61 - in Salzderhelden

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Mo. 25.6. a.d. 1571

Ich bin sehr froh, dass Anna entschieden hat, die Kinder nicht in Gieboldehusen zu lassen sondern zur Krönung mitzunehmen. Linde und Lina sind ganz aus dem Häuschen, dass sie mit dabei sein dürfen. Sie werden sicher alle Hände voll zu tun haben in dem großen Schloss des Herzogs. Aber ich werde darum bitten, dass den Mädchen auch dort eine kundige Hilfe zur Seite gestellt wird. Die Schneiderin und ihre Näherinnen haben sich selbst übertroffen. Inzwischen hat Anna eine ganze Reihe Gewänder, die für jede Gelegenheit passen. Und alles ist edel, aber ganz schlicht gehalten. Sie fühlt sich wohl darin und wird bei der Krönung durch nichts auffallen. Lina und Linde haben je zwei Gewänder bekommen für ihren Dienst und haben vor Freude geweint.

Die von Bottlenberg-Schirps sind ein sehr standesbewusstes Paar, aber mit einem freigiebigen, barmherzigen Wesen. Und so haben sie sehr schnell vergessen, dass ihnen Anna bei der ersten Begegnung als arme Bäuerin gegenüber getreten ist. Sie sind angenehme Gäste, vor allem die Gräfin ist Anna sehr zugetan, und so denke ich, dass wir genau die richtige Begleitung gefunden haben, dass Anna sich auf der Hochzeit von Ludo nicht verloren und unerfahren fühlen wird.

Für die Reise haben wir vier Tage eingeplant, denn vor allem das Peterle kann beim besten Willen noch nicht so lange still sitzen. Darum sitzen die Mädchen auch mit den Kindern in der großen Prachtkutsche des Brudenhusen. Auch wenn die meisten Wege holperig sind, können sich die Kinder da doch wenigstens etwas bewegen. Anna sitzt bei den von Bottlenberg-Schirps und freult sich über angeregte Gespräche. Manchmal musste ich mir in den letzten Tagen das Lachen verkneifen. Denn Anna beobachtet die beiden ganz genau, hört genau hin und merkt sich ununterbrochen Worte oder Verhaltensweisen, die ihr nicht geläufig sind. Das merkt niemand außer mir, weil ich sie inzwischen so gut kenne. Und sie ist auch froh drum.

Konrad und ich, dazu Benjamin, Joseph und Ruven reiten neben den Kutschen her. Als wir uns Donnerstag Abend dem Stadttor nähern, sind wir alle so richtig durchgeschüttelt und froh, angekommen zu sein. Ludo hatte mir geschrieben, dass er die von Bottlenberg-Schirps eingeladen hat, im Schloss zu wohnen während der Feierlichkeiten, damit auch Anna im Schloss und in unserer Nähe sein kann. Und so rollen wir erleichtert in den großen Schlosshof, lassen uns von eilfertigen Dienern aus den Kutschen und aus den Sätteln helfen. Das Peterle ist auf Lindes Arm eingeschlafen, und Susanna eilt erschöpft zu Anna, um sich in ihre Arme zu kuscheln.

Jakob aber hat seine Augen überall gleichzeitig, stellt sich mitten zwischen all das Gewühl aus Pferden und Menschen und dreht sich einmal um sich selbst. Dann sucht sein Blick etwas, und er kommt schnell zu mir geflitzt.
„Hannes, DAS ist ja groß! Und wenn du jetzt der Herzog wärst, dann wär das dein Zuhause?"
Ich gehe in die Hocke.
„Ja, das wäre mein Zuhause. All diese Diener müssten mir gehorchen, all das würde mir gehören. Aber ich verrate dir was. Das Schloss ist gar nicht wichtig. Viel wichtiger ist die Aufgabe des Herzogs, und die macht nun mal mein Bruder lieber. Ich hab lieber das kleine Schloss in Gieboldehusen mit all den lieben Jakobs und Susannas und Peters und Annas darinnen."

Ich greife seine Hand, und unsere ganze Kutschgesellschaft wendet sich der großen Freitrappe zu. Ich habe keine Ahnung, wie Ludo das immer macht, dass er so schnell da ist. Er muss wohl durchs Schloss fliegen. Denn auch diesmal steht er schon oben an der Treppe und empfängt uns. Erst begrüßt er höflich die von Bottlenberg-Schirps, dann nimmt er mich schnell in die Arme. Und schließlich wendet er sich Anna zu. Er verbeugt sich vor ihr, während sie in einen tiefen Knicks sinkt.
„Ich bin Ludwig, Hannes Bruder. Seid von ganzem Herzen willkommen in Salzderhelden. Ich bin sehr, sehr glücklich, dass ich Euch nun kennenlernen darf. Aber verratet mir doch bitte, wie Ihr in den kommenden Tagen angeredet werden möchtet."
Er reicht Anna den Arm, und wir anderen folgen ihnen.
„Soll ich Frau Adam sagen? Oder Anna von Brabeck? Oder Anna von Lenthe? Wie ist es Euch recht?"

Anna zögert.
„Ich denke ... mein Name ist nun einmal Anna Adam. Aber mein Vater wäre sicher stolz und glücklich, wenn ich mich wenigstens für die kurze Zeit bis zu unserer Hochzeit Anna Teresa von Brabeck nennen würde. Um meine Mutter zu ehren, könnte ich Anna Teresa von Lenthe sein. Am letzten Endes haben dazu sicher Eure Gelehrten eine eigene Meinung."
„Nun, dann werde ich Euch offiziell vorstellen lassen als Anna Teresa von Brabeck-Lenthe. Und ich würde mich freuen, wenn wir uns ohne Publikum familiärer begegnen würden, denn bald sind wir ja eine große Familie."
„Von Herzen gern. Dann bin ich am liebsten einfach Anna."

Ludo sorgt dafür, dass alle unsere Gäste zu ihren Zimmern geführt werden, wo die Mädchen nach einem Abendbrot die Kinder ins Bett bringen werden. Anna und ihre Begleiter, die von Bottlenberg-Schirps, haben Gelegenheit, sich für das Mahl umzukleiden. Kurz darauf treffen wir alle im Speisesaal ein, wo uns Karl, Clara und ihr Vater von Pagenstecher schon erwarten. Karl zwinkert Anna bei der Begrüßung zu, und ich kann sehen, dass es ihr gut tut, dass sie außer mir und ihren Begleitern noch jemand kennt.

Ludo hat bewusst keine weiteren Gäste geladen an diesem ersten Abend, damit Anna sich im kleinen Kreise einfinden kann in all das Neue. Nach dem Mahl begeben wir uns gemeinsam in ein kleines Empfangszimmer und plaudern in kleinen Grüppchen. Ludo begrüßt mich noch einmal richtig, Karl nimmt mich fest in die Arme, Clara setzt sich zu Anna und der dritten Dame, der Herr von Bottlenberg-Schirp unterhält sich angeregt mit dem alten von Pagenstecher.

Aber lange halten wir es heute nicht mehr aus, alle Reisenden wollen bald ins Bett, und so verabschieden wir uns voneinander. Nur Ludo, Karl und ich hocken uns noch an den Kamin mit einem Glas Wein.
„Wenn ich nicht ihre Stimme, ihre Haltung und ihre warmen Augen kennen würde, ich hätte Anna nicht wieder erkannt. Welch eine Verwandlung! Ich verstehe nicht, wie sie jemals zweifeln konnte, dass sie in dieses Leben an deiner Seite passt."
„Ach Karl. Da war ja noch viel mehr. Die Kinder. Sie hat einfach diese Zeit gebraucht, um für sich und in sich zu verstehen, dass es den Kindern keinen Nachteil bringt, wenn sie das Dorf verlassen. Schau, wie mutig sie jetzt ist. Die Kinder sind mit hier."
„Wunderbar. Dann lernen wir sie ja kennen."
"Ja Ludo. Ich vermute, Jakob wird vor allem dem Freiherrn von Mechtern gewaltig auf die Pelle rücken. Susanna ist ein stiller Sonnenschein. Und beim Peter würde ich mich wundern, wenn der nicht in den nächsten zwei Wochen ununterbrochen von einer Schar von Dienern gesucht würde, weil er schon wieder abgehauen ist auf der Suche nach dem nächsten Teich."
„Sind die Kindermädchen nicht aufmerksam?"
„Dooooch. Aber Peter ist schneller als alles, was du dir vorstellen kannst."

Ludo und Karl erzählen mir nun auch einiges über die ersten Monate von Ludos Regierungszeit und über die bevorstehende Hochzeit. Clara ist von einigen Hofdamen in eine harte Schule genommen worden, damit sie all die Erwartungen an eine Herzogin auch bald erfüllen kann, ohne ständig in der Angst zu leben, sie könne etwas falsch machen. Aber sie ist glücklich dabei und stellt sich mit Überzeugung und Herzblut dieser Lebensaufgabe.

Die Vorbereitungen für die Trauung in der Stadtkirche, das große Fest im Schloss und Hof und Garten und für die Volksbelustigung laufen seit Wochen. Im Grunde wird es ähnlich sein wie bei der Krönung. Nur, dass diesmal ein glückliches Paar im Mittelpunkt stehen wird.

In den kommenden Tagen verbringen wir viel Zeit miteinander, sooft es die Vorbereitungen zulassen. Anna findet sich schnell hinein in die Abläufe und Gepflogenheiten bei Hofe. Ludo und Karl machen es ihr leicht, und ihre Begleiter geben ihr ganz viel Sicherheit. Ich zeige Anna die Welt, in der ich aufgewachsen bin. Ludo hat ihr eine persönliche Zofe zur Seite gestellt, und auch die Mädchen haben Verstärkung durch eine Dame bekommen, die ihnen mit den Kindern, mit den weitläufigen Fluren und tausend Türen und allem anderen zur Seite steht.

Wie ich es erwartet hatte, ist Jakob sehr findig, lernt schnell den Weg zur Bibliothek und weicht dort nicht von der Seite des Freiherrn von Mechtern. Der hat viel Spaß an der Gesellschaft des klugen Jungen.
„Nun, Hoheit. Das ist ja ganz anders als bei Euch. Dieser junge Mann hier wird mal ein großer Gelehrter, so wissbegierig, wie er ist. Da muss man nicht so drängeln wie bei Euch."
Wir schmunzeln uns an, während wir zusehen, wie Jakob zum ersten Mal eine Feder in der Hand hält und damit versucht, seine Buchstaben auf ein Papier zu schreiben.
„Das ist toll Hannes. Das will ich üben. Darf ich bitte?"

Ebenfalls wie erwartet saugt Susanna stumm und mit großen Augen alles in sich auf, was sie sieht. Parkettfußböden, Säulen, Kronleuchter, schimmernde Stoffe und blitzendes Gold und Silber. Ehrfürchtig nähert sie sich allem Neuen, immer an der Hand eines der Mädchen, von denen sie sich nie weit entfernt. Und das Peterle? Er kommt zu unser aller Glück noch nicht an die Türklinken der hohen Schlosstüren. Denn sonst hätten wir ihn in der einen Woche bis zur Hochzeit wahrscheinlich wirklich schon dreimal gesucht. Sobald die Mädchen mit den Kindern den Raum verlassen, muss sich Linde sehr konzentrieren, dass der kleine Wicht ihr nicht entwischt und das Schloss oder den Park oder die Schlossküche alleine erobert.

Und ich? Kann nicht mehr aufhören, glücklich zu sein, dass das Leben mir Anna und diese zauberhaften Kinder geschenkt hat.


die Hochzeit des Herzogs

Sa. 7.7.1571

Seit einer Woche sind wir im Schloss des Herzogs von Grubenhagen. Seit einer Woche bewege ich mich in einer für mich vollkommen fremden Welt. Aber ich fühle mich weder einsam noch fehl am Platze. Ich genieße es zu sehen, wie nah Hannes und Ludwig einander sind. Ich verstehe mich gut mit Clara, die eine sanftmütige und auf ganz leise Weise starke Frau ist. Ich freue mich auch für Linde und Lina, dass sie sich mithilfe des Fräulein von Mark so gut einfinden und so gut mit den Kindern zurande kommen. Für uns Dörfler ist die Weitläufigkeit und die Pracht dieses Schlosses ein einziges Wunder, wir kommen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.

Meine Zofe ist eine freundliche junge Frau, die sehr genau hinhört und darauf achtet, wie ich mich selbst sehe und wie ich aussehen möchte. Sie sichtet meine Garderobe, macht Vorschläge, zu welchem Anlass ich welches Gewand anziehen könnte, und verändert die Gewänder so geschickt mit Bändern, künstlichen Blüten oder Tüchern, dass ich sie zu mehreren Anlässen tragen kann. Gemeinsam besehen wir den Schmuck, den ich von meiner Mutter geerbt habe. Nach einigem Überlegen bitte ich Hannes, ob ich ein paar Stücke aus dem Schmuck seiner Mutter ausleihen dürfte.

Am nächsten Morgen wird mir ein Kasten mit verschiedensten wunderschönen Schmuckstücken geschickt, aus dem wir einige Stücke passend zu meinen Gewändern heraussuchen. Ich hätte nie gedacht, dass ich an so etwas Freude haben würde. Aber ich merke, wie ich mich verändere, mich dem neuen Leben anpasse, so wie ich mich immer allem Neuen angepasst habe. Ich fühle mich wieder wie „ich". Schmuck ist nicht wichtig, aber die Freude an schönen Dingen, die Dankbarkeit, die Vorfreude machen, dass ich mich dem festlichen Anlass entsprechend schön machen und das Brautpaar so ehren möchte. Mit viel Vergnügen bekommen Hannes und ich dann ein paar Tanzstunden vom Kapellmeister, damit ich beim großen Ball auch mithalten kann.

Nun ist der Hochzeitsmorgen. Die Sonne lacht vom Himmel, und das ganze Schloss brummt vor lauter Geschäftigkeit. Die Vettern des Herzogs, die Herzöge von Braunschweig und Lüneburg, sind vorgestern eingetroffen und haben unsere Runde komplettiert. Sie sind etwas älter als Hannes und Ludwig, und etwas steifer. Aber ich bin ihnen gleich als Anna Teresa von Brabeck-Lenthe und als Hannes Verlobte vorgestellt worden, und da der Lüneburger die Namen Brabeck und Lenthe kennt, fragen sie nicht weiter nach. Ich gehöre dazu und darf jeden Tag ein bisschen sicherer werden.
Dann endlich kommt der Aufbruch zur Trauung. Ludwig und Hannes fahren mit einer offenen Kutsche durch die Straßen, wo sie vom Volk bejubelt werden. Dann die beiden Herzöge, die Minister und Räte. Meine Begleiter und ich fahren in einer weiteren Kutsche hinterher und werden neugierig beäugt, weil uns niemand kennt.

An der Kirche angekommen, hat Hannes am Portal auf mich gewartet. Er reicht mir den Arm, und wir gehen gemeinsam nach vorne. Ludwig ist aufgeregt und strahlt vor Freude. Hannes freut sich stiller. Aber er flüstert mir ein „bald sind wir dran" zu, bevor er mich neben Frau von Bottlenberg-Schirp in die Bank komplimentiert.
Genau wie Hannes kann auch ich nicht verhindern, dass meine Gedanken immer wieder in die Zukunft wandern zu unserer Trauung in der kleinen Dorfkirche in Lütgenhusen. Wir feiern hier einen festlichen Gottesdienst, und bald wird unser eigener sein. Jäh werde ich von lauten Klängen aus meinen Gedanken gerissen und erhebe mich schnell wie alle anderen in der Kirche. Auf einer Empore sehe ich eine große Reihe langer Metallröhren, aus denen der Klang zu kommen scheint. Es klingt fast wie Trompeten. Frau von Bottlenberg-Schirp raunt mir etwas zu. „Das ist eine Orgel. Die Töne entstehen, weil Luft durch die Pfeifen geschickt wird."

Vom Eingang her sehen wir nun Graf von Pagenstecher mit seiner Tochter Clara Agatha am Arm. Der alte Graf bringt seine Tochter nach vorne zum Bischof. Der winkt auch Ludwig zu sich, und so nimmt die Trauung ihren Lauf. Mit festlichen Gelöbnissen und Gesängen werden die beiden miteinander vermählt. Direkt nach der Trauung schließt sich noch die Krönung Claras zur Herzogin an. Ich habe selten zwei Menschen so strahlen sehen wie diese beiden, als sie sich zum Portal wenden und nach draußen gehen. Das Volk jubelt ihnen zu, während sie winkend durch die Straßen fahren. Karl von Pagenstecher steigt zu seinem Vater in die Kutsche, denn seine Schwester sitzt nun natürlich neben Ludwig.

Zusammen mit all den anderen Festgästen fahren auch wir zurück zum Schloss, wo Graf von Pagenstecher und Ludwig noch vor Zeugen den Ehevertrag besiegeln. Alle Anwesenden im Thronsaal wollen diesen Moment sehen, und so befinde ich mich bald im Gewühl zwischen lauter Neugierigen, die unauffällig, aber stetig nach vorne schieben und die Hälse recken. Schnell werde ich von meinen Begleitern abgedrängt.

Hannes steht vorne bei Ludwig, der kann mir nicht helfen, aber plötzlich taucht Karl von Pagenstecher neben mir auf und raunt mir etwas ins Ohr.
„Nicht verloren gehen, Anna. Sonst wäre Hannes sehr unglücklich."
Dann nimmt er meinen Arm und schiebt sich langsam mit seinen breiten Schultern rückwärts, bis er mich wieder bei meinen Begleitern „abliefern" kann.
„Danke, Herr v. ..."
„Hm hm. Karl reicht ab heute."
Er zwinkert mir zu und arbeitet sich wieder zurück auf seinen vorherigen Platz. Hannes hat mich mit den Augen im Saal gesucht und atmet nun erleichtert auf.

Ludwig unterschreibt den Vertrag und wendet sich dann zu seiner Clara. Er reicht ihr seinen Arm und führt sie Richtung Ausgang. Die neugierige Menge teilt sich wie das rote Meer für Mose, und alle verbeugen sich und knicksen. Doch kaum sind die beiden vorüber, folgen wir alle und betreten schließlich einen noch viel größeren Saal.

Solch eine Pracht habe ich noch nie gesehen, noch nicht einmal zu träumen gewagt. Die Wände sind mit sehr fein gewebtem, glänzendem Stoff verkleidet, hohe Fenster fluten den Saal mit Licht, dazwischen hängen goldgerahmte Spiegel, die zusätzlich das Licht hunderter Kerzen in den Kronleuchtern spiegeln. Die scheinbar endlos langen Tafeln sind mit weißem Brokat und Silber gedeckt, Kristallgläser funkeln, zauberhafte Blumengestecke stehen in der Mitte der Tische. Zahllose Diener wuseln herum und führen all die feinen Damen und Herren zu ihren Plätzen, wo wir uns alle hinstellen und uns dem Paar zuwenden. Wir haben Plätze recht weit vorne, weil Hannes in Ludwigs Nähe sitzen muss und in meiner Nähe sitzen möchte.

Die Tischordnung ist geschickt gewählt. Mal plaudert er zu seiner Linken mit der Gemahlin des Herzogs von Braunschweig, mal kann er sich mir zuwenden zu seiner Rechten.
„Hannes, um Himmels Willen, was soll ich mit vier Gabeln!"
Hannes lächelt und flüstert schnell zurück.
„Es kommen viele Gerichte, nimm von allem nur ganz wenig! Schau einfach, was die dir gegenüber für Besteck nehmen, und mach es nach. Immer von außen nach innen benutzen. Welches Glas dran ist, weiß der Diener, der dich fragt, was du trinken möchtest."

Dann wird er schon wieder unterbrochen von Ludwig, der aufgestanden ist, an sein Glas geklopft hat und ansetzt, um den versammelten Gästen ein paar Worte des Dankes zu sagen. Höflicher Applaus erklingt, und dann tragen die Diener die Speisen auf. Ich bin vollkommen überfordert. Mein Nachbar zur rechten, Herr von Bottlenberg-Schirp, hilft mir dabei und legt mir einige Häppchen verschiedener Speisen auf den Teller.
„Habt Dank für die Hilfe! So etwas habe ich noch nie erlebt."
Er lächelt.
„Sehr gerne, ich werde weiter ein Auge darauf haben, denn das wird jetzt zwei Stunden lang so weitergehen."
Mit großen Augen schaue ich ihn an.
„Zwei Stunden!"
Er lächelt und nickt. Dann widmen wir uns den Köstlichkeiten auf unseren Tellern. Schon nach einer halben Stunde habe ich das Gefühl, ich habe so viel gegessen wie in den letzten fünf Jahren zusammen und so viele Aromen geschmeckt, wie es überhaupt gibt auf der Welt.
Doch die Schlange der Diener mit abgedeckten Platten und Schüsseln reißt nicht ab. Aber irgendwann ist das letzte Glas benutzt und das letzte Mal Messer und Gabel oder Löffel aufgenommen, und die herrliche Völlerei hat ein Ende. Schnell raune ich Hannes etwas zu.
„Hoffentlich bist Du auch mit einem Ochsen am Spieß zufrieden bei unserer Hochzeit, mehr wird uns das Dorf nicht bieten können."
Er grinst und flüstert zurück.
„Ich bestehe darauf. Das hier ist lecker, aber ich bin schon lange satt und langweile mich zu Tode."

Damit wir nicht alle einschlafen, ergießt sich nun die Schar der illustren Gäste in den Schlosspark zum Lustwandeln. Gegen Abend dann ziehen sich alle zurück und ruhen sich etwas aus, bevor sie sich noch eleganter anziehen und zum großen Ball erscheinen. Ich selbst gehe zu meinen Gemächern, um den Nachmittag mit meinen Kindern zu verbringen. Als ich eintrete, drücken sie sich gerade die Nasen an den Fensterscheiben platt, um all die feinen Damen und Herren zu sehen. Durch meine Anwesenheit fühlen sie sich nicht ganz so ausgeschlossen, und die von Bottlenberg-Schirps können sich in dieser Zeit frei bewegen, ohne auf mich achten zu müssen.

Jakob kommt mir aufgeregt entgegen.
„Mutter, du siehst soooo schön aus!"
Und Susanna schaut mich stumm und verträumt an.
„Und, Mutter! Das sind soooo viele!"
Ich nehme Susanna auf den Arm und stelle mich mit Jakob wieder ans Fenster.
„Warum haben diese Frauen alle so riesige Hüte und Hauben auf? Bei dir ist die Frisur viel kleiner."
Ich muss lachen, und auch die Mädchen stimmen mit ein.
„Du glaubst nicht, Anna, wie viele Löcher uns Jakob schon in den Bauch gefragt hat. Und wir können das alles doch auch nicht beantworten."
Ich zwinkere Linde zu.
„Na, dann muss ich jetzt wohl meinen Bauch dafür hergeben."
Eine schier endlose Weile lang schauen wir uns also am Fenster gemeinsam die Augen aus dem Kopf, und ich beantworte geduldig jede Frage, zu der ich die Antwort weiß. Die ganzen Namen kann ich Jakob natürlich nicht sagen. Im Moment bin ich froh, dass ich meinen eigenen noch weiß. Aber immerhin weiß ich genug, um Jakob irgendwann zufrieden zu stellen, weil ihm vor lauter Antworten der Kopf schwirrt wie ein Taubenschlag.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro