040 - die Heilige Nacht - SO. 24.12.1570

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Zwei Stunden später sind wir alle wieder aufgetaut, satt und froh, daheim zu sein. Das Dorf macht sich auf zur Kirche. Aber Susanna wimmert und wälzt sich mit hohem Fieber hin und her. Ihr kleines Gesicht glüht, und ein böser Husten schüttelt den zarten Körper durch und durch. Sie bekommt kaum Luft. Also muss Anna ihren kleinen Jakob allein und sehr enttäuscht von dannen ziehen lassen. Ich bin hin und her gerissen, ob ich bleiben oder gehen soll. Da wird Lene energisch.
„Hannes, es hilft Susanna überhaupt nicht, wenn hier noch einer mehr daneben sitzt und nichts tun kann. Ich gebe mein Bestes. Und Ihr geht jetzt in die Kirche und schaut dem Jakob zu. Der braucht Euch jetzt mehr als Susanna."
Ich nicke, verabschiede mich und gehe mit Klaas zur Kirche.

Als alle da sind, singen wir die Heilige Nacht herbei, Pastor Johann Crüger zündet nun endlich auch die vierte Kerze an. Alle Kinderaugen glänzen. Es ist Weihnachten. Aber ein paar Häuser weiter ringt ein kleines, zartes Mächen um sein Leben. Und mein ganzes Flehen in dieser Nacht gilt diesem Kind, das nicht bezahlen soll für den Unverstand der Erwachsenen und die Grausamkeit der Herrschenden um es herum.

Als alle Kinder sich vorne versammeln und verkleiden, um das Heilige Spiel der Weihnacht zu zeigen, schleicht auch Jakob traurig zum Altar. Da steht Irmel energisch auf, zieht ihr Tuch fester um ihre Schultern und geht hinaus. Als die Kinder sich eben aufstellen und anfangen wollen, huscht Anna zur Türe herein. Die Hirten sind grade auf ihrem Weg nach hinten, weil sie später von dort aus starten sollen. Und so sieht Jakob seine Mutter sofort. Ein Strahlen geht über sein müdes, kleines Gesicht. Nun ist er der glücklichste Hirte dieser Weihnacht. Seine Mutter wird zusehen!
Ich möchte nicht wissen, welche Überredungskünste Irmel anwenden musste, um Anna von Susannas Seite und hierher in die Kirche zu bewegen!

Mit großer Ernsthaftigkeit bringen die kleinen und großen Kinder des Dorfes nun ihr Heiliges Spiel dar, zeigen die Verkündigung durch den Engel, den Weg nach Bethlehem, die Herbergssuche. Dann erscheinen sie alle als Chor der Engel und verkünden den Hirten die frohe Botschaft. Die Hirten wiederum machen sich auf den Weg durch die ganze Kirche nach vorne, die ganz Kleinen spielen die Schafe. Wir singen viele Lieder dazwischen und erfreuen uns daran, wie viel Mühe sich unsere Kinder geben.

Gleich nach dem Spiel geht Anna wieder zurück, um bei Susanna sein zu können. Aber ihr Gesicht ist etwas entspannter, als sie die Kirche verlässt. Sie nimmt die Zuversicht und Gnade Gottes im Herzen mit sich mit. Während wir eine lange Predigt hören und der Mitternacht und der Geburt unseres Herrn Jesus Christus entgegensingen, schlafen die kleineren Kinder nach und nach in den Armen ihrer Eltern ein. Jakob ist auf meinen Schoß geklettert, und irgendwann fallen auch ihm die Augen zu.

Als die lange Kirchnacht endlich vorüber ist, wickele ich mal wieder ein Kind in eine Decke ein und trage es durch die Nacht. Ich bin erschöpft, besorgt, nervös, aber auch wie zu Hause, in diese zauberhaften Kinder ganz verliebt, durch die Lieder und Gebete getröstet und etwas zuversichtlicher als vor ein paar Stunden. Vorsichtig trage ich Jakob durch Kälte und Schneetreiben nach Hause, zu Klaas. Dort verpufft die Zuversicht allerdings schnell wieder. Susanna fiebert stark, ist sehr unruhig und selbst Lene sieht nicht mehr sehr zuversichtlich aus. Anna liegt auf ihrer provisorischen Schlafstelle, hat Susanna im Arm und weint stille Tränen der Sorge und Erschöpfung. Ihr kleines Mädchen ringt mit dem Tod, und sie kann nichts tun, als sie zu halten.

Ich bringe Jakob ins Bett, scheuche auch Lene auf ihr Lager, lasse mir noch erklären, was zu tun ist, und trete an Annas Lager.
„Schlaf, Anna, ich bitte dich! Lass mich die Nacht wachen. Tagsüber darfst du dann wieder für sie da sein!" Anna will erst nicht. Aber ich nehme ihr die fiebernde Susanna weg, decke die protestierende Mutter zu und schirme die einzige Lampe im Raum ab. Susanna lege ich mir so über die Schulter, dass sie aufrecht an mir lehnt. Sie kann so freier atmen als im Liegen, und das Wunder geschieht. Sie wird ruhiger und gleitet in tieferen Schlaf. Als Anna das sieht, fallen ihr doch endlich die Augen zu. Ich dagegen nehme meinen Spaziergang durch Klaas Stube wieder auf.

Ich weiß nicht, wie viele Meilen ich in dieser Nacht laufe. Susanna Tee einflöße. Ihr Wadenwickel mache. Und sie wieder trage. Irgendwann bin ich selbst so müde, dass ich mich an die Wand lehne, damit ich Susanna nur weiter aufrecht halten kann. Klaas wacht auf, sieht mich wanken, nimmt mir das Kind ab. Aber sie wird sofort unruhig. Also nehme ich sie wieder auf den Arm. Klaas geht eine Weile mit mir den Stallgang auf und ab, um mir zu helfen, mich wach zu halten. Dass nur das Kind bei Bewusstsein bleibt und gut atmen kann. Als ich wirklich nicht mehr weiter kann, wecken wir Anna, die nun doch einige Stunden geschlafen hat. Selbst halb bewusstlos sinke ich endlich in den Schlaf.

Es ist schon beinah Mittag, als ich erwache. Grade übernimmt Lene das fiebernde Mädchen, damit Anna sich ums Peterle kümmern und sich dann wieder hinlegen kann. Ich stehe auf, esse etwas und übernehme Susanna, weil sie bei Lene zu unruhig ist. Klaas beschäftigt Jakob, kümmert sich um die Tiere, Lene kocht. Ab und zu schaut jemand aus dem Dorf herein, erkundigt sich und geht wieder. Wir verlieren jedes Gefühl für Zeit und Raum, wissen bald nicht mehr, ob es Tag oder Nacht, hell oder dunkel ist. Susanna hält es nur bei Anna und mir aus.

Nach zwei Tagen hat sich der Sturm endlich ausgetobt. Der Schnee liegt so hoch im Dorf, dass die Knechte schmale Wege durch die weißen Massen graben - von Haus zu Haus, zur Kirche, zum Vogt und sogar zur Mühle. Die Welt hält den Atem an. Des Nachts geht niemand vor die Tür in den Rauhnächten. Zu groß ist die Angst vor den Geistern. Irgendwo im Hinterkopf wissen wir, dass das ganze Dorf für unser kleines Mädchen betet, uns alle Kraft und Gottes Segen herbeiwünscht, dass sie alle an uns denken und mit uns hoffen.

Aber erst am dritten Weihnachtstag, als Susanna nur noch fast leblos auf einem unserer Arme hängt, beginnt das Fieber zu sinken. Am vierten Tage dann öffnet sie zum ersten Male wieder die Augen und ruft nach ihrer Mutter. Tränen der Erschöpfung und der Dankbarkeit fließen bei uns allen. Klaas, der jeden Tag einmal mit dem Friesen und Hurtig das Dorf auf und ab geht, damit die Tiere die nötige Bewegung bekommen, geht sofort los und bringt die frohe Kunde in jedes Haus.
„Susanna ist wach. Sie hat es überlebt!"

Am Altjahrabend versammelt sich das ganze Dorf in der Kirche, dankt Gott für allen Segen des abgelaufenen Jahres und bittet für das kommende. Pastor Crüger schließt auch unsere liebenswerte kleine Susanna in sein Dankgebet mit ein. Ich glaube, selten hat ein ganzes Dorf inniger gedankt als an diesem Abend in der kleinen Dorfkirche in Lütgenhusen. Noch drei Tage lang taumeln wir zwischen Schlaf und Traum, bis alle wieder normal wach sind und die Kinder fröhlich miteinander spielen. Susanna ist blass und dünn, aber sie spricht und lächelt und isst wieder. Und das ist die Hauptsache.

Dem Sturm folgt weiterhin klirrende Kälte, aber die Sonne strahlt vom blauen Himmel herab, die Eiszapfen in den Bäumen und an den Dachtraufen glitzern, die Kinder toben durch die Schneewege und alle Eltern atmen auf, dass sie die Bande endlich wieder für ein paar Momente vor die Tür schicken können. Erst jetzt nehmen wir uns die Zeit, über Annas zweiten Besuch beim Verwalter zu reden. Erst jetzt kommen wir dazu, allen anderen zu erzählen, wieviel Hilfe wir bekommen haben, dass wir überhaupt heil nach Hause gefunden haben. Erst jetzt komme ich dazu, Klaas zu fragen, wie um Himmels Willen er es geschafft hat, dass Hurtig ihn auf seinen Rücken gelassen hat. Klaas erzählt mir, wie er es einfach nicht mehr ausgehalten hat. Wie er in der Kate nach Kleidung von mir gesucht und die über seine eigenen Sachen angezogen hat. Wie misstrauisch Hurtig war. Aber wegen des Geruchs wohl hat er Klaas dann doch auf seinen Rücken gelassen. Sehr kompfortabel war der Ritt nicht, und ich lache mich redlich schief, als Klaas mir das beschreibt. Aber letzten Endes sind wir doch alle heilfroh, dass Klaas es gewagt hat, denn keiner weiß, ob wir es alleine rechtzeitig ins Dorf geschafft hätten. Und ob Susanna dann noch leben würde.

Ich bin angekommen. Angekommen in diesem kleinen Dorf, angekommen bei diesen redlichen, aufrechten und frommen Menschen, angekommen in einem neuen Leben, das wahrscheinlich nicht viel mit meinem vorherigen zu tun hat. Aber es ist ein Leben, das von Wärme und Nähe und Sinn erfüllt ist. Und mein Herz ist voll mit Liebe zu diesen drei bezaubernden Kindern und ihrer tapferen Mutter.

 Doch die nächste Herausforderung dämmert bereits am Horizont herauf.

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9.2.2020

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