058 - Willkür - Fr. 2.3.1571

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Kurz vor dem Mittag dann höre ich lauten Hufschlag auf der Dorfstraße. Neugierig strecke ich meine Nase aus der Türe.

Der Herr Pastor kann es doch noch nicht sein. Und er käme auch nicht so schnell geritten, er ist doch mit der Kutsche unterwegs.
Ein völlig abgehetzter Knecht springt in dem Moment vom Rücken des schweißgebadeten Friesen unseres Freundes Freese aus Rhumaspring und stolpert erschöpft zur Tür des Vogtes. Auch der hat den Hufschlag gehört und kommt ihm schon an der Tür entgegen.

Sofort setze ich mich in Bewegung. Unterwegs schließen sich mir Jorge Krumm und der kleine Jasper an, Klaas Rand kommt uns entgegen. Wir bekommen nur noch die letzten Worte mit, bevor sich der abgehetzte Mann wieder auf den Friesen wirft und ans andere Ende vom Dorf, um den Mühlenhügel herum wieder davonprescht. Fragend sehen wir den Drebber an.

„Der Hauser ist im Anmarsch. Mit der ganzen Kolonne an Knechten und Wagen. Er kommt heute schon, ist grade durch Rhumaspring hindurch und schon auf dem Weg hierher. Das kann nur heißen, dass er uns überraschen will, damit wir nichts und niemand vor ihm verstecken können."
Mein Magen krampft sich zusammen. Die blanke Angst packt mich. Dabei ist noch gar nichts passiert. Hastig redet unser Vogt weiter.

„Die Kinder sollen rein, die größeren Mädchen und Mägde nehmt in die Mitte, stellt alle wichtigen Tiere hinten in die Ställe, die ausgesuchten für morgen ganz nach vorne. Ferz, versteck einen Teil der Ferkel, vielleicht kauft er uns das ab. Und in Gottes Namen – bewahrt alle die Nerven, bleibt freundlich, wehrt euch nicht. Er hat es nun direkt auf uns abgesehen. Wir halten fest zusammen, danken, dass Hannes in Sicherheit ist, und hoffen, dass wir heile durch diesen Steuersturm kommen. Beeilt euch, Jungs, informiert alle. Jasper, geh zum alten Jasper und bleib bei ihm. Versucht, ganz normal das zu tun, was ihr um diese Zeit immer tut, damit er nicht Verdacht schöpft, dass wir gewarnt wurden. Und – Betet! Er hat Landsknechte dabei ..."

Auf seinen Wink hin spritzen alle auseinander, rennen nach Hause und bereiten sich vor. Ich bin wie gelähmt. Ich kann meine Kinder nicht verstecken! Ich setze sie also alle drei auf meine Schlafpritsche und rede mit ihnen.
„Jakob, du musst mir jetzt gut zuhören. Der Steuereintreiber kommt heute schon. Das ist ungewöhnlich, und das macht uns ein bisschen Angst. Denn wir müssen ihm gehorchen. Ich mache das nicht gerne, denn du bist ein Kind und solltest damit nichts zu tun haben. Aber du musst jetzt dafür sorgen, dass ihr alle drei hier sitzenbleibt. Egal, was kommt. Du redest nicht, du schimpfst nicht, ihr dürft weinen, wenn ihr Angst habt, das kann euch niemand nehmen. Und vergesst nie, dass ich euch alle sehr lieb habe."
Mit großen verängstigten Augen sehen mich die beiden Großen an, das Peterle begreift noch nicht und gluckst vergnügt. Ich gebe allen Dreien einen Kuss, decke schnell den Tisch, als wollten wir zu Mittag essen, und stelle mich an den Herd, wo ich grade dabei gewesen war zu kochen.

Guter Gott, bewahre uns. Du hast uns und den Hannes so weit kommen lassen, hast uns bis hierhin immer beschützt. Ich lege mich und meine Kinder vertrauensvoll in deine Hände, himmlischer Vater. Ich flehe dich an um Schutz und Gerechtigkeit. Deine Gerechtigkeit, himmlischer Vater.

Eine unheimliche Ahnung befällt mich und macht mich ganz durcheinander. Hektisch renne ich zu meinem geheimen Wandschrank, suche nach dem Lumpen mit dem Kreutzer von dem alten Diener im Schloss und den Münzen, die Hannes mir gegeben hat und stecke das unter meinen Rock. Meine Hände fliegen vor Aufregung, mein Geist auch. Ich habe keine Ahnung, warum ich so sehr von Angst gepackt werde. Ich mache einfach und sehe mir selbst dabei staunend zu.

Als ich grade den Topf mit Suppe auf den Tisch stellen und meine Kinder zum Essen holen will, höre ich von der Straße her vielfachen Hufschlag, das Rollen von Rädern und laute Rufe.

Gott, himmlischer Vater, bewahre uns!
Ich nehme jedes der Kinder einmal fest in den Arm und trete vor meine Tür. Der Hauser sitzt auf seinem Pferd, die Wagen der Steuerknechte stehen auf dem Dorfplatz und in Windeseile verteilen sich fünfzehn Landsknechte vor den Türen der Höfe. Auch zu mir kommt einer geritten, springt von seinem Pferd und schubst mich grob zurück durch meine Tür. Ich kann nur noch an die Kinder denken und stelle mich darum schützend vor die Pritsche. Susanna fängt an zu weinen und wimmert.

„Mutter!"
Aber Jakob, der auch am ganzen Körper zittert, legt ihr die Hand auf den Mund, zieht sie an sich und nimmt sie in den Arm. Mir dreht sich der Magen um, dass ich ihm zumuten muss, so erwachsen zu sein.

Auf einen Wink hin brüllt einer der bewaffneten Männer durchs ganze Dorf.
„Keiner verlässt das Dorf. Das ist ein Befehl! Fangt mit der Durchsuchung an!"
Und schon beginnt der Soldat, mein Haus auf den Kopf zu stellen. Zunächst verriegelt er die Hintertür. Dann greift er sich die Mistgabel und kehrt bei den Ziegen und dem Federvieh das Unterste zu Oberst. Dass er dabei eine Gans aufspießt, kümmert ihn herzlich wenig. Ich ahne, dass er auch vor der Pritsche nicht Halt machen wird, und nehme vorsorglich meine Kinder alle auf den Arm. So setze ich mich auf die Bank an der Wand und warte ab. Ganz leise, um den Eindringling nicht zu verärgern, summe ich Lieder, die die Kinder mögen. Das beruhigt sie und mich auch. Weiter macht der Mann und stürmt die Leiter auf den Boden hinauf. Ich höre es poltern und bin dankbar, dass ich vorsorglich nach Hannes Abreise den Strohsack ausgeleert, die Bretter von seinem Tisch in der Ecke gestapelt, die Pritsche umgeworfen, alles mit Staub beschmutzt und den Schemel mit nach unten genommen habe. Schon kommt der Mann wieder nach unten und macht nun tatsächlich mit meiner Pritsche weiter. Er zerrt das Stroh herunter und wirft es in den Raum, das es fast auf dem Herd landet und Feuer fängt. Er wirft darunter alle Körbe um und verteilt den Inhalt im Raum. Ich bete, dass er nicht erkennt, wie wertvoll ein Teil der Kleidung darin ist, denn mein schönes Kleid von Hannes ist dabei. Schließlich stürzt er sich auf die Truhe und kippt einfach alles aus. Mein Nadeltuch, meine Garne, die Stoffe – alles landet im Dreck.

So plötzlich, wie er zu wüten begonnen hat, hört er auch wieder auf. Er bellt mir ein „Aufräumen!" zu und tritt vor die Tür, wo er abwartend stehen bleibt. Ich springe als erstes zu dem Stroh und hole es vom Herdfeuer weg. Dann stopfe ich die Kleidung wieder in die Körbe. Hastig sammele ich meine feinen Nadeln, Garne und Stoffe ein, um sie wieder zum Bündel zu schnüren und in die Truhe zu packen.

Danke, Gott. Er hat den Verschlag in der Wand nicht entdeckt. Unsere feinen Schuhe, Hannes Lampe und das Gebetbuch sind dort sicher.
Soweit es möglich ist auf die Schnelle, mache ich weiter Ordnung in meiner Kate und habe dabei immer einen Blick bei dem Soldaten vor meiner Tür.

Nun, wo es hier wieder still ist bis auf Susannas Wimmern, höre ich Flüche, Gepolter und Schreie aus all den anderen Häusern.

Ich möchte nicht wissen, wie es der Frau Pastor geht. Der Knecht wird ja dort vermutet, und ihr Mann ist nicht da, um sie zu beschützen. Gott, bewahre sie und ihre Kinder und Mägde!
Ich setze mich wieder zu den Kindern und ziehe alle drei auf meinen Schoß. Ich flüstere nur, damit der Mann mich nicht hört.

„Jakob, du bist mein ganz wunderbarer Sohn, das hast du gut gemacht! Hab keine Angst, Susanna. Sie werden euch nichts tun. Sie sind nur wütend auf uns Erwachsene. SchSchSch, Peterle. Alles wird gut. Vielleicht nicht heute. Aber alles wird gut."
Die Kinder drücken sich an mich und sind ganz still.

Noch eine Weile geht das Toben in den Häusern fort. Die anderen Höfe sind ja größer, da wird es länger dauern als bei mir. Dann ist es plötzlich seltsam still. Ein Befehl wird gerufen. Der Landsknecht kommt wieder herein und bellt:"Das Huhn!"
Aha, nun geht es ans Eintreiben der Steuern.
Der Mann scheint schon vorher genaue Befehle erhalten zu haben. Ich schiebe die Kinder von meinem Schoss, eile den Stallgang entlang und hole das vorher ausgesuchte Huhn. Er greift es und geht wieder nach draußen. Ich kann ihn nicht mehr sehen und wage es, einen Blick aus der Tür zu werfen.

Was ich nun sehe, lässt mein Herz gefrieren. Klaas liegt vor seinem Hof gefesselt am Boden. Zwei Landsknechte haben die Crügerin grob an den Armen gepackt und aus dem Pfarrhaus gezerrt. Der Vogt versucht einzuschreiten, wird aber von zwei weiteren Männern festgehalten. Die Pfarrerskinder schreien nach ihrer Mutter und werden schnell von der Drebberin ins Vogt-Haus getragen. Der Hauser reitet vors Pfarrhaus und bellt die arme Birgitta an.
„Wo ist der Pastor? Wo ist der neue Knecht? Und wo ist das Pferd?"
Es ist so still im Dorf, als stünde der Tod persönlich dort. Nichtmal die Vögel in den Büschen wollen ihr Lied singen.

Wieder versucht der Vogt, sich einzumischen. Die beiden Männer liefern sich einen Starrwettbewerb. Nach vielem Fluchen, Starren und Gebrüll darf der Drebber endlich erklären, wo die beiden Männer und das Pferd sind. Und als wollte der liebe Gott uns erlösen, kommt in dem Moment die Kutsche des Vogtes aus dem Wald gerollt. Alle atmen auf. Von weitem sehe ich, dass Johann Crüger redlich verwirrt ist ob der Szene vor seinem Haus. Als er mein entsetztes Gesicht sieht, beschleunigt er die Kutsche und springt vor dem Hauser und seiner Frau vom Bock. Der Fremde neben ihm muss der neue Knecht sein. Er bleibt einfach abwartend sitzen.

Als erstes geht der Pastor zu seiner Frau und herrscht die Landsknechte an.
„Finger weg von meiner Frau! Sie ist Eichsfelderin und Pastorenfrau, und niemand hier hat Macht über sie."
Er zieht die zitternde Birgitta an sich und umarmt sie erstmal. Dann wendet er sich an den Hauser.
„Ihr habt offensichtlich große Lust auf großen Ärger. Der Dekan hat mir einen Schutzbrief ausgestellt, und mein Bischof ist bereits informiert. Ihr solltet Euch vorsehen, was Ihr noch alles aufstellt. Es wird Euch nicht gut bekommen!"
„Geh rein, Birgitta, sieh nach den Kindern."
So schnell sie ihre Füße tragen, rennt Birgitta ins Haus der Drebbers.

Nun wendet sich der Pastor um und besieht sich die ganze Szene. Er sieht den Klaas gefesselt am Boden und wird zornesrot.
„Was hat der Mann verbrochen?"
Der Hauser grinst hämisch, denn er weiß, dass unser Pastor niemand außer seiner Familie schützen kann.
„Er hat wohl nicht gut auf Euer Pferd aufgepasst. Es ist verschwunden. Das sollte Euch zu denken geben."
Aber unser Pastor wächst über sich hinaus.
„Dann könnt Ihr den Mann getrost freilassen. Mein Pferd hat sich als reitfaul herausgestellt, und der neue Knecht als Trottel. Ihr habt ihn gesehen beim letzten Mal. Da ich noch einmal in Erbschaftsangelegenheiten nach Duderstadt musste, habe ich beides fortgebracht. Das Tier und den untauglichen Knecht. Darf sich nun ein andrer mit ihm abmühen."
Und damit zieht er ein Bündel Papiere aus seiner Tasche.

Der Hauser nimmt die Papiere entgegen. Sein Gesicht wird immer länger, als er sie durchliest. Mit nur schwer unterdrückter Freude sagt unser Pastor laut an, was auf den Papieren steht. Gesiegelte Papiere, die Auskunft über die Erbschaftsdinge geben. Die Zollpassierscheine, denen zu entnehmen ist, dass Hannes und Hurtig mit hinaus sind und ein anderer Knecht hereinkommen ist. Ein Vertrag, dass Hurtig an einen Kaufmann in Duderstadt verkauft wurde. Ein Schreiben, dass der Gildemeister der Zimmermänner einen Knecht übernommen hat. Mit einer zornigen Bewegung wirft der Hauser Pastor Crüger die Papiere ins Gesicht.

„Frau Adam!?!"
Ich zucke zusammen.

Was will er denn jetzt noch von mir?
Die Blicke des ganzen Dorfes richten sich auf mich, wie ich da alleine in der Türe meiner Kate stehe. Laut und schneidend und mit einem gehässigen Grinsen bellt der Hauser durch das ganze Dorf.

„Mitkommen! Sie wird im Schloss gebraucht. Nähzeug einpacken."
Eh ichs mich versehe, steht der Landsknecht wieder neben mir, zerrt mich zur Truhe. Und kaum, dass ich mein Stickbündel gegriffen habe, schleift er mich am Arm aus der Kate. Die Kinder fangen an zu schreien.

Ich kann viel aushalten. Aber nun bekomme ich Panik.
„Die Kinder! Ich habe Kinder!"
Doch ohne ein Wort stößt mich der Mann die Dorfstraße entlang und in den Gitterwagen zum Vieh. Die Kolonne setzt sich in Bewegung. Das letzte, was ich sehe, bevor ich zusammenbreche, sind meine Kinder, die sich schreiend in Irmels Arme werfen.

..............................................................

27.2.2020

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro