62 - Der Hochzeitsball

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Sa. 7.7. a.d. 1571

Die Zeit vergeht wie im Fluge. Auf einmal klopft es, und Hannes steckt den Kopf zur Tür rein. Die Kinder begrüßen ihn stürmisch, aber ausnahmsweise grüßt er nur zurück und wendet sich gleich an mich.
„Anna, ... Ludo hat mich geschickt. Er lässt fragen, ob ... er unsere Verlobung beim Ball bekannt geben darf."
Ich schnappe nach Luft und schlage die Hände vors Gesicht.
Will ich das? Dass mich 300 Augenpaare gleichzeitig ansehen? Ich gebe mir einen Ruck. Ich habe Ja gesagt. Also sage ich zu allem Ja!
"Du musst nicht Anna!"
Mutig hole ich tief Luft und sehe Hannes an.
„Ich will aber."
Er grinst.
„Da ist es ja wieder, mein tapferes Mädchen!"
Wir lächeln und sehen uns in die Augen.

„Dann will ich gleich gehen und Ludo Bescheid geben. Was ... wirst du heute Abend anziehen? Ich fand das Blaue von deinem Geburtstag ganz besonders schön ..."
„Wie gut, dass wir uns sowieso dafür entschieden haben."
Damit verabschiede ich Hannes, der davoneilt, und gehe selbst in mein Gemach, wo mich meine Zofe erwartet, um mich einzukleiden und zu frisieren.
„Edle Dame, ich finde dieses Kleid ganz wunderbar. Es wird schlichter sein als alle anderen im Saal. Aber der Schnitt und die feinen Spitzen und Eure aufrechte Haltung werden Euch dennoch über alle Damen strahlen lassen."
Dazu legt sie mir Schmuckstücke aus dem Besitz der seligen Herzogin an, die aus tiefblauen Saphiren und Perlen bestehen. Ich sehe in den Spiegel und kenne mich selbst nicht wieder.
Doch. Das ist mein Lächeln, wenn ich an die Kinder denke, das ist mein Strahlen, wenn ich an Hannes denke. Das bin ich, genauso wie die Witwe Anna Adam in ihrer Kate. Und ich darf beides sein. Danke, Gott!
„Ich danke dir. Du hast mich verzaubert! Ohne deine geschickten Hände wäre ich nur halb so schön."
Die junge Frau strahlt bei meinem Lob.

Zur verabredeten Zeit trete ich aus meinem Gemach und treffe sogleich auf meine Begleiter, die mich wieder unter ihre Fittiche nehmen. Wir werden von einem Diener zum Ballsaal geleitet, wo schon einige Menschen versammelt sind oder noch vor der Tür warten, bis sie hereingebeten und laut vorgestellt werden. Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Hätte ich mich doch nur unauffälliger angezogen! Aber dann sind wir schon an der Reihe, und ein hoher Beamter des Herzogs ruft laut unsere Namen in den Saal.
„Ich habe die Ehre, Graf und Gräfin von Bottlenberg-Schirp zu begrüßen. In ihrer Begleitung heißen wir willkommen Anna Teresa von Brabeck-Lenthe."

Alle Augen richten sich auf mich. Ich glaube, ich werde grade so dunkelrot im Gesicht, wie mein Kleid dunkelblau ist. Schnell wenden wir uns den Gastgebern zu, damit es sich hinter uns nicht staut und die Aufmerksamkeit der Versammelten sich auf die nächsten Gäste ausrichten kann. Ludwig und Clara von Grubenhagen stehen beisammen, um als Herzog und Herzogin ihre Ballgäste zu begrüßen. Ich lasse meinen Begleitern den Vortritt und falle dann in einen tiefen Knicks vor dem Paar. Clara spricht mich an.
„Anna, ich freue mich, dass du heute dabei bist. Wenn ich sehe, wie glücklich Hannes ist, freue ich mich noch einmal, dass unsere beiden Männer rechtzeitig zu Verstand gekommen sind und die Rollen getauscht haben. Du siehst wundervoll aus. Ich bin stolz, dass du alles so gut meisterst."
„Danke, Hoheit. Ich fühle mich sehr geehrt und werde dieses Lob an meine selige Mutter weitergeben, die mich zu dem erzogen hat, was ich heute bin."
Warm lächeln wir uns an, bevor ich mich Ludwig zuwende und Clara bereits mit den nächsten Gästen plaudert.
„Nun, Anna? Hannes sagt, du willst es wagen?"
Ich lächele tapfer.
„Wie heißt es so schön? Mit gegangen, mit gefangen, mit gehangen."
„Na, das wollen wir doch nicht hoffen. Gehangen haben die anderen. Euch wünsche ich so viel Glück im Herzen, wie ich es heute verspüre."

Wir wenden uns dem Saal zu und mischen uns unter die vielen Menschen. Nun werde ich auch einigen Bekannten der von Bottlenberg-Schirps vorgestellt und kann mir schon ab dem dritten Mal weder Namen noch Gesichter merken. Und das sieht man mir wohl auch an.
„Einfach lächeln, Anna. Das geht nämlich allen so. Die Kunst ist es nicht, sich all die Namen zu merken, sondern zu überspielen, dass man sie sich nicht merken kann."
Na dann – das kann ich auch.
Von nun an lächele ich tapfer vor mich hin, merke mir bei den vorgestellten Paaren von der Dame je ein auffälliges Detail wie eine Brosche, eine Farbe, einen Hut und nicke von da an einfach den erkannten Broschen und Hüten zu.

Endlich sind alle Gäste eingetroffen, es werden wieder Häppchen und Unmengen an Getränken gereicht, und die Kapelle beginnt leise, zu spielen. Ludwig wendet sich seiner Angetrauten zu und führt sie in die Mitte des Saales. Auf einen Wink hin wird es leise, und die beiden gehen einfach in Tanzstellung für einen Reigen. Sofort reihen sich einige andere Paare mit ein, die Musik spielt nun eine flotte Melodie und die Paare tanzen elegant die Schritte und Wendungen.

Da steht Hannes vor mir.
„Geht es jetzt los?"
Ich muss schlucken.
„Nein. Erst einmal möchte ich gleich mit Dir den Tanz tanzen, den wir in den letzten Tagen geübt haben."
Wir warten ab, bis der Reigen beendet ist, und stellen uns dann mit vielen anderen zum nächsten Tanz auf. Erst muss ich mich sehr konzentrieren, weil nun ja niemand mehr die Schritte anzählt und ansagt. Aber nach einer Weile werde ich freier und fühle mich immer wohler.
Es macht so viel Freude, sich zur Musik zu drehen und dabei immer wieder Hannes in die Augen zu sehen!
Hin und her wogen die Paare, andere sehen zu und amüsieren sich, wieder andere halten sich an die Diener mit Speisen und Getränken. Ich sehe Karl mit sehr beherrschter Miene mit einer jungen Dame tanzen, der man förmlich ansieht, dass sie am liebsten ihre Krallen nach ihm ausstrecken will. Ich muss schmunzeln. Aber da außer verheirateten Paaren niemand mit dem selben Partner zweimal tanzt, hat Karl auch das bald geschafft.

Nach einer ganzen Weile dann gibt Ludo ein paar unauffällige Zeichen, und schon beginnen alle Diener, allen Anwesenden ein Glas zu reichen. Die Musik verstummt, und meine freundliche Begleiterin lächelt mich vielsagend an.
Owei, aber jetzt geht es los!
Ludo erhebt das Wort.
„Hochverehrte Gäste unseres wundervollen Festes. So wie ich meinen Krönungsball genutzt habe, um Euch allen meine zukünftige Herzogin vorzustellen, will auch heute ein Paar die Gelegenheit nutzen, sich zur Verlobung zu präsentieren. Ich habe die außerordentliche Ehre, Euch die Verlobte meines Bruders Johann von Grubenhagen vorzustellen."
Hannes setzt sich in Bewegung auf mich zu und strahlt mich an. Fest bannt er meinen Blick, damit ich keine Möglichkeit habe, in die Gesichter der Menschen zu schauen.
„Durch glückliche Fügung sind sich im letzten Winter zwei Menschen begegnet, die nicht unterschiedlicher sein und nicht besser zusammenpassen könnten als diese beiden. Und so freue ich mich, dass wir im Herbst bei der nächsten Hochzeit Anna Teresa von Brabeck-Lenthe in unsere Familie aufnehmen dürfen. Ihre Familie stammt aus dem Hannoverschen, wo Graf von Brabeck ausgedehnte Ländereien besitzt. Um seine Kräfte für diese nächste Hochzeit zu schonen, hat er es vorgezogen, seine Tochter unter der Obhut anderer hierher reisen zu lassen."
Ich knickse vor Hannes, der reicht mir den Arm und führt mich in die Mitte des Saales. Alle Augen sind nun wieder auf uns gerichtet, ich sehe sie aus dem Augenwinkel tuscheln, Ludwig erhebt das Glas auf uns, und alle stoßen an. Dann hebt Ludwig wieder den Arm als Zeichen für den Kapellmeister, die Musik setzt ein, und wir tanzen inmitten vieler anderer fröhlicher Menschen den nächsten Reigen. Ich, Anna Adam, Waise aus dem Christophorushaus, Witwe des unfreien Bauern Jacob Adam tanze hier im herzoglichen Schloss als Gräfin inmitten der hochwohlgeborenen Schar. Ich fühle mich wie im Märchen. Nur die feste Hand von Hannes, der mich hält und dreht, lässt mich spüren, dass das hier kein Märchen ist. Das hier ist tatsächlich mein Leben.

Es ist schon lange dunkel draußen, einige ältere Herrschaften sind bereits in irgendwelchen unauffälligen Nieschen ihrer Müdigkeit erlegen, und die Stimmung wird immer ausgelassener. Ich bin unendlich dankbar, dass ich beim Schuster darauf bestanden habe, dass die Schuhe, die ja sowieso unter dem weiten Rock verschwinden, nicht vor allem schön sondern vor allem bequem sein sollen.
Karl tanzt mit mir, Ludwig tanzt mit mir, sogar mancher ältere Graf bittet um meine Hand zum Tanz, wobei das in mindestens einem Fall geschieht, weil seine Gattin ihn vorgeschickt hat, um mich auszuhorchen. Mit Argusaugen folgt sie unseren Drehungen, aber ich habe meinen Spaß daran, mich schüchtern zu stellen und nur ganz leise, vage Antworten zu geben. So muss der Herr nach dem Tanz unverrichteter Dinge wieder abziehen.

Hannes taucht neben mir auf, nimmt meinen Arm und führt mich zu einem geöffneten Fenster, damit ich ein wenig frische Luft schnappen kann.
„Na, die hast du ja abblitzen lassen."
„Den."
„Nein. Die. Ich habe genauso wie du gesehen, dass seine Gemahlin ihn als Spähtrupp vorgeschickt hat. Und ich kenne die beiden sogar."
Ich verberge mein Grinsen, indem ich schnell einen Schluck vom angereichten Wein trinke.
„Die komische Verzweiflung in seinem Blick, weil er wusste, dass er seine Frau nicht wird zufriedenstellen können. Herrlich."
Hannes dreht sich ein wenig zur Seite.
„Oweh, schau nicht hin. Der arme Mann wird grade einen Kopf kürzer gemacht."
Wir stecken schnell unsere Köpfe zum Fenster hinaus, damit man uns nicht lachen hört.

Kurz darauf beobachten wir, wie sich das Paar an die von Bottlenberg-Schirps heranmacht. Und die wiederum bringen die Schnüffler nichtsahnend zu uns, um sie uns höflich vorzustellen. Der arme Mann fühlt sich sichtlich unwohl, und seine Frau stürzt sich fast auf mich.
„Darf ich vorstellen, Hoheit? Die ehrenwerten Herrschaften von Thaden."
Das Paar beugt sich tief. Und mir fällt die Kinnlade herunter, als ich den Namen verarbeitet habe, was die beiden so zum Glück nicht sehen können. Hannes steht der Übermut ins Gesicht geschrieben.
„Herzlich willkommen. Und herzliche Grüße von ..."
Warum zögert er? Meine Begleiter haben sich grade zum Gehen gewandt. Als sie fort sind, spricht Hannes leise weiter.
„... von Euren Söhnen, die sich hervorragend anstellen als die Verwalter meines Lehens. Ein bemerkenswertes Gespann, sie ergänzen sich perfekt und wurden vom Volk sofort respektiert."
Die von Thaden sind kalkweiß geworden im Gesicht und bedanken sich stotternd für die Grüße. Ich weiß nicht genau, warum Hannes 'Eure Söhne' gesagt hat, denn Maier ist doch ein Vetter. Aber das Glitzern in seinen Augen zeigt mir, dass ich lieber später nachfragen sollte, was er damit gemeint hat. Schneller als erwartet verabschieden sich die von Thadens wieder und eilen in die gegenüberliegende Ecke vom Saal. Hektisch fächelt sich die Dame Luft zu und sagt für den Rest des Abends kein Wort mehr.

Aber das soll noch nicht die letzte Überraschung des Abends gewesen sein, denn mit einem Mal reißt jemand die Saaltür auf, und ein kleiner weißer Kugelblitz schießt zwischen den Beinen der Anwesenden hindurch, während ein aufgeregter Diener nicht mehr hinterdrein kommt. Kurz bleibt der Kugelblitz im Nachthemd stehen und sieht sich um, dann flitzt Jakob weiter und schließlich auf uns zu. Er schlägt Haken, damit ihn keiner greifen kann, und hüpft nun in meine ausgebreiteten Arme. Ludwig und Clara, Karl, Hannes und ich brechen in schallendes Gelächter aus.
„Mutter, Hannes. Ich konnte einfach nicht einschlafen. Die Musik ist zu laut!"
Hannes hebt ihn hoch und wirbelt ihn durch die Luft.
„Dann müssen wir wohl die Fenster auf der Seite schließen, damit du ganz bald ins Reich der Träume verschwinden kannst. Hier hast du jedenfalls nichts verloren."
Damit übergibt er Jakob dem Diener, der uns inzwischen ganz außer Atem auch erreicht hat.
„Darf ich bitten, alle Fenster zur Parkseite zu schließen? Der junge Herr kann nicht schlafen, weil die Musik zu laut ist."
Ein halbes Dutzend Diener tritt aus ihren Nischen und schließt hastig die hohen Fenster zum Park hin.

Nun ist die Neugierde im Saal nicht mehr zu überhören. Überall wird hinter vorgehaltener Hand getuschelt und zu uns gestarrt. Jakob hat mich „Mutter" genannt! Erst jetzt geht mir auf, was grade passiert ist. Hannes bleibt gelassen. Er reicht mir den Arm und folgt dem Diener mit Jakob. Draußen schaut er mich schmunzelnd an.
„Schlimm? Irgendwann werden es sowieso alle wissen. Und grade die Vettern wissen es ja schon, denn sie sind schon seit zwei Tagen bei uns dabei."
Ich strecke meinen Rücken durch, schaue ihn an und antworte ihm.
„Lass uns wieder reingehen."

die Heimreise

Do. 12.7. a.d. 1571

Wahrscheinlich bin ich die einzige Festteilnehmerin, die am nächsten Morgen nicht lange schlafen kann. Denn meine Kinder sind gnadenlos. Linde gibt sich alle Mühe, sie zurückzuhalten, aber bald werde ich doch wach von Jakobs ausschweifenden Berichten über den Saal und die Leute und die Lichter und die Musik und ... Also setze ich mich im Bett auf, breite meine Arme aus und lasse meine Kinder zu mir ins Bett hüpfen. Jakob und Susanna schieben erst das Peterchen an seinem Windelpopo nach oben, bevor sie selbst zu mir krabbeln.

Das Frühstück wird uns heute aufs Zimmer gebracht, und dann schleiche ich mich mit meinen Kindern in den großen Ballsaal. Scharen von Bediensteten sind mit Aufräumen beschäftigt. Gläser, Geschirr, Blumen, manche Scherben und Pfützen von verschüttetem Wein, verwelkte Blumen, verschobene Stühle – alles wird wieder gerichtet und an seinen Platz gebracht oder hinausgetragen, festgetretenes Essen wird weggeputzt, viele Besen sind im Einsatz. Alles muss wieder blitzblank sein, bevor einige Gäste noch wieder zum Veranschieden auftauchen werden. Auch der Diener, der heute Nacht hinter Jakob hergestolpert ist, weil Linde ja nicht im Nachtgewand loslaufen konnte, ist dabei.
Ich schlendere mit den Kindern in die Mitte des Saales und zeige ihnen alles. Wo die Kapelle gesessen hat, wo Hannes und ich getanzt haben. Susanna schaut sich mit großen Augen um und kann all die Pracht nicht fassen. Ihr Bruder hat doch tatsächlich nicht übertrieben.
„Mutter?"
„Ja, mein Mädchen?"
„Soll das bei Hannes im Schloss auch so werden? Das ist ... einfach zuviel. Meine Augen können gar nicht anhalten."
Erleichtert beuge ich mich zu ihr herunter.
„Nein, Susanna. Keine Sorge. Hannes und ich mögen es schlichter und luftiger. Das hier wollen wir gar nicht. Aber ein richtiger echter Herzog, der muss das schon haben, sonst nehmen ihn die Leute nicht ernst. Das ist dumm, aber es ist so."

Wir bleiben noch ein paar Tage, bis alle anderen Gäste abgereist sind und wir nochmal ein bisschen Ruhe miteinander haben. Ich beobachte wieder die beiden Brüder miteinander. Und ich kann nicht verhindern, dass ich Ludwig und Clara miteinander beobachte. Wie sie sich jetzt wohl fühlt als Gemahlin? Geht es ihr gut? Da ich schon verheiratet war, weiß ich ja, wie es ist. Nämlich ein rauschendes Fest – und dann jahrelanger Alltag, der miteinander erlebt und bestanden werden will.

Am Donnerstag dann machen auch wir uns wieder auf die Heimreise, nach Hause in Gieboldehusen, wo wir bald unsere eigene Hochzeit vorbereiten werden. Aber vorher war ich noch mit Clara in der Stadt bei Stoffhändlern und bei einer Spitzenklöpplerin. Mit geschickter Hand zeigt Clara mir genau die Stoffe, die zu meinen schlichten Wünschen passen, damit ich Frau Bünte noch ein wenig etwas zu tun geben kann. Im Gegenzug überreiche ich ihr nun endlich mein kleines Hochzeitsgeschenk. Ich habe mir von Frau Bünte drei feine Tücher schneiden lassen, die ich in den letzten Wochen dann kunstfertig bestickt und mit Claras Monogramm versehen habe. Ihre Freude über das Geschenk und ihr Staunen, dass ich das selbst gearbeitet habe, machen mich glücklich.
„Anna! Du bist ja eine Künstlerin. Wie wunderschön und zart diese Tüchlein sind. Ich werde sie benutzen und dabei immer an dich denken."

Der Abschied fällt uns allen nicht leicht, auch wenn wir uns auf zu Hause freuen. Aber wir werden Ludwig, Clara und Karl ja bei unserer Hochzeit schon wieder sehen.
Und dann wird Vater mich in die Kirche führen!
Die Rückreise ist so ereignislos und gemütlich wie die Hinreise, bis auf den Morgen, als das Peterchen uns entwischt, die Treppe hinunterrutscht und schon aus dem Haus läuft, bevor wir ihn wieder einfangen können. In Gieboldehusen verabschieden wir uns herzlich von meinen liebenswerten Begleitern, die gleich am nächsten Tag weiterreisen.

Im Schloss hat sich wieder sehr viel getan, weil die Gieboldehusener Handwerker vor allem im Obergeschoss weiter fleißig waren. Es gibt nun schön eingerichtete Gemächer für Hannes, für mich, für die Kinder und für Linde beieinander, einladende, bequeme Gästeräume, Speisesaal, Damen- und Herrenzimmer sehen frischer und freundlicher aus, und wie durch ein Wunder haben sich all die Scheußlichkeiten aus dem großen Saal in Luft aufgelöst, weil Bader kurzerhand Gert Maier nach Braunschweig geschickt hat, um Händler nach Gieboldehusen zu locken. Die Aussicht auf „herzogliche" Kostbarkeiten hat doch einige angelockt, die zufrieden mit allem wieder abgezogen sind, um es als fürstlichen Hausrat teuer an die Leute zu bringen.

Es ist ungewohnt still hier im Schloss. Auf einmal kommt es mir klein und leer vor. Aber schon nach zwei Tagen bin ich nur noch dankbar dafür und genieße die Gelassenheit und Ruhe, die vom Hochzeitstrubel völlig übertönt worden waren. Ich hänge all die feinen Kleider in den Schrank, lege meinen Schmuck in die Schatulle und bin von Herzen gern wieder Anna, die Braut von Hannes, die nun von Konrad nach Hause kutschiert wird, um zu sehen, ob der Umbau ihrer Kate auch schnell genug voranschreitet.

Mi. 18.7.2020

In Lütgenhusen sind uns Lager in einer Kammer bei Irmel bereitet worden, denn von der Kate stehen nur noch drei Wände. Mein Hausrat lagert bei Klaas, auch der kleine Jasper ist für ein paar Wochen dorthin gezogen, um uns Platz zu machen. Meine Hühner und Gänse gackern bei Irmel, Zick, Zack und Zuck mochte keiner trennen, sie sind zusammen zu Ferzens gezogen, und vom Pfarrhaus her kommt ein großer Mann auf mich zu, der sich als Siegurd Crüger vorstellt. Er hat tatsächlich die Gelegenheit genutzt, um eine Zeit bei seinem Bruder verbringen zu können, und ist selbst mitgekommen. Sein Altgeselle leitet nun die Werkstatt in Duderstadt für diese Zeit.

Er zeigt mir die Pläne, die er nach meinen groben Zeichnungen gefertigt hat, und führt mich zu den Eckbalken des neuen Hauses, die bereits im Boden versenkt sind. Dreizehn kräftige Burschen arbeiten fleißig daran, dass das Haus schnell wächst. Die neuen Wände wachsen in die Höhe, zwei Kamine und der Herd sind bereits gemauert. In Jaspers Schuppen sind die Fenster gelagert, und ich staune, wie schön die kleinen rautenförmigen Butzenscheiben aussehen. Das hatte ich noch nie, dass in allen Räumen meines Hauses Licht sein wird, weil sie richtige Fenster haben.

„Habt großen Dank, Meister Crüger. Hannes hat schon immer so freundlich von Euch erzählt. Und jetzt sehe ich, dass die Entscheidung, Euch mit dem Bau zu betrauen, genau richtig war. Ihr plant und baut hier alles so, wie ich es mir im Herzen erträumt habe. Ihr hattet sicher schon viele Auslagen für das Baumaterial. Sagt mir bitte, wieviel ich Euch inzwischen schulde."
Er nennt mir eine unerwartet kleine Summe, die ich ihm bezahle, sobald ich meine persönlichen Sachen in meiner Kammer bei Irmel sortiert habe.

Drei der Männer treten an mich heran.
„Edle Dame, wir sind die Stadtgardisten aus Duderstadt Caspar, Melchior und Balthasar. Wir waren die Begleiter des Herzogs auf dem Weg zum Kloster Minnigerode und zurück bis hier. Wir dachten, wir arbeiten einfach hier mit, bis wir wissen, dass der Herzog wieder hier in der Stadt ist."
Ich muss lächeln. Aber dieses „Herzog" darf Hannes ihnen selbst austreiben.
„Seid willkommen. Der Herr erwartet euch schon. Er sagte, einer von euch brächte seine Familie mit. Seid ihr hier alle gut untergebracht?"
„Ja, danke, Herrin. Die kleine Familie ist in einer Kammer bei Klaas Rand. Und wir anderen sind bei den Hartmanns."

Ich bin so froh, da ich nun weiß, dass Vater, Ludwig, Clara und Karl bei unserer Hochzeit angemessen untergebracht sein werden. Auch von Thaden und Maier schlafen sicher lieber in einem Bett als auf einer Pritsche. Und so freue ich mich auf die letzten Wochen in „meinem" Dorf. Ich genieße all die netten Gespräche am Brunnen, die freundlichen Grüße über den Gartenzaun, die Natürlichkeit, die sich die Lütgenhusener nicht nehmen lassen, auch wenn ich jetzt Frau Gräfin bin.

Da ich nun wieder da bin, kommt eines Abends auch die Dorfehrbarkeit zusammen, um mit den Hochzeitsplanungen zu beginnen. Ich berichte ausführlich, wie wir uns den Tag vorgestellt haben, zähle auf, welche hohen Gäste unterzubringen sind, und lasse dann alle anderen ihre Ideen ausspinnen. Als ich ihnen erzähle, dass Hannes darauf besteht, einfach einen Ochsen am Spieß zu wollen und kein fürstliches Mahl mit einhundert Gängen, müssen alle ganz herzlich lachen.

Doch dann werde ich ganz plötzlich rausgeschmissen. Verschmitzt schaut mich Birgitta an.
„Du, meine liebe Anna, hast hier jetzt nichts mehr zu suchen. Alles andere planen wir ohne dich, sonst ist es keine Überraschung mehr. Wir werden sicherlich noch tausend Fragen stellen, und manches dürft ihr mitbestimmen. Aber du wirst nun viel Geheimniskrämerei aushalten müssen."
Damit bin ich draußen. Doch ich kann gut Geheimniskrämereien aushalten. Was das Leben auch bringt – ich nehme es an.

Ich lasse meinen Blick über die Felder mit reifem Getreide schweifen. Die Ernte läuft gut. Die Bauern haben alle Hände voll zu tun, Das Wetter ist stabil, die Dachböden füllen sich mit Stroh, und volle Getreidesäcke hängen von den Dachsparren. Jede Hand wird gebraucht, wenn Erntezeit ist. Und so packe ich einfach überall mit an. Ich genieße es, gemeinsam mit den anderen zu arbeiten.

Da von Thaden und Maier inzwischen noch einmal in allen Dörfern waren, um endgültig alle neu verteilten Besitztümer, alle Schuldenerlasse, alle Lehnspflichten und Steuern neu festzuschreiben, haben aber alle trotz der langen Tage voller Mühen gute Laune. Im Herbst, nach der Ernte, sollen die Flurstücke dann entsprechend neu aufgeteilt werden. Aber die Freiheitsbriefe haben jetzt schon alle bekommen. Klaas ist so glücklich, wieder ein freier Mann ohne Schulden zu sein. Ich freue mich sehr für ihn. Wenn wir uns dann sonntags alle in der Kirche versammeln, singen wir voller Dankbarkeit unsere Lieder, denn keiner von uns hätte vor einem Jahr geglaubt, dass es uns so bald schon so viel besser gehen würde.

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17.2.2022

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