003 - Kirchgang - SO. 19.11.1570

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Das Peterle schläft noch, während die gut dreijährige Susanna nach mir jammert. Auch der fünfjährige Jakob wird nun wach, reibt sich die Augen und nimmt gleich seine kleine Schwester in die Arme. Ich kann ja gar nicht anders, und wenn ich noch so wollte. Die Kinder sind zu klein, um sie irgendwo alleine zu lassen, also muss ich sie immer mitschleppen oder dem kleinen Jakob zumuten, schon der Große im Haus zu sein, mit seinen fünf Jahren verständig zu sein, auf die Kleinen aufzupassen, mitzuarbeiten. So weiß er auch genau, dass Susanna nicht jammern darf, weil sonst der Peter wach wird. Schnell beruhigt er also Susanna und regelt, dass die beiden sich, so warm es eben geht, anziehen. Ich kann derweil Zick und Zack melken und jedem der Kinder einen Becher Milch reichen. Hungrig strecken sie ihre Arme nach den Bechern aus. Jakob mit seinen tiefblauen Augen und dem strohblonden Haar und Susanna, die meine leuchtend grünen Augen und die leichten, dunkelbraunen Locken geerbt hat, schauen mich dankbar an. Mit dieser ersten Mahlzeit im Bauch schiebe ich die Kinder zur Tür hinaus.

Jakob bringt Susanna wie jeden Morgen ans andere Ende vom Dorf zur alten Lene, die nicht mehr gut laufen kann und Susanna mal ein klein wenig helfen lässt, mal ihr Geschichten erzählt, mal ihre kleinen Hände das Nadelbinden* lehrt. Und nebenbei bekommt Susanna dort jeden Tag eine Mahlzeit. Dann geht Jakob zurück und rauf zur Müllersfamilie auf dem Hügel hier, wo er nach einem Morgenbrei bei kleineren Arbeiten in der Mühle hilft. Die Nachbarn haben sich nach Bauer Adams Tod darauf verständigt, dass sie mir umschichtig die Kinder für eine Mahlzeit am Tag abnehmen und sie beschäftigen, weil ich sonst den Frondienst nicht leisten und das Haus, den winzigen Acker, die Ziegen und das Peterle versorgen könnte.

Ich fache ein kleines Feuer auf dem Herd an und wärme mir den Rest Getreidebrei vom Vortag an, damit ich wenigstens etwas im Magen habe. Ich fülle etwas Milch in einen kleinen Krug mit spitzer Schnauze, damit der nun auch quengelnde Peter wenigstens einmal am Tag satt wird. Hastig schlabbert er den ganzen kleinen Krug leer und schläft wieder ein. Die restliche Milch stelle ich beiseite, damit ich heute Abend die Sahne abschöpfen kann.

Heute ist Sonntag, das Dorf trifft sich in der Kirche, und bis dahin muss ich noch den Fremden versorgt, nach dem Pferd gesehen und eine Idee gefunden haben, wie ich es mit dem Mann und dem Pferd hier weiter halten will.

Zunächst steige ich also mit einem Krug voll Wasser die Leiter hinauf und betrachte bei etwas mehr Licht den Mann auf meinem Dachboden. Es ist eisekalt und feucht hier oben. Dennoch fiebert er stark, und die Locken kleben ihm schweißnass an der Stirn. Ich kontrolliere die Wunden, die nun beide nicht mehr bluten, säubere sie etwas und lege einen neuen Verband an. Ich mache kalte Wickel um die Waden und lege ihm einen kalten Lappen auf die Stirn. Wach wird der Mann dabei nicht, auch wenn er nicht mehr bewusstlos zu sein scheint. Ich flöße ihm etwas Wasser ein, damit er mir hier oben nicht verdurstet.
Den schafft hier so schnell keiner weg. Der stirbt, bevor er aus dem Dorf raus ist.

Auf dem Weg nach unten nehme ich ein paar Hände voll Stroh und Heu für die Ziegen und das Pferd mit.
Das darf ich aber nicht zu oft machen müssen, sonst verhungern mir alle drei Tiere, bevor die Rauhnächte* um sind.
Nachdem ich wieder das Herdfeuer abgedeckt habe, schlupfe ich in meinen Sonntagsrock und in die Holzklompen, wickele mir mein einziges gutes Tuch um Kopf und Schultern, klemme mir Peterle im Tragekasten unter den Arm und gehe durch das Dorf zur Kirche. Unterwegs stoßen immer mehr Nachbarn dazu, und ich schaue mich stumm um, wen ich einweihen kann. Einen Mann und ein Pferd durchzufüttern, ist in kargen Zeiten wie diesen sogar für ein ganzes Dorf zusammen eine Herausforderung.

Von hinten holen mich der Müller Mathes, die Müllerin Britt und ihre zwei großen Söhne Mathis und Laurenz ein. Quietschend vor Vergnügen hängt mein Jakob an deren Händen und versucht, zwischen den beiden schlaksigen Jungen zu schaukeln. Immer wieder lassen sie ihn hoch fliegen. Allein sein glückliches Lachen macht mich unglaublich froh.
Wenn er doch nur einmal am Tag so Kind sein darf, dann ist sein Leben gut.
Von vorne kommt mir der Jungbauer Klaas entgegen. An seinen Arm hat sich schwer die alte Lene gehängt, und er geht ganz langsam und geduldig, stützt sie, damit sie doch auch in die Kirche kommen kann. Lene ist die Hebamme, die Kräuterfrau und auch die Imkerin unseres Dorfes. Sie schafft nun nicht mehr viel, weil ihre Beine sie nicht mehr recht tragen wollen. Aber da der Klaas keine Eltern mehr hat und die beiden Nachbarn sind, sorgen sie gut füreinander. Niemand im Dorf würde auf unsere Lene verzichten wollen. Auf seinen Schultern sitzt meine kleine Susanna, hat ihre dünnen Ärmchen in dem inzwischen zu klein gewordenen Hemdchen um seinen Hals geschlungen, ihr Köpfchen auf seiner wilden blonden Wuschelmähne abgelegt und schaut verträumt in den Himmel.
Hoffentlich wacht sie rechtzeitig in diesem Leben auf, damit es gelingen kann und sie ihren Platz in der Welt finden darf.

Von Herzen dankbar für unsere Dorfgemeinschaft betrete ich Seite an Seite mit all den anderen die kleine, schlichte Dorfkirche und setze mich zusammen mit Lene und der Müllerin auf die Seite der Frauen. Susanna sitzt auf meinem Schoß und drückt sich an mich, während die Müllerin sich den Tragekasten quer auf den Schoß gestellt hat. So habe ich einen Moment zum Kuscheln und Streicheln für Susanna, die in meinen erfüllten Tagen oftmals viel zu kurz kommt, weil ich einfach nicht die Zeit habe, um geduldig genug zu sein. Der kleine Jasper, der Sohn von meinen Nachbarn Irmel und Jorge Krumm, der gar nicht mehr so klein ist, kommt hinter seinen Eltern mit dem blinden Jasper am Arm zur Tür herein und führt ihn zu seiner Bank gleich bei der Kanzel, von wo aus er besonders gut hören kann. Der kleine Jasper ist nun schon zwölf Jahre alt und eine große Stütze seiner stolzen Eltern und eben ihres Nachbarn, des blinden alten Mannes, der immer eine offene Tür hat für die Kinder des Dorfes. Er spielt die Laute, weiß wunderbare Geschichten zu erzählen und noch vieles mehr, was unsere Sinne gar nicht zu erfassen vermögen, weil wir sehenden Auges zu blind dazu sind. Als letztes betreten der Dorfvogt Josef Drebber und die Drebberin mit ihren Kindern die Kirche, grüßen freundlich nach rechts und links und setzen sich auf ihre etwas erhobenen Stühle zum Pfarrer.

Da die Kirche der einzige Steinbau im Dorf und deshalb auch ohne Herdfeuer wärmer ist als meine Bauernkate, habe ich nach einer Weile Mühe, meine Augen offenzuhalten. Die schlaflose Nacht fordert ihren Tribut, und so schlafe ich während der einstündigen Predigt ein. Erst mit dem vollen Gesang der Gemeinde schrecke ich wieder aus meinem seltsamen Traum auf. Ängstlich schaue ich um mich. Doch Britt streicht mir einmal beruhigend über den Arm. Das Peterle in seinem Tragekasten auf ihrem Schoss schläft friedlich, weil es satt und warm ist. Susanna hockt immernoch auf meinem Schoß und spielt verträumt mit ihren kleinen Fingern. Und niemand scheint sich an meinem Kirchenschlaf gestört zu haben. Also kann ich in Ruhe versuchen zu fassen, welch merkwürdige Bilder von edlen Rossen, feinen Herren und hohen Burgen mir der warme Schlaf soeben beschert hatte.

Nun folgt die Fürbitte, und ich richte mich auf. Nie fühle ich mich so beschützt, nie habe ich so viel Zuversicht, als in den Momenten, wo der Pfarrer in meinem Namen um Gnade bittet und ich all meine Sorgen in Gottes Hände legen darf. Ich, Waise, Magd, Bauer Adams Witwe, Anna, 21 Jahre alt, mit seinem Erstgeborenen und unseren beiden Kleinen, darf mich geborgen fühlen in Gottes guter Hut. In diesem Kyrie versöhne ich mich jedes Mal aufs Neue mit dieser grausamen Welt und nehme meinen Platz im Leben an, kann für uns alle darauf vertrauen, dass es schon gut wird.
Ob das auch den mysteriösen Fremden und sein edles Pferd einschließt?
Ich runzele die Stirn und sehe mich um. Wem hier kann ich trauen? Warm wird mir ums Herz, als ich erkennen darf: nahezu jedem. Ich kann hier fast jedem trauen. Noch nie ist irgendjemand erwischt worden von des Lehnsverwalters Häschern, was auch immer er angestellt hat. Bisher konnten wir noch alles untereinander regeln und uns den harten Mann vom Leibe halten. Denn dessen Strafen hat NIEMAND verdient.

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3.1.2020 - 11.1.2021

Pastor Johann Crüger:

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