130 - ein neues Leben - MO. 21.5.1571

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Ich konnte lange nicht einschlafen gestern Abend, und ich habe auch nicht viel geschlafen. Durchs offene Fenster dringt die frische Morgenluft. Ich werde von dem kühlen Hauch wach und strecke mich zwischen den warmen Decken.
Ein Traum wird wahr. Ich werde Hannes Frau sein.
Ich habe keine Angst mehr davor. Ich weiß mich und meine Kinder von ganzem Herzen geliebt – alle, auch Jakob.
Vater hat so recht! Es ist doch völlig egal, wer in Zukunft in der kleinen Kate wohnt und wer diesen Acker bewirtschaftet. Das muss nicht Jakob sein. Er kann Hannes zwar nicht beerben. Aber er kann hier geliebt und gefördert werden und in Ruhe und Sicherheit in SEIN Leben hineinwachsen. Auch für Susanna steht nun der Weg offen, ein Leben zu wählen, dem sie gerecht werden kann. Und mein lebhafter Peter soll meinetwegen Kapitän werden, damit er immer Wasser um sich hat! Solange er glücklich ist.
Ich muss ein wenig lachen bei dem Gedanken. Es ist ja noch gar nicht abzusehen, was für ein Mensch Peter einmal sein wird. Aber dass er nun nicht der Knecht seines Bruders werden muss sondern seinen eigenen Weg gehen kann, ist ein wunderbares Geschenk Gottes.

Ich betrachte meine schlafenden Kinder. Mir wird bewusst, wie sehr ich meine Angst um die Kinder vorgeschoben habe, um meine eigenen Ängste zu übertönen. Wenn Hannes nicht so hartnäckig daran festgehalten hätte, meine Vergangenheit zu entdecken, hätte ich meinen Vater nie kennengelernt. Und ich glaube, letzten Endes ist es das, was mich sicherer und freier gemacht hat und mir den Mut gegeben hat, nun endlich ja zu sagen. Es ist nicht einfach Hannes, der sich in mich verliebt hat, weil er mir sein Leben verdankt. Ich habe einen Vater, der mich und meine Vergangenheit und alle meine Kinder vorbehaltlos liebt. Er gibt mir ein „Dach" über dem Kopf, unter das ich schlüpfen kann. Armut und Not haben auf jeden Fall ein Ende, hier oder dort in Brabeck. Und weil das so ist, habe ich die Freiheit, mich für Hannes zu entscheiden, der mich wirklich liebt. Es ist keine Flucht aus dem Elend. Es ist keine Gier nach Reichtum. Es ist nicht Berechnung, die auf Sicherheit aus ist. Hannes und ich sind im Geiste und im Herzen einander so nah, dass wir beide fühlen und wissen: es findet zusammen, was zueinander gehört.

Die Sonne ist gerade erst über den Horizont gekrochen, es ist immernoch sehr früh. Aber ich verspüre den dringenden Wunsch, Gott ganz nah zu sein. Also richte ich meine Haare, greife mir leise die passende Kleidung für einen Spaziergang in die Stadt und schleiche mich ins Spielzimmer. Dort ziehe ich mich an für den Tag, husche die Hintertreppe im Kinderanbau hinunter und zu „meiner" Tür in den Hof hinaus. Kurz schaue ich zu "meinem" Fenster, hinter dem jetzt Herr Bader schläft.

Ich erinnere mich, wie ich am Tag von Brudenhusens Verhaftung von Hannes aus diesem Fenster gehoben und von Karl von Pagenstecher in Empfang genommen wurde. Dann sind wir diese Treppe hinuntergeschlichen, Hannes hat mich bei der Hand genommen, und wir sind durch die schlafende Stadt zu dem Gasthof gelaufen, wo ich abwarten sollte, bis alles vorbei ist.
Hannes hat einfach meine Hand gehalten, und ich habe mich so sicher und geborgen und geliebt gefühlt!

Erste Hähne krähen, Mägde schütten Bettpfannen aus dem Fenster auf die Gassen aus, irgendwo höre ich einen Pferdekarren übers Kopfsteinpflaster rattern. Ich bin laufe durch von Kindesbeinen an vertraute Straßen zur Kirche und hoffe, dass sie bereits geöffnet ist. Ich habe Glück. Der Kirchendiener fegt die Stufen vorm Portal und lässt mich gleich hinein. Ich tauche ein in die dämmrige Stille vor Gottes Angesicht und setze mich in eine Seitenkapelle.

Mein Herz ist so voll, ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll mit Lob und Dank. Nach Monaten der Verwirrung ist es nun endlich so hell in mir wie nie zuvor. Da taucht ein Lied auf aus meiner Seele. Und wie immer, wenn mein Herz übervoll ist, beginne ich zu singen.

In dir ist Freude

1) In dir ist Freude in allem Leide,
o du süßer Jesu Christ!
Durch dich wir haben himmlische Gaben,
du der wahre Heiland bist;
hilfest von Schanden, rettest von Banden.
Wer dir vertrauet, hat wohl gebauet,
wird ewig bleiben. Halleluja.
Zu deiner Güte steht unser G'müte,
an dir wir kleben im Tod und Leben;
nichts kann uns scheiden. Halleluja.

2) Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden
Teufel, Welt, Sünd oder Tod;
du hast's in Händen, kannst alles wenden,
wie nur heißen mag die Not.
Drum wir dich ehren, dein Lob vermehren
mit hellem Schalle, freuen uns alle
zu dieser Stunde. Halleluja.
Wir jubilieren und triumphieren,
lieben und loben dein Macht dort droben
mit Herz und Munde. Halleluja.

Wenn ich bedenke, wie viel Einsamkeit, Not und Gefahr mein kurzes Leben schon gebracht hat. Aufgewachsen im Waisenhaus, ohne Eltern – aber meine Mutter hat doch über mich gewacht und mir alles mitgegeben, was ich brauche, um dieses Leben zu meistern.

Aus der Geborgenheit gerissen, in eine bettelarme Familie gesteckt, mit 14 musste ich einen mir unbekannten Haushalt allein führen – aber das ganze Dorf hat mir geholfen, und die Adams waren freundlich und geduldig mit mir.

Plötzlich mit 15 Mutter eines Neugeborenen, weil die echte Mutter starb. Und wieder haben alle geholfen, damit dieses Kind seinen Weg in ein behütetes Leben findet.

Beladen mit großer Verantwortung, geheiratet von einem gütigen, gerechten Mann. Zwei Kinder hat der Herr mir geschenkt.

Ich blieb allein zurück, verschuldet und guter Hoffnung, als mein Mann ermordet wurde – auch diesmal hat das ganze Dorf für uns gesorgt.

Unfähig, von diesem kleinen Acker meine Steuern zu bezahlen – aber durch meine Stickkunst konnte ich mich und die Kinder erhalten.

Ein fremder, schwer verwundeter Mann stolpert in meine Kate. Er ringt mit dem Tode, hat sein Gedächtnis verloren, ist in Gefahr und weiß nicht, durch wen, das ausgehungerte Dorf muss ihn und sein Pferd auch noch durchfüttern – aber er lebt, er ist geheilt, er hat so viel Gutes getan für das Dorf, er hat sein Gedächtnis wieder, hat Freunde gefunden im Dorf, hat die ganze Liebe meiner drei Kinder gewonnen – und sich bei all dem verändert. Er hat das Elend seiner Untertanen beendet. Er hat meine Einsamkeit und meine Not beendet. Er hat das Geheimnis meiner Herkunft gelüftet und meinen Vater gefunden.

Aus tiefster Not ist größtes Glück geworden. Niemand könnte dankbarer sein als ich an diesem Morgen, als ich die Kirche mit meinem Gesang fülle. Immer mehr Lieder steigen aus meiner Seele auf und wollen gesungen werden. Ich vergesse völlig die Zeit in der Gegenwart Gottes.

Allein Gott in der Höh' sei Ehr
und Dank für seine Gnade,
darum dass nun und nimmermehr
uns rühren kann kein Schade.
Ein Wohlgefalln Gott an uns hat;
nun ist groß Fried' ohn' Unterlass,
all Fehd' hat nun ein Ende.

Wir loben, preisn, anbeten dich;
für deine Ehr' wir danken,
dass du, Gott Vater, ewiglich
regierst ohn' alles Wanken.
Ganz ungemessn ist deine Macht,
allzeit geschieht, was du bedacht.
Wohl uns solch eines Herren!

O Jesu Christ, Sohn eingeborn
des allerhöchsten Vaters,
Versöhner derer, die verlorn,
du Stiller unsres Haders,
Lamm Gottes, heilger Herr und Gott:
nimm an die Bitt' aus unsrer Not,
erbarm' dich unser aller.

O Heilger Geist, du höchstes Gut,
du allerheilsamst' Tröster:
vor Teufels G'walt fortan behüt',
die Jesus Christ erlöset
durch große Mart'r und bittern Tod;
abwend' all unsern Jamm'r und Not!
Darauf wir uns verlassen.

Ich halte noch einen Augenblick dankbarer Stille, bevor ich mich endlich wieder erhebe und zum Portal wende. Ich trete nach draußen in den hellen Sonnenschein und bleibe verblüfft stehen. Die ganze Stadt ist erfüllt mit Leben, es ist hellichter Vormittag.
Um Himmels Willen! Sie werden mich suchen. Ich muss mich sputen!!!

So schnell ich kann, eile ich auf dem kürzesten Wege zum Schloss zurück, wo mir schon an der Allee ein Berittener entgegenkommt. Es ist Joseph.
„Gott seis gedankt. Der Herr ist schon ganz in Sorge!"
Mit diesen Worten wendet er sein Pferd und galoppiert zurück zum Schloss. Owei, ich habe wirklich zu wenig nachgedacht. Nicht, dass Hannes jetzt denkt, ich sei vor ihm davongelaufen! Am Abend fragt er mich, und am Morgen bin ich verschwunden ...

In diesem Augenblick kommen Jakob, Susanna und sogar das Peterle um die Ecke in die Allee geschossen. Sie werden verfolgt von Linde und sehr schnell überholt von Hannes, der als erster bei mir eintrifft. Stürmisch reißt er mich in seine Arme und ist ganz atemlos.
„Tu mir das bitte nie wieder an. Und deinen Kindern auch nicht. Wo um Himmels Willen warst Du?"
Er hat Tränen in den Augen. Ich schäme mich ganz entsetzlich, dass ich für solch einen Aufruhr gesorgt habe.

In diesem Moment umklammert etwas meine Beine. Jakob ist angekommen.
"Mutter!"
Bald darauf hängt auch Susanna an mir, und schließlich folgt Linde mit dem Peterle auf dem Arm.
„Es tut mir so leid. Ich fühle mich ganz furchtbar, dass ich euch alle so in Unruhe gestürzt habe. Ich bin sehr früh wach geworden, und mir war nach einem stillen Gebet in der Kirche. Dort habe ich dann die Zeit vergessen. Bitte vergebt mir den Schrecken, den ich euch bereitet habe."

 Alle drücken mich noch einmal feste, bevor wir gemeinsam Hand in Hand zurück zum Schloss laufen, wo uns Bader, Barkhausen und Jansen mit sehr erleichterten Gesichtern von der Treppe entgegensehen.

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11.5.2020

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