008 - Der Herzog ist tot - MI. 22.11.1570

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Neugierig versammelt sich das ganze Dorf zum Buß- und Bettagsgottesdienst in der Kirche. Jakob sitzt heute zwischen Mathis und Laurenz, der Tragekasten mit dem schlafenden Peterle lehnt neben mir an der Bank und meine Susanna darf wieder auf meinem Schoß kuscheln. Ich muss kurz schmunzeln und streiche ihr über den schmächtigen Rücken.

Wenn sie mal groß ist, wird sie die Kirche lieben, weil es sie an die kuscheligsten Momente mit ihrer Mutter erinnert.

Innig steigen unsere Gesänge zur hölzernen Decke unserer kleinen Dorfkirche, mahnend sind die Worte des Pfarrers während der ernsten Predigt, lang sind die Bekenntnisse während der anschließenden Fürbitte. Und doch ist es wie immer eine Befreiung für mich zu wissen, dass Christus meine Sünden mit ans Kreuz genommen hat, dass ich mein Bestes gegeben habe und gebe, dass Gott das genügt, um mir zu vergeben.

Als der Gottesdienst rum ist, wollen schon alle aufstehen und sich in den Versammlungssaal begeben, da geht der Vogt mit zügigen Schritten nach vorn. Der Pfarrer scheint das schon gewusst zu haben, denn er macht bereitwillig Platz vor dem Altar. Der Drebbersche räuspert sich und schaut mit ernstem Blick einmal durch die Bänke voller abgehärmter, aber sehr neugieriger Männer, Frauen und Kinder. Ganz kurz bleibt er bei mir hängen, aber keine Miene verzieht sich, als er mir in die Augen schaut. Es ist wie eine Warnung, einfach stille zu halten.

„Ihr alle habt den Boten heute durchs Dorf reiten sehen. Er brachte nicht so frohe Kunde von der Heldenburg in Salzderhelden, aus dem Hause unseres edlen Fürsten. Vor einer Woche verstarb unser geliebter Herzog Johann II. im gesegneten Alter von 53 Jahren. Sein älterer Sohn wird ihm als Johann III. auf dem Thron folgen. Wir werden aufgefordert, für das Seelenheil unseres dahingeschiedenen Fürsten zu beten, was wir sicherlich gleich gemeinsam tun werden."
Unruhe macht sich breit, Gemurmel kommt in der Kirche auf. Ein neuer Herrscher bedeutet immer Neuerungen, aber nicht immer gute. Jeder verfolgt seine eigenen Interessen, demonstriert seine Macht, feiert teure Feste auf unserem Rücken, das Volk muss immer brav mit.

Wieder liegt der Blick des Vogtes ganz kurz auf mir, bevor er mit einer großen Geste für Ruhe in der Kirche sorgt.
„Die Botschaft kam allerdings nicht vom neuen Herzog Johann III. sondern von seinem Bruder Ludwig. Johann III. sei kurz vor dem Tod des Vaters auf Reisen in den Norden gegangen und nicht so schnell erreichbar, darum würde mit der Beisetzung des alten und der Krönungszeremonie des neuen Herzogs bis Weihnachten gewartet. Er, Ludwig, werde so lange die Regierungsgeschäfte mit größter Sorgfalt und Treue im Namen seines Bruders versehen."

Diesmal ist es schwerer, den Tumult in der Kirche zu beenden, der Vogt muss seine Stimme erheben. Ich vermeide den Blick zu Jorge und Irmel, Klaas und Lene, dem Vogt und seiner Frau. Aber ich sehe mich dennoch in der Kirche um und finde nur Sorge und Verunsicherung in den Gesichtern.
„Ich bin sicher, dass der Bruder Ludwig seiner Aufgabe mit Geschick und ganz im Sinne seines Bruders, des neuen Herzogs, gerecht werden wird. Er hat einen Ruf als sehr aufrichtiger, besonnener und kluger Mann, der seinem älteren Bruder sehr zugetan ist. Das Volk ist also aufgerufen, sich vertrauensvoll unter seine Führung zu begeben und Ruhe zu bewahren."

Ein strenger Blick des Vogtes bringt nun endlich alle zum Schweigen. Er strebt dem Ende der Versammlung zu, um dem Gerede ein Ende zu bereiten.
„Es ist nicht unsere Aufgabe, das Handeln unserer Fürsten zu hinterfragen. Wir leben in Frieden und tun treu unseren Dienst. Den Rest wird Gott dazutun. Lasst uns nun für das Seelenheil unseres heimgegangenen Fürsten beten."
Mit diesen Worten schaut er den Pfarrer auffordernd an, der nun wiederum an den Altar tritt. Stille kehrt in der Kirche ein, als er zu beten beginnt. Zum Abschluss stimmt er Luthers alten Choral an.

„Verleih uns Frieden gnädiglich,
Herr Gott, zu unsern Zeiten.
Es ist doch ja kein andrer nicht,
der für uns könnte streiten,
denn du, unser Gott, alleine."

Schweigend verlassen wir alle die Kirche. Aufs Neue kreisen meine Gedanken um den Fremden auf meinem Dachboden. Ich bringe das Peterle ins Bett, verriegele meine Türen, versorge die Ziegen und das Federvieh, setze mich ans Licht des spärlichen Herdfeuers zum Sticken – aber meine Gedanken sind auf dem Dachboden. Und das scheint nicht nur mir so zu gehen, denn kaum haben sich die Dunkelheit und Stille der Nacht über unser Dorf gesenkt, scharrt es an meiner Tür. Der Jungbauer Klaas Rand, mein Nachbar Jorge und Vogt Drebber stehen davor und bitten um Einlass. Schweigend stehen die drei Männer nun um mein kleines Herdfeuer, wir sehen uns an, keiner wagt einen Anfang.
Schließlich atmet der Vogt tief durch.
„Anna Adam, sollen wir dann doch auf deinen Boden steigen?"

Eifrig ums Helfen bemüht, legt Klaas die Leiter an der Bodenluke an, steigt mit einem kleinen Licht vorweg, gefolgt vom Vogt und Jorge. Ich vergewissere mich, dass das Peterle fest schläft und steige hinterher. Im Licht der Öllampe sitzen wir um den schlafenden Verwundeten. Und ich entschließe mich, dem Vogt nun die ganze Wahrheit zu beichten. Ich berichte von dem Pferd, das bei Klaas steht, von der vornehmen Kleidung, dem vollen Beutel mit Geld. Der Drebber hört schweigend und konzentriert zu, begutachtet all die Dinge des Fremden, schweigt noch immer.

Er reibt sich müde über die Augen und seufzt.
„Ich weiß allmählich nicht mehr, was ich glauben, noch, was ich machen soll. Dieser Mann ist sehr wohlhabend. Vermutlich von Adel. Einen Moment lang habe ich vermutet, ..."
Er verstummt und überlässt es unserer Vorstellungskraft, was er wohl vermutet hat.
„Ich bin mir jedenfalls sehr sicher, dass der Bote nur die halbe Wahrheit durchs Land trägt. Er wirkte nicht, als ob er um seinen Herrscher trauert, sondern wie ... völlig verunsichert? In Sorge? Und auch die Botschaft ... dass nun der Bruder ran muss ... Es ist seltsam, dass diese beiden Ereignisse so aufeinander fallen, und ich verstehe das alles nicht. Aber das kann ja doch nicht sein. Warum sollte der Bote lügen? Der neue Herzog ist vielleicht in Braunschweig in politischen Angelegenheiten. Dann wird ihn die Nachricht vom Tode seines Vaters sicher bald erreichen."

Ich halte die Luft an.
Er meint doch nicht etwa ...
Mein Blick fällt auf den Kranken.
WER bist du? Es gibt mit Sicherheit mehrere Menschen, die nach dir suchen – dein Diener. Und dein Mörder. Und vielleicht dein – Bruder. Wach auf!
Ich schenke meine Aufmerksamkeit wieder dem Vogt.
„Ich wüsste aber beim besten Willen nicht, wohin ich mich mit meiner Verwirrung wenden sollte. Zum Brudenhusen jedenfalls ganz gewiss nicht! Obwohl ich das eigentlich müsste. Und obendrein sind das alles nur grobe Vermutungen, die so abwegig klingen, dass ich selbst mich dafür einsperren würde, käme ich mit so einer verworrenen Geschichte daher."
Klaas Rand findet als erster die Sprache wieder.
„Vogt Drebber, ich denke uns bleibt nichts anderes übrig, als noch weiter abzuwarten, bis der Mann aufwacht. Nur er weiß, was ihm geschehen ist. Alles andere ist ein Sumpf, in dem wir nur ersaufen können."

Still betrachte ich das entspannte Gesicht meines vielleicht sehr vornehmen Gastes. Wie er da so liegt, scheint ihn nichts zu quälen, nichts zu verfolgen. Ich bin unglaublich dankbar, dass ich von Anfang an verschwiegen war, nur wenige eingeweiht habe und dabei an die Richtigen geraten bin.
„Gemeinsam müssen wir unter allen Umständen dieses Geheimnis wahren, wenn wir ihn nicht nochmals in Gefahr bringen wollen. Ich wundere mich auch, ob nicht der Auftraggeber dieser Meuchelmörder einen Beweis seines Todes haben wollte. Dass die Männer ihn gesucht haben, beweist doch, dass sie ihn am Leben glaubten. Oder hofften, dass er gestorben ist, und nun nach seiner Leiche suchten. Die Gefahr, dass er irgendwann am falschen Ort gesund zur Tür herein spaziert, können sie sicher nicht haben wollen."
In diesem Punkt sind wir uns einig und verabreden weiteres Stillschweigen, um nicht irgendjemand aus dem Dorf in Gefahr zu bringen. Dann verlassen wir wieder den Dachboden, und einer nach dem anderen schleichen die Männer durch die Dunkelheit nach Hause. Meine Lage behagt mir nicht.

In der Haut des Vogtes möchte ich jetzt aber auch nicht stecken ...

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8.1.2020    -    3.2.2021

der Tragekasten:

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