36 - Hannes und Ludo

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Mo. 19.3. a.d. 1571

Mich zu verstecken, zu verkleiden, mich unsichtbar zu machen, ist mir in den letzten Monaten so sehr zur zweiten Natur geworden, dass es mir überhaupt nicht schwer fällt, mir die Gugel über den Kopf zu ziehen und mit unseren Männern zu einer unauffälligen Gruppe Begleiter zu verschmelzen. Der Freund der Herzogensöhne ist vor zwei Wochen abgereist, der Freund der Herzogensöhne kommt heute Abend wieder – der Rest ist Beiwerk. Karl wird erkannt, und so kommen wir anderen völlig problemlos einfach mit in die Stadt. Wir reiten still zum Stadthaus der Familie Pagenstecher, Hurtig kommt dort mit in den Stall, Konrad kümmert sich darum. Kahn geht sofort ins Haus, um seinem Herrn gleich alles wieder bequem zu machen. Dann reiten die drei Wachen und Konrad zum Eingang des Schlosshofes, werden selbstverständlich hineingelassen und trennen sich, nachdem sie auch ihre Pferde versorgt haben.

Karl und ich gehen direkt zu seinem Vater, der – wie einer der Diener Karl mitgeteilt hat – noch wach ist und allein in seiner Bibliothek sitzt. Karl öffnet ohne Ankündigung die Tür, und ich folge ihm einfach. Während mein Freund seinen Vater begrüßt, halte ich mich im Hintergrund.
„Vater, welch Freude, Euch wohlauf zu sehen!"
Der treue Freund und Berater meines Vaters erhebt sich und geht Karl entgegen.
„Mein Sohn! Bitte sag mir, dass du erfolgreich warst. Ludwig wird immer mehr gedrängt, die Krone anzunehmen. Er hält das nicht mehr ..."
In dem Augenblick, wo er Karl zur Begrüßung umarmt, fällt sein Blick auf mich. Nun nehme ich die Gugel ab, lege den Mantel beiseite und verbeuge mich vor ihm.
„Hoheit! Dem Himmel sei Dank. Ihr lebt und seid gesund wieder hier!"

Der alte Mann verbeugt sich tief und ehrfürchtig vor mir. Schnell mache ich zwei Schritte nach vorn, greife nach seinen Schultern und ziehe ihn hoch.
„Ich bitte Euch, Pagenstecher, bleibt aufrecht. Ja, ich bin gesund und wieder hier. Aber ich bin ein anderer geworden. Ihr würdet mir sehr helfen, wenn Ihr mir – zumindest, solange wir unter uns sind – nicht unterwürfig sondern auf Augenhöhe begegnetet. Alles andere ertrage ich nicht mehr."
Langsam gewöhne ich mich an diesen verwirrten Blick der Menschen, die ich das bitte. Mit einer einladenden Geste zeigt er auf die Sessel am Kamin.
„Bitte, ... Euer Hoheit. Darf ich Euch einladen, Euch zu setzen?"
„Danke!"
Wir setzen uns an den Kamin, und ich ergreife das Wort.

„Ich möchte nicht zuviel Zeit verlieren. Ja, ich bin feige davongelaufen, weil ich mich völlig überfordert gefühlt habe. Ich hatte dann einen Unfall und dadurch mein Gedächtnis verloren. Erst der Anblick von Karl hat mir meine Erinnerungen zurückgegeben. Nun bin ich wieder da, möchte aber noch nicht offiziell im Schloss auftauchen. Darum bitte ich Euch, dass ich zumindest für diese Nacht Euer Gast sein darf. Und dann möchte ich gerne sofort zu Ludwig gehen, um ihn zu erlösen."
Wieder schaut der alte Pagenstecher mich irritiert an. Es ist offensichtlich weit außerhalb seiner Denkmöglichkeiten, dass ein Herzog nicht Ehrerbietung entgegennehmen und in seinem Schloss residieren möchte. Aber das werden sie jetzt alle lernen müssen ...
„Aber natürlich, Euer Hoheit. Gerne. Karl wird Euch das Zimmer zeigen, dann könnt Ihr so lange bei Eurem Bruder bleiben, wie Ihr wollt, und seid von uns unabhängig."
"Habt Dank, Pagenstecher. Auf Euch kann ich immer bauen. Dann will ich mich sputen, damit die dunkle Zeit und die Ungewissheit im Schloss bald ein Ende haben. Ich wünsche Euch nun eine gute Nachtruhe."
"Das werde ich haben, Hoheit, da Ihr wieder da seid."

Ich erhebe mich und gehe Richtung Tür, Karl folgt mir. Während wir die Treppen hinaufsteigen, sehe ich ihn kurz an.
„Du hast natürlich die Erlaubnis, deinem Vater zu erzählen, was alles vorgefallen ist. Rede ruhig frei heraus. Ich habe vor ihm so wenig Geheimnisse wie vor dir."
Mein Gepäck ist bereits hier, das Feuer im Kamin flackert, und ich befreie mich schnell ein wenig vom Schmutz der Reise. Karl begleitet mich noch in den Keller, wo hinter einem Stapel alter Kisten eine kleine Tür verborgen ist. Er öffnet die Tür.
„Grüße Ludo von mir. Und nimm dir alle Zeit der Welt. Ihr habt Nachholbedarf."
Dann geht er wieder nach oben zu seinem Vater. Ich hingegen wende mich der Tür zu.

Da sein Vater für dem meinen gedient hat, wurden wir drei Söhne gemeinsam erzogen. Und eines Tages stand Karl plötzlich in Ludos Zimmer, ohne dass ihn jemand hereingeführt hätte. Er hatte aus lauter Langeweile im Keller seines Vaterhauses gestöbert und dabei diese Tür und den dort beginnenden Geheimgang entdeckt. Natürlich war er seiner Neugierde gefolgt und ist tatsächlich neben dem Kamin in der Wand zwischen Ludos und meinem Zimmer herausgekommen. Es war ganz einfach, die Türen zu unseren Zimmern zu öffnen.
Während ich also mit leicht eingezogenem Kopf den Gang entlang gehe und mir selbst mit einer Kerze den Weg leuchte, erinnere ich mich, dass dieser Gang in meinen Träumen bei Anna Adam vorgekommen ist. Mit schlafwandlerischer Sicherheit folge ich dem Gang bis zu der Stelle, wo ich zu unseren Zimmern abbiegen muss. Gradeaus geht der Gang nämlich ins Brunnenhaus im inneren Schlosshof. Irgendwann mal haben wir drei Jungs die Schlossbibliothek durchforstet und herausgefunden, dass es noch mehr Gänge gibt, die als Fluchtwege gebaut worden waren. Manche davon haben wir genutzt.

Ich steige die enge Treppe in der Wand hoch und lande bei Ludos Zimmer. Ich lösche mein Licht und öffne so leise wie möglich den Mechanismus. Ein erster Blick durch den Spalt zeigt mir ein erschütterndes Bild. Mein Bruder steht am Fenster, gebeugt wie ein alter Mann, und starrt in die nächtliche Dunkelheit. Er weint. Und ab und zu murmelt er etwas. Ich öffne die geheime Tür ganz und trete ein.

„Hannes. Wo bist du? Komm heim!"
Mich überkommt eine Gänsehaut.
Wie in meinen Träumen. Er stand genau da am Fenster und rief immer wieder: "Hannes, komm heim!"
Ich stehe immer noch im Schatten neben dem Kamin.
„Ludo."
Mein Bruder erstarrt.
„Ich bin hier."

Ludo fährt herum, sieht mich – und sackt weinend in sich zusammen. Mit ein paar schnellen Schritten bin ich bei ihm und nehme ihn in die Arme. Das schlechte Gewissen brüllt in mir, auch wenn ich weiß, dass ich mit diesem Gedächtnisverlust gar nicht alleine heim finden konnte. Aber allein die Tatsache, dass ich einfach verschwunden bin, reicht ja schon. Ich habe ihn allein gelassen, als ich ihm hätte besonders nah sein müssen. Ich habe ihn allein gelassen mit der Trauer um Vater, mit dem Staatsbegräbnis, mit der aufkommenden Unruhe wegen meines Verschwindens, mit dem Übernehmen der Staatsgeschäfte, mit der Suche nach mir, mit dem wachsenden Druck der Berater und Würdenträger, die ihn entgegen seiner Hoffnung auf meine Rückkehr auf den Thron drängen wollten. Und ich habe ihn allein gelassen mit seiner tiefen, tiefen Angst um den Bruder, zu dem er immer ehrfürchtig aufgesehen hat.

„Ach, Ludo. Das kann ich nie wieder gutmachen. Ich hoffe, du wirst mir eines Tages verzeihen."
Sein Kopf fliegt hoch.
„Nein! Hannes, nein. Du musst nicht ... Ich bin doch nur so froh, dass du wieder da bist. Ich habe doch natürlich ..."
„Ludo. Es war eine Qual für dich. Verursacht durch mich. Durch meine Feigheit."
"Nein, Hannes. Du ..."
"Ludo! Hör auf, mich wie einen Heiligen zu behandeln. Hör auf, einen Heiligen in mir zu sehen. Ich bin in so vielerlei Hinsicht schwach. Wie jeder Mensch. Und du hast nun vier Monate lang gelitten, weil ich mich aus dem Staub gemacht habe. Das war nicht recht."

Allmählich richtet er sich auf und schaut mir nun grade in die Augen.
„Warum bist du nicht eher gekommen, Hannes? War dir das alles hier so egal, war ich dir egal?"
Er wird immer leiser bei seiner Frage. Ich schüttele schnell den Kopf.
„Nein, Ludo, du warst mir keine Sekunde lang egal. Es ist eine lange Geschichte, und ich will sie dir gleich erzählen. Nur sofort vorweg: ich hatte durch einen Unfall vollständig mein Gedächtnis verloren, selbst meinen eigenen Namen. Nur den Spitznamen Hannes haben wir durch meine Träume herausgefunden. Ich war tatsächlich darauf angewiesen, dass Karl kommt und mich findet."

Völlig vertieft in unser Gespräch und aus uralter Gewohnheit seit unserer Kindheit klettern wir zum Reden auf sein Bett und ziehen die Vorhänge um uns zu. Und dann erzähle ich auch ihm alles, was in den letzten vier Monaten geschehen ist. Nur Anna – ja, die kommt dabei ein wenig zu kurz, das will ich ihm erst später sagen. Ich will nicht, dass er glaubt, dass ich nun im Endeffekt wegen Anna abdanken will. Denn die Wahrheit geht ja viel tiefer.
„Ich weiß gar nicht, warum ich nicht erschüttert bin, dass mein eigener Verwalter mich einfach so aus dem Weg räumen wollte. Und immer noch will. Es ist ein Verbrechen, es ist völlig verrückt und kurzsichtig, denn er hätte das Lehen auch nach meinem Tode niemals bekommen sondern dann eben jemand anderes. Aber es ... wie soll ich sagen ... das ist unwichtig neben all dem, was in dieser Zeit mit mir passiert ist, in mir passiert ist. Was ich über mich selbst gelernt und verstanden habe."
Ludo hat mir die ganze Zeit aufmerksam zugehört. Er hat dabei mit mir gebangt und gehofft, geweint und gelacht. Ich rede weiter, all das neue in mir sprudelt nur so aus mir heraus. Es tut so gut, das mit dem Bruder zu teilen! Und immer berührt Ludo mich, als wolle er sich vergewissern, dass ich wirklich da bin, dass ich mich nicht gleich wieder in Luft auflöse.

Dann verblüfft er mich.
„Und was ist mit Anna? Wirst du versuchen herauszufinden, wer sie ist? Wirst du versuchen, sie für dich zu gewinnen?"
Etwas überrumpelt starre ich Ludo an. Aber er lacht nur.
„Hast du allen Ernstes geglaubt, du könntest das vor mir verbergen? Hannes, ich bereue zutiefst, dass ich in jener Nacht so rundheraus abgelehnt habe, dich von der Herzogenwürde zu befreien. In den vielen, vielen Stunden, die ich dort am Fenster verbracht und in die Dunkelheit gestarrt habe, habe ich begriffen, dass nicht wichtig ist, dass DU Herzog wirst. Sondern dass es derjenige von uns werden muss, der dazu bereit und in der Lage ist, damit wir beide glücklich werden können.
Vater hat entgegen der Tradition der Welfen entschieden, dass das Land nicht noch einmal geteilt werden soll, und, dass du der Erbe wirst. Du hast immer gesagt, dass du dich der Aufgabe nicht gewachsen fühlst, mir ist es immer leichter gefallen, hat mich viel mehr interessiert, dafür zu lernen. Also – werde ich eben Herzog. Tritt vor den Rat, danke offiziell ab, und ich freue mich darauf, in dir einen Berater zu haben, der wirklich weiß, was die Menschen in meinem ... in unserem Land wollen und brauchen, damit es uns allen gut geht. Und dann hol dir deine Anna und werde glücklich."

Ich atme tief durch und nehme ihn fest in die Arme. Dass er dazu nicht mehr gedrängelt werden muss sondern mir das so frei heraus sagt und anbietet, bedeutet mir viel. Er kann diese Aufgabe annehmen und ausfüllen. Ich könnte es nicht. Nicht so wie er.
„Danke, Ludo. Du beschenkst mich und nimmst mir eine schwere Last von den Schultern. Allerdings ... weiß ich noch nicht, ob ich dadurch Anna werde gewinnen können."
Erstaunt schaut er mich an.
„Wieso sollte sie das nicht wollen?"

Also erzähle ich ihm nun doch mehr von Anna. Von ihrer Herkunft, ihrer Zeit im Waisenhaus, ihrer Ziehmutter. Ich erzähle ihm, wie sorgfältig und fürsorglich die Freundin unserer Tante Agnes das Waisenhaus geführt, die Schule gegründet und jedem einzelnen Kind einen guten Start ins Leben ermöglicht hat.
„Eine Schule??? Für Waisenkinder? Wie ungewöhnlich!"

„Naja, natürlich sind alle Kinder dort im Städtchen in die Schule gegangen. Ich finde eher ungewöhnlich, dass sie die Kinder bei sich behalten hat, bis sie einen zu ihren Gaben passenden Beruf gefunden und eine Ausbildung dazu gemacht haben. Es heißt, dass diese Waisenkinder besonders gerne in Stellung genommen wurden, eben weil sie eine gefestigte Persönlichkeit und aufrichtige Freude an ihrem Beruf mitbrachten. Anna zum Beispiel ist eine kunstfertige und ausdrucksstarke Feinstickerin."

„Was ist daran natürlich, dass alle Kinder in die Schule gehen? Und wieso ist Anna Adam dann aufs Dorf gezogen, statt ihrem Beruf nachzugehen?"
„Weil kurz nach Tante Agnes Tod der alte Verwalter in den Ruhestand ging und der neue Verwalter eingestellt wurde. Eben dieser mein 'bester' Freund Brudenhusen. Er hat sofort die Gelder gekürzt. Als Frau von Lenthe dann starb, hat er die Schule geschlossen und eine neue Leitung für das Waisenhaus eingestellt, die sofort alle älteren Kinder in Stellung geschickt hat. Alle Kinder müssen seitdem von klein auf hart arbeiten, haben keine Schulbildung und keine Ausbildung und verschwinden so schnell wie möglich in irgendeinen niederen Dienst. Anna war die Älteste, sie hat einmal gesagt, dass es ihr schien, als wolle Frau von Lenthe sie gar nicht weggeben. Und darum war sie natürlich sofort weg, als die neue Leitung kam."

„Als Magd eines unfreien Kätners in den hintersten Winkel des Landes. Wie grausam. Aber nach dem, was du mir erzählt hast, hat sie auf unvergleichliche Weise die Gabe, alles anzunehmen, was das Leben ihr bringt, und das beste daraus zu machen."
Ich sehe einen Augenblick ihr zartes Gesicht vor meinem inneren Auge.
„Ja, das hat sie. Das ist Anna."
Einen Moment lang hänge ich meinen Gedanken nach. Schließlich fragt Ludo weiter.
„Aber das erklärt noch nicht, warum sie dich nicht heiraten wollen würde. Warum sollte sie der Standesunterschied stören, wenn er dich nicht stört?"
Ich schüttele mir die Bilder von Anna aus dem Kopf.

„Sie kam zu Bauer Adam, weil dessen Frau in anderen Umständen, aber sehr krank war. Die Frau starb, Anna erbte dieses Neugeborene, ein Jahr später wurde sie geheiratet und bekam selbst zwei Kinder. Noch während sie mit dem zweiten guter Hoffnung war, brachte der Brudenhusen den Bauern Adam um, weil der ihm zu aufmüpfig war. Nun ist sie 21 Jahre alt, Witwe und hat drei Kinder, zwei eigene und einen Waisen von einem unfreien Kätner, der eines Tages des Vaters Nachfolge antreten wird. Mir wird schon schlecht, wenn ich daran denke, wie sie schräg von der Seite angesehen und in der Gesellschaft geschnitten wird, wie ihre Kinder damit aufwachsen müssen, verachtet zu werden."

Ludo nickt bedächtig.
„Was ist das Besondere an Anna Adam?"
„Dass sie ein so wunderbares, positives, tapferes Wesen hat. Und dass sie so ungewöhnlich gut und umfassend gebildet ist wie unsereins."
„Weiß sie irgendetwas über ihre Herkunft?"
„Nichts. Sie hat nur ihr inneres Band zur Freifrau von Lenthe und einen kleinen Schlüssel um den Hals."
„Dann, lieber Bruder, solltest du herausfinden, was diese beiden Frauen verbindet und in welches Schloss dieser Schlüssel passt. Kopf hoch, Hannes. Es ist noch nicht in Stein gemeißelt, dass sie nicht in dein Leben passt. Und jetzt lass uns überlegen, wie die nächsten Wochen aussehen sollten."

Gemeinsam planen wir nun, wie ich mein Wiederauftauchen gestalten soll, wie wir das mit dem Abdanken machen sollen. Wir überlegen, die Krönung von Ludo für Ostern in vier Wochen anzusetzen. Und dann wenden wir uns dem dringlichsten Problem zu – der Festnahme von Brudenhusen und Hauser.
„Wenn du das Lehen übernimmst, dann stehst du erstmal ohne kundigen Verwalter da. Wie willst du das bewerkstelligen? Wem dort kannst du trauen?"
„Darüber habe ich nun auch schon reichlich nachgedacht. Und ich habe beschlossen, den alten Verwalter von Tante Agnes zu fragen, ob er zurückkommen und jemand Jüngeren einarbeiten könnte. Wenn der Mann dazu bereit ist, kommt zunächst wieder alles ins Lot, wie es vorher war. Und ein neuer Verwalter könnte von da aus mit mir gemeinsam das Lehen zu neuer Blüte bringen. Meine erste Sorge ist aber, wie ich konkret da auftauchen und den Mann absetzen kann. Gehe ich allein, nehme ich einige Soldaten mit? Was mache ich dann mit den beiden Männern?"

„Das kann ich dir genau sagen, Hannes. Du wirst nirgendwo mehr alleine hingehen! Du wirst eine Anzahl Landsknechte mitnehmen und die beiden hübsch hierherbringen. Du musst gar nicht nach den Verbrechen an deinem Volk dort fragen. Sie haben versucht, dich zu ermorden, und dafür kriegen sie hier in der Hauptstadt erst einen hübschen Prozess und dann einen hübschen Strick um den Hals. Das ist Hochverrat. So einfach ist das."
„Naja. Nun hat der Brudenhusen sich nicht die Finger schmutzig machen wollen und darum den Hauser beauftragt. Und der hat sich nicht die Finger schmutzig machen wollen und darum irgendwelche vier Männer in diesen Wald geschickt. Wen willst du nun aufknüpfen? Der blinde Jasper hat eine Stimme erkannt. Aber wessen? Und wie beweisen wir, dass der Brudenhusen und der Hauser dahinter stecken?"
„Hast du nicht gesagt, Karl hätte die beiden belauscht? Dann erkennt der eben auch noch ein paar Stimmen ... Wenn ihr so überzeugt seid von deren Schuld, dann habe ich da keine Skrupel."

Plötzlich bekommen wir beide einen gewaltigen Gähnanfall und müssen dann furchtbar lachen. Ich schiebe den Vorhang etwas beiseite und sehe erstaunt, dass die Morgendämmerung bereits hereingebrochen ist.
„Ludo? Wir sollten versuchen, noch etwas Schlaf zu bekommen. Dein Kammerdiener soll alle abwimmeln. Schick mir doch am Vormittag meinen Kammerdiener mit angemessener Kleidung rüber. Ich komme dann gegen Mittag wieder – auf Hurtig durchs große Tor. Du berufst spontan den Rat ein, und ich verkünde meinen Entschluss abzudanken und dir die Herzogenwürde zu überlassen. Während ich mich darauf vorbereite, meinen Verwalter und Fastmörder auszuheben, können unsere Rechtsgelehrten herausfinden, wie das Abdanken vor sich gehen sollte. Und dann sollte ich spätestens übermorgen wieder abreisen, damit wir diese arme Braut und ihren Vater rechtzeitig unterrichten können. Ich muss ja ein paar Tage dort Ruhe hineinbringen und rechtzeitig zu deiner Krönung an Ostern wieder hier sein."
„So machen wir es. Ab mit dir, Hannes. Wir sehen uns in ein paar Stunden wieder!"

Lange und herzlich nehmen wir uns in die Arme, bevor ich wieder in der Wand verschwinde und zurück zum Haus der Pagenstechers gehe. Als mein Kammerdiener Laub mich ein paar Stunden später weckt, habe ich tief und traumlos geschlafen. Der gute Mann drückt mir in rührenden Worten seine Freude darüber aus, dass ich wieder aufgetaucht bin, und betüdelt mich vorne und hinten. Aber das muss ich ihm ein andermal austreiben. Jetzt suche ich erstmal Karl und seinen Vater und kündige den beiden an, dass sie sicher gleich ins Schloss gerufen werden. Ich esse eine Kleinigkeit und gehe in den Stall.
Hurtig begrüßt mich freudig. Einen Moment gönne ich mir noch die Ruhe, die das große Tier auf mich ausstrahlt. Dann reite ich zum Schloss. Schon in den Straßen werde ich erkannt. Bis ich am großen Tor bin, laufen bestimmt schon einhundert Bürger hinter Hurtig her und jubeln. Den Wachen fallen bald die Augen aus dem Kopf, Konrad nimmt mir Hurtig ab und dann schreite ich über die große Treppe ins Schloss.

Die kommenden zwei Tage sind ein einziger Wirbel um meine Person und in meinem Kopf. Die stark verkürzte Version meiner Erlebnisse ruft Bestürzung und Zorn hervor. Bei meiner Ankündigung, dass ich abdanken und Ludo den Thron überlassen werde, herrscht ungläubiges Schweigen. Es folgen Beratungen, manch einer versucht noch, mich umzustimmen. Traditionen werden beschworen, der Geist unseres Vaters herbeizitiert. Aber dann haben es alle verstanden und richten sofort ihre ganze Aufmerksamkeit auf Ludo. Wie wir es besprochen haben, wird die Krönung für Ostern angesetzt.
Ich sammele eine Truppe von dreißig Mann zusammen, auch Karl macht sich wieder reisefertig, und schon früh am Morgen sind wir wieder auf der Straße. Mein fleißiger und besorgter Kammerdiener Laub ist ziemlich empört, dass er auch diesmal zurückbleiben muss. Aber Joseph, Benjamin und Ruven sind wieder dabei und natürlich Konrad, denn sie sind die einzigen außer uns, die ortskundig sind. Wir lassen die Pferde tüchtig ausgreifen und kommen so zügig vorwärts. Nach zwei Tagen lagern wir in einem Waldstück eine Weile vor Gieboldehusen.

Am späten Nachmittag brechen Karl, Konrad und ich gemeinsam auf. Zu Anna. Denn wir sind uns einig, dass wir sie erst da rausholen wollen, bevor wir das Schloss stürmen und die beiden Übeltäter zu verhaften suchen.
Es ist bereits dunkel, als wir bei Gieboldehusen eintreffen. Es gibt ein kleine, gut befestigte Tore in der Stadtmauer, und eines davon ist direkt bei der Schenke, in der Karl und sein Wachmann Joseph sich am ersten Samstag beraten und von der Hochzeit erfahren hatten. Dort vor der Mauer hat der Wirt eine große Weide und darum ein Tor aus seinem Stall dorthin. Es ist alles still dort, wir bringen einfach Konrad und unsere Pferde in den Stall, nachdem wir einen Stallburschen herausgetrommelt haben. Dem machen wir klar, dass binnen Kurzem eine junge Frau herkommen wird, die dann ein ordentliches Zimmer braucht.

Karl und ich laufen zum Schloss. Das Tor zum Wirtschaftshof ist nicht verschlossen, ein Zeichen dafür, wie angespannt und durcheinander hier inzwischen alles ist. Wir kommen problemlos hinein und gehen leise an die Hintertür. Hinter Annas Fenster ist noch Licht. Ich stelle mich in den Schatten, während Karl an die Scheibe klopft.

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15.1.2022

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