064 - gleichförmige Tage - Fr. 9.3.1571

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Meine Tage verlaufen völlig gleichförmig. Ich stehe auf, bete, esse mein karges Brot, zeichne Entwürfe, sticke Muster, singe mir Mut zu, bezahle Jochen Hannover oder die alte Maria, damit sie mir ein paar Dinge des täglichen Bedarfs besorgen, ohne dass es jemand mitbekommt, und verlasse den kleinen Raum unter der Treppe nicht. Abends gehe ich zur Ruhe und bete für alle Menschen, die mir etwas bedeuten oder mir hier zu Unterstützern werden. Nach und nach verschwimmen Tag und Nacht, ich verliere jedes Gefühl für Zeit und Raum. Ich habe nur meine Kinder vor Augen und hoffe auf Erlösung.

Aber ich fühle mich nicht mehr einsam. Jochen Hannover ist wie ein Vater für mich, den ich ja nie hatte. Er behandelt mich wie ein geliebtes Kind, liest mir jeden Wunsch von den Augen ab, auch wenn er sie mir lange nicht alle erfüllen kann. Wie sich herausstellt, ist die alte Maria seine Frau, genauso verbannt wie ihr Mann, weil sie noch zur alten Dienerschaft der Gräfin Agnes gehört hat. Er erledigt nun Laufereien, sie hockt in der Spülküche. Aber sie haben Herz und sind für mich da.

Das Wetter wird milder, ich kann sogar mittags das Fenster ein wenig öffnen. Wenn ich dann voller Dankbarkeit mein Gotteslob singe, kommt es vor, dass draußen auf dem Wirtschaftshof jemand stehen bleibt und lauscht. Ich werde gegrüßt durchs Fenster, obwohl mich hier doch keiner kennt, und grüße fröhlich zurück. Und wenn Maria Erbsen pulen oder Pastinaken schälen muss, dann hockt sie sich auf die Treppe in der Nähe meiner Kammer und summt leise mit.

Ich habe mir als erstes das Wams vorgenommen und arbeite grade an einer komplizierten Borte, die die Nähte zieren soll. Da klopft es kurz, und die Hausdame tritt ein. Ich grüße sie, lächele ihr zu und arbeite weiter. Sie sagt schon immer von selbst, was sie wünscht. Doch diesmal ist es still. Ich wundere mich über die anhaltende Stille und schaue wieder hoch zu ihr. Ihr Gesicht spiegelt die blanke Unsicherheit, es scheint, als ringe sie um Worte. Sie schließt fest das Fenster. Und plötzlich bricht es aus ihr heraus.
„Danke, Anna, für dein Singen. Du ahnst es nicht. Hier im Schloss ist niemand fröhlich, nie. Alle haben Angst. Aber seit du hier eingesperrt bist und trotz deiner Angst und deiner Sehnsucht nach deinen Kindern Danklieder singst, ändert sich etwas. Wir verändern uns. Es ... Das Leuchten in den Augen von Maria und Jochen. Stallburschen, die weniger fluchen. Maria ist eben aus Versehen eine Schüssel heruntergefallen. Sie hat die Luft angehalten, denn unser Koch ist streng. Aber statt sie zu schlagen und zu beschimpfen, hat er nur gesagt, sie möge die Scherben wegräumen und ihm eine andere bringen. Die Mägde in der Spülküche singen miteinander, statt sich anzukeifen. Anna. Du ...Du hast mich Herrin genannt. Aber das bin ich nicht. Ich bin eine Gefangene genauso wie du. Wir alle sind gefangen in einem immer währenden Alptraum. Du tust uns gut, Anna."
Sie stockt einen Moment – und dann rennt sie fast aus meiner Kammer und wirft die Tür hinter sich zu.

Völlig verblüfft habe ich sie angestarrt, während sie geredet hat, starre nun auf die wieder geschlossene Tür, sitze bewegungslos da und begreife nicht, was ich eben erlebt habe. Aber wenn der gütige Gott es so will, dann bin ich eben jetzt hier am richtigen Platz und bringe Lebensfreude und Gottvertrauen zurück in die Herzen der Menschen an diesem düsteren Ort. Es fühlt sich warm und glücklich an in meinem Herzen, dass ich Gott so dienen kann bei dem, was böse Herzen sich für mich ersonnen haben.

Ich bin nun eine Woche hier. Fast täglich gehen Nachrichten zwischen einem der Bediensteten des Bauern Freese und mir hin und her. Inzwischen gehen diese Nachrichten bis Lütgenhusen und zurück. Irmel sendet Grüße von den Kindern. Klaas oder Jorge berichten, was im Dorf geschieht. Wie es der Müllerin Britt geht, dass der Schnee bald ganz fort ist und der Boden auftaut. Nun wird bald die Frühjahrsbestellung losgehen. Am Nachmittag kommt Maria Hannover zur Tür herein.
„Anna, Liebes, soeben kam Nachricht aus Lütgenhusen. Nachdem sie erfahren haben, dass du hier sicher bist und nur arbeiten musst, und dass du über uns Kontakt für Nachrichten nach draußen hast, haben sie am Donnerstag den neuen Knecht nach Duderstadt geschickt, damit der einen Hannes benachrichtigen soll. Die Magd vom Freese meinte, das sei irgendwie wichtig."

Ich fahre auf. Ich weiß sofort, was das bedeutet. Hannes liebt mich. Er würde ALLES für mich tun. Und er handelt manchmal etwas unüberlegt. Wenn er nun erfährt, dass ich hier gefangen gehalten werde, dann wird er durchdrehen.
Das ist gar nicht gut.
„Maria, ist die Magd noch da? Bitte, ich muss ihr eine dringende Nachricht mitschicken!"
„Ja, sie ist noch da und wartet auf eine Botschaft von dir. Was soll ich ihr zutragen?"

Ich ringe die Hände.     Ich kann doch gar nichts tun!
„Sie soll ... Die Lütgenhusener sollen ... Hannes darf NICHT hier herkommen. Sie müssen ihn unter allen Umständen davon abhalten, hier herzukommen. Er kann nichts ausrichten hier, nur Unheil stiften. Lauf, Maria! Hannes darf nicht hier herkommen!"
Völlig verwirrt von meiner Reaktion und meiner Dringlichkeit eilt Maria davon und überbringt meine Nachricht.
Hoffentlich kommt Hannes nicht gleich direkt hier hergestürmt. Hoffentlich kann Klaas ihn zur Vernunft bringen. Er ist wahrscheinlich der einzige, auf den Hannes hört. Vielleicht ist der auch noch nicht in Duderstadt zurück. Oder er ist von dieser Frau von Minnigerode gleich in eine andere Richtung weitergereist. Ach, Hannes! Mach bitte keinen Unsinn!

Ich kann kaum weiter arbeiten, so sehr zittern mir die Hände. Also bringe ich meine Sorge ins Gebet. Aber erst, als Maria mir sagt, dass sie die Magd noch angetroffen hat und ihr die Nachricht mitgeben konnte, werde ich etwas ruhiger. Ich kann wirklich nichts tun. Aber ich kann darauf vertrauen, dass die lieben Menschen in meinem Dorf das Richtige tun, und dass Gott seine Hand über uns allen halten wird. Allmählich kann ich wieder zur Ruhe kommen und weiterarbeiten. Und als es Abend wird, habe ich meinen inneren Frieden wieder gefunden und kann auch wieder singen.

Ich bekomme mein Nachtmahl, eine zeitlang ist seltsame Unruhe in der Halle, dann Hufegeklapper im Wirtschaftshof, auf dem Weg zu den Ställen. Dann wird es still im Haus. Ich arbeite grade an einer kniffligen Stelle, muss das Muster um eine Kurve arbeiten und konzentriere mich sehr darauf. Wie so oft taucht ein Loblied aus meiner Seele auf und will gesungen werden. Ich merke gar nicht, wie die Zeit verfliegt. Bis auf einmal ein fremder, vornehm gekleideter Herr zur Tür hereinschaut, mich kurz nachsinnend ansieht und wieder verschwindet.
Wer war das denn? Hat der Brudenhusen jetzt schon einen Hochzeitsgast? Er lässt doch sonst niemand in sein Reich. Und schon gar nicht jemand, der ihm das Wasser reichen oder ihn enttarnen könnte!
Ich werde es sicher von Maria oder Jochen Hannover erfahren. Also arbeite ich weiter, bis mir fast die Augen zufallen. Aber nun bin ich auch geschickt herum um die Kurve und kann getrost schlafen gehen.

Die Seitentür, die neben meiner Kammer in den Wirtschaftshof führt, ist wie alle anderen des Nachts immer verschlossen. Nicht lange, nachdem ich eingeschlafen sein muss, schrecke ich wieder auf. Diese Türe knarzt ziemlich laut, und von diesem Knarzen bin ich wohl wach geworden.
Wer geht denn mitten in der Nacht noch zum Wirtschaftshof? Das ist seltsam ...
Ich stehe auf und husche zum Fenster. Vorsichtig spähe ich nach draußen. Im Dunklen kann ich nur einen Schatten sehen, der um die nächste Ecke schleicht. Aber bevor ich mich wieder hinlegen will, sehe ich einen weiteren Menschen zu dieser Türe herauskommen. Er bewegt sich ungezwungen, stockt kurz vor der Ecke aber und lehnt sich lauschend an die Wand. Wenige Augenblicke später eilt er unter die Treppe und verschmilzt mit den Schatten. Nun kommt der erste Mann wohl wieder, geht durch die knarzende Tür zurück ins Schloss und scheint abzuschließen. Erst nach einer ganzen Weile kommt der Zweite unter der Treppe hervor und schleicht, sich immer wieder umsehend, in Richtung der Ställe davon.

Eine Zeit lang denke ich noch nach über das, was ich da beobachtet habe.
Irgendwas geht hier vor. Erst dieser gut gekleidete Fremde, der einfach so bei mir den Kopf zur Türe hereinsteckt und stumm wieder verschwindet. Jetzt zwei Gestalten, die des nachts durch Türen schleichen, die eigentlich geschlossen sein sollten. Vielleicht können mir Maria und Jochen etwas darüber erzählen.
Aber schließlich schlafe ich doch wieder ein.

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4.2.2020

Jochen und Maria Hannover


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