112 - „Nur Mut!" - SA. 28.4.1571

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Nach dem Abendessen habe ich mir Susanna und Peter auf die Beine gesetzt, Jakob mir gegenüber auf die Tischkante, und dann habe ich alle drei in die Arme genommen.
„Ich hab ein Geheimnis entdeckt. Wollt ihr es hören?"
Die Kinder sind zwar müde von dem langen Tag bei Irmel und an der frischen Luft. Aber nun beginnen ihre Augen doch zu glänzen.
„Natürlich Mutter. Wir werden auch nichts verraten!"
Jakob nickt eifrig und schaut mich aus großen Augen an.

Behutsam erzähle ich ihnen vom Waisenhaus, in dem ich aufgewachsen bin, schwärme mit sicher leuchtenden Augen von meiner Mutter, zeige auch ihnen den Schlüssel, erkläre ihnen noch einmal, wer Hannes eigentlich ist. Und dass Hannes diese zwei Kästchen gefunden hat.
„Wisst ihr, Hannes ist ein ganz Schlauer. Er hat sich erinnert, dass ich einen kleinen Schlüssel bei mir trage. Und da hat er sich gedacht, er will doch mal ausprobieren, ob mein Schlüssel nicht vielleicht diese Kästchen öffnen kann."
„Wo ist dein Kästchen, Mutter?"
„Steig mal die Leiter hinauf, Jakob. Und dann sei gaaaanz vorsichtig."
„Wie mit der Lampe?"
„Wie mit der Lampe!"

Jakob flitzt zur Leiter und steigt nach oben, bis nur noch seine Beine zu sehen sind. Wir hören nur ein „oooh!" von oben. Dann nimmt Jakob das Kästchen in den einen Arm und umklammert es ganz fest vor seinem Bauch, während er sich mit der anderen Hand vorsichtig die Leiter hinunter hangelt.
„Hier, Mutter. Ich war auch ganz vorsichtig."
„Ja, mein Sohn. Das hast du ganz wunderbar gemacht."

Ich stelle das Kästchen neben Jakob auf den Tisch. Peter ist grade in meinem Arm eingeschlafen, und so lege ich ihn auf die Pritsche. Aber Susanna und Jakob starren staunend auf den Deckel mit den zarten eingelegten Mustern. Susannas kleine Hand fährt ganz sachte über die hellen Linien.

Dann öffne ich langsam den Deckel.
„Schaut mal, was darinnen ist. Mein Vater, den ich nie kennengelernt habe, hat meiner Mutter einen Ring geschenkt. Und der ist hier drinnen."
Ich nehme den Ring heraus und stecke ihn mir an den Finger. Es ist ein breiter goldener Ring mit einem leuchtend grünen Stein in der Mitte. Ich kenne ihn gut. Schon als kleines Mädchen hat mich dieses intensive Leuchten magisch angezogen. Nun ist er an meiner Hand. Ich fühle eine seltsame, kribbelige Verbundenheit mit meiner Mutter.

Plötzlich geht die Sonne auf in Jakobs Gesicht.
„Mutter! Wenn der Hannes das Kästchen gefunden hat. Und jetzt hast du es. Dann ... Mutter, der Hannes ist da!"
Jubelnd fällt er mir um den Hals.
„Ja, mein Lieber. Hannes war heute kurz da, um mir das Kästchen zu bringen und auszuprobieren, ob mein Schlüssel tatsächlich passt. Und um mir zu sagen, dass uns übermorgen eine feine Kutsche abholen wird, damit wir ihn ein paar Tage besuchen können."

Susanna war kurz vorm Einschlafen, aber bei Jakobs Freudengeheul wird sie wieder wach. Auch ihr kleines Gesicht strahlt, als sie erfährt, dass wir übermorgen den Hannes besuchen.
„So, ihr Zwei. Und wenn ihr jetzt ganz schnell schlaft, dann ist es ganz schnell morgen. Und dann können wir schneller zu Hannes fahren. Husch!"
Eilig krabbeln die beiden auf die Pritsche, kuscheln sich in ihre Decken und falten die Hände.

„Mutter, ich will beten!"
Jakob strahlt vor Glück. Und dann beginnt er zu beten.

„Bevor ich mich zur Ruh begeb,
zu dir o Gott mein Herz erheb.
Und sage Dank für jede Gabe,
die ich von Dir empfangen habe.

Und ich sage Dank, dass ich endlich den Hannes wiedersehe! Amen."
Auch Susanna murmelt im Halbschlaf „Amen", und ich streiche den beiden noch einmal über den Kopf.
„Amen! Und gute Nacht, ihr Zwei."

Ich muss schmunzeln. Ich schirme das Licht meiner Lampe ab und setzte mich einfach an meinen Tisch. Ich lasse meine Gedanken wandern. Ich nehme das Bild meines Vaters aus dem Kästchen und betrachte es ganz lange, finde Freude und Schalk, aber auch Ernsthaftigkeit und eine Spur Trauer in seinen Zügen. Das kleine Bildnis scheint ganz wunderbar treffend gearbeitet zu sein. Ja, ich möchte ihn kennenlernen. Ich möchte ihm von Mutter erzählen, die ihre ganze Liebe zu ihm in uns Kinder gegeben hat. Er wird sicher stolz auf sie sein. Dann träume ich weiter vor mich hin und warte auf die Freunde.

Die Tage sind inzwischen deutlich länger, und so dauert es eine Weile, bis die Dämmerung hereinbricht und dann endlich meine Freunde an meine Tür klopfen. Mit großer Dankbarkeit sehe ich sie an und bitte sie herein. Nacheinander rutschen Jorge, Irmel und die beiden Jaspers, Vogt Drebber, Pastor Johann Crüger, Klaas Rand und die alte Lene, Bauer Ferz und Knecht Rudolph auf die beiden Bänke an meinem langen Tisch.
Das sind die Menschen, die mein Leben immer reich gemacht haben!

Ich schenke allen Kräutertee ein, stelle die beiden Öllampen auf den Tisch und setze mich dazu. Der blinde Jasper schmunzelt, Klaas ist ganz entspannt, alle anderen sind seltsam stumm und betrachten ehrfürchtig das fein gearbeitete Kästchen, das nun mitten auf dem Tisch steht.

„Danke, dass ihr gekommen seid. Ich soll euch Grüße ausrichten. Von Hannes."
Gemurmel erhebt sich.
„Er war heute kurz hier, weil er etwas gefunden hat, das mir gehört."
Ich ziehe das Kästchen zu mir heran und nehme die Kette mit dem Schlüssel von meinem Hals. Meine Geschichten aus dem Waisenhaus kennen sie ja alle schon. Dann erzähle ich auch ihnen von Hannes Entdeckung ganz hinten im Gebetbuch und von seiner Suche nach sich selbst - und nach meiner Herkunft.

„Jochen Hannover hat im Christophorus-Haus gründlich aufgeräumt und dabei dieses Kästchen gefunden. Einer Notiz im Testament der Freifrau von Lenthe zufolge gehört es mir. Und Hannes hatte Recht. Der Schlüssel an meinem Hals passt tatsächlich zum Schloss."

Sogleich leuchten die Augen des kleinen Jasper abenteuerlustig auf.
„Mach auf! Was ist darinnen?"
Irmel sieht ihn streng an.
„Bist du wohl stille. Lass Anna weiter reden!"
Aber das Leuchten will nicht verschwinden.

„Ich wusste erst gar nicht, ob ich es aufmachen will. Aber dann habe ich mich getraut."
Ich schließe auf und öffne den Deckel. Als ich meine Hand nach dem Brief ausstrecke, ruft Irmel plötzlich selbst dazwischen. „Anna! Was ist das für ein kostbarer Ring an deinem Finger?"

„Das ist ... Ach, ich lese euch einfach den Brief vor. Aber ihr müsst mir versprechen, dass ihr bitte, bitte nie vergesst, dass ich einfach eure Anna bin!"
Der Vogt kratzt sich irritiert den Bart, und Johann Crüger murmelt etwas.
„Irgendwie kommt mir dieser Satz bekannt vor."
Aber ich löse das Geheimnis nicht gleich, sondern fange stattdessen an, den Brief vorzulesen. Plötzlich ist es ganz still.

Ich wage kaum, den anderen in die Augen zu sehen. Dann fängt Klaas an, schallend zu lachen.
„Oh, ihr kleingläubigen Zweifler. Ich habs doch gesagt! Ihr seid einfach füreinander bestimmt!"
Mit einem frechen Grinsen zupft er mich an einer losen Haarsträne.
„Frau Gräfin!"
Irmel dagegen nimmt mich in die Arme.
„Also, bei dir schaffe ich es aber nicht, plötzlich auf Herrschaft zu schalten. Ja, du bleibst immer meine Nachbarin Anna. Oh, ich gönne es dir so sehr! Du bist bei deiner Mutter aufgewachsen, und dein Vater lebt wahrscheinlich noch. Du kannst ihn besuchen. Das willst du doch, oder?"

Ich entspanne mich wieder etwas. Ich habe so lange in diesem Dorf gelebt, sie schaffen es nicht, mir unterwürfig zu begegnen. Das würde ich nun gar nicht ertragen. Zum ersten Mal kann ich verstehen, warum Hannes sich so sehr dagegen gewehrt hat. Ich nicke.
„Ja, ich möchte ihm einen Brief schreiben und ihn fragen, ob er mich sehen möchte. Darum hat Hannes mich und die Kinder eingeladen, in die Stadt zu kommen. Er will ebenfalls einen Brief schreiben, damit mein Vater das alles auch glaubt. Übermorgen wird er eine Kutsche schicken. Wir bleiben dann ein paar Tage dort. Ich weiß nur überhaupt nicht ..."

Ich verstumme. Alle schauen mich an. Dann ergänzt die alte Lene meinen Satz.
„... ob du dich dabei wohlfühlen kannst. Oder ob die Menschen dort dich und deine Kinder schief ansehen. Stimmts?"
Ich nicke.
„Wisst ihr – ich war dort bis vor wenigen Wochen noch eingesperrt wie eine Gefangene. Und nun tauche ich auf als Gast der Herrschaft, mit meinen Kindern. Und alles, was ich uns anziehen kann, ist ärmlicher als die Bekleidung der Dienstboten dort. Ich ... es fühlt sich so falsch an!"

Klaas stöhnt auf.
„Dass du dich so fühlst, kann ich ja verstehen. Aber trotzdem möchte ich dich manchmal schütteln. Ich sehe da den Beutel in der Kiste. Er sieht aus wie die Geldkatze von Hannes. Und wenn darinnen ist, was ich vermute, dann musst du nichtmal Hannes drum bitten. Dann gehst du zur Schneiderin in Gieboldehusen und bestellst dir für dich und die Kinder mehrere Kleider, in denen du dich wohlfühlst, suchst dir eine Zofe, die etwas Erfahrung hat und dich nach deinen Wünschen fein für die Gesellschaft macht, und gehst an Hannes Seite mutig drauflos."

Irmel hat immernoch den Arm um meine Schulter gelegt. Und während ich sprachlos bin allein bei der Vorstellung, Klaas Rat zu folgen, schaut Irmel ihn streng an und schimpft.
„Du stellst dir das so einfach vor. Aber so einfach ist das nicht. Alles wird neu sein. Jeder wird ihr fremd sein. Und denk nur dran, wie Hannes auf dich reagiert hat, als er plötzlich wusste, wer er ist. Wenn die Bediensteten im Schloss oder gar ihr Vater so auf sie reagieren, wird es furchtbar weh tun."

Zum ersten Mal mischt sich nun auch Johann Crüger ins Gespräch ein.
„Ach Anna, lass dich nicht beirren. Du hast so viel Gottvertrauen. Du weißt es im Moment nur nicht. Er wird deinen Weg weiter segnen, so wie er dich immer gesegnet hat. Egal, ob mit oder ohne Geld, du bist gesegnet mit einem wundervollen Wesen. Nimm dir nicht selbst die Chance zu erleben, dass du in egal welchem Gewand die Menschen für dich gewinnen kannst. Wenn du es nicht versuchst, wirst du es nie erfahren!"

Ich bin inzwischen völlig verwirrt, weil alle recht haben – und sich dennoch alles falsch anfühlt.
Sie haben recht, und ich habe Angst.

Ich wende mich an Bauer Ferz.
„Oswald. ... Denkst du, dass mich die Grete oder die Linde begleiten könnte? Sie könnte als Anstandsdame durchgehen und sich um die Kinder kümmern, wenn ich anderweitig beschäftigt bin."
Oswald nickt sofort.
„Ich denke, das wird gehen. Linde liebt es, mit den Kindern zu spielen. Sie ist recht geschickt darin. Ich werde sie morgen rüberschicken, damit sie die Kinder besser kennenlernen kann. Und da besprichst du alles weitere mit ihr."

Allmählich werde ich ruhiger und kann den Gedanken annehmen, dass ich eine völlig andere Zukunft haben werde, als ich mir jemals hab träumen lassen. Wir plaudern noch etwas, und dann verabschieden sich meine Gäste mit herzlichen Worten.
Dieses Dorf wird immer mein Zuhause sein, egal wohin es mich verschlagen wird.

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23.4.2020

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