte all das Durcheinander überhaupt nicht heraufbeschworen."

Da unterbricht mich unser Pastor.
„Dann darf ich bitte anmerken, Eure Hoheit, dass wir wirklich froh sind, dass Ihr so unbesonnen seid. Denn sonst müssten wir den Brudenhusen bis in alle Ewigkeit ertragen. Da ertragen wir doch lieber das Durcheinander von unserem durchgebrannten Herzog."
Erlöstes Gelächter erfüllt die kleine Kate.

„Un außerdem macht Ihr unsre Anna glücklich. Sie hat es so sehr verdient."
Irmel tritt durch die Haustür und balanciert verschiedene Gefäße, um unsere gemütliche Runde mit Essen zu versorgen.
„Die Kinners schlaf'n, Jasper is bei ihn'n. Darf ich mich een wenig dazusetz'n?"
Sie rutscht neben Jorge auf die Bank. Und dann registriert sie, dass das Gelächter so schnell aufgehört hat, wie es entstanden ist. Unsicher schaut sie sich um. Ich lächele sie an.
„Es ist in Ordnung, Irmel. Ihr habt ja alle Recht. Aber Anna und ich wissen beide, dass es nicht gehen wird. Ich für meinen Teil würde fast töten dafür, dass ich einen Weg dahin finde. Aber wenn ich mir vorstelle, wie ich Anna in die höheren Kreise einführe, wie sie dann schräg von der Seite angesehen wird, wie über sie getuschelt wird. Sie hat Bildung, sie hat Haltung, sie hat etwas zu sagen. Aber jeder wird wissen, woher sie stammt. Und sie werden es Anna spüren lassen. Das würde ich ihr niemals antun wollen. Dazu die Kinder. Die hohen Herrschaften können so grausam sein. Anna und die Kinder würden ihr Leben lang zwischen allen Stühlen sitzen und nirgendwo hingehören."

Leider ist die gelöste Stimmung jetzt wieder dahin. Aber es tut mir gut, so mit den Freunden zusammenzusitzen und mal keine Suche oder Flucht zu planen.
„Irmel, sag mir doch, wie es den Kindern geht. Ich habe sie ja seit meiner letzten Abreise nicht mehr gesehen. Und ich vermisse sie ganz schrecklich."
Dankbar für den Themenwechsel schaut Irmel mich an.
„Sie hatt'n ganz furchtbar Angst am Anfang. Ihr wart weg, un dann is Anna so brutal einfach davon geschafft word'n. Dat Pederchen hats nich kapiert. Susanna hat einfach Angst ohne die Mudder. Aber Jakob, der hats kapiert. Un er fühlt sich furchtbar verrat'n. Nich von Anna. Oder von d... Euch. ... Hoheit. Aber vom Leb'n. Un dat tut weh. Für Jakob isses vielleicht am allerwichtigst'n, dat Anna bald wedder zu Huus is."

Es tut in der Tat weh, das zu hören. Und ich kann dem tapferen kleinen Mann so gar nicht helfen. Obwohl ...
„Weiß der Junge, dass Nachrichten zwischen Anna und euch hin und hergehen?"
Alle nicken.
„Dann ... Irmel, magst du mir seine Schiefertafel holen?"
Sie steht auf.
„Sogleich, Ha... Hoheit."
Es ist zum Verrücktwerden, aber damit muss ich jetzt wohl leben.

Ein paar Minuten später bringt sie mir die Schiefertafel, und ich schreibe in sehr ordentlichen Buchstaben.
„ICH KOMME BALD WIEDER. MUTTER"
Pastor Crüger schaut mir über die Schulter und schmunzelt.
„Das ist eine sehr schöne Idee! Irmel, er kann diese Buchstaben noch nicht alle. Wenn er fragt, dann schick ihn zu mir mit der Tafel. Ich helfe ihm dann."
Nun recken alle neugierig die Hälse. Ich lese ihnen vor, was auf der Tafel steht. Klaas schüttelt den Kopf.
„Ach, Hannes. Un wo bist du da jetzt bidde verantwortungslos???"
Ich grinse ihn an. Ich weiß ja, was er meint, und freue mich selbst an meiner Idee.
„Naja – auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn."
Dann ducke ich mich schnell, denn Klaas langt sehr plötzlich über den Tisch, um mir spielerisch durch die Haare zu strubbeln.

Pastor Crüger erhebt sich.
„So, meine lieben Schäfelein ..."
Gelächter schallt ihm entgegen.
„Huschhusch in die Betten. Morgen ist auch noch ein Tag."
Nur Klaas bleibt noch übrig. Wir sitzen einfach noch ein paar Minuten beieinander und schweigen.
„Danke, Klaas. Für alles und noch viel mehr."
Wir nehmen uns einmal fest in die Arme, dann geht auch er nach Haus.

Meine drei „Könige" krabbeln wieder auf die Pritsche, während ich die Leiter hinaufsteige. Sehr nachdenklich lasse ich meinen Blick durch den niedrigen, dunklen Dachboden schweifen. Entdecke den herumgeworfenen Schemel in der Ecke und stelle ihn wieder auf.
Anna hat immer darauf gesessen, wenn ich im Schneidersitz vor meinem Brettertisch gesessen habe. Anna. Noch habe ich nicht aufgegeben, auch wenn ich vorhin so vernünftig getan habe. Wenn es einen Weg gibt, dass wir zusammengehören dürfen, dann werde ich ihn gehen.
Ich lösche meine Lampe und lege mich auf meine Pritsche. Bald gibt es wieder feines Leinen auf weicher Matratze. Ich liege noch eine ganze Weile wach und lausche. Auf das knuspernde Stroh bei den Ziegen, auf manches einsame, verschlafene Goggeln von den Hühnern, auf das Rascheln, wenn der Wind am Dach entlangstreicht, auf das Trippeln der Mäuse, auf das Schnarchen meiner drei „Könige". Und irgendwann schlafe auch ich ein.

Ganz früh am nächsten Morgen gehe ich einfach zusammen mit Klaas und Rudolph aufs Feld. Ich habe Klaas gestern praktisch den ganzen Tag von der Arbeit abgehalten. Und nun genieße ich es, dass ich wenigstens einmal dabei sein darf. Ich führe ihm den Ochsen. Ich bewundere, wie gleichmäßig die Bauern das Getreide in die frische Furche werfen. Ich bin noch einmal Teil dieser wunderbaren Gemeinschaft. Am Vormittag dann verabschiede ich mich von ihnen und gehe zurück zum Dorf, mache mich etwas frisch und ziehe mich um.

Nicht lange danach trifft Karl ein. Die Begrüßung durch Kahn und Konrad ist rührend. Und ich habe mich wohl seelisch nicht genug darauf vorbereitet. Denn von nun an darf ich keinen einzigen Handgriff mehr alleine tun. Was auch immer ich anfassen will – Kahn ist schneller. Irgendwann bricht Karl in schallendes Gelächter aus beim Anblick meines verzweifelten Gesichts.
„Was war das angenehm mit Caspar, Melchior und Balthasar alleine!"
Nun müssen die drei auch herzlich lachen. Joseph, Benjamin und Ruven gesellen sich zu ihnen.
Wir reiten zügig los, denn wir wollen heute schon eine gute Strecke schaffen. An der Kreuzung im Wald entlohnen und verabschieden wir die drei „Könige". Sie werden nach Hause reiten, nach Duderstadt. Sie werden Siegfried Crüger berichten, was sich hier alles in der Zwischenzeit ergeben hat, und ihm ausrichten, dass ich in ein paar Wochen einen Boten schicken oder selbst vorbei kommen werde, um mich noch einmal zu bedanken. Und sie haben die ernsthafte Aufgabe zu überlegen, ob sie nicht vielleicht ganz und auch mit der Familie nach Gieboldehusen übersiedeln wollen.
Nun habe ich noch Joseph, Benjamin und Ruven, Karl, Konrad und Kahn um mich. Ich bin nicht mehr alleine. Ich weiß, wer ich bin, ich weiß mich geachtet. Und ich weiß, dass am Ende dieser Reise mein Bruder auf mich wartet.

Wir reden nicht viel in den folgenden Stunden, machen kaum Pause. Nach einem wahren Gewaltritt erreichen wir spät in der Nacht die Katlenburg. Ich hatte einen großen Bogen darum gemacht auf meiner Hinreise. Karl hingegen hat hier pausiert, um in dieser Gegend nach mir suchen zu können. Und so erkennt ihn der herausgeklopfte Burgherr schnell. Er wollte schon seine Hunde auf die nächtlichen Eindringlinge hetzen. Aber als er begreift, wer da vor der Tür steht, und dass ich verschollener Herzog auch mit von der Partie bin, lässt er uns von Herzen gern herein, klopft seine Dienerschaft wach, lässt uns bewirten, unsere Pferde versorgen und uns Zimmer herrichten.

Erst beim Frühstück finde ich die Gelegenheit, mich bei Karl nach Anna zu erkundigen.
„Wie hat sie es aufgenommen? Und ... weiß sie jetzt, wer ich bin?"
Einen Moment lang schaut er mich nachsinnend an.
„Ja, sie weiß es jetzt. Aber ich glaube, es ist ihr egal. Du erscheinst ihr so oder so unerreichbar. Sie ist jedenfalls wild entschlossen, dir nicht im Wege zu stehen. Du wirst kämpfen müssen ..."
Erstaunt blicke ich ihn an.
„Die Kinder ..."
Ich nicke.
„Ja. Die Kinder. Dabei weiß sie doch, wie sehr ich sie liebe. Du hast die Kleinen nicht erlebt, Karl. Sie haben mein Herz im Sturm erobert. Ich weiß gar nicht, wie ich auf Dauer ohne sie leben soll. In den dunkelsten Stunden haben sie mich immer noch lebendig fühlen lassen."

„Warts ab, ich gebe euch noch nicht auf. Sie hat mir übrigens was mitgegeben. Sie hat es zwischen den Dielen auf dem Dachboden gefunden. Das muss dir runtergefallen sein."
Mit diesen Worten zieht er aus seiner Gürteltasche einen kleinen Gegenstand und hält ihn mir auf der flachen Hand entgegen. Ich schnappe nach Luft.
„Der Siegelring! Dem Himmel sei Dank. Mir war gar nicht bewusst, dass ich den in jener Nacht mitgenommen habe. Ludo hätte mir den Kopf abgerissen, wenn ich den verschlampt hätte."
„Mindestens!"
Karl grinst und schiebt mir den Ring auf den Finger.
„Trag ihn, wenigstens bis morgen Nacht."

Heute können wir es gemächlicher angehen lassen. Am späten Nachmittag erreichen wir Northeim, wo ich in der versteckten Herberge meine ursprüngliche Kleidung auslöse. Karl und ich bummeln in der Abendsonne am Fluss entlang, um zu beraten, wie wir es morgen in Salzderhelden halten wollen. Ich weiß sicher, dass ich nicht erkannt werden möchte, bevor ich bei Ludo war. Und eigentlich möchte ich nicht einmal in der Heldenburg schlafen.

„Na, dann kommen wir eben erst kurz vor Toresschluss an, du ziehst dir die Gugel tief ins Gesicht. Ich werde sicher erkannt und darf mit Begleitung passieren. Und dann wohnst du einfach bei mir. Wenn im Schloss die Lichter ausgehen, gehst du wie gewohnt direkt in Ludos Zimmer, der Gang funktioniert wie all die Jahre zuvor. Und wenn ihr erstmal Wiedersehen gefeiert habt, siehst du weiter. Mach dir keine Sorgen, Hannes, das wird. Ludo wird dir bestimmt nicht den Kopf abreißen."

Erst am späten Vormittag verlassen wir Northeim und reisen gemächlich Richtung Nordwest. In einer Herberge am Wege machen wir lange Rast, bevor wir zum letzten Stück des Weges aufbrechen. Und bei Einbruch der Dunkelheit sehen wir die Mauern der Heldenburg vor uns aufragen. Ich bin zu Hause. Nach fast vier Monaten.

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14.1.2022

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