066 - Verzögerungen - Do. 15.3.1571

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Früh am nächsten Morgen wache ich davon auf, dass im Wirtschaftshof große Unruhe herrscht. Die Stimme des Hausers brüllt Befehle, Pferde werden gesattelt, bewaffnete Landsknechte laufen durcheinander. Es wiehert, schreit und flucht. Und schließlich reitet eine stattliche Truppe unter der Führung des Hauser vom Schlosshof. Für mich besteht kein Zweifel, dass dieser Trupp nun nach Süden abbiegt. Zu den Dörfern.

Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Der Hauser sucht immernoch nach Hannes. Was, wenn er nun mit Waffengewalt das Dorf auseinandernimmt? Ich bete, dass Hannes vernünftig war und nicht nach Lütgenhusen gekommen ist. Und dass der Zorn des Hausers sich nicht in schierer Gewalt an den Dörflern niederschlägt. Ich flehe zu Gott um Bewahrung für meine Kinder, mein Dorf - und für Hannes.

Kaum ist Maria Hannover aufgetaucht, bitte ich sie dringend, einen Weg zu finden, dass ich Kontakt zu Karl von Pagenstecher bekomme. Sie schaut mich höchst irritiert an, aber ich habe weder Zeit noch Geduld, ihr das nun zu erklären. Zögernd geht sie hinaus und lässt mich ungeduldig zurück. Doch irgendwie scheint sie einen Weg gefunden zu haben, den Pagenstecher zu benachrichtigen, denn nur kurze Zeit später steckt der bereits den Kopf zu meiner Türe herein.
„Was gibt es, dass wir dieses Risiko eingehen? Und was war das für eine Unruhe heute früh?"

Ich erkläre ihm, dass der Hauser grade auf dem Weg in die Dörfer ist, dass er vermutlich alles auseinandernehmen wird und dass er selbst darum heute nicht dorthin reiten kann. Ich kann nicht verbergen, dass ich große Angst um die Dörfler habe.
„Wer weiß, was er mit ihnen aufstellt. Egal, ob er Hannes findet oder nicht. Ich mache mir wirklich große Sorgen um alle dort."
Er nickt.
„Das verstehe ich. Ich nun auch. Hannes kann so ein Hitzkopf sein. Ich verstehe zwar noch nicht, warum. Aber dass er in einer Kurzschlusshandlung wieder zurückkommt, statt abzuwarten, dass würde zu ihm passen."

Ich höre seinen leise fragenden Unterton, aber ich gedenke nicht, ihm das zarte Geheimnis zwischen Hannes und mir anzuvertrauen. Ich selbst weiß ja immernoch nicht, wer Hannes denn nun ist. Das hat mir Karl von Pagenstecher nämlich noch nicht verraten. Ich weiß nur, dass er weit über mir steht und darum sowieso unerreichbar für mich ist. Also kann ich dazu auch meinen Mund halten. Nicht, dass Hannes deswegen vielleicht noch Schwierigkeiten bekommt.

Er wartet einen kleinen Augenblick ab. Als er merkt, dass er von mir keine weitere Antwort bekommen wird, redet er weiter.
„Ich sollte nicht länger hierbleiben. Versuche, ganz normal weiter zu arbeiten. Lass dir die Sorge nicht anmerken, hörst du? Ich verschwinde jetzt wieder. Das gibt dann heute wohl einen ausgiebigen Bibliothekstag, damit ich mich beschäftigt zeige."
Er zwinkert mir zu und schlüpft wieder zur Tür hinaus.

Keiner der Tage hier war bisher so lang wie dieser. Ich sticke, ich grübele, ich sticke, ich esse, ich sticke, ich singe gegen die Angst an, ich sticke, ich bete im Stillen um Gottes Beistand und Schutz für die Dörfer, die heute so sehr der Willkür des Hausers ausgeliefert sind.

Als gegen Abend die gespenstische Stille des Schlosshofes zerrissen wird von donnernden Hufen und gebrüllten Befehlen, fahre ich von meinem Schemel hoch und eile ans Fenster. Es dauert nicht lang, bis mir klar wird, dass alle, aber wirklich alle an der Suchaktion Beteiligten so richtig schlechte Laune haben. Der Hauser sieht aus wie das wandelnde Gewitter selbst. Der Vorreiter der Landsknechte brüllt rum wie ein Berserker. Und die Landsknechte selbst ziehen die Köpfe ein, versuchen, unsichtbar zu sein, und machen in Windeseile, was man sie anweist, damit sie der Zorn nicht unmittelbar trifft.

Endlich lässt meine Anspannung nach. Es dauert eine Weile, bis ich merke, dass ich sogar die Luft angehalten habe. Es ist offensichtlich – sie haben Hannes auch diesmal nicht gefunden. Eine große Erleichterung und Dankbarkeit erfüllt mich. Ich weiß zwar noch nicht, ob das heißt, dass er nicht da ist, oder ob er sich gut genug verstecken konnte. Aber er scheint in Sicherheit zu sein. Sonst wäre der Hauser deutlich gelassener. Ich möchte mir allerdings nicht ausmalen, in welchem Zustand jetzt die Dörfer und die Menschen dort sind. Dort kann alles Mögliche geschehen sein ...
Hoffentlich kommt bald ein Bote aus Rhumaspring mit neuen Nachrichten! Sonst werde ich hier noch verrückt vor Sorge!

Heute kann ich mit so einem Boten allerdings nicht mehr rechnen. Stattdessen kommt im Dunkel der Nacht erneut Karl von Pagenstecher zu mir, kratzt an meinem Fenster und schwingt sich in meine Kammer, sobald ich ihm öffne.
„Anna, was hast du inzwischen erfahren? Ich weiß nur, dass der Brudenhusen erst im Arbeitszimmer einen entsetzlichen Wutanfall bekommen hat. Und dann hat er sich beim Abendessen so unglaublich unhöflich mir gegenüber benommen, dass ich ihn am liebsten sofort in den nächsten Kerker gesperrt hätte. Er will mich mit aller Macht loswerden. Aber da beißt er auf Granit. Ich bin mir nur jetzt sehr unsicher, wie ich morgen hier elegant wegkommen soll, ohne dass er Verdacht schöpft."

Ich überlege einen Moment, was er als falsches Ausflugsziel angeben könnte.
„Wie wäre es, wenn Ihr einen Ausflug nach Herzberg drei Stunden weiter nördlich machtet. Und in Wahrheit umgeht Ihr Gieboldehusen und reitet doch nach Süden. Ich denke, ich kann Jochen Hannover dazu bringen, Euch einen Burschen zu besorgen, der Euch den richtigen Weg zeigt, bis Ihr ihn sicher alleine finden werdet."

Der Edelmann überlegt einen Moment lang und nickt dann.
„Gibt es in Herzberg irgendwas besonderes, was man sich dort anschauen sollte? Ich bräuchte einen Grund, warum ich dort hin will."
Ich schüttele den Kopf.
„Es tut mir Leid, ich war noch nie dort. Aber auch das können wir Jochen Hannover fragen."

In diesem Moment kratzt es an meiner Tür. Wie von einer Biene gestochen springt Karl von Pagenstecher hinter die Türe, die sich gleich darauf leise öffnet.
„Anna, Mädchen? Bist du noch wach?"
Ich erkenne die Stimme von Jochen Hannover und bitte ihn flüsternd herein.
„Nicht erschrecken, Herr Hannover. Der edle Fremde ist grade hier."
Natürlich zuckt er doch zusammen. Ich stelle die beiden einander als Verbündete vor, und dann tragen wir unsre Anliegen für morgen an ihn heran.
„Wart, Anna. Da ist ein Bote aus Rhumaspring. Sie haben es sich nicht nehmen lassen, uns Bescheid zugeben, dass der Tag wahrlich ungemütlich war. Aber es ist niemand tot oder verhaftet, es hat nirgendwo gebrannt, sie haben nirgendwo geplündert oder all zu wild gehaust. Du sollst dir keine Sorgen machen."

Neugierig mischt sich der Gast ein.
„Ihr habt Möglichkeiten, Nachrichten zu schicken? Wenn der Bote über Nacht bliebe, könnte er uns doch gleich in die richtige Richtung führen."
Aber Jochen schüttelt den Kopf.
„Der Mann muss ganz früh wieder zurück, er wird bei der Feldbestellung gebraucht. Es geht so schon viel Arbeiteskraft verloren durch das viele Hin und Her. Aber ich finde bestimmt einen Burschen, der Euch um die Stadt herumführt."
Karl von Pagenstecher hakt noch einmal nach.
„Dann sagt ihm nichts von mir, es könnte Verwirrung stiften. Wenn ich erstmal den Weg gefunden habe, komme ich schon zurecht."

Er überlegt einen Moment lang.
„Wenn ich das als Ausrede benutze ... Was könnte es sein, was mich in diese Stadt Herzberg lockt?"
Jochen Hannover muss nicht lange überlegen.
„Das Schloss und die Stadtkirche sind sehr schön. Man kann eine Papiermühle besichtigen. Und vom Mühlengraben her gibt es kunstvolle Wasserhebewerke, die das Wasser bis auf den Berg zum Schloss transportieren. Das ist sehr beeindruckend."
„Gut! Das reicht mir. Ich werde ihm beim Frühstück entsprechende Ideen aus der Nase ziehen und mich dann mit zwei meiner Männer aufmachen. Den Dritten lasse ich lieber hier zum Schutz von Kahn und Konrad. Ich hoffe einfach, dass ich Erfolg habe. Ich muss dann noch einmal herkommen, damit ich beim Brudenhusen einen eleganten Abgang machen kann, der den nicht Verdacht schöpfen sondern vielmehr aufatmen und mich vergessen lässt. Betet, dass Hannes so verrückt war zu kommen. Dass ich ihn dort antreffe."

Kurz darauf verabschieden sich die beiden Männer für die Nacht. Ich sehe ihnen nach und schaue dann hinauf an den Nachthimmel. Die noch kahlen Äste der Bäume recken sich nach oben, wo der Mond grade durch ein Loch in den Wolken scheint.
Hannes? Wo bist du? Bist du in Sicherheit? Geht es dir gut? Weißt du jetzt, wer du bist und wohin du gehörst? Ich vermisse dich ...

Und ich stelle mir noch kurz vor, wie Karl von Pagenstecher und Klaas versuchen werden, einander einzuschätzen, bis Klaas Vertrauen genug hat, um den anderen zu Hannes zu lassen. So viel Sorge ich hatte, dass Hannes kommen könnte – nun hoffe ich tatsächlich, dass der Pagenstecher ihn gleich finden und zurück in sein altes Leben bringen kann. Dann kann der Brudenhusen bald abgesetzt und die Hochzeit verhindert werden.
Und ich kann zurück zu meinen Kindern.
Dabei fällt mir auf, dass ich noch immer nicht gefragt habe, wer Hannes denn nun eigentlich ist ... Mit diesem Gedanken schlafe ich schließlich wieder ein.

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6.3.2020

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