053 - Herzen im Gleichklang - So.18.2.1571

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Hannes kommt nicht nach Haus in dieser Nacht. Erst am nächsten Morgen, als ich schon tausend neugierige Fragen von Jakob und sehnsüchtige Blicke von Susanna überstanden habe, sehe ich ihn mit Klaas und der alten Lene zur Kirche kommen. Er weicht meinem Blick aus. Aber immerhin löst er sich von dem Grüppchen und kommt sofort mit schnellen Schritten auf die Kinder zu, die ihm freudestrahlend entgegenlaufen. Mein kleines Mädchen schlingt sofort die Arme um seinen Hals, und Jakob hüpft an der Hand von Hannes in die Kirche. Hannes Augen leuchten. In der Kirche krabbelt Susanna wieder auf meinen Schoß, aber Jakob geht stolz erhobenen Hauptes mit Hannes auf die Seite der Männer, setzt sich sehr aufrecht hin und lässt die große Hand nicht los. Dass Jakob so an ihm zieht und ihn bei sich haben will, erlaubt es Hannes auch, dass er sich setzen kann, statt bei den Knechten zu stehen. Und doch weiß ich, dass er viel drum gäbe, wenn er noch der einfache Knecht Hannes wäre.

Als sei nichts gewesen, kommt Hannes nach der Kirche wieder mit zu uns nach Hause. Wir essen gemeinsam. Wir singen und spielen gemeinsam. Jakob besiegt Hannes beim Murmelspiel, an Susannas Kopf muss er Zöpfe flechten üben, das Peterle will Aufmerksamkeit. Die Kinder genießen es, ihn um sich zu haben. Aber wir beide schauen uns nicht an. Nie. Es ist wie eine blickdichte Wand zwischen uns. Und irgendwann, als er sich mal wieder unbeobachtet glaubt und sehnsüchtig zu mir herüberschaut, begreife ich: wir beide versuchen, unseren Schmerz vor dem anderen zu verbergen, damit es nicht noch schwerer wird.     Und damit sollten wir schleunigst wieder aufhören!     Als es endlich Abend wird und die Kinder auf der Pritsche schlafen, verschwindet Hannes nach oben.

Ich zögere – lange. Aber dann steige ich doch die Leiter hinauf, stecke meinen Kopf durch die Luke und schaue Hannes einfach fragend an. Er nickt, stumm. Und ich nehme all meinen Mut zusammen, denn wir können jetzt nicht acht Tage lang umeinander herumschweigen. Dann werden wir wahnsinnig.

„Hannes?"
Ganz langsam hebt er den Kopf, schaut mir direkt in die Augen, lächelt ganz leise.
„Danke."
Mein Gesicht muss völlige Verwirrung zeigen, denn sein Lächeln wird breiter.
„Danke, dass Ihr mich weiterhin einfach Hannes nennt, Frau Adam. Die anderen haben sich gestern Abend bald die Zunge abgebrochen, weil sie mich unbedingt aufs Podest heben wollten, obwohl wir uns doch gar nicht wirklich sicher sein können, dass ich wirklich der Lehnsherr bin. Es ist nun wahrscheinlich, aber deshalb möchte ich doch wirklich nicht gleich, dass alle vor mir auf dem Boden rutschen."

Nun muss ich auch lächeln. Ich setze mich wie immer auf den Schemel.
„Das kann ich nicht mehr. Am Anfang fiel es mir ja auch schwer. Aber Ihr seid für mich schon so lange einfach der freundliche, kluge, umsichtige, kinderliebe einfach-nur-Hannes. Da will mir ein 'Herr von Minnigerode' einfach nicht über die Lippen. Jedenfalls nicht einen Augenblick früher, als ich muss."

Er schüttelt den Kopf.
„Das Verrückte ist: ich finde die neuen Erkenntnisse alle total schlüssig und kann das alles sofort glauben. Aber ich bin mir absolut sicher, dass ich kein Herr von Minnigerode bin. Dieser Name ist so weit weg von mir wie ... keine Ahnung."
Ich bin unendlich erleichtert, dass wir wieder normal miteinander reden können. Darum taste ich mich weiter vor.

„Hannes? Mögt Ihr mir sagen, was gestern Abend noch weiter beredet wurde?"
Nun wendet er seine Augen doch ab. Er wird ganz leise.
„Wenn Ihr mir sagt, warum Ihr so plötzlich davongelaufen seid?"
Ich halte den Atem an.
„Ach, Hannes."
Ich sitze neben ihm und spiele nervös mit meinen Fingern, während er vor seinem Brettertisch hockt. Ich habe den Blick gesenkt. Da schiebt sich leise eine große starke Hand in mein Blickfeld und greift nach meinen kleinen Händen, umschließt sie ganz und drückt sie sanft.
„Ich werde Euch vermissen, Hannes. Und die Kinder auch. Sehr."
Er nickt.
„Ich auch. Und nicht nur die Kinder. Euch, Anna, Euch werde ich vermissen."

Eine Weile schweigen wir so. Aber dann gibt sich Hannes einen Ruck.
„Wir haben gestern miteinander beredet, wann wir reisen, wie wir reisen. Haben nachgedacht, wie ich mehr über die Minnigerodes herausfinden kann, wo sich das etwa befindet, an wen ich mich wenden kann. Pastor Crüger meint, dass es einen Ort namens Minnigerode im Eichsfeld gibt. Wie dann dieser Minnigerode nach Gieboldehusen gekommen ist, muss ich klären. Aber es ist wenigstens ein Anhaltspunkt.
Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir auf dem Hinweg ausreisen, wie wir hereingekommen sind – Der Pastor auf dem Wagen, der Knecht auf dem Pferd nebenher. Nur, dass wir diesmal meine gesamte Habe mitnehmen und durch den Zoll bekommen müssen. Ich soll mich aber dabei so ungeschickt anstellen, dass Pastor Crüger ganz viel mit mir schimpfen muss. Dadurch wird das Augenmerk auf mich gelenkt, weg von meinem Gepäck und weg von Hurtig. Für den Rückweg wird Pastor Crüger einen echten Knecht anwerben. Wenn der Hauser dann ins Dorf kommt, soll der Neue statt meiner präsentiert werden. Und das Dorf hat dann einen brauchbaren Knecht, der ja sowieso gebraucht wird."

Noch immer hat Hannes meine Hände nicht losgelassen.
„Und Ihr?"
Er zuckt mit den Schultern.
„Ich bin dann auf mich allein gestellt, werde versuchen, rechtzeitig meine Identität zu klären und vor Ostern als der rechtmäßige Lehnsherr in Gieboldehusen aufzutauchen. Das heißt zwar, dass ich wiederkommen werde. Aber dann bin ich nicht mehr der Knecht Hannes."
Schweigen.
„Der muss für immer fort."
Langsam und vorsichtig zieht er meine eine Hand zu sich ran, hebt sie zum Mund und küsst sie ganz sacht auf den Handrücken. Ein leises Zittern durchläuft mich. Er senkt unsere Hände, schaut sie an, streicht mit dem Daumen über meinen Handrücken. Meine Hand in seiner Hand fühlt sich so warm und geborgen an. Dazu flüstert er.
„Und mit deinem Hannes verschwindet auch meine Anna mitsamt den wundervollsten Kindern dieser Welt in vielleicht unerreichbare Ferne."

Erst mehrere Minuten später wagen wir wieder, uns zu bewegen. Das warme Gefühl von Geborgenheit in der Gegenwart des anderen verfliegt wieder, der verzauberte, vertraute Moment ist vorüber, Hannes gibt leise meine Hand frei.
„Pastor Crüger wird morgen nach Herzberg zu seinem Dekan aufbrechen. Sein Bischof in Hildesheim ist zu weit. Viel zu weit. Aber der Dekan sei ihm gewogen, sagt er. Er habe dort schon mehrfach von den seltsamen Zuständen hier im Lehen berichtet, und der Brudenhusen sei auch dem Dekan ob seiner Brutalität und Habgier ein Dorn im Auge. Er war jedenfalls ganz zuversichtlich, dass er Unterstützung bekommen wird. Der Drebber hat gemeint, demnächst nehme er Miete für Pferd und Wagen. Aber er hat es nicht so gemeint. Irgendwie ... waren alle so gelöster Stimmung. Es war ganz seltsam. Als fühlten sie sich schon jetzt frei von der Last durch die beiden Tunichtgute. ... Ich kann es ihnen nicht verdenken. Bin ich tatsächlich dieser unbekannte Lehnsherr, dann habe ich Euch allen furchtbares Unrecht angetan mit meinem Desinteresse und mit diesem habgierigen Verwalter. Ich werde einiges wieder gut zu machen haben."

Kopfschüttelnd sehe ich Hannes an.
„Was ist das nur für ein Unsinn, Hannes. Ihr müsst furchtbar jung gewesen sein. Irgendwer hat für Euch entschieden, diesen Verwalter einzustellen. Ihr habt Euch auf alle anderen verlassen. Und nicht Ihr seid so unehrenhaft. Der Brudenhusen ist es. Das ist doch nicht Euer Unrecht!"

Mir wird der Kopf schwer, ich bin ungeheuer müde. Hannes merkt das.
„Anna, geht ins Bett. Und macht Euch um die nächsten Tage keine Sorgen. Ich möchte die Zeit hier genießen, solange ich kann. Und ich möchte es dann den Kindern selbst sagen, dass ich für eine Weile fort muss. Alles andere ist Spekulation. Wir wissen nicht, was in zwei oder vier Wochen sein wird. Bitte, Anna, lasst uns die Zeit noch schön miteinander haben."
„Von Herzen gerne, Hannes."
Einen Moment lang schauen wir uns noch in die Augen – dann stehe ich auf und gehe zur Luke. Als nur noch mein Kopf herausschaut, lächeln wir uns noch einmal an.
„Gute Nacht, Hannes."
„Gute Nacht, Anna."
Ich habe noch keine Ahnung, wie ich es bewerkstelligen soll. Aber zu wissen, dass es Hannes genauso geht wie mir. Dass er mich genauso vermissen wird, wie ich ihn. Dass unsere Herzen im Gleichklang schwingen, auch wenn das Leben uns nicht lassen will – das macht es nun doch irgendwie leichter.

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22.2.2020

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