054 - quälend langsam - So. 25.2.1571

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So, wie wir es uns vorgenommen haben, leben wir die folgenden sieben Tage. Hannes verbringt viel Zeit mit den Kindern. Jakob geht auch für eine Weile nicht zum Müller, weil Britt nun schwer trägt an ihrem späten Kind. Sie freuen sich darauf. Es wird mühsam werden, das ist abzusehen. Aber Jakob genießt so noch viel mehr die Aufmerksamkeit von Hannes.

Die Fastenzeit bricht an. Hannes ist viel bei Klaas oder Jorge und lernt alles über die Frühjahrsarbeit des Bauern, die Feldbestellung, die Aussaat. Aber nun nicht mehr, um gut den Knecht Hannes miemen zu können. Wie trockenes Gras saugt er alles auf, was mit unserem Leben zu tun hat, er will alles wissen, will alles verstehen.

Gemeinsam beobachten die Männer, wie das Wetter milder wird und die Schneemassen zu tauen beginnen. Alle hoffen, dass nun nicht durch matschige Wege alle Reisepläne ins Rutschen kommen. Der Pastor fährt nach Herzberg und kommt nach zwei Tagen wieder. Sein Dekan hat ihm volle Unterstützung zugesagt und ihm ein Schreiben mitgegeben, das ihn schützen soll.

Des Abends sitzen wir gemeinsam auf Hannes kleinem Dachboden über meiner Diele, reden, schweigen, halten einander an den Händen, um ertragen zu können, was mit uns beiden gerade geschieht. Und wir sind nun endgültig beim gemeinsamen „du" angekommen, solange uns keiner zuhört.

„Hannes?"
„Hm?"
„Warum bist du so wild darauf, doch noch das Bauernhandwerk zu verstehen? Du brauchst das doch jetzt nicht mehr."
Entschlossen schüttelt er den Kopf.
„Doch, Anna. Grade jetzt! Hat je ein Lehnsherr in den Schuhen seiner Bauern gesteckt? Wahrscheinlich nicht. Ich habe euer Leben geteilt. Ich habe einen langen Winter lang erlebt und gelernt, wie ein Bauer täglich um sein Brot, um Gerechtigkeit und um seine Zukunft ringt. Ich habe am eigenen Leibe erfahren, was Willkür, was Unfreiheit mit den Menschen macht. Ich kann das nicht beiseite schieben. Es ist zu spät, um bei der Frühjahrsbestellung wirklich mitzumachen. Aber ich muss verstehen, was ihr braucht, was ein Dorf zum Leben braucht, was meine Aufgabe sein muss und wie ich sie füllen will. Allein, wenn ich sehe, wie sich alle auf diese Anstrengung vorbereiten. Dass Ochsen, die nach dem Winter nicht mehr genug Futter haben, nun den Pflug durch die nasse, schwere Erde ziehen sollen. Dass die Kinder hungern, weil die Väter und die Knechte bei Kräften bleiben müssen. Dass..."
Er rauft sich die Haare.
„Ich werde – so Gott will – bald die Verantwortung für euch alle tragen. Und ich schwöre – bei mir im Lehen soll nie wieder jemand hungern, sofern es irgendwo genug zu essen gibt! Ich brauche nicht Samt und Seide. Ich brauche nicht Gold und Perlen. Und ich brauche ganz bestimmt keine Menschen um mich, die tun, was ich sage, weil sie Angst vor mir haben. Ich brauche freie Bauern, die genug Saatgut und Werkzeug haben, Kinder, die satt sind und gerne lernen, Dörfer, die in Frieden und Sicherheit gedeihen können. Und wenn mir je jemand etwas Edles sticken soll, dann nur du!"
Bei diesen Worten lächeln wir uns an. In diesen Worten liegt das Versprechen, dass es uns gut gehen soll. Und dass wir beide uns wiedersehen werden.

Und doch wird es jeden Abend schwerer zu lächeln. Der Abschied rückt näher und legt sich wie eine schwere Decke auf uns, die uns niederdrückt und uns die Luft zum Atmen nimmt. Am Freitag schließlich nimmt sich Hannes die beiden großen Kinder auf den Schoß und versucht, ihnen zu erklären, dass er fort muss.
„Jakob? Susanna? Kommt ihr mal her zu mir? Ich muss euch was erzählen."
Schnell krabbeln sie auf seinen Schoß.

„Passt auf, ihr Zwei. Für euch bin ich immer der Hannes gewesen. Ich war einfach so da, weil der Pastor mich mitgebracht hat. Und ich habe euch beide so unglaublich lieb gewonnen, als wäret ihr meine eigenen Kinder. Aber ich bin eigentlich gar kein Knecht. Ich bin ein Mann auf Wanderschaft, und ich habe kein Zuhause. In drei Tagen wird der Pastor wieder nach Duderstadt reisen, von wo er mich hergebracht hat. Ich werde mit ihm reisen. So Gott will und ich lebe, werde ich wiederkommen. Aber ich kann euch leider nicht sagen, wann und wie das sein wird. Ich werde euch furchtbar vermissen. Aber jetzt fürs erste muss ich euch hergeben und hier lassen. Ich kann nur hoffen, dass ihr mir nicht allzusehr böse seid."
Er gibt sich alle Mühe. Aber am Ende hat er doch einen schweigenden Jakob und eine weinende Susanna im Arm – und muss selbst weinen, weil es so sehr weh tut.

Am Sonntag nach der Kirche verkündet der Pastor seine erneute Reise nach Duderstadt, und der Vogt bittet sofort zur anschließenden Versammlung. Alle. Auch die Frauen und älteren Kinder, das ganze Dorf. Neugierig tuschelnd gehen wir dafür hinüber in den großen Saal. Alle kleinen Kinder werden von der Drebberin und der Crügerin zum Pfarrhaus gebracht. Dicht gedrängt stehen Männer und Frauen an den Wänden entlang, jeder Platz ist besetzt. Und nun wird der staunenden Dorfgemeinschaft erzählt, wie Hannes wirklich zu uns gekommen ist, was wir in den letzten dreieinhalb Monaten alles erlebt haben. Und dass Hannes mit großer Wahrscheinlichkeit unser Lehnsherr ist, der nun antreten wird, uns von dem schrecklichen Gespann in Gieboldehusen zu befreien. Ehrfürchtig gehen alle einen Schritt zurück und sinken auf die Knie vor ihrem Herrn. Ich sehe Hannes an, dass er alle Kraft zusammennehmen muss, um nicht entsetzt davonzulaufen.

Es wird erklärt, dass Hannes noch immer in Gefahr ist, was der Grund für das Versteckspiel und den Grenz-Schmuggel-Zoll-Aufruhr und die Sauhatz war, dass aber nun Hoffnung besteht, dass alles gut wird. Die Bauern werden vorbereitet auf den Sturm, der bis dahin noch über uns hereinbrechen kann, weil der Hauser heftig suchen wird. Sie werden erinnert, was Hannes uns in der kurzen Zeit alles Gutes getan hat. Und in der ganzen Zeit wächst und wächst die Ehrfurcht der Menschen im Saal – und Hannes Furcht vor seinem eigenen Leben auch.

Es ist nicht schwer, die Bauern, unseren Müller und den Schmied darauf einzustimmen, dass wir nun zusammenhalten und schweigen müssen wie ein Mann, damit der Hauser hier nicht doch noch Hannes Spur aufnehmen kann.

Wieder verbeugen sich alle vor Hannes. Dann entsteht ein seltsames, langes Schweigen. Alle Blicke liegen abwartend auf dem vertrauten Fremden. Und schließlich, nachdem die ganze Zeit der Vogt, der Pfarrer, Jorge und Klaas geredet haben, erhebt Hannes sein Haupt und seine Stimme.
„Ich... Es ... fällt mir ungeheuer schwer, hier vorne zu stehen. Dass ich wohl euer Lehnsherr bin, habe ich nun herausfinden können durch Beobachtung und Erkenntnis. Aber ich finde das nicht IN mir. Ich weiß, dass ich Erziehung und Bildung genossen haben muss. Aber in mir drin fühle ich mich tatsächlich wie der Knecht Hannes, der in dieses Leben hineingestolpert ist und dessen Leben sich immer zwischen den Häusern dieses Dorfes abgespielt hat. Ich weiß und fühle nichts anderes. Nichts anderes als das überwältigende Gefühl der Dankbarkeit für diese Gemeinschaft und jeden einzelnen Menschen hier im Dorf. Ich fühle mich seltsam bei eurer Verehrung, ich zucke zusammen, wenn mich einer mit meinem herrschaftlichen Namen anredet. Und ich bin stolz, dass zu meinem Lehen so aufrechte, ehrliche, gottesfürchtige und gerechtigkeitsliebende Menschen gehören. Seit sechs Jahren habt ihr zu leiden unter der ungerechten und anmaßenden Herrschaft des Brudenhusen. Und ihr seid dabei doch gute Menschen geblieben. Ich ... ich werde lernen, eure Verneigung und Unterwerfung anzunehmen. Aber vor allem anderen – was auch immer in den nächsten Wochen geschieht – möchte ich mich in Ehrfurcht verneigen – vor euch."

Nach und nach hat Hannes sich freigeredet, ist sicherer geworden, weiß sichtbar und fühlbar, was er sagen möchte. Nun beugt er, eh ihn jemand daran hindern kann, das Knie und verneigt sich in ehrlicher Demut vor den einfachen Dörflern, weil es seinem dankbaren und aufrechten Wesen entspricht. Es ist totenstill im Saal. Der blinde Jasper lächelt still in sich hinein. Hannes erhebt sich wieder und bittet die Menschen, sich zu setzen. Er muss dreimal bitten, bis sie es tun.

Nun ergreift noch einmal der Vogt das Wort.
„Wir müssen nun gut überlegen, wie wir die nächste Zeit überstehen werden. Wie wir bereits gesehen haben, wird Herr von Minnig... Herr ..." Er seufzt.
„... wird Herr Hannes für jeden Schaden, den das Teufelsgespann hier anrichten wird, aufkommen. Wir können also ruhig und gelassen unter dem Toben hinwegtauchen. Wichtig ist nur, dass niemand ahnen lässt, was wir alles wissen. Und dass wir alle dieselbe Geschichte erzählen. Der Pastor hat den Knecht und das Pferd mitgebracht. Aber wie der Hauser beim letzten Steuertag sehen konnte, ist der Knecht einfach zuuuu dumm. Und das Pferd reiten konnte der Pastor auch nicht, weil es niemand auf seinen Rücken lässt. Da ist er beim Kauf einfach betrogen worden, weil er keine Ahnung hatte. Und nun hat er eben beides wieder zurückgebracht und bei seinem Bruder gelassen. Den Gaul und den Knecht. Er hat einen neuen, ordentlichen Knecht anheuern können fürs Dorf, aber der Tölpel von der Sauhatz, der ist weg und kommt auch nicht wieder."
Einen Moment lang ist es noch still. Doch auf einmal fangen Mathis und Laurenz an zu lachen. Sie begreifen grade, dass sie Teil eines geheimen Plans waren, dass es Absicht war, dass Hannes mit ihrer Hilfe die Sau gradewegs in den Misthaufen gelenkt hat. Und endlich löst sich die ganze Spannung im Raum in fröhliches Gelächter auf.

Als die Versammlung schließlich vorbei, alle Kinder wieder eingesammelt und alle auf dem Weg nach Hause sind, wirft mancher dem Hannes einen scheuen Blick zu, lächelt ihn an, murmelt ein paar ganz persönliche Dankesworte. Das kann er viel besser aushalten als die ungeteilte Aufmerksamkeit aller eben im Saal. Er hat Susanna auf seine Schultern gehoben, den Jakob an der Hand genommen und läuft wie immer an meiner Seite zurück zur Adamskate. So fühlt es sich richtig an.

Wir reden auch gar nicht. Wir essen ein warmes Mittagsmahl, Hannes spielt mit den Kindern. Als es Zeit ist, essen wir unser Nachtmahl, Hannes verabschiedet sich von den Kindern, und wir singen die Drei in den Schlaf. Dann steigt Hannes, wahrscheinlich zum letzten Mal, auf seinen Dachboden, breitet seine Habseligkeiten aus und beginnt zu packen. Er entscheidet, welche Kleidung er morgen übereinander anziehen wird. Was in die Satteltaschen kommt und was als das Gepäck des Pastors getarnt werden soll. Er säubert die Faustbüchse, zählt sein Geld, gibt mir viel mehr davon, als mir lieb ist, legt etwas für den Zoll und die Reise beiseite und verstaut die Geldkatze ganz unten in seinem Bündel mit feiner Kleidung.

Dann öffnet er seinen Beutel mit persönlichen Dingen, um nach langer Zeit wieder den Inhalt zu besehen. Dabei fällt mir etwas ein.
„Hannes, als du das erste Mal deinen Beutel besehen hast, da ist dir ein Ring heruntergefallen. Bevor die Bauern für die Reparatur auf mein Dach gestiegen sind, habe ich hier sauber gemacht und dabei den Ring wieder gefunden."
Ich nestele meinen Beutel auf und will ihm den Ring wiedergeben. Aber er greift schnell nach meiner Hand.
„Lass Anna. Er wird dir zu groß sein, aber ich möchte, dass du ihn behältst als Zeichen meiner ..."
Ich halte den Atem an.
„Ach, warum sollte ich das nicht aussprechen! Anna, als Zeichen meiner Liebe zu dir. Bitte behalte ihn."

Ich steige die Leiter hinunter und lasse mir von Hannes seine Habseligkeiten anreichen. Wir stapeln alles an der hinteren Türe, wo Klaas in aller Herrgottsfrühe mit Hurtig auftauchen wird. Auch der Pastor muss diesmal vor Tag und Tau aufstehen. Wenn die Sonne aufgeht, sind die beiden hoffentlich schon über die Grenze davon. Bevor Hannes die Leiter hinaufsteigt und sich zum letzten Mal auf seine Pritsche legt, bleibt er an der Leiter stehen und sieht mich mit ganz viel Wärme an. Dann greift er meine beiden Hände, haucht je einen Kuss darauf – und klettert schnell nach oben.

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23.2.2020

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