007 - der Bote - MI. 22.11.1570

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So geht es ein paar Tage weiter. Das Wetter wird milder, der Regen fällt nicht mehr pausenlos. Die Kinder sind bei der Lene oder beim Müller, das Pferd ist gut versteckt bei Klaas, meine Ziegen füttert das ganze Dorf. Klaas repariert meinen Karren, weshalb es nicht auffällt, dass er mehrfach hier auftaucht, die Kinder laufen hin und her, weshalb keiner merkt, dass ich ab und zu Kräuter von der Lene bekomme. Der Fremde fiebert, redet wirr im Schlaf, die Wunden heilen gut, wach werden will er jedoch nicht. So bleiben die Umstände seiner Reise und sein Name weiter ein Rätsel für uns. Und allmählich macht das uns alle ziemlich nervös. Auf Dauer wird seine Anwesenheit sich nämlich doch nicht verbergen lassen.

Der Vogt taucht bei mir auf, bringt ein Brot mit Grüßen von der Frau Drebberin. Dabei haben wir Gelegenheit, miteinander zu reden.
„Anna Adam, ich bin ehrlich. Ich denke, ich werde mir den Fremden nicht ansehen, bevor wir nicht ein paar Fragen beantwortet haben. So kann ich jederzeit sagen:'Ich habe niemand gesehen.' Ich weiß nur, dass die Faustbüchse eine feine Arbeit ist. Die lässt man nicht zurück, wenn man nicht muss. Und da ist schon die nächste Frage: Warum haben die Angreifer sich diese Waffe nicht geschnappt? Ich habe sie gereinigt und geschmiert. Sie ist vollkommen in Ordnung! Sie hat im Gebüsch gelegen, aber ich würde jedenfalls danach suchen!"

Ich stelle mir einen Moment lang die Situation vor.
„Ich habe noch nie einen Kampf gesehen, Herr Drebber. Aber wenn ich bedenke, dass sie den Reisenden unbedingt schnappen wollten – sie hatten im Getümmel und im Dunklen einfach keine Zeit, danach zu suchen. Den Fliehenden möglichst doch noch einzuholen, war mit Sicherheit wichtiger für diese Männer."
Der Vogt denkt nach und nickt.
„Nachdem sie das gesamte Dorf aufgescheucht hatten, wollten sie wohl schnell weiter, um in den anderen Dörfern zu suchen. Im Stockdunklen nach so einem Gegenstand zu tasten, ist schon ziemlich mühsam. Ja, das kann ich mir auch denken."

Mir fällt der Gürtel ein.
„Wartet einen Moment, Joseph Drebber."
Ich klettere schnell nach oben und bringe ihm den Gürtel runter. Ich halte ihm die seltsame Lederschlaufe hin.
„Habt Ihr eine Vorstellung, wozu diese Schlaufe gut sein könnte? Ich kenne so etwas nicht."
Er muss nicht lange überlegen.
„Das wird wohl die Halterung für die Faustbüchse sein. War da auch ein Beutel mit Kugeln?"
Ich bestätige das.
„Dann gehört die Büchse ihm, und er hat sie im Kampf verloren. Ich behalte sie dennoch bei mir. Das ist sicherer. Und so ist uns wenigstens eine Frage beantwortet."

Ich bin nicht böse darum, ich möchte keine Waffe im Hause haben! Aber irgendwas irritiert mich daran.

„Es ist seltsam, Herr Drebber. Der Mann hat zwei Wunden. Die große an der Schulter ist bestimmt von einem Degen, denn es ist ein Einstich, der so auch in Hemd und Wams zu finden ist. Aber die kleinere Wunde am Arm ist flach, ein bisschen ausgefranzt, und der Ärmel hat auch einen gefranzten Stoff an der Stelle. Ich dachte, es könnte eine Schusswunde sein. Aber wenn es seine eigene Waffe ist ... Wer schießt sich schon selbst in den Arm!"
Dazu weiß der Vogt auch keine Erklärung.

Eines muss ich doch nun noch wissen.
„Wieviel weiß die Frau Drebberin?"
Der Vogt antwortet gelassen.
„Meine Frau weiß einiges, aber nicht alles. Wir haben uns geeinigt, dass es besser für sie ist. Aber sie weiß genug, um uns für was auch immer den Rücken frei halten zu können."
Mit einem Gruß und Dank für das Brot an die Frau Drebberin schicke ich ihn wieder heim. Dann bringe ich gleich den Gürtel wieder auf den Boden zu den anderen Sachen meines seltsamen Gastes.

Am Nachmittag reitet ein Bote in Uniform ins Dorf, die Magd der Müllerin auf dem Weg zum Brunnen zeigt ihm den Weg, direkt zum Vogt. Auf ihrem Rückweg kann sie es nicht lassen, schnell an jede Tür zu klopfen und die Sensation zu verbreiten. Neugierige Nasen strecken sich aus vielen Türen. Wir hören nicht oft schnellen Hufschlag hier im Dorf an der Grenze. Ein jeder will wissen, wer der Fremde ist, der da in des Drebbers Tür verschwindet, nachdem er mit herrischem Klopfen Einlass verlangt hat. Der Drebber bringt ihn anschließend selbst zur Tür, verbeugt sich höflich, ein Knecht bringt ihm sein Pferd, mit stummem Gruß verschwindet der Mann zum nächsten Dorf, nach Wollershusen. Der Vogt schaut streng in die Runde zu den spaltbreit geöffneten Haustüren, die sich daraufhin alle schnell schließen. Auch ich verschwinde sogleich wieder im Haus. Der Vogt wird uns beizeiten berichten, was es damit auf sich hat. Eine so wichtige Botschaft geht im Zweifelsfalle doch alle an.

Kurz darauf kommt der Älteste der Drebbers bei mir angehüpft.
„Der Vater schickt mich, Frau Adam. Es soll nach der Kirch heut eine Versammlung geben, und heut sollen alle kommen. Er hat was zu vermelden, von dem Boten, der vorhin da war."
Ich lächele ihn an.
„Dank dir, Siegfried, für die Botschaft. Ich werd es einrichten. Hast du allen anderen auch schon Meldung gemacht?"
Er grinst.
„Ja, die Mutter hat mir einen Apfel gegeben, dass ich zu allen Türen im Dorf lauf. Nun muss ich noch rauf zum Müller. Und dann die andere Straßenseite wieder hinunter."
An seinem Grinsen erkenne ich, dass ihm dieser Botengang wie immer Spaß macht. Und ich weiß auch warum. Er bekommt an fast jeder Türe etwas zugesteckt für seinen Dienst, und das gefällt ihm natürlich sehr. Pfeifend zieht er weiter und flitzt dabei geschickt um die Schlaglöcher und tiefen Pfützen auf der Dorfstraße herum.

Ich dagegen steige nachdenklich auf meinen Dachboden, hocke mich neben den Fremden, kontrolliere das Fieber und die Wunden. Eigentlich geht es ihm fast gut, er ist ziemlich sicher über den Berg, wird seine Zeit zur Genesung brauchen, schwebt aber nicht mehr in Lebensgefahr. Nur wach werden will er einfach nicht. Ich sinne mal wieder nach, ob wir irgendwas übersehen haben. Ich habe einen schwer verletzten Mann hier liegen, der mitten in der Nacht herumreitet und überfallen wird. Der Mann ist wohlhabend, wenn nicht von Adel. Und nun kommt ein Bote und überbringt eine Nachricht an die Bevölkerung.
Sollte dieser Fremde hier zum Hofe des Herzogs gehören?

Es ist wie ein Rätselspiel. Wir haben ganz viele Informationen, ganz viele Ideen – und doch passt noch nichts davon zusammen mit all dem anderen. Wieder drehe und wende ich seine Habseligkeiten und suche nach weiteren Hinweisen, nach Antworten. Es hilft nichts. Ich kann nur abwarten, was der Vogt uns nachher berichten wird, was der Bote wohl gewollt oder verkündet hat. Seufzend krabbele ich meine Leiter wieder runter, nähre das Peterle, kaue dabei genussvoll ein Stück Brot von der Drebberin und mache mich dann auf den Weg in die Kirche. Es ist Buß- und Bettagsgottesdienst.

Vor der Türe begegne ich der Müllersfamilie, gleich danach stoßen Irmel und Jorge dazu, dann der kleine Jasper mit dem blinden Jasper. Nach und nach kommen weitere Nachbarn dazu, denn den Kirchgang lässt hier keiner aus. Und heute schon gar nicht, denn jeder wartet voller Spannung und Neugierde auf die anschließende Versammlung.
Ich tauche ein in die gewohnten Abläufe des Dorfes, alle reden von dem Boten und der Ankündigung des Vogtes, aber auch von Alltäglichem in Haus und Hof, vom Wetter, vom Vieh, von den Kindern. Müller Mathes erzählt mir, wie gut und anstellig sich mein Jakob bei ihm macht, wie viel Freude es macht, dem Jungen dabei zuzusehen, wie er eifrig lernt und gerne hilft. Auch seine Frau Britt stimmt in das Loblied mit ein. Sie ist so angetan, wie gut sich der Fünfjährige schon auszudrücken weiß, wie höflich er immer ist.
Ich bin glücklich und ein bisschen stolz, dass der Junge sich so gut im Leben zurecht finden kann und so gemocht wird. Das wird er so sehr brauchen, wenn er – kaum erwachsen – das Erbe seines Vaters in dieser winzigen, ärmlichen Kate antreten wird. Er erbt eine Stiefmutter, zwei unversorgte Geschwister, eine Bruchbude und haufenweise Schulden. Da braucht es Kraft, Mut und Besonnenheit, um dieses Leben zu meistern. Bei unseren Gesprächen kann ich dann endlich meine fruchtlosen, ständig um den Fremden kreisenden Fragen nach hinten drängen und komme mal wieder auf andere Gedanken. Und bald sind wir schon an der Kirche angelangt.

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7.1.2020    -    3.2.2021

eine Faustbüchse:

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