117 - Briefe - DI. 1.5.1571

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Hannes hat mir gestern am Nachmittag noch das ganze Haus gezeigt. Ich kannte ja bisher nur den Dienstboteneingang und meine Kammer unter der Treppe. Am Abend haben wir gemeinsam mit Albrecht Bader gespeist. Linde und die müden Kinder haben ihr Essen oben bekommen. Eine Weile haben wir noch am Kamin geplaudert, aber dann wollte ich auch ins Bett. Ich habe einfach noch im Dunklen am Fenster gestanden und in die Nacht hinausgeschaut, damit ich begreife, was da grade alles mit mir geschieht. Dann habe ich mich zu Jakob und Susanna in das große Himmelbett gekuschelt.
Ungewohnt. Und herrlich bequem!

Kaum ist Jakob als erster aufgewacht, flitzt er schon, nur im Hemd, ins Spielzimmer. Susanna wacht vom Klappern der Tür auf, und ab da ist auch für Linde und mich nicht mehr an Schlaf zu denken. Wir klingeln nach Lina, kümmern uns um die Kinder und bereiten dann auch uns auf den Tag vor. Lina bringt uns mehrere ganz schlichte Kleider zum Wechseln, damit wir uns wohlfühlen können. Frau Jansen hat sich wirklich gut vorbereitet und umsorgt uns beide aufmerksam.

Linde ist inzwischen viel gefasster, weil sie merkt, dass sie von niemand ausgelacht wird. Fröhlich schnatternd gehen die Mädchen rüber ins Spielzimmer, und Lina lässt sich von Linde ganz genau erzählen, wie es so ist, mit der Herrschaft an einer Tafel zu sitzen!

Ich selbst schaue den Kindern eine Weile beim Spielen zu und rufe sie dann zum Frühstück. Ein kleiner Tisch ist hier für uns gedeckt worden, und wie gestern staunen meine Kinder, dass es so eine große Auswahl gibt. Anschließend gehen Linde und Lina mit den Kindern in den Schlosspark und versprechen mir hoch und heilig, dass sie Peter nicht an den Ententeich heranlassen. Ich hingegen nehme mein Kästchen unter den Arm und lasse mich von einem Diener zu Hannes Arbeitszimmer führen.

Als ich angekündigt werde und eintrete, sehe ich Hannes und Albrecht Bader über einigen Listen brüten. Doch Hannes kommt mir sogleich entgegen, um mich zu begrüßen und zu einem Stuhl zu geleiten.
Es fühlt sich seltsam an, von Hannes so zuvorkommend wie eine feine Dame behandelt zu werden. Es ist so selbstverständlich für ihn.
Wie gut, dass ich sicher weiß, dass er das nicht wegen der „Gräfin" macht sondern ganz allein für mich.

„Anna, könntest du noch einen Augenblick Geduld haben? Wir sind hiermit gleich fertig. Und dann können wir uns Zeit nehmen für die Briefe."
„Natürlich Hannes. Es macht mir Freude, dir bei deiner Arbeit zuzusehen."
Still setze ich mich in seinen großen Stuhl und lausche aufmerksam ihrem Gespräch. Bader hat eine Aufstellung angefertigt, welcher Bauer im Lehen wieviel Land besessen, davon wieviel geerntet hat. Wieviel Land er durch Brudenhusen verloren hat und wieweit dadurch seine Ernte zurückgegangen ist. Die beiden Männer versuchen herauszufinden, welche Ländereien, Wälder und Vieh es im Lehen gibt und welche Erträge normalerweise unter den jetzigen Bedingungen zu erwarten sind. Hannes möchte abschätzen,welche Neuerungen und Aufbauhilfen nötig sein werden, und wieviel Geld und Güter das Lehen dazu abwirft. Leider sind in ganz vielen Fällen die Besitzverhältnisse völlig unklar und bedürfen einiger Gespräche in den Dörfern.

Ich bin stolz auf ihn. Und ich sehe, wie konzentriert und zufrieden er dabei ist. Hannes ist an seinem Platz angekommen. Auch die Zusammenarbeit mit Bader scheint hervorragend zu klappen. Mit Ruhe und Gelassenheit arbeitet sich der alte Mann durch die Unterlagen und kann mit seiner langjährigen Erfahrung vieles planen oder verstehen. Er ist ein geduldiger Lehrer und Hannes sein eifriger Schüler.

Nachdem Bader seine nächsten Arbeitsaufträge bekommen hat, verlässt er den Raum nach nebenan, und Hannes wendet sich wieder mir zu.
„So, Anna. Verzeih, aber das war wichtig, damit er ..."
„Da gibt es nichts zu verzeihen. Du hast Arbeit, und es war sehr spannend und auch beglückend, dich dabei zu beobachten."

Wir wenden uns dem Schreibtisch zu, und ich hole den Brief meiner Mutter und die Heiratsurkunde aus der Schatulle. Noch einmal überfliegen wir beide Dokumente und reden lange darüber, was wir jeweils meinem Vater schreiben wollen. Ich weiß nichtmal, wie ich ihn anreden soll in dem Brief. Auf einmal bin ich ganz zögerlich. Und ich habe ja schon Ewigkeiten nichts mehr mit einer Feder geschrieben! Aber nach einer Weile kommen uns beiden doch die richtigen Worte.

Hannes schreibt einfach von Graf zu Graf, stellt sich vor, erzählt vom seinem Lehen und dem Waisenhaus. Er bedauert, dass er Freifrau Magdalena von Lenthe nicht mehr persönlich kennengelernt hat. Und dann berichtet er, dass er das Lehen nun übernommen hat und dabei im Christophorushaus eine Entdeckung gemacht hat. Er erzählt von mir, von dem Schlüssel, von der Schatulle. Und vom Inhalt. In der Zwischenzeit kopiere ich die Heiratsurkunde und Mutters Brief an mich. Anschließend beraten wir uns noch einmal kurz, und dann endlich fange ich auch an zu schreiben.

Hochverehrter Graf Caspar von Brabeck,

Darf ich es wagen und Vater zu Euch sagen? Mein ganzes Waisenleben lang habe ich mich danach gesehnt, meine Mutter und meinen Vater zu kennen, Eltern zu haben. Ich wusste ja nicht, dass ich bei meiner Mutter bin, auch wenn sie sich für mich immer wie eine Mutter angefühlt hat. Nun endlich, endlich habe ich mein kleines Erbe bekommen – eine Schatulle mit diesem Brief von ihr und dieser Heiratsurkunde. Graf Johann von Grubenhagen hatte die unendliche Güte, mir zu dieser Entdeckung zu verhelfen. Und nun ist es mein sehnlichster Wunsch, meinen Vater kennen zu lernen. Ich kann nur beten, dass Ihr mir diesen Wunsch erfüllen werdet.

Nachdem Mutter starb, wurde ich schnell in Stellung vermittelt. Ich wurde die Magd eines unfreien Bauern und seiner schwer kranken Frau. Sie starb im Kindbett und hinterließ mir ihre kleine Familie. Bauer Adam heiratete mich, und wir bekamen zwei weitere Kinder. Dann starb er bei einem Unfall. Nun bin ich einundzwanzig Jahre alt, die Witwe eines unfreien Bauern, Ziehmutter eines Waisen, Mutter zweier nachgeborener Bauernkinder - und auf einmal die Tochter eines Grafen.

Ich habe durch Mutter eine gute Bildung genossen. Aber ich könnte es verstehen, wenn Ihr eine einfache junge Frau mit drei kleinen Kindern an der Seite lieber nicht in Euer Leben lassen wolltet. Wie Ihr jedoch Mutters Brief entnehmen konntet, war es ihr sehnlichster Wunsch, Euch und mir eine Begegnung zu ermöglichen.

Ich lege nun mein Schicksal in Eure Hände, sehne mich danach, Euch kennen lernen zu dürfen und verbleibe voller Hochachtung

Eure Tochter Anna Adam, geborene Anna Teresa von Lenthe

Einmal noch lesen wir uns die beiden Briefe vor, sortieren hintereinander erst seinen Brief, dann die Abschriften der alten Dokumente und zum Schluss meinen Brief, damit mein Vater den als Letztes liest, und versiegeln den dicken Brief. Lange sitzen wir schweigend da und schauen nur auf diese Papiere. Ich weiß kein Wort zu sagen, nun kann ich nur noch abwarten. Und auf einmal rollen bei mir die Tränen. Tränen der Anspannung, der Vorfreude, der Ungewissheit, der Erschöpfung.

Hannes erhebt sich leise, schließt einfach alle Türen ab, zieht die Vorhänge zu und nimmt mich ganz fest in die Arme.
„Schäm dich deiner Tränen nicht, Anna. Du hast in den letzten sechs Monaten so viel unglaubliches, aufwühlendes, gefährliches und wunderbares Neues erlebt und erfahren. Du darfst verwirrt und eingeschüchtert und mit deinen Kräften am Ende sein. Ich bin mir sicher, dass diese Briefe den alten Herrn nicht kalt lassen werden. Und bis dahin würde ich dich gerne verwöhnen dürfen, damit du wieder zu Kräften und zu deinem gewohnten Lebensmut findest."

Ich kann nur leise nicken. In Hannes Armen fühle ich mich so sehr geborgen. Ich sollte das nicht genießen, ich sollte nicht mal daran denken. Aber in diesem Moment kann ich nicht anders. Ich lasse mich einfach fallen. Erst, als ich mich ganz wieder beruhigt habe, machen wir uns auf den Weg, um die Kinder und die Mädchen zu suchen. Gemeinsam spazieren wir dann in die Stadt, um das Waisenhaus zu besuchen. Linde und Lina sind inzwischen richtige Freundinnen geworden. Diesmal trägt Lina das Peterle, und die beiden Großen hüpfen fröhlich an den Händen von Linde den Weg entlang.

Sie staunen sehr, was es in der Stadt alles zu sehen gibt, bleiben auf dem Markt beim Korbflechter hängen, Susanna streichelt eine Katze und Lina hat alle Hände voll zu tun, dass Peter nicht in jede Pfütze rennt. Schließlich erreichen wir aber doch die Reste der alten Klostermauer. Allmählich werde ich aufgeregt. Ich bin sechs Jahre nicht mehr hier gewesen und spüre jetzt ein vorfreudiges Kribbeln. Ich freue mich auf den Ort meiner glücklichen Kindheit. Hinter einem Gebüsch taucht das große alte Haus auf. Linde lässt Susanna und Jakob los. Die beiden flitzen sofort davon, denn sie hören Stimmen und Kinderlachen.
Am liebsten würde ich mitrennen!

Wir gehen einfach zu den Kindern im Garten. Dort sitzt auch Maria Hannover und erzählt den Jüngeren eine Geschichte. Ich umarme sie herzlich, stelle ihr meine Kinder vor und bitte dann, dass ich einmal durchs Haus gehen darf. Wir lassen die Kinder und die Mädchen einfach draußen und betreten die große Diele. Hannes sagt gar nichts, er bleibt einfach an meiner Seite, wohin ich mich auch wende.

Ich atme den vertrauten Geruch ein, setze mich auf die kleine Bank bei den Kindergarderoben, streiche mit meiner Hand über die Wandtäfelung und steige schließlich die Treppe hinauf. In jeden Raum schaue ich hinein, sitze auf meinem früheren Bett, schaue aus den Fenstern und begrüße schließlich Jochen Hannover im Büro der ... meiner Mutter. Es dauert eine ganze Weile, bis ich von ganz weit her aus den Tiefen meiner Erinnerungen wieder zurückkehre und verstehe, dass Hannes grade mit mir spricht.
„Sollen wir dann mal zusammen mit Jakob zur Schule gehen? Die anderen können so lange hierbleiben."

Das Gebäude der Schule ist nicht weit vom Christophorushaus, und so gehen wir zurück in den Garten und machen uns mit Jakob auf den Weg.

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28.4.2020

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