56 - Das Geheimnis der von Thadens

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SA. 5.5. a.d. 1571

Sobald die Kutsche mit Anna und den Kindern nicht mehr zu sehen war, habe ich auf dem Absatz kehrt gemacht, bin hinein gegangen zu Bader und habe mich mit ihm erneut in die Arbeit gestürzt. Nur nicht nachdenken!

Anna hat sich wohlgefühlt, Linde hat eine Freundin gefunden, die Kinder haben sich herrlich vergnügt. Und Annas Vater ist benachrichtigt. Mehr konnte ich von diesen Tagen nicht erwarten. Ich muss einfach langsam machen.

Der Donnerstag und Freitag gehören dann Barkhausen, meinem Stallmeister und meinen anderen Bediensteten, die für meine eigenen Ländereien zuständig sind. Ich lasse mir alles zeigen, die bisherige und die Brudenhusensche Bewirtschaftung erklären. Ich steige tiefer ein in die Verteilung der Aufgaben im Haus, im Stall, auf dem Hof und auf den Ländereien.
Im Schloss in Salzderhelden habe ich über all das nie nachgedacht. Dafür waren Bedienstete da, das passierte alles einfach. Aus Mutters Buch weiß ich wohl, dass die Hausdame ihr jeden Morgen die Menu-Folge vorlegen musste, dass der oberste Diener Vater monatlich eine Abrechnung vorlegen musste, dass ... Aber ich selbst habe nie etwas davon mitbekommen. Ich muss mal Ludwig fragen, ob er als Kind mehr davon "gesehen" hat als ich.

Inzwischen wiederholt sich vieles, aber das ist gut, denn so werde ich immer sicherer und kann die Zusammenhänge immer besser verstehen.
Abends sitzen Bader und ich gemütlich zu zweit beim Mahl und anschließend am Kamin oder im Herrenzimmer. Inzwischen habe ich ihm auch so ein sonniges Plätzchen einrichten lassen, wie er es zu Hause bei seiner Tochter hat. Dann „thront" er in seinem Fasssessel, ruht sich aus und schmunzelt über seine eigenen Gedanken.

Am Samstag Vormittag besuche ich den Kommandeur meiner kleinen Stadtwache, begehe mit ihm die Stadtmauern, inspiziere die Tore und Verteidigungsanlagen und stelle mich den Wachmännern persönlich vor. Da ist einiges veraltet, aber wir leben in Frieden mit unseren Nachbarn, und so kann ich solche aufwändigen und kostspieligen Neuerungen hintenan stellen, wenn die Wirtschaft im Lehen wieder stabil ist.

Gegen Mittag stehe ich mit dem Kommandeur auf dem Westtor. Wir schauen weit ins Land und können genau in dem Moment in der Ferne auf der Straße eine rasch größer werdende Staubwolke ausmachen. Es dauert eine Weile, bis das Gefährt so nah ist, dass wir eine große, geschlossene Kutsche erkennen können. Das robuste Gefährt hat einiges an Gepäck geladen und hält auf das Tor zu. Erst jetzt können wir auch sehen, dass ein einzelner Mann nebenher reitet.
Da begreife ich plötzlich, was ich grade sehe. Der Reiter ist Gunther von Thaden, und in der Kutsche werden sein Gepäck und vielleicht sein Begleiter sein. Reiter und Kutsche halten vor dem Stadttor an, und so kann ich gleich herunterrufen, damit von Thaden mich bemerkt. Ich bedanke mich noch mal beim Kommandeur für seine informative Führung und eile die Stufen des Turmes hinunter, um meinen neuen Verwalter willkommen heißen zu können.

„Willkommen in Gieboldehusen, von Thaden. Hattet Ihr eine angenehme Reise?"
"Bestes Wetter und angenehme Wege. Es war nicht leicht, mich loszueisen, aber es ist gelungen. Und nun bin ich sehr neugierig auf meine Aufgabe."
"Und – wenn ich so neugierig sein darf – seid Ihr allein oder zu zweit?"
Gunther von Thaden lächelt mich nervös an und reicht mir die Hand zum Gruß.
„Wir sind zu zweit, Herr. Meine rechte Hand sitzt in der Kutsche."
„Dann will ich doch gleich mit einsteigen und den Kutscher zum Schloss dirigieren. Ich bin froh, dass Ihr da seid."
Von Thaden schaut etwas zweifelnd, doch ich habe schon den Schlag geöffnet und mich in die Kutsche geschwungen. Auf der Bank dort sitzen zwei Männer. Der eine ist etwas einfacher gekleidet und könnte ein persönlicher Diener sein. Der andere ist ... Gunther von Thaden wie aus dem Gesicht geschnitten!

Na hoppla! Was ist das denn? Wenn das nicht Brüder sind, dann bin ich der Papst. ...

Ach, daher weht der Wind! Der Mann möchte endlich 'vorurteilsfrei leben können'  ...

Ich verstehe. Na - das kann er haben. Mir ist egal, wer seine Mutter und Vater waren. Wenn er gute Arbeit macht, ist er willkommen hier.

Ich verbeuge mich kurz und purzele dann durch das Anfahren der Kutsche von allein auf die gegenüber liegende Bank.
„Johann von Grubenhagen. Auch Euch ein herzliches Willkommen, meine Herren."
Der Diener verbeugt sich so tief, wie es die sitzende Position erlaubt, schaut seinen Nachbarn abwartend an, als von dem aber nichts kommt, stellt er sich mir vor.
„Braun, hoher Herr. Es ist mir eine Ehre. Ich bin der Diener des Herrn von Thaden."

Ich lächele ihn an und wende dann meine Aufmerksamkeit dem anderen Mann zu. Der fühlt sich deutlich sichtbar unwohl in seiner Haut und scheint zu überlegen, wie er sich denn vorstellen soll. Um ihm etwas Zeit zu verschaffen, drehe ich mich herum, öffne die Klappe und dirigiere den Kutscher auf den richtigen Weg zum Schloss. Erst, als wir auf der Allee sind, setze ich mich normal wieder hin, beuge mich dann aber aus dem Seitenfenster und rufe von Thaden etwas zu.
„Zu dieser Jahreszeit ist diese Allee am allerschönsten."
Er nickt mir zu und lächelt angespannt. So bin ich froh, dass wir kurz darauf vor dem Schloss anhalten und aussteigen.

Ich schicke einen Burschen zu Konrad, der auch gleich angewetzt kommt. 
„Kümmerst du dich um die Pferde und den Kutscher, Konrad?"
„Ja, Herr. Ich werde ihm alles zeigen."
Gunthers Diener bleibt gleich in der Kutsche, damit er für das Gepäck sorgen kann. Der zweite Fremde will sich der Kutsche anschließen, doch ich denke, es ist für die beiden am besten, wenn sie ihr Geheimnis so schnell wie möglich loswerden und sich dann normal fühlen können. Ihre Unsicherheit ist mit Händen zu greifen, und das muss ja nicht sein. Also schaue ich beide lächelnd an und bitte sie herein.
„Darf ich die Herren bitten, mir zu folgen? Es wird sogleich für eine Erfrischung gesorgt werden."
Barkhausen erscheint in der Halle, weil ihm schon von den Neuankömmlingen berichtet worden ist.
„Barkhausen, darf ich um einige Erfrischungen in meinem Arbeitszimmer bitten? Und zum Mittag zwei Gedecke mehr bitte."

Dann geleite ich die beiden jungen Männer in mein Arbeitszimmer und bitte sie, Platz zu nehmen. Es ist sehr still in meinem Rücken, als ich die Tür schließe. Ich wende mich zu meinem Schreibtisch und nehme ebenfalls Platz.
„Gunther, ich bin wirklich froh, dass Ihr hier seid, es liegt ungeheuer viel Arbeit vor uns. Und ich begrüße auch, dass Ihr Euren Freund mit herbringen konntet.
Ich hoffe, es ist nicht unhöflich, aber ich falle gleich mit der Tür ins Haus, weil ich spüre, dass Euch das unangenehm ist. Ihr habt mir Euren Freund angekündigt damit, dass er sicher mit Freuden hierher kommen wird. Wenn ich Euch beiden ins Gesicht sehe, habe ich eine Ahnung, warum."
Ich sehe dem zweiten Mann direkt in die Augen.
„Ich vermute, Ihr seid ein unehelicher Bruder von Gunther und wurdet darum auf dem elterlichen Gut immer nur geduldet, schlecht behandelt und so weit wie möglich von der Familie ferngehalten."
Beide schlucken.

Dann hebt Gunther an zu sprechen.
„Ja, Herr. Ich ... hätte es dazusagen sollen. Es war nicht recht, meinen „Freund" einfach so mitzubringen. Ich ..."
Ich schüttele den Kopf.
„Gunther, Ihr kennt mich noch nicht lang. Aber eines wisst Ihr: ich halte mich ungern an Regeln. Und in diesem Falle gilt für mich: Jeder Mensch wird als Gottes geliebtes Kind geboren. Was die Väter verbrochen haben, sollten die Kinder nicht als Last aufgeladen bekommen. Ja, dies hier ist Eure Möglichkeit, von vorne anzufangen, werter Herr. Ich heiße auch Euch ausdrücklich willkommen."
Der schüchterne Bruder atmet erleichtert aus, steht auf und verbeugt sich vor mir.
„Hoher Herr, es wird mir eine Ehre sein, Euch dienen zu dürfen. Ich bin Gert Maier und ... Gunthers Halbbruder, wie Ihr zu Recht erkannt habt."
Gunther hat nicht übertrieben. Er hat seinen Bruder wirklich alles gelehrt, was er selbst kann. Gert Maier spricht klares, dialektfreies Deutsch und weiß seine Worte zu wählen.
„Und wie es so üblich ist, hat mein werter Herr Vater sich vergnügt und dann die Milchmagd ihrer Schönheit und ihrem Elend überlassen. Meine Eltern haben sich redlich Mühe gegeben, mich von Gert fernzuhalten. Aber er ist im gleichen Alter, und so haben wir uns immer wieder gefunden und sind trotz aller Widerstände miteinander groß geworden. Alles, was ich je gelernt habe, habe ich mit ihm geteilt und ihn dann, kaum dass ich meines Bruders Verwalter wurde, zu meinem Mitarbeiter gemacht."

Ich bin froh, dass die beiden nun so ehrlich sind, dass sie ihre Anspannung loslassen können, und dass sie kein Problem mitgebracht haben, das ich nicht händeln kann.
„Nun, Gert Maier, dann sollten wir jetzt sofort eine offizielle Antwort beschließen, die alle Frager zufriedenstellt, damit Ihr Euch hier vorurteilsfrei zu Hause fühlen dürft."
Die beiden starren mich mit großen Augen an.
„Ihr meint, ..."
„Ich meine, dass man auf den ersten Blick sieht, dass Ihr Brüder seid. Wenn wir uns sehr einig sind und das strikt vertreten, kann ich Euch zu Vettern machen, damit wäre auch der andere Nachname erklärt. Und natürlich könnten wir auch einfach an Eurem Nachnamen drehen, Maier. Wenn wir das jetzt und hier entscheiden, dann können wir Euch sofort allen richtig vorstellen, und Ihr habt ein für alle Mal Ruhe."
Stumm starren sich die beiden an.

„Entschuldigt mich bitte für einen Augenblick, meine Herren. Ich bin gleich wieder da."
Ich erhebe mich und gehe nach nebenan zu Albrecht Bader. Der schaut mir neugierig entgegen.
„Ich habe gehört, der neue Verwalter ist da. Einer oder zwei?"
Ich hatte ihm ja von der seltsamen Ankündigung erzählt und kann nun zufrieden antworten.
„Zwei. Halbbrüder. Unfreiwillig ... Für den gehassten Bastard ist das hier die Möglichkeit, endlich ein normales Leben führen zu können. Und die beiden scheinen ein Herz und eine Seele zu sein."
„Na, dann immer herein in die gute Stube mit dem jungen Mann. Wir wehren uns nicht."

Ich warte noch einen Moment, bevor ich langsam die Zwischentür wieder öffne und rückwärts gewandt zu Bader laut rede.
„Dann macht doch bitte die Papiere für die beiden jungen Männer fertig. Ihre Unterbringung wird Frau Jansen klären, und über den Lohn werden wir uns in Ruhe unterhalten, wenn sie richtig angekommen sind."
Damit schließe ich die Zwischentür, drehe mich um und setze mich wieder auf meinen Platz.
„Verzeiht, meine Herren. Ich habe eben nur schon etwas geklärt."
Ich sehe sie an.
„Und? Habt Ihr eine Lösung erdacht?"
Gunther von Thaden räuspert sich.
„Wir ... haben gedacht, dass eine Schwester meiner Mutter, ... Also ... unter Stand ... Gert ist mein Vetter."
„Und ... ich möchte den Nachnamen behalten, denn meine Mutter hat ihr Schicksal so wenig gewählt wie ich. Ich möchte ihren Namen nicht verleugnen."

Es wird so viel gemogelt in dieser Welt. Wenn ich damit diesem jungen Mann zu einem friedlichen Leben verhelfen kann – dann mogele ich jetzt eben auch.

„Gut. Dann habe ich also einen ehemaligen Verwalter Albrecht Bader, einen zukünftigen Verwalter Gunther von Thaden und einen Verwaltungsgehilfen Gert Maier. So sei es."
Ich läute nach Frau Jansen. Gemeinsam mit ihr und dem alten Bader besprechen wir, wie wir in den kommenden Monaten die Büros und die Räume der Verwalter-Wohnung einteilen wollen. Dann gehen die drei Männer mit der Hausdame direkt hinüber und entscheiden, wie sie es miteinander halten wollen. Kurz darauf wird ihr Gepäck hereingebracht, und die beiden jungen Männer können sich etwas frisch machen von der Reise.

Als wir uns wenig später zum Mittagessen im Speiseraum versammeln, sehen beide entspannter und sehr zufrieden aus. Ein gutes Mahl und leichtes Geplauder sorgen dafür, dass sie und Bader sich ganz ungezwungen kennen lernen können. Als Bader sich zum Mittagsschläfchen zurückzieht, bitten die beiden, einfach einen Spaziergang durch die Höfe machen zu dürfen.
„Selbstverständlich, meine Herren. Steckt Eure Nasen in jede Ritze, fragt jeden aus, der Euch über den Weg läuft, kommt erst einmal in Ruhe an. So richtig losgehen wird es dann für Euch am Montag."

Im Laufe des Samstags und des Sonntags haben wir immer wieder Gelegenheit, einander zu begegnen und uns aufeinander einzustellen. Gunther und Gert verstehen sich sofort bestens mit Bader, der den beiden mit seinem Freimut und Humor alle Scheu nimmt. Ob Gert Maier ein von hat oder nicht, ist mir herzlich egal. Die beiden Brüder gehen ihr neues Leben mit großer Wissbegierde und Ernsthaftigkeit an und verstehen sich dabei blind. Sie werden ein hervorragendes Gespann bei der Verwaltung meiner Güter abgeben. Sie erkunden auch gemeinsam das Städtchen, machen Ausritte und knüpfen Bekanntschaften mit den verschiedenen Bediensteten, die für ihre Arbeit wichtig sind.
So können wir uns am Montag Morgen gemeinsam in die Arbeit stürzen, denn da ich am Mittwoch endlich den Zug über die Dörfer antreten will, müssen wir diesen Tag gut vorbereiten. Dabei werden von Thaden und Maier gleich in alle wichtigen Probleme eingeführt, die wir vom Brudenhusen geerbt haben, und allen Vögten vorgestellt, mit denen sie es in Zukunft zu tun haben werden.

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9.2.2022

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