036 - warten auf Weihnachten - DO. 21.12.1570

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Hannes ruht sich eine Weile aus, und wir anderen Drei vertagen das „kleine" Problem. Klaas und der Vogt gehen nach Hause. Ich mache mich an die Aufgabe, meinen Kindern zu erklären, was ich in den kommenden Tagen bis hin zur Heiligen Nacht werde tun müssen. Mit traurigen Augen krabbelt Susanna auf meinen Schoß, und ich weiß sofort, was Hannes gemeint hat. Jakob ist zwar alt genug, um zu begreifen, dass ich keine Wahl habe, aber auch sein Gesicht zeigt deutlich, wie weh ihm das tut.
„Mutter, dann bist du ja gar nicht da, wenn ich den Hirten spiel!"
Tröstend ziehe ich auch den Großen auf meinen Schoß und drücke alle beide einmal ganz fest.
„Ich bin auch traurig. Und darum wollen wir noch weiter überlegen, ob wir das nicht anders hinkriegen können. Aber jetzt müssen wir vor allem unsere Köpfe hoch erheben und uns nicht die Laune verderben lassen. Was haltet ihr davon, wenn wir in den Wald gehen, uns ein paar Zweige holen und unser warmes und trockenes Häuschen ein bisschen schmücken, damit wir den Herrn Jesus so richtig feierlich begrüßen können unter unserem frisch gedeckten Dach?"
Jakob hüpft von meinem Schoß. Gesegnet dieses Kind, das nie lange traurig sein kann.
„So schmücken wie die Kirche? Das wird fein! Aber dann brauchen wir auch einen Stern!"
Ich bin so dankbar, dass er gleich drauf eingeht.

Von oben höre ich Geräusche.
„Vielleicht können wir uns einen Stern aus Zweigen flechten oder aus Stroh. Wir versuchen es einfach."
Mit diesen Worten kommt Hannes die Leiter herunter, stellt uns allen auffordernd die Holzklompen hin und greift nach unseren Mänteln. Er hält mir den Umhang hin und hilft mir hinein.
„Darf ich bitten, die Dame?"
Im nächsten Moment weiß ich nicht, wohin mit meiner Freude. Jakob hat Hannes sehr genau beobachtet. In dem Moment, wo der mir in den Umhang hilft, greift Jakob nach Susannas Umhang und legt ihn ihr galant um die Schultern. Dann ziehen sich auch die Männer warm an, ich nehme das Peterle aus seinem Kasten und binde ihn mir mit einem großen Tuch einfach vor den Bauch. So kann ich ihn besser warm halten.

Hannes greift ein paar Seile, ein kleines Beil und sein scharfes Messer aus dem Werkzeugschrank.
„Jakob, willst du auch dein neues Schnitzmesser mitnehmen?"
Jakob greift stolz sein Messer, und dann ziehen wir los. Fröhlich singend laufen wir immer weiter in den Wald hinein, bis wir zur Rhuma kommen. Dort schneiden wir biegsame Weidenzweige und einige Bündel Schilf. Susanna hat ein paar Kiefernzapfen am Wegrand gefunden, und Jakob schneidet mit sehr ernsthafter Miene ein paar Zweige von einer Fichte ab.

Schließlich machen wir wieder kehrt und kommen mit der frühen Dämmerung zu Hause an. Ich koche schnell einen Kräutertee für alle, während Hannes sich den wachen und neugierigen Peter auf den Schoß setzt und die beiden Großen all unsere Fundstücke auf dem Tisch ausbreiten.
„Lasst uns doch einmal sehen, was wir hier alles haben. Ich denke, eine paar grüne Zweige können wir an die Haustür hängen. Und für die Sterne würde ich das Schilf oder die Weidenzweige nehmen. Nur wie wollen wir die verbinden?"

Ich gieße den Tee auf, lasse ihn zum Ziehen am Herd stehen und gehe zu meiner Truhe.
„Lasst mich sehen, ob ich hier etwas finde."
Ich ziehe ein Knäuel verschiedener Garn- und Wollreste hervor und finde etwas weiße, gelbe und braune Wolle.
„Schaut mal, vielleicht können wir die Zweige damit umwickeln und so verbinden."
Eine ganze Weile probieren wir herum, legen das Schilf in Sternform. Und nach und nach entstehen mehrere fröhlich krumm und schiefe, klein und große Sterne. Die Schilfsterne werden besonders schön. Sie haben fünf Zacken, die sich an den Enden überschneiden. Dort wickelt Susanna hochkonzentriert die braune Wolle drumrum, während ich ihr das Schilf hinhalte und schließlich einen Knoten hineinmache. Hannes und Jakob versuchen sich derweil daran, die Weidenzweige in Sternform zu flechten. Es entstehen sehr seltsame Gebilde, und wir haben viel zu lachen. Mit Feuereifer und vor Aufregung und Freude roten Wangen sind die Kinder dabei. Schließlich legen Hannes und Jakob die Weidenruten in Bündel und formen daraus einen sechseckigen Stern. Als sie fertig sind, stellen wir fest, dass er so groß ist, dass wir ihn eigentlich nur vors Haus stellen können. An die sechs Ecken wird noch je einer von Susannas Zapfen gebunden, dann stellen wir den Stern neben die Tür, damit wir ihn bei unserer Rückkehr in der Weihnacht gleich vors Haus weithin sichtbar an einen Busch stellen können.


Die Kinder fangen an zu gähnen, also räumen wir das ganze Äste- und Restezeug beiseite und bereiten ein schnelles Abendbrot vor. Brot, Käse, der Kräutertee. Wir danken Gott für das Mahl und für diesen ganz besonderen, vergnügten Nachmittag.     Wann habe ich schonmal soviel Zeit für die Kinder, für mich, für so ausgelassene Fröhlichkeit!     Schnell bringen wir die Kinder auf der Pritsche zum Schlafen, und ich singe ihnen ein Gutenachtlied.

Weil ich Jesu Schäflein bin,

freu ich mich nur immerhin

über meinen guten Hirten,

der mich wohl weiß, zu bewirten.

Der mich liebt und der mich kennt

und bei meinem Namen nennt!"

Aus dem Augenwinkel sehe ich dabei, dass Hannes die Augen geschlossen hat und die Töne in sich aufzusaugen scheint. Nach dem Verhallen der letzten Töne sitzen wir beide noch einen Moment ganz still da. Dann geht Hannes mit einem Lächeln auf den Lippen zur Leiter und steigt leise nach oben.

Ich trete an den Tisch heran und betrachte das bunte Durcheinander unserer kleinen und großen Sterne. Ich sehe vor meinem inneren Auge noch einmal, wie Hannes da sitzt – das Peterle auf seinem Schoß, Susanna rechts, Jakob links von ihm auf der Bank – und mit glücklich glitzernden Augen. Ich drehe meine wundervolle Lampe etwas herunter, nähre das Peterle, melke die Ziegen, schrote eine Handvoll Getreide und weiche es ein für den Morgenbrei. Ich fühle mich seltsam frei und zufrieden. Das Wams für den Verwalter ist fertig. Mein Tagwerk ist getan, ich muss nichts mehr tun heute. Das ist seltsam. Ungewohnt. Und ungeheuer wohltuend.

Ich folge einem Impuls und steige mit der Lampe die Leiter zu Hannes hinauf. Vorsichtig lunze ich über den Rand und stelle fest, dass Hannes im Schneidersitz vor seinem kleinen Brettertisch sitzt und etwas schreibt. Bevor ich mich leise zurückziehen kann, spricht er mich schon an.
„Kommt rauf, Frau Adam. Ich bin auch noch nicht müde."
Also steige ich die letzten Sprossen der Leiter auch noch hinauf und setze mich bei Hannes auf den Schemel. Ich richte meinen Blick auf meine Hände. Wir schweigen beide, und ich stelle fest, dass ich mich nicht daran erinnern kann, wann ich das letzte Mal nichts in den Händen gehabt habe. Wann ich das letzte Mal einfach nur einen Moment lang untätig und stille sein durfte. Erstaunt drehe ich meine Hände hin und her.

„Es ist ungewohnt, nicht?"
Hannes Stimme ist nur ein Flüstern. Aber er hat mich wortlos verstanden.
„Ja. Seltsam. Das kenne ich gar nicht. Seit dem Tag, an dem ich als Magd hierher gekommen bin, hatte ich wirklich immer was in den Händen. Die Freifrau von Lenthe hat uns immer dazu angehalten, dass wir auch mal einfach spielen, lesen oder träumen. Sie hat immer gesagt:'Träume sind die Lieder der Seele, wenn sie innehält.' Sie hatte so viel Liebe und Weisheit für jeden von uns." ... „Ich vermisse sie immernoch."
Hannes legt seinen Stift weg und schaut mich eine Weile stumm an.

„Ihr sprecht oft von ihr, Frau Adam. Sie war wie eine Mutter für Euch."
Ich nicke bloß. Dann schaue ich zu meinem Gebetbüchlein hin, das auf Hannes einfachem Tisch liegt.
„Ist Euch bewusst, dass sie Euch eine Widmung in das Buch geschrieben hat?"
Ich nicke wieder.
„Ja. Sie hat jedem vorne einen Satz hineingeschrieben. Das Datum und den Vers zur Konfirmation."
Hannes schüttelt den Kopf.
„Nein. Das meine ich nicht. Ganz hinten auf der letzten Seite steht noch etwas. Wartet."
Er will das Gebetbuch aufschlagen, doch ich greife schneller zu. Ich klappe den hinteren Deckel zur Seite und starre auf die wenigen Buchstaben.

Für meine geliebte Anna:
Ich will dir den Schlüssel des Himmelsreiches geben."

Matthäus 16, 19a

Intuitiv greife ich an meinen Hals.     Ja, sie hat mich geliebt. Ich habe es jeden einzelnen Tag spüren dürfen. Aber geblieben ist mir von ihr nur dieses Buch – und der Schlüssel.     Hannes schaut mich fragend an.
„Hat dieser Vers eine Bedeutung für Euch, Frau Adam? Wisst Ihr, was sie Euch damit sagen will?"
Ich kann nur den Kopf schütteln.
„Nein. Nein, diese Bibelstelle kenne ich nicht. Aber ..."
„Aber? ... Verzeiht, ich will nicht in Euch dringen."

Ich lächele ihn an. „Schon gut."
Ich greife unter die wärmenden Tücher an meinem Hals und ziehe an dem silbernen Kettchen, das dort schon hängt, so lange ich denken kann.
„Aber ich habe tatsächlich einen Schlüssel. Und immer, wenn ich sie gefragt habe, was das für ein Schlüssel ist, ist sie mir ausgewichen und hat nur gesagt:'Pass gut darauf auf, Anna. Was auch immer passiert. Diesen Schlüssel darfst du nie verlieren.' Sie hat immer, immer alle von uns gleich behandelt. Aber so einen Schlüssel ... hatte nur ich."

Ich ziehe den Schlüssel nun ganz hervor und zeige ihn Hannes. Er betrachtet das zierliche Ding eingehend.
„Das ist ein sehr kleiner Schlüssel, der aussieht, als gehöre er zu einem recht komplizierten Schloss. Das kann keine Tür sein. Das muss etwas Kleineres sein, das man aber gut geschützt wissen will."
Ich zucke mit den Schultern und stecke den Schlüssel wieder weg.
„Ich habe nie in meinem Leben etwas gesehen, worauf diese Beschreibung passen könnte. Und ich habe ehrlich gesagt auch nie versucht, mich aufzulehnen, um es herauszufinden. Er war einfach schon immer da."

Wieder schweigen wir eine ganze Weile. Plötzlich unterbricht Hannes noch einmal die Stille.
„Das war schön heute Nachmittag. Die Kinder waren so glücklich dabei. Und ich habe endlich mal aufgehört nachzudenken. Ich habe das alles unendlich genossen. Danke, dass ich hier sein darf!"

 Etwas abwesend antworte ich ihm.
„Natürlich, Hannes. Ihr seid von Herzen willkommen."
Aber meine Gedanken hängen bei der Widmung fest, auf die ich noch immer starre – und bei dem Schlüssel um meinen Hals. Kurz darauf wünsche ich ihm eine gute Nacht, steige die Leiter hinunter und gehe ins Bett. Aber an Schlaf ist noch lange nicht zu denken. Ich liege im Dunkeln und starre Löcher in die Nacht auf der Suche nach einer Antwort.

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5.2.2020

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