014 - der 1. Advent - SO. 3.12.1570

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Das lange Jahr neigt sich dem Ende zu. Das Dorf versammelt sich zum festlichen Advents-Gottesdienst in der Kirche. Und mein Gast bedauert, dass er nicht mitgehen kann. Es macht ihn so kribbelig, eingesperrt zu sein. Er möchte so gerne teilhaben am Dorfleben. Er ist offensichtlich ein sehr geselliger Mensch, der Gemeinschaft genießt. Als ich mich fertig mache für den Kirchgang, muss ich ihm versprechen, dass wir uns bald etwas einfallen lassen, wie wir ihn „legal" ins Dorf bekommen, ohne dass er entdeckt wird.

„Ich werde mir jedenfalls mal die Haare und den Bart weiter wachsen lassen. Und die niedrige Decke hier oben macht es mir leicht, mir eine krumme Haltung und eine schiefe Gangart zuzulegen."
Seine Augen blitzen fröhlich, sein verschmitztes Gesicht lächelt durch die Bodenluke zu mir herunter, und ich bin mal wieder froh, dass er mit seinem Gedächtnis nicht auch seinen Humor verloren hat. Nachdem ich also Hannes sein Frühstück nach oben gebracht und mich warm angezogen habe, ziehe ich alleine los zur Kirche, nur den Tragkasten mit dem Peterle unterm Arm, und verspreche Hannes, dass ich hinterher erzähle und mit ihm ein, zwei Lieder singe.

Kaum betrete ich die Kirche, kommen Jakob und die kleine Susanna auf ihren kurzen Beinchen auf mich zugelaufen. Ich spüre, dass die Kinder anfangen, mich zu vermissen. Vor allem Susanna braucht es eigentlich noch viel zu sehr, bei mir zu sein. Also gebe ich das Peterle, das friedlich in seinem Tragekasten schläft, ab an Irmel und hebe Susanna auf meinen Schoß. Sie kann schon fein reden und plappert gleich drauflos, welche Geschichte die Lene ihr gestern zum Einschlafen erzählt hat. Aber als der Pfarrer aus der Sakristei kommt und wir den ersten Gesang anstimmen, wird sie schnell still und lehnt sich einfach in meine Arme.

Mit großen Augen betrachten die Kinder des Dorfes die mit Tannengrün geschmückte Kirche und den Stern. Der hölzerne, gezackte Festbote ist wie ein Prophet für die Kinder. Er wird immer erst neben dem Altar von der Decke gehängt, wenn die Kinder tags zuvor fertig sind mit dem Schmücken der Kirche. So sehen sie ihn vorher nicht und haben immernoch etwas, worauf sie sich freuen können. Feierlich stimmen wir das „Nun komm der Heiden Heiland" von Luther an.
Der Pfarrer spricht die Eingangsworte, und dann wendet er sich direkt an die vielen Kinder. „Wisst ihr noch, was wir vor ein paar Tagen besprochen haben? Heute ist es endlich so weit! Heute beginnt der Advent, die Zeit, in der wir auf die Geburt unseres Heilands warten. Ich habe wohl gemerkt, wie ungeduldig ihr seid. Und darum habe ich euch versprochen, dass ihr an den Kerzen sehen könnt, wie lange es noch dauert."
Er zündet die erste Kerze auf dem Altar an. „Nächsten Sonntag werde ich zwei Kerzen anzünden. Und wenn ich die Vierte anmache, dann ist Weihnachten da!"
Glücklich glänzen die Gesichter der Kinder. Nun kann der Gottesdienst seinen Lauf nehmen. Innig betet das ganze Dorf, dass wir gemeinsam den Winter überstehen mögen, dass der Herr gnädig mit uns sein und uns bewahren möge. Und jeder hier weiß, woran alle anderen denken. Die Sau.

Nach dem feierlichen Auszug aus der Kirche strebe ich zum Vogt, um ihm von der neuesten Entwicklung zu berichten. Gleichzeitig sehe ich, wie der kleine Jasper den blinden Jasper an der Hand nimmt, und dann steuern die beiden ebenfalls den Vogt an. Kurz darauf finden wir uns in der Küche von der Lene wieder, die nämlich den Klaas und mich zum 1. Advent zum Mittagessen eingeladen hat. Der Vogt stößt auch dazu, der kleine Jasper lenkt Jakob und Susanna ab. Und dann kann der blinde Jasper nicht mehr an sich halten.
„Vogt Drebber! Die Knechte des Steuereintreibers gestern – zwei waren bei mir drin. Und der eine hatte eine Stimme ..."
Gespannt sehen wir ihn alle an, denn Jaspers Gabe, Stimmen wieder zu erkennen, ist beeindruckend.
„... wie einer der Männer, die in der Sturmnacht nach dem Fremden gesucht haben!"

Ich zucke zusammen.     Warum sucht ein Knecht unseres Lehnsverwalters – oder seines Steuereintreibers – nach unserem heimlichen Gast?      Klaas und die Lene machen große Augen.
Der Drebber kratzt sich verwirrt den Bart. „Oh Herr! Ich bin das Spekulieren und Herumraten sooo leid! Wer ist dieser Mann??? Und warum suchen ihn alle, aber keiner gibt es zu?"
Wir wissen keine Antwort.

Ich spüre, wie schwer ihm die Verantwortung für das fremde Leben, aber auch für die Menschen in diesem Dorf auf seinen Schultern lasten.
„Ich habe Neues zu berichten, da mein Gast nun seit Dienstag eigentlich immer den ganzen Tag wach ist. Er ist sehr unruhig, fühlt sich eingesperrt und will da raus. Gleichwohl ist völlig klar, dass er hier im Dorf bleiben möchte. Seine Sehnsucht ist, dass er eine legale Möglichkeit findet, von den Verfolgern unentdeckt und doch offen hier leben zu können. Er fragt mir Löcher in den Bauch, versucht, mir zu helfen, verlangt nach Arbeit, obwohl er das mit der Verletzung noch gar nicht kann."

Eigentlich freuen sich alle, dass er so gut zu Wege ist. Aber als ich ihnen erzähle, wie wütend er über den Steuereintreiber war, dass er ein neues Schwein bezahlen will, wie ich ihm an der Nasenspitze angesehen habe, dass er das selbst in die Hand nehmen will, schauen mich die anderen groß an.
Klaas findet als erster die Worte wieder. „Das heißt, er hat seine Kleidung und diesen prallen Beutel gesehen und weiß immernoch nicht, wer er ist?"
Ich nicke. „Er ist so durcheinander. Er will alles wissen über das Dorf, unser Leben, unsere Arbeit, hat aber keine Ahnung davon. Er fühlt sich einfach, will nicht 'Hoher Herr' genannt werden, sieht seine feine Kleidung – und pfeffert sie in die Ecke, weil sie nicht in sein momentanes Bild von sich selbst passt. Er verliert bald die Sprache ob seines Reichtums, und das einzige, was sein Hirn ausspuckt, ist die Idee, dass ER ja dann wohl der Wegelagerer war."

Alle schütteln den Kopf. „Aber er will uns mit dem Geld helfen? Merkt er selbst nicht, wie sehr er zu entscheiden und zu befehlen gewohnt ist???"
Ich schüttele den Kopf. „Wir sollten anfangen zu überlegen, wie wir ihn da oben runter kriegen. Sonst dreht er durch. Er hat mich sogar vorgestern um etwas zu lesen gebeten."

Wir reden hin und her und kommen auf die Idee, dass er – sobald er wieder recht bei Kräften ist – doch heimlich in den Wald gehen und dann am hellichten Tage, als Wanderbursche gekleidet, auftauchen könne. Er könne im Dorf als Knecht anheuern und wäre dann ganz legal hier. Er könne am Dorfleben teilhaben und mit in die Kirch gehen. Bliebe das Problem, dass um die Jahreszeit keine Knechte zu wandern pflegen, dass um die Jahreszeit kein Dörfler einen neuen Knecht und weiteren Esser brauchen kann – und dass er bei den nächsten Steuerheimsuchungen nicht als Dorfbewohner auftauchen dürfte, weil er erkannt werden könnte. Und dann müssten wir doch dem ganzen Dorf erklären, warum wir so viel Geferz um einen dahergelaufenen Knecht machen.

Der Vogt wiegt nachdenklich den Kopf. „So weit hergeholt ist das nicht. Jeder Mensch weiß, dass ein Hof von einer Frau allein bewirtschaftet werden kann. Aber jeder hier weiß auch, dass ein Knecht bei dir, Frau Adam, ab der Frühjahrsfeldarbeit das ganze Dorf entlasten würde. Und wenn jetzt einer daherkäme, wäre das eine Gelegenheit, die wir ergreifen und allen anderen auch so verkaufen könnten. Bleibt das Problem, dass dieser Knecht des Steuereintreibers ihn erkennen könnte als den, den er vor ein paar Wochen noch ermorden sollte. Und dass dieser Mensch so nah aus dem Umfeld unseres Verwalters kommt, behagt mir überhaupt nicht."

Seufzend vertagen wir das Problem. Aber jedem ist klar, dass wir damit nicht mehr lange warten dürfen. Und zu lange dürfen wir heute auch nicht mehr beieinander hocken. Also gehen die Jaspers und der Vogt nach Hause.
Der alte Jasper bekommt das Schmunzeln und sagt zum Abschied leise:"Wenn er denn als Wanderbursche hier auftaucht, könnte er ja mit einem Schwein auf Wanderschaft sein ..."

Wir anderen essen nun die köstliche Suppe mit dem frischen Brot, die die Lene uns zubereitet hat. Sie weiß selbst aus Wasser noch mit Kräutern ein schmackhaftes Essen zu zaubern. Zwischendurch hat das Peterle sein Teil gefordert, und nun ist Susanna auf meinem Schoß eingeschlafen. Ich bringe es kaum übers Herz, sie zu wecken und hier zu lassen. Also schicke ich meinen Jakob nach Hause, er soll ganz sorgfältig das Bündel aus meiner Kiste holen und unterwegs ja nichts fallen lassen. Freudig flitzt er davon und kommt nach einer Viertelstunde wieder mit dem roten Wams, dem gelben Garn und meinem kleinen Nadelkissen. Wir Frauen genießen es zu schwatzen, die Kinder genießen es, um uns herum mit Steinchen und Stöckchen zu spielen, und meine Hände säumen fleißig mit Nadel und Faden die Schlitze am feinen Wams des Verwalters. Mir ist bewusst, dass ich Hannes damit lange alleine lasse. Aber gleichzeitig genieße ich die Gesellschaft von Lene und den Anblick meiner fröhlich spielenden Kinder.

Als die Dämmerung einsetzt, verabschiede ich mich von der Lene, die meine Anwesenheit auch genossen hat, und den Kindern, die nun müde gespielt sind. Ich schnüre sorgfältig mein Bündel und strebe nach Hause. Hannes wartet.

...................................................................

14.1.2020

die lahme Lene (in Wirklichkeit Dürers Mutter ...)

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro