083 - Neuanfang - SA. 24.3.1571

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„Sie macht es dir nicht leicht."
Völlig gedankenverloren stehe ich vor meinem Schloss, noch mehrere Minuten, nachdem die Kutsche mit Anna um die Ecke und die Allee entlang gerollt und Richtung Lütgenhusen verschwunden ist. Mein Herz ist so zerrissen. Es schlägt hier, bei dieser neuen Aufgabe, bei dieser neuen Verantwortung, der ich mich so gerne stellen möchte, bei diesen Menschen, deren Unterdrückung so schnell wie möglich beendet und ihr Leben wieder in gerechte Bahnen gelenkt werden soll. Es schlägt in Salzderhelden bei meinem Bruder, den ich in Zukunft nicht mehr täglich sehen werde, weil unsere Wege sich nun trennen. Aber es fährt auch grade mit dieser Kutsche davon, und ich muss meine ganze Vernunft zusammennehmen, um nicht hinterherzurennen und sie anzuflehen, bei mir zu bleiben.

Karl muss in der Nähe geblieben sein und mich beobachtet haben, denn nun tritt er zu mir und sagt nur diesen einen Satz.
„Sie macht es dir nicht leicht."
Ich schüttele stumm den Kopf.
„Ich mag es mir aber auch nicht zu einfach machen."

Karl dreht mich sanft aber bestimmt an der Schulter rum, zeigt über den Schlosspark und zum Wirtschaftshof.
„Wir haben noch ein paar Tage, bevor wir zurück müssen. Nimm dir die Zeit und bring Ruhe rein. Versammle als erstes die Bewohner dieser Stadt um dich und stelle dich vor. Hole den alten Verwalter zurück, versuche ein erstes Verstehen, was hier vorgegangen ist, und was nun nötig ist. Dann werde ich die arme Braut erlösen, und du wirst dich ums Waisenhaus kümmern. Das wäre doch gelacht, wenn wir nicht mehr über Anna herausfinden könnten."

Gemeinsam gehen wir wieder ins Haus hinein und suchen den ersten Diener. Er soll uns einmal durch jeden Raum des Schlosses führen. Statt eine Magd nach ihm zu schicken, steigen wir einfach eine Treppe in den Keller hinunter und laufen durch die Dienstbotenräume. Bei der Gelegenheit lernen wir den Koch kennen und den Kammerdiener vom Brudenhusen. Der Mann sieht sehr unglücklich aus, denn er hat ja nun keine Aufgabe mehr. Ich rede mit ihm und versichere ihm erstmal, dass ich bestimmt eine Aufgabe für ihn finden werde.
„Macht Euch keine Sorgen, Seidel. Ihr könnt mir jetzt sofort helfen, denn von Pagenstecher und ich haben ja keinen Kammerdiener mitgebracht.
Ich weiß ja noch gar nicht, ob ich am Ende meinen Kammerdiener ganz hierher verpflanzen kann. Vielleicht bleibt Seidel hier einfach, was er ist. Und Laub findet in Salzderhelden eine neue Beschäftigung.

der Kammerdiener Seidel

Als nächstes finden wir im Arbeitszimmer des ersten Dieners Ulrich Barkhausen im Gespräch mit Jochen Hannover.
„Nun, meine Herren, ich freue mich sehr, dass Ihr Euch nun freundschaftlich begegnet. So ists recht. Ich möchte um eine ausführliche Schlossführung bitten, damit ich mich bald alleine orientieren kann. Wäre das jetzt möglich?"
Die beiden Männer staunen, denn so freundliche Behandlung sind sie überhaupt nicht gewohnt. Mir hingegen fällt es leicht. Es sind Untergebene, aber es sind keine Sklaven, die ich herumschubsen dürfte.

der erste Diener Ulrich Barkhausen

Mit einem schnellen Blick versuche ich, Barkhausen einzuschätzen. Er scheint ein wenig steif und förmlich zu sein und ziemlich unauffällig. In der Halle habe ich ihn jedenfalls eben nicht wahrgenommen, und er ist auch nicht wie Almuth Jansen anschließend zu mir gekommen, um sich vorzustellen. Ich bin gespannt, wie er sich in die neue Situation finden wird.

Barkhausen springt von seinem Stuhl auf, verbeugt sich und stellt sich mir vor.
„Sagt mir doch, Herr, worauf es Euch bei der Führung besonders ankommt."
Ich überlege einen Moment.
„Ich möchte gerne den grundsätzlichen Aufbau des Hauses verstehen. Ich möchte wissen, zu welchem Zweck der Brudenhusen welchen Raum genutzt hat. Aber ich wüsste auch gerne, wie alles zur Zeit der Frau Agnes gewesen ist. Ist das alles möglich?"
„Sogleich, Herr. Allerdings ..."
Er überlegt einen Moment, dann hellt sich seine Miene auf, und er wendet sich an Jochen Hannover.
„Hannover, kommst du ... könntet Ihr Euch uns anschließen? Darüber, wie es im Schloss zur Zeit der Frau von Minnigerode war, wisst Ihr doch viel besser Bescheid als ich."

In mir ist die helle Freude. Der ehemalige erste Diener, zum letzten Knecht degradiert, wird nun vom jetzigen ersten Diener auf einmal mit Höflichkeit behandelt. Genau so will ich es hier haben. Der eine nimmt den anderen ernst, und gemeinsam geht es gleich viel besser. Jochen Hannover steht auf und strahlt dabei vor Stolz. Zu viert streifen wir also durchs Schloss. Ich bekomme jede Etage ausführlich gezeigt, lerne Haupt- und Nebentreppen kennen, erfahre ganz viel über die Dienerschaft und die Aufgaben der einzelnen Menschen, einige werden mir auch gleich vorgestellt und ich bekomme so einen ganz guten Eindruck. Das Haus ist gut geführt. Es scheint, dass vor allem Ungeduld, Knauserigkeit und Angst die Atmosphäre vergiftet haben, nicht Misswirtschaft.

Als wir schließlich wieder in der großen Eingangshalle eintreffen, schwirrt mir der Kopf vor lauter Fakten und Zahlen. Am Fuße der Treppe kommt uns Frau Jansen entgegen. Ich verabschiede bis auf Weiteres die beiden Diener und wende mich ihr zu. '
„Herr, ein Teil der Ställe steht leer, selbst wenn alle Landsknechte ihre Tiere eingestellt haben. Möchten Sie, dass ich dort Lager für die Landsknechte herrichten lasse? Ansonsten wäre nun für alle ein einfaches Mahl bereitet. Wir sind nicht darauf vorbereitet gewesen..."
Ich lächele sie an.
„Bitte, es muss kein festliches Mahl sein, und schon gar nicht jeden Tag dreimal. Ich habe in den letzten Monaten von Getreidebrei und Buttermilch gelebt. Wir wollen es einfach halten im Alltag, auch das ist ja abwechslungsreich und schmackhaft zu machen. Die Idee mit den Ställen finde ich sehr gut. So sind sie unter Dach und in der Nähe ihrer Tiere. Wenn die Stallknechte ihnen Stroh überlassen, können die Männer sich selbst einrichten. Und dann wäre ein Essen für alle nicht schlecht. Wir sollten in mehreren Schüben essen, dann kann die Küche das gut bewältigen. Bitte entscheidet in den nächsten Tagen frei, wann wer wo essen, schlafen oder mitarbeiten soll. Ihr habt den besten Überblick. Legt mir jeden Morgen einen Tagesplan vor, den Ihr mit Barkhausen abstimmt, dann werden wir hier am schnellsten eine Ordnung hineinbekommen."

Kurz darauf bekommen Karl und ich im Speisezimmer ein einfaches Mahl serviert. Wir reden nicht viel. Aber ich merke wohl, dass Karl mich nun schon seit Stunden beobachtet bei allem, was ich tue oder sage oder frage. Als wir uns schließlich satt zurücklehnen in den furchtbar schnörkelig überladenen Stühlen, grinse ich ihn an.
„Spucks aus, mein Lieber. Es liegt dir doch auf der Zunge!"

Karl fängt an zu lachen.
„Interessante Ausdrücke, Hannes. Ja, ich hab was 'auf der Zunge liegen'. Du bist anders geworden. Gut! Aber anders. Du bist ernsthafter, reifer, aufmerksamer, geduldiger und zielstrebiger als vorher."
Staunend lausche ich seiner Aufzählung.
„Woran machst du das fest, Karl?"
„Ganz einfach. Du hast grade zwei Stunden lang aufmerksam zugehört, du hast viel gefragt, es war keine einzige unsinnige Frage dabei. Du triffst für jeden der Dienstboten den richtigen Ton, sie fühlen sich sicher und wahrgenommen. Du fällst schnelle Entscheidungen und scheust nicht davor zurück. Und ..."
Er grinst von einem Ohr bis zum anderen.
„... du redest wie diese Menschen, weil du ihren Dialekt in den Ohren hast. Du verstehst sie, sie verstehen dich. Fast möchte man ein Knecht in Gieboldehusen sein, wenn es einem hier so gut geht."

Mir schießen die Tränen in die Augen.
„Ach, Karl. Ich habe soviel Mist gebaut in den letzten Monaten, so viele Menschen immer wieder in Gefahr gebracht, nicht zuletzt mich selbst. Ich habe so viele Menschen trauern gemacht, Unsicherheit hervorgerufen. Und ich bin immer, immer wieder einfach davongelaufen. Diese Monate haben mir den Spiegel vorgehalten. Ich habe gesehen, wer ich bin. Ich bin fest entschlossen, es von nun an besser zu machen."

Karl steht auf und klopft mir im Vorbeigehen auf die Schulter.
„Das tust du schon, Hannes. Das tust du schon. Und jetzt lass uns überlegen, wie wir den Nachmittag nutzen können."

„Ich denke, ich werde nun auch über den Wirtschaftshof gehen und dort alle begrüßen. Dann habe ich einen Eindruck von der Größe des Anwesens. Und da die Zeit drängt, sollte ich vielleicht gleich den alten Verwalter aufsuchen. So können wir auch noch einen Spaziergang durch die Stadt machen. Du warst ja ein paar Tage hier. Vielleicht kannst du mich einfach führen."

In der großen Halle begegnen wir Jochen Hannover, der grade mit einer Botschaft zu mir kommt.
„Der Stallmeister schickt mich, Herr. Euer Pferd lässt niemand an sich ran. Und Euer Bursche ist doch ..."
Richtig, Konrad ist mit Anna unterwegs.
„Dank Euch, Hannover. Ich wollte sowieso grade die Ställe besehen. Hat Barkhausen noch einen Auftrag für Euch, oder hättet Ihr Zeit, mit uns zusammen zum alten Verwalter zu gehen?"
Hannover verbeugt sich.
„Ich werde ihn gleich fragen gehen und dann zu Euch zu den Ställen kommen, Herr."

 In der Zwischenzeit gehen Karl und ich durch die nur allzu bekannte Hintertür zum Wirtschaftshof. Auch hier lerne ich verschiedene Menschen kennen. Dann kümmere ich mich persönlich um Hurtig. Die Stallburschen staunen nicht schlecht, dass ihr neuer Herr selbst mit anpackt. Aber sie sehen so auch, wie man mit Hurtig umgehen muss. Als Karl und ich die Ställe verlassen, wissen wir, dass auch diese Menschen treu hinter mir stehen werden.

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23.3.2020

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