062 - Unwillkommener Gast - 9.3.1571

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Am Morgen des neunten März breche ich mit den besten Wünschen von der Katlenburg auf. Der treue Mann wünscht mir viel Erfolg bei der Suche nach Hannes, und lädt mich ein, jederzeit gerne wieder bei ihm einzukehren. Ich verlasse nun die Grenze und reise direkt über Wulften, Hattorf und Auekrug zum Lehen meines verschwundenen Freundes – nach Gieboldehusen. Die Überlandwege sind gut befestigt, und so kommen wir zügig voran. Ich erreiche die kleine Stadt aber erst, als es bereits finster ist. Es hat wieder zu nieseln begonnen. Und ich bin heilfroh, als ich über die Allee durch das große alte Hoftor zum Schloss reiten und mich auf ein warmes Kaminfeuer freuen kann. Ich habe mich nicht angekündigt. Ich will sehen, was ich hier vorfinde.

Zunächst einmal finde ich weder einen Stallburschen, der unsere Pferde versorgen will. Noch taucht ein Diener auf, der sich unseres Gepäcks annehmen könnte. Und als ich energisch an das große Eingangstor des Schlosses klopfe, dauert es noch eine ganze Weile, bis ein Diener öffnet und sich unwirsch nach unserem Begehr erkundigt. Als ich mich vorstelle als Karl von Pagenstecher aus Salzderhelden, wird er gleichzeitig nervös und ratlos. Verwirrt beginnt er zu stottern, lässt uns dann plötzlich in der zugigen Eingangshalle stehen und eilt davon.

Kurz darauf erlebe ich eine Offenbarung der ganz besonderen Art. Leise auf den Diener einschimpfend erscheint auf der oberen Galerie ein sehr fein gekleideter Herr und schreitet dann majestätisch langsam die Treppe herab. Auf halber Höhe setzt er ein falsches Lächeln auf und tänzelt mir entgegen. Es ist der Verwalter dieses Schlosses, kein Zweifel – ein kleiner, dicker, ältlicher Mann mit wenig Haaren auf dem Kopf und einem verschlagenen Blick, der mich einzuschätzen versucht.
DAS ist Hannes Verwalter???

Ich habe ihn einmal gesehen, als er vor Jahren in die Hauptstadt kam, um sich Hannes vorzustellen, als ich grade bei ihm war. Seine Patin war gestorben, hatte ihm dieses Lehen vermacht – und dafür keinen ungeeigneteren Erben finden können als ihn. Hannes war 19 Jahre alt, wild, ungestühm und ablehnend jeder Verantwortung gegenüber. Er musste sich stundenlang einen Bericht dieses höchst unterwürfigen Mannes anhören, gespickt mit Zahlen und Ortsnamen und Notwendigkeiten. Und es interessierte ihn nicht ein winziges kleines Bisschen.

Der Verwalter damals war höflich, unauffällig, standesgemäß gekleidet und bemüht, einen fleißigen, loyalen Eindruck zu hinterlassen. Ich würde ihn gar nicht wiedererkennen – wäre da nicht seine Stimme. Unangenehm hoch und kurzatmig. Es ist derselbe Mann, da besteht kein Zweifel. Auch wenn er jetzt arrogant und selbstsicher auftritt und gewandet ist wie ein König. Er trägt ein leuchtend rotes Wams aus Samt mit zahlreichen Schlitzen, die mit gelber Seide umstickt sind. Es ist eine sehr feine, kunstvoll ausgeführte und sicher sehr teure Arbeit, die ihn eine Stange Geld gekostet haben dürfte. Jedenfalls erheblich mehr, als ein Verwalter eines Gutes als Lohn erhalten wird – völlig abgesehen davon, dass er ganz bestimmt nicht die Herkunft und das Recht hat, diese Farben zu tragen.
Dies hier ist ein Möchtegernherrscher in seinem selbst gezimmerten Traumreich. Und ich werde erst wieder gehen, wenn ich herausgefunden habe, was dieser Mensch hier treibt.

Zu meiner Verblüffung versucht der Mann allen Ernstes, mir nur ein Glas Wein anzubieten und mich dann an eine Herberge in der Stadt zu verweisen. Aber was er kann, kann ich schon lange. Ich stelle mich absolut dumm und gehe so frech und selbstverständlich davon aus, dass mein Zimmer hier bereits eingeheizt ist, dass ihm schließlich nichts anderes übrig bleibt, als mir anzubieten zu bleiben. Ich kommentiere das gar nicht.
„Nun, Herr Brudenhusen. Ihr habt recht garstiges Wetter hierzulande. Ich freue mich schon auf den warmen Kamin und ein leckeres Nachtmahl. Ich hoffe, es bereitet niemand Umstände, ich bin wirklich sehr hungrig."

Mit vor unterdrücktem Zorn verengten Augen starrt er mich an und gibt schließlich ein paar Befehle. Staunen macht sich breit auf den Mienen der Diener, bevor sie davoneilen, um die Befehle auszuführen. Noch bevor Brudenhusen mich in ein Empfangszimmer bitten kann – was er nur höchst unwillig tut -, sehe ich Mägde die Treppe hinaufeilen, um mir ein Zimmer herzurichten. Mein Kammerdiener folgt ihnen auf dem Fuße, ein Knecht schleppt mein Gepäck.

Brudenhusen führt mich in das Frühstückszimmer, dem ich sofort ansehe, dass es selten genutzt wird und eigentlich nur noch für Gespräche mit der Dienerschaft bestimmt ist. Im Kamin brennt nur ein kleines Feuer, es ist kalt und zugig. Und dann bittet er mich um einen Augenblick Geduld, er habe schnell etwas zu regeln.
Was auch immer das ist, du Halunke. Hier wirst du mich nicht wiederfinden.
Kaum ist er zur Tür hinaus, verlasse auch ich das ungastliche Zimmer und streife ungeniert durch die Räume. Die Eingangshalle ist mit feiner Täfelung, blitzenden Ritterrüstungen und bodenlangen, schweren Samtvorhängen ausgestattet. Die anschließenden Räume haben große Kamine, in denen warme Feuer flackern, weiche Sitzmöbel, Bilder an den Wänden – kurz: überall herrscht hier Luxus im Überfluss. Und nichts davon ist veraltet, wie man meinen sollte, wenn die ehemalige Besitzerin seit sechs Jahren tot ist und der neue Besitzer sich noch nie hat blicken lassen.

Hinter der großen Treppe in der Eingangshalle befinden sich weitere kleine Räume. Auch hier stecke ich neugierig meinen Kopf hinein. Zwei davon sind leer und dunkel, und ich will mich schon wieder zur Halle wenden, als ich sehe, dass unter der dritten Tür mattes Licht hervorscheint. Ich höre eine Frauenstimme leise singen. Ich klopfe sehr kurz und betrete den Raum. Eine junge, ärmlich gekleidete, abgehärmte, aber eigentlich ganz hübsche Frau sitzt in dem spärlich beheizten Raum an einem Tisch, hat eine helle Lampe neben sich und arbeitet konzentriert daran, ein leuchtend blaues Wams zu besticken. Erst nach einem Moment bemerkt sie meine Anwesenheit und schaut zu mir auf.

Ich finde es seltsam, dass diese Frau hier sitzt und zu so später Stunde noch so eifrig arbeitet. Ich bin versucht, sie zu fragen, aber dann entscheide ich mich doch dagegen. Ich schließe die Tür einfach wieder und wende mich erneut der Halle zu. Ich hatte vorhin einen großen Speisesaal gesehen. Ich nehme mit einem Kienspan eine Flamme vom Kamin in der Halle und zünde mir an einem bereitstehenden Leuchter die Kerzen an. Ich erleuchte erst ein reichhaltig ausgestattetes Empfangszimmer, dann finde ich den Speisesaal mit langer Tafel und kunstvoll bemalten Fayancen wieder und mache auch hier großzügig Licht. Ich verstecke mich auch nicht, lasse völlig ungeniert die Türen offen stehen. Ein verschreckter Diener lunzt um eine Ecke und eilt dann davon. Ich strecke meinen Kopf hinaus in die Halle und frage eine vorbeihuschende Magd, ob ich hier richtig sei im Speisezimmer, und wie lange das Nachtmahl noch auf sich warten ließe. Sie läuft dunkelrot an, rennt fast zu einer Tür und eine schmale Treppe hinunter. Wenn ich nicht so misstrauisch wäre und das alles sich nicht so falsch anfühlen würde, könnte ich mich fast darüber amüsieren.

Nun taucht der Brudenhusen wieder auf, sieht sich von mir und meiner Frechheit überrumpelt und schnappt entrüstet nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ich sehe ihm an, dass er nach Worten ringt, wie er mich hier wieder rauslotsen kann, aber es will ihm nichts einfallen. Mir fällt auf, dass er das feine rote Wams gegen ein unauffälligeres graues eingetauscht hat. Mühsam hält er die Konversation aufrecht, bis ein Diener meldet, das Nachtmahl sei im Salon angerichtet. Das Wort „Salon" betont er so seltsam, dass ich mir das Grinsen verkneifen muss. Und richtig – der Brudenhusen teilt ihm sofort und zähneknirschend mit, das Nachtmahl sei hier im Speisesaal zu servieren.

Der Diener macht wieder kehrt, und kurz darauf wird ein wahrhaft gesundes und ziemlich kärgliches Mahl serviert, das in krassem Gegensatz zur reichen Ausstattung dieses feudalen Speisesaales steht. Ich lasse mir nichts anmerken, esse scheinbar mit Genuss, lasse mir immer wieder mein Weinglas nachfüllen, obwohl auch der Wein offensichtlich von der billigsten Sorte ist, und bringe damit meinen unfreiwilligen Gastgeber fast zur Weißglut.

Als wir zur Nachspeise eine Schale mit schrumpeligen Früchten gereicht bekommen, lehne ich mich satt und zufrieden zurück und fange an zu plaudern.
„Ist denn mein Freund noch nicht eingetroffen? Er schrieb mir, er werde hier auf mich warten, wir würden uns hier treffen und ein paar Tage gemeinsam die Taubenjagd genießen. Auch seine Falknerei könne sich sehen lassen."

Dem Mann bricht der kalte Angstschweiß aus. Ihm ist offensichtlich nicht klar, welch eindeutige Signale er sendet. Er ist hier der uneingeschränkte Herrscher, er hat keinerlei Interesse, dabei durch seinen Lehnsherrn oder dessen Freunde gestört zu werden, Besuch wird so schnell wie möglich wieder hinauskomplimentiert und niemand darf ihm in die Schüssel kucken. Aber damit beißt er bei mir auf Granit. Ich werde bleiben. Bis der Hochstapler in die Knie geht und um Gnade winselt.

Einem Diener, der kommt, um die Tafel abzudecken, teile ich nebenbei mit, dass ich es gewohnt sei, meine Bediensteten im Nebenraum schlafen zu lassen, er möge veranlassen, dass dort genug Schlafstellen seien und mein Kammerdiener direkt zu mir kommen könne, wenn ich ihn riefe. Der arme Mann schaut fragend zu seinem Herrn und erntet ein resigniertes Nicken. Damit eilt er davon und versetzt wiederum die Mägde des Hauses in Aufregung.

Der „Hausherr" erbittet nun, sich zurückziehen zu dürfen, und wünscht mir eine angenehme Nachtruhe, bevor ich morgen die Weiterreise antrete.
So schnell wirst du mich nicht los, Freundchen.
Ich erwidere den Gruß und lasse mich von einem Diener zu meinem Gemach führen.

Wie erwartet ist auch dieses sehr einfach und klein, Kahn und die drei Wachen stapeln sich im Nebenraum geradezu. Da ich aber nicht gedenke, in diesem fremden Haus voller seltsamer Feindseligkeit allein zu nächtigen, zieht Joseph nebst seinem einfachen Lager direkt zu mir. Ruven lasse ich bei meinem Kammerdiener schlafen, und Benjamin bitte ich, sich zum Stall durchzufragen und dort gemeinsam mit Konrad zu nächtigen. Es sei heute Abend etwas schwierig, morgen werde ich mich darum kümmern, dass auch diese beiden es bequem hätten. So ist dann doch für alle genug Platz, und keiner von uns muss alleine schlafen. Das scheint mir unter den gegebenen Umständen zu unsicher. Auch ich gehe nun zur Ruhe. Aber schlafen kann ich noch lange nicht.

Hannes, wo bist du???

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2.3.2020

Lehnsverwalter Brudenhusen

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