077 - Hannes und Ludo - MO. Nacht 19.3.

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Mich zu verstecken, zu verkleiden, mich unsichtbar zu machen, ist mir in den letzten Monaten so sehr zur zweiten Natur geworden, dass es mir überhaupt nicht schwer fällt, mir die Gugel über den Kopf zuziehen und mit unseren Männern zu einer unauffälligen Gruppe Begleiter zu verschmelzen. Der Freund der Herzogensöhne ist vor Zwei Wochen abgereist, der Freund der Herzogensöhne kommt heute Abend wieder – der Rest ist Beiwerk. Karl wird erkannt, und so kommen wir anderen völlig problemlos einfach mit in die Stadt. Wir reiten still zum Stadthaus der Familie Pagenstecher, Hurtig kommt dort mit in den Stall, Konrad kümmert sich darum. Kahn geht sofort ins Haus, um seinem Herrn gleich alles wieder bequem zu machen. Dann reiten die drei Wachen und Konrad zum Eingang des Schlosshofes, werden unauffällig hineingelassen und trennen sich, nachdem sie auch ihre Pferde versorgt haben.

Karl und ich gehen direkt zu seinem Vater, der – wie einer der Diener Karl verraten hat – noch wach ist und allein in seiner Bibliothek sitzt. Karl öffnet ohne Ankündigung die Tür, und ich folge ihm einfach. Während mein Freund seinen Vater begrüßt, halte ich mich im Hintergrund.
„Vater, wie schön Euch wohlauf zu sehen!"
Der treue Freund und Berater meines Vaters erhebt sich und geht Karl entgegen.
„Mein Sohn! Bitte sag mir, dass du erfolgreich warst. Ludwig wird immer mehr gedrängt, die Krone anzunehmen. Er hält das nicht mehr ..."
In dem Augenblick, wo er Karl zur Begrüßung umarmt, fällt sein Blick auf mich. Nun nehme ich die Gugel ab, lege den Mantel beiseite und verbeuge mich vor ihm.

„Hoheit! Dem Himmel sei Dank. Ihr lebt und seid gesund wieder hier!"
Der alte Mann verbeugt sich tief und ehrfürchtig vor mir. Schnell mache ich zwei Schritte nach vorn, greife nach seinen Schultern und ziehe ihn hoch.
„Ich bitte Euch, Pagenstecher, bleibt aufrecht. Ja, ich bin gesund und wieder hier. Aber ich bin ein anderer geworden. Ihr würdet mir sehr helfen, wenn Ihr mir – zumindest, solange wir unter uns sind – nicht unterwürfig sondern auf Augenhöhe begegnetet. Alles andere ertrage ich nicht mehr."

Langsam gewöhne ich mich an diesen verwirrten Blick der Menschen, die ich das bitte. Mit einer einladenden Geste zeigt er auf die Sessel am Kamin.
„Bitte, ... Euer Hoheit. Darf ich Euch einladen, Euch zu setzen?"
„Danke!"
Wir setzen uns an den Kamin, und ich ergreife das Wort.
„Ich möchte nicht zuviel Zeit verlieren. Ja, ich bin feige davongelaufen, weil ich mich völlig überfordert gefühlt habe. Ich hatte dann einen Unfall und dadurch mein Gedächtnis verloren. Erst der Anblick von Karl hat mir meine Erinnerungen zurückgegeben. Nun bin ich wieder da, möchte aber noch nicht offiziell im Schloss auftauchen. Darum bitte ich Euch, dass ich zumindest für diese Nacht Euer Gast sein darf. Und dann möchte jetzt ich gerne sofort zu Ludwig gehen, um ihn zu erlösen."

Wieder schaut der alte Pagenstecher mich irritiert an. Es ist offensichtlich weit außerhalb seiner Denkmöglichkeiten, dass ein Herzog nicht Ehrerbietung entgegennehmen und in seinem Schloss residieren möchte. Aber das werden sie jetzt alle lernen müssen ...
„Aber natürlich, Euer Hoheit. Gerne. Karl wird Euch das Zimmer zeigen, dann könnt Ihr so lange bei Eurem Bruder bleiben, wie Ihr wollt, und seid von uns unabhängig."
Ich erhebe mich und gehe Richtung Tür, Karl folgt mir. Während wir die Treppen hinaufsteigen, sehe ich ihn kurz an.
„Du hast natürlich die Erlaubnis, deinem Vater zu erzählen, was alles vorgefallen ist. Rede ruhig frei heraus. Ich habe vor ihm so wenig Geheimnisse wie vor dir."

Mein Gepäck ist bereits hier, das Feuer im Kamin flackert, und ich befreie mich schnell ein wenig vom Schmutz der Reise. Dann begleitet Karl mich noch in den Keller, wo hinter einem Stapel alter Kisten eine kleine Tür verborgen ist. Er öffnet die Tür. „Grüße Ludo von mir. Und nimm dir alle Zeit der Welt. Ihr habt Nachholbedarf."
Dann geht er wieder nach oben zu seinem Vater.

Ich hingegen wende mich der Tür zu. Da sein Vater für meinen gearbeitet hat, wurden wir drei Jungs gemeinsam erzogen. Und eines Tages stand Karl plötzlich in Ludos Zimmer, ohne dass ihn jemand hereingeführt hätte. Er hatte aus lauter Langeweile im Keller seines Vaterhauses gestöbert und dabei diese Tür und den dort beginnenden Geheimgang entdeckt. Natürlich war er seiner Neugierde gefolgt und ist tatsächlich neben dem Kamin in der Wand zwischen Ludos und meinem Zimmer herausgekommen. Es war ganz einfach, die Türen zu unseren Zimmern zu öffnen.

Während ich also mit leicht eingezogenem Kopf den Gang entlang gehe und mir selbst mit einer Kerze den Weg leuchte, erinnere ich mich, dass dieser Gang in meinen Träumen bei Anna Adam vorgekommen ist. Mit schlafwandlerischer Sicherheit folge ich dem Gang bis zu der Stelle, wo ich zu unseren Zimmern abbiegen muss. Gradeaus geht der Gang nämlich ins Brunnenhaus im inneren Schlosshof. Irgendwann mal haben wir drei Jungs die Schlossbibliothek durchforstet und herausgefunden, dass es noch mehr Gänge gibt, die als Fluchtwege gebaut worden waren. Manche davon haben wir genutzt.

Ich steige die enge Treppe in der Wand hoch und lande bei Ludos Zimmer. Ich lösche mein Licht und öffne so leise wie möglich den Mechanismus. Ein erster Blick durch den Spalt zeigt mir ein erschütterndes Bild. Mein Bruder steht am Fenster, gebeugt wie ein alter Mann, und starrt in die nächtliche Dunkelheit. Er weint. Und ab und zu murmelt er etwas. Ich öffne die geheime Tür ganz und trete ein.
„Hannes. Wo bist du? Komm heim!"
Mich überkommt eine Gänsehaut.
Wie in meinen Träumen. Er stand genau da am Fenster und rief immer wieder: "Hannes, komm heim!"

Ich stehe immernoch im Schatten neben dem Kamin.
„Ludo."
Mein Bruder erstarrt.
„Ich bin hier."
Ludo fährt herum, sieht mich – und sackt weinend in sich zusammen. Mit ein paar schnellen Schritten bin ich bei ihm und nehme ihn einfach in die Arme. Das schlechte Gewissen brüllt in mir, auch wenn ich weiß, dass ich mit diesem Gedächtnisverlust gar nicht alleine heimfinden konnte. Aber allein die Tatsache, dass ich einfach verschwunden bin, reicht ja schon. Ich habe ihn allein gelassen, als ich ihm hätte besonders nah sein müssen. Ich habe ihn allein gelassen mit der Trauer, mit dem Staatsbegräbnis, mit der aufkommenden Unruhe wegen meinem Verschwinden, mit dem Übernehmen der Staatsgeschäfte, mit der Suche nach mir, mit dem wachsenden Druck der Berater und Minister, die ihn entgegen seiner Hoffnung auf meine Rückkehr auf den Thron drängen wollten. Und ich habe ihn allein gelassen mit seiner tiefen, tiefen Angst um den Bruder, zu dem er immer ehrfürchtig aufgesehen hat.

„Ach, Ludo. Das kann ich nie wieder gutmachen. Ich hoffe, du wirst mir eines Tages verzeihen."
Sein Kopf fliegt hoch.
„Nein! Hannes, nein. Du musst nicht ... Ich bin doch nur so froh, dass du wieder da bist. Ich habe doch natürlich ..."
„Ludo. Es war eine Qual für dich. Verursacht durch mich. Durch meine Feigheit."
"Nein, Hannes.. Du ..."
"Ludo! Hör auf, mich wie einen Heiligen zu behandeln. Hör auf, einen Heiligen in mir zu sehen. Ich bin in so vielerlei Hinsicht schwach. Wie jeder Mensch. Und du hast nun vier Monate lang gelitten, weil ich mich aus dem Staub gemacht habe. Das war nicht Recht."

Allmählich richtet er sich auf und schaut mir nun grade in die Augen.
„Warum bist du nicht eher gekommen, Hannes? War dir das alles hier so egal, war ich dir egal?"
Er wird immer leiser bei seiner Frage. Ich schüttele schnell den Kopf.
„Nein, Ludo, du warst mir keine Sekunde lang egal. Es ist eine lange Geschichte, und ich will sie dir gleich erzählen. Nur sofort vorweg: ich hatte durch einen Unfall vollständig mein Gedächtnis verloren, selbst meinen eigenen Namen. Nur den Spitznamen Hannes haben wir durch meine Träume herausgefunden. Ich war tatsächlich darauf angewiesen, dass Karl kommt und mich findet."

Völlig vertieft in unser Gespräch und aus uralter Gewohnheit seit unserer Kindheit klettern wir zum Reden auf sein Bett und ziehen die Vorhänge um uns zu. Und dann erzähle ich auch ihm alles, was in den letzten vier Monaten geschehen ist. Nur Anna – ja, die kommt dabei ein wenig zu kurz, das will ich ihm erst später sagen. Ich will nicht, dass er glaubt, dass ich nun im Endeffekt wegen Anna abdanken will. Denn die Wahrheit geht ja viel tiefer.

„Ich weiß gar nicht, warum ich nicht erschüttert bin, dass mein eigener Verwalter mich einfach so aus dem Weg räumen wollte. Und immernoch will. Es ist ein Verbrechen, es ist völlig verrückt und kurzsichtig, denn er hätte das Lehen auch nach meinem Tode niemals bekommen sondern dann eben jemand anderes. Aber es ... wie soll ich sagen ... das ist unwichtig neben all dem, was in dieser Zeit mit mir passiert ist, in mir passiert ist. Was ich über mich selbst gelernt und verstanden habe."

Ludo hat mir die ganze Zeit aufmerksam zugehört. Er hat dabei mit mir gebangt und gehofft, geweint und gelacht. Ich rede weiter, all das neue in mir sprudelt nur so aus mir heraus. Es tut so gut, das mit dem Bruder zu teilen! Und immer wieder hat Ludo mich berührt, als wolle er sich vergewissern, dass ich wirklich da bin, dass ich mich nicht gleich wieder in Luft auflöse. Dann verblüfft er mich.
„Und was ist mit Anna? Wirst du versuchen herauszufinden, wer sie ist? Wirst du versuchen, sie für dich zu gewinnen?"
Etwas überrumpelt starre ich Ludo an.

Aber er lacht nur.
„Hast du allen Ernstes geglaubt, du könntest das vor mir verbergen? Hannes, ich bereue zutiefst, dass ich in jener Nacht so rundheraus abgelehnt habe, dich von der Herzogenwürde zu befreien. In den vielen, vielen Stunden, die ich dort am Fenster verbracht und in die Dunkelheit gestarrt habe, habe ich begriffen, dass nicht wichtig ist, dass DU Herzog wirst. Sondern dass es derjenige von uns werden muss, der dazu bereit ist, damit wir beide glücklich werden können. Du hast immer gesagt, dass du dich der Aufgabe nicht gewachsen fühlst, mir ist es immer leichter gefallen, hat mich viel mehr interessiert, dafür zu lernen. Also – werde ich eben Herzog. Tritt vor den Rat, danke offiziell ab, und ich freue mich darauf, in dir einen Berater zu haben, der wirklich weiß, was die Menschen in meinem ... in unserem Land wollen und brauchen, damit es uns allen gut geht. Und dann hol dir deine Anna und werde glücklich."

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18.3.2020

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