037 - die große weite Welt - FR. 22.12.1570

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Am folgenden Morgen geht Hannes wie an jedem Tag zu Klaas, um „des Pastors Pferd" zu versorgen und zu bewegen. Als er nach einer Weile wiederkommt, hat er unterwegs den Vogt besucht und ist mit einem Entschluss wiedergekommen.
„Frau Adam, ich bin doch Euer Knecht. Und als solcher muss ich Euch doch hinfahren, wo Ihr wollt. Also kann ich Euch ja nach Gieboldehusen fahren. Und wenn wir die Kinder mitnehmen, dann kann es doch eigentlich auch kein Gerede geben."
Fast trotzig schaut er mich an.
„Was sagt der Vogt dazu?"
Hannes Miene erhellt sich. „Der hat gezögert, aber er hat ja gesagt. Aber es muss ganz eindeutig sein, dass da eine Bäuerin vom Knecht in die Stadt gefahren wird."

Bedeutungsschwer hängt sein Satz in der Luft, und ich brauche einen Augenblick, bis ich begreife, was er meint.     Das Gewand. Das schöne Gewand, das er mir aus Duderstadt mitgebracht hat. Nicht ER wird sich als der freie Bauer verkleiden, der das Zimmer buchen kann. ICH soll die Bäuerin sein, die einkehrt, und er ist der Knecht. Er will so deutlich unter mir stehen, dass niemand auf die Idee kommen kann, dass etwas passieren könnte. Und während ich beim Verwalter bin, passt er auf die Kinder auf.     Mir wird warm ums Herz.
„Hannes, das ist eine gute Lösung. Und die Kinder werden staunen. Sie sind noch nie aus diesem Dorf herausgekommen. Das machen wir."

Während wir uns mit einer Tasse Tee an den Tisch setzen und den Kindern beim Spielen mit den Murmeln zusehen, denke ich weiter nach.
„Oh, aber die Frau Pastor muss dann wissen, dass Jakob erst am späten Nachmittag wieder hier sein wird."
Weiter laufen meine Gedanken.
„Hannes! Ich weiß doch nicht, ob das so gut ist. Denn dann fahrt Ihr mitten ins Land hinein, und jeder kann Euch sehen! Nicht, dass Euch das wieder in Gefahr bringt, entdeckt zu werden!"
Aber Hannes schüttelt den Kopf.
„Ich bin wild entschlossen. Ich werde wenig und nur Dialekt reden, ich werde mich wegen der Kälte bis zur Nasenspitze warm einpacken. Ich werde den Gasthof kaum verlassen. Das wird schon. Wenn wir nur zur Kirche wieder hier sind!"

Ich gebe mich geschlagen. Ich bin ja froh, wenn ich bei der Kälte nicht laufen muss, dazu noch mit dem Peterle auf dem Rücken. Also geben wir Vogt Drebber Bescheid, dass wir tatsächlich seinen Wagen nutzen wollen. Und gemeinsam mit unseren anderen Verbündeten sorgen wir dann dafür, dass sich diese „Entscheidung des Vogtes" im Dorf herumspricht. Der kleine Jasper verspricht, sich um die Ziegen und das Federvieh zu kümmern, die Frau Pastor beschließt, die letzte Probe für das Heilige Spiel auf den Samstag Vormittag zulegen, damit Jakob dabei sein kann. Und ich packe die neue Kleidung der Kinder, mein eigenes wunderschönes neues Gewand, Windeln fürs Peterle und natürlich das Wams für den Verwalter ein. Auch meine Sticknadeln und die Garnreste vergesse ich nicht. Alle Decken, die sich im Haus finden lassen, werden bereit gelegt, sofern wir sie nicht heute Nacht noch brauchen.

Die Reaktion der Kinder auf die Nachricht, dass wir gemeinsam eine „weite" Reise machen, bringt Hannes und mich zum Lachen. Beide starren uns mit offenem Mund an.
„Eine Reise? Weiter als bis in den Wald?"
Jakob will sofort alles wissen. Und noch viel mehr.
Susanna hingegen greift nach Hannes Hand und fragt ganz schüchtern:"Hannes, stimmts, du bist doch hierher auch weit gereist. Du weißt, wie das geht. Du kommst doch mit, oder?"
Hannes Stimme zittert einen Moment, als er antwortet.
„Ja, Susanna, ich komme mit. Eure Mutter muss die Reise machen. Und weil ich der Knecht bin, fahre ich den Wagen. Und passe auf euch alle auf. Und wenn die Mutter beim Verwalter ist, dann werden wir anderen richtig Spaß haben."

Susannas Miene hellt sich auf. Ich staune, wie schnell sie Vertrauen zu Hannes gefasst hat. Normalerweise ist sie viel zurückhaltender. Für alle drei Kinder ist es gut, dass wieder ein Mann im Hause ist. Auch wenns nicht der Vater ist, aber es ist ein Mann, ein Vorbild. Es ist nun hier wieder so, wie es in allen anderen Familien im Dorf ist. Das beruhigt die Kinder. Und ich habe endlich nicht mehr das Gefühl, nur zu existieren. Meine Kinder bei mir zu haben, sie so glücklich zu sehen, jemand zu haben, mit dem ich reden kann, die Lasten auf mehrere Schultern verteilen zu können – das ist ein Segen und ein Gottesgeschenk.

Den ganzen Freitag lang sind alle im Dorf schwer beschäftigt. Da wird gekocht, geputzt, gebacken. Da werden alle Kinder einmal in den großen Zuber gesteckt. Da wird vor lauter Vorfreude gesungen, gescherzt und gelacht. Die Frau Pastor übt mit den Kindern in der Kirche, die Lieder für das Heilige Spiel zu singen. Ein paar Mütter helfen und legen letzte Hand an die Verkleidung der Kinder. Als es gegen Mittag anfängt zu schneien, flitzen alle Kinder auf die Dorfstraße und liefern sich gegen die Knechte der Bauern eine hitzige Schneeballschlacht. Ich stehe heimlich in der Tür meiner Kate und schaue mit Glück im Herzen, wie Jakob herumtobt, wie Susanna vom Portal der Kirche her die anderen Kinder anfeuert, wie Hannes voller kindlicher Freude mittendrin steckt, als wäre er sein Lebtag noch nie wo anders gewesen als in diesem Dorf. Pudelnass, durchgefroren, ausgetobt und überglücklich kommen alle drei wieder heim, als die Dämmerung sich aufs Dorf senkt. Ich halte für sie wärmende Decken und heißen Tee bereit, und bald darauf stecken wir die Kinder ins Bett.

Sorgfältig kontrolliere ich noch einmal das Wams, ob ich auch wirklich das Muster fehlerfrei gearbeitet habe. Ob ich auch wirklich jeden Faden vernäht habe. Es macht mich jedesmal so sehr nervös, diesem willkürlichen Menschen so direkt ausgesetzt, ausgeliefert zu sein. Aber zum ersten Mal werde ich nicht halbe Tage lang müde durch die Gegend laufen, werde ich nicht heimlich und alleine in einer fremden Scheune im Stroh schlafen, werde ich nicht gedemütigt und allein wieder nach Hause schleichen. Ich werde fahren, ich werde in einem richtigen Bett schlafen, ich werde von meinen Kindern aufgeheitert werden und Hannes wird mich mit guten Worten und heiligem Zorn wieder aufmuntern. Energisch lege ich das Wams zusammen, wickele es in ein sauberes Tuch und gehe selbst ins Bett.

SA. 23.12.1570

Am nächsten Morgen versorge ich meinen Haushalt, Hannes bringt die Kinder zur Probe und kümmert sich um Hurtig. Ein paar Stunden später kommt er mit der Kutsche gefahren. Die Kinder sitzen stolz auf dem Bock. Erst gibt es noch eine warme Suppe und Brot für alle. Wir packen unsere wenigen Habseligkeiten hinten auf die Kutsche, ich schließe meine Kate, wickele Jakob und Susanna gut in einige Decken ein, binde mir das Peterle vor den Bauch und steige auch auf den Kutschbock. Einen Moment lang schauen Hannes und ich uns an.
„Los?"
Er nickt. „Los!"

Es schneit heute nur ganz wenig, aber die Landschaft um uns ist doch ganz weiß. Die Kinder juchzen vor Vergnügen und sitzen die folgenden Stunden staunend zwischen uns. Sie bemerken die Kälte nicht, sie langweilen sich nicht. Sie sitzen einfach da, schauen nach rechts und links und staunen, wie groß die weite Welt jenseits des Dorfes ist. In Rhumaspring machen wir eine kleine Pause in der Dorfschänke, damit sich alle aufwärmen können. Dort ziehe ich mir nun auch das feine Gewand über meine andere Kleidung. Mir wird dadurch noch etwas wärmer, und meine Erscheinung ändert sich deutlich. Sogar Schuhe hat er mir gekauft!

Zutiefst verunsichert trete ich aus der Schenke an die Kutsche heran, wo es sich die Kinder grade wieder bequem machen und fröhlich vor sich hin plappern. Hannes sieht mich, schüttelt einen kurzen Augenblick den Kopf. Und dann schaut er mich fest an, während er sich aufrichtet, mit einer leisen Geste sein eigenes Kinn anhebt und eine stolze Miene aufsetzt. Ich muss lächeln. Ich richte mich auf, hebe mein Kinn und schaue ihn fest an. Zufrieden nickt er und hilft mir galant auf den Kutschbock. Hannes steigt auf seiner Seite auf und schnalzt mit der Zunge, um das Pferd anzutreiben. Weiter geht die Reise.

Wieder eine Stunde später kommen wir ans „Große Butterloch". Das kleine Waldgebiet liegt in einer Senke, und niemand kann sich mehr erinnern, warum dieser Wald diesen seltsamen Namen trägt. Die Kinder lachen sich jedenfalls schief darüber und fangen an, sich selbst komische Ortsnamen auszudenken.
„Mutter, denk dir, wenn unser Mühlenberg stattdessen 'Umgedrehter Eimer' hieße!"

Als wir aus dem Wald herausfahren, können wir von weitem die Mauern des Schlosses  und der Stadt Gieboldehusen erkennen und den Kirchturm sehen. Ich hole tief Luft, und Hannes legt mir einmal kurz hinter dem Rücken der Kinder die Hand auf die Schulter. Ich ziehe nun auch den Kindern ihre ersten richtigen Schuhe an und lege ihnen die guten Mäntel um, bevor ich noch einmal die Decken um sie schlage. Gleich darauf lenkt Hannes den Wagen durch das Stadttor und sucht nach einer Herberge.

Die ist bald gefunden, ein Knecht nimmt Hannes im Hof den Wagen ab, und mit demütigen Bücklingen sucht Hannes den Wirt auf, um für eine Nacht ein Zimmer für mich und die Kinder und um einen Platz im Stroh für sich zu bitten. Mit viel mehr Sicherheit, als ich tatsächlich empfinde, bezahle ich den geforderten Preis mit Hannes Geld, nehme die Kinder an der Hand und folge Hannes, der unser Gepäck die Treppe hinauf trägt. Ich nähre das Peterle, lege ihn zum Schlafen in seinen Kasten und schnüre mein Bündel für den Gang zum Verwalter, während Hannes unten im Schankraum mit den großen Kindern etwas isst.

 Die Treppe knarzt, als ich wieder hinuntersteige und auch in den Schankraum gehe. Ich trete an den Tisch heran und erteile Hannes Befehle.
„Ich habe in der Stadt zu tun. Achte gut auf die Kinder und bring sie bald ins Bett. Lass bitte ein Nachtmahl für mich bereitstellen. Es wird eine Weile dauern, bis ich zurück bin."
Dann drehe ich mich um und gehe. Aber nicht direkt zur Burg sondern erstmal in den Stall, wo zu meinem Glück grade niemand zugange ist. So kann ich das feine Gewand wieder ausziehen und in der Box unseres Kutschpferdes verstecken. Auch die Schuhe ziehe ich aus und tausche sie gegen die Holzklompen ein, die hinten auf der Kutsche versteckt waren. So ausgerüstet, wie ich immer bin, trete ich dann meinen Weg zum Schloss an. Es wird Zeit, wenn ich nicht zu spät kommen will. Hastig eile ich die verschneite Allee zum Schloss entlang.

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6.2.2020

Und hier kommt jetzt mal eine Karte von der gesamten Grenzgegend, soweit es die Geschichte betrifft.

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