149 - „Darf ich bitten?" - Mo. 16.9.1571

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Bald darauf kommen Jakob und Susanna Hand in Hand die große Treppe herunter. Sie halten nach Anna Ausschau und gehen zu ihr. Clara gesellt sich dazu, und gemeinsam suchen sie für die Kinder etwas zu essen aus. Sie setzen sich an einen der kleinen Tische. Manch einer der Gäste schaut fragend zu Anna, und wie in Salzderhelden können einige ihre Neugierde nicht bremsen. Ludo, Karl, die von Bottlenberg-Schirps und sogar Klaas müssen herhalten, um die allgemeine Neugierde zu befriedigen.

Da fällt mir etwas ein. Ich gehe nach nebenan ins Herrenzimmer, wo sich Gunther von Thaden und Gert Maier befinden.
„Habe ich Euch eigentlich schon erzählt, dass ich bei den Hochzeitsfeierlichkeiten meines Bruders eine nette Begegnung mit Euren Eltern hatte?"
Beide schauen mich fragend und etwas unsicher an. Also erzähle ich ihnen, wie Jakob im Nachthemd mitten durch die Ballgesellschaft geflitzt ist und dabei laut „Mutter!" gerufen hat, nachdem Anna schon als meine Verlobte präsentiert worden war. Und wie man daraufhin die Sensationslust im Saal gradezu riechen konnte.

„Ich hoffe, ich habe nichts Verbotenes getan. Als Eure Eltern versuchten, mich auszufragen, habe ich sie von ihren Söhnen gegrüßt. Ich vermute, Sie haben Ihre Mutter noch nie sprachlos gesehen."
„SöhnEN? Auwei! Ganz rotes Tuch. Nein, von Grubenhagen, das macht gar nichts. Wir sind ja jetzt außerhalb ihrer Reichweite."
„Sprachlos? So richtig? Das ich das noch erlebe! Dass jemand mich einfach als Sohn des Hauses bezeichnet, und die Gräfin kann nichts dagegen tun. Ich hätte eher erwartet, dass sie Gift und Galle spuckt."
„Hmmmmm - nein. Sie hat Euren Vater ans andere Ende des Saales in eine Ecke gezerrt und für den Rest des Abends nichts mehr gesagt außer 'guten Tag' und 'auf Wiedersehen'. Anna und ich konnten uns eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen."

Wieder ist es Jakob, der die Bombe platzen lässt. Denn nach einer Weile hören wir leise Musik durch die Halle heranwehen, und kurz darauf kommt Jakob angeflitzt.
„Vater, ich soll dich holen. Mutter möchte tanzen!"
Rums – noch mehr als schon heute Nachmittag fliegen alle Köpfe zu uns herum. Gunther und Gert begreifen sofort, was ich gemeint habe, und fangen an zu lachen. Karl und Klaas kamen eben zur Tür herein und brechen bei diesem Anblick ebenfalls in schallendes Gelächter aus.
„Ich glaube, lieber Freund, so allmählich solltest du mal eine offizielle Version präsentieren, bevor das gesamte Herzogtum euch beide der Hurerei und Unzucht bezichtigt."
Allmählich habe ich auch das Gefühl, dass Karl damit recht haben könnte. Ich sollte kurz mit von Brabeck reden, der muss ja auch einverstanden sein.

Ich suche meinen Schwiegervater, der sowieso grade bei Anna in der Halle steht. Eine kurze Unterredung – und dann begeben wir uns in den großen Saal, um den Ball zu eröffnen. Ich stelle mich zu den Musikern auf das kleine Podest, winke meine ganze Familie zu mir, warte noch ein paar Minuten und wende mich dann an unsere hereingeströmten Gäste. Anna und ihr Vater stehen neben mir, Jakob direkt vor mir.
„Hochverehrte Gäste! Darf ich Euch vorstellen? Das hier ist Jakob. Jakob ist sechs Jahre alt und der älteste Sohn meiner Gemahlin. Wie es dazu kam, möchten wir nun doch erklären, damit es keine Gerüchteküche im Herzogtum gibt."

Mein Schwiegervater übernimmt.
„Im Jahre des Herrn 1548 heiratete ich meine erste Frau, Magdalena von Lenthe, jedoch gegen den Willen unserer Eltern. Sie ließen nach wenigen Monaten diese Ehe annulieren und trennten uns. Meine geliebte Magdalena ging allerdings nicht ohne ein Andenken von mir. 1549 wurde dieses Andenken, ich betone: Kind einer legitimen Ehe, geboren. Meine Tochter Anna von Brabeck-Lenthe. Ihre Mutter übernahm hier in Gieboldehusen die Leitung des Waisenheimes und zog Anna selbst auf, durfte ihr aber nie erzählen, dass sie ihre Mutter oder wer ihr Vater ist."
Er zieht Anna zu sich und lächelt sie an.

Dann spricht Anna weiter.
„Ich wuchs in behüteter Umgebung und mit guter Bildung auf, dachte aber immer, ich sei eine Vollwaise. Als meine Mutter starb und eine neue Leitung das Heim übernahm, wurde ich als Magd in Stellung bei einem Bauern gegeben. Wenige Monate später starb die Hausfrau kurz nach der Geburt von eben diesem Jakob. Er kennt keine andere Mutter als mich, und für mich ist er wirklich mein Sohn. Als das Trauerjahr vorüber war, heiratete der Bauer mich. Mir wurden Susanna und Peter geschenkt, die Ihr heute Nachmittag bereits erlebt habt. Auch sie sind Kinder einer legitimen Ehe. Mein Mann starb und ich war bis vor drei Tagen die Witwe Anna Adam." Susanna kommt an Claras Hand herbei und schmiegt sich an Annas Rock.

„Als ich im November auf dem Weg zu meinem Lehen hier im Wald überfallen wurde, landete ich schwer verwundet zufällig in Annas Kate. Sie hat mich mit Hilfe des gesamten Dorfes gesund gepflegt, vor den Attentätern versteckt und beschützt. Ich hatte mein Gedächtnis verloren und musste warten, bis mein Freund aus Kindertagen, Karl von Pagenstecher, mich fand und nach Hause brachte. Mein Bruder Ludwig von Grubenhagen übernahm von mir die Herzogenwürde, denn ich konnte mir nach den Monaten im Dorf nicht mehr vorstellen, Herzog zu sein."

„Aber erst, als im Waisenhaus eine Schatulle gefunden wurde, zu der ich mein Leben lang unwissentlich den Schlüssel um den Hals getragen habe, konnten wir entdecken, wer ich in Wahrheit bin. Die Schatulle und der darin befindliche Brief meiner Mutter an mich waren mein Erbe, das mir damals vorenthalten worden war. So haben wir meinen Vater gefunden, und ich habe endlich meinen richtigen Namen bekommen. Anna Teresa von Brabeck-Lenthe. Und erst jetzt konnte aus Fürsorge und Dankbarkeit Liebe erwachsen."

„Im Grunde habe ich vorgestern also eine ganze Familie geheiratet – meine wunderbare Gemahlin, ihre drei bezaubernden Kinder und einen weisen und gütigen Schwiegervater, der uns noch lange erhalten bleiben möge."
Wie nicht anders zu erwarten, kräht nun Jakob dazwischen.
„Genau. Und deshalb habe ich jetzt endlich einen Vater!"

Neugierde, Sensationslust und Irritation lösen sich in Gelächter auf. Wieder hat Jakob es geschafft und einfach alle Anwesenden verzaubert. Wir haben den Nachbarn nun Gesprächsstoff für Jahre geliefert. Aber immerhin wissen sie nun die etwas verkürzte Wahrheit, und an keinem von uns haftet irgendein Makel, der bei Gerüchten mit Sicherheit entstanden wäre.

„Solltet Ihr also in den nächsten Jahren irgendwo ein Gerücht hören, dass diese Kinder nicht gewollt oder unsere Ehe nicht standesgemäß sei – Ihr wisst nun die Wahrheit und könnt jedermann erzählen, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Und jetzt wollen wir endlich tanzen!"

Die Musiker in meinem Rücken hören ihr Stichwort und beginnen, einen schwungvollen Reigen zu spielen. Einige Tanzpaare stellen sich auf, und bald schreitet und dreht sich, wer immer noch gesunde Beine hat, zur Musik. Clara tanzt mit Ludo, Karl führt die hübsche Tochter von Herzberg zum Reigen, Jakob hat sich Susanna geschnappt und hopst mit ihr höchst phantasievoll in einer Ecke des Saales umher – und ich habe nur noch Augen für Anna.
Meine Anna, mit der ich von nun an mein Leben teilen darf, die von nun an mit ihrer Gelassenheit, Zuversicht und Weisheit meine Schritte lenken wird, wenn ich mal wieder auf gedankliche Abwege gerate oder mich in meinen Plänen verirre.

Natürlich wird nun im Verlaufe des Abends viel getuschelt und geredet. Aber alle Mienen sind freundlich. Als Jakob und Susanna ins Bett gehen sollen, winken ihnen alle wohlwollend nach. Und meine Vertrauten berichten hinterher nur von freundlichen Worten zu Annas bewegtem Schicksal und ihrem Glück, mit ihrem Vater vereint zu sein, wie wohlerzogen die Kinder seien, dass man Anna ihre Herkunft als Waise nun wirklich nicht anmerke, weil sie eine bezaubernde Gastgeberin und angenehme Gesellschaft sei, ...
Ja, da habt ihr recht. Der liebende Herrgott musste sich zeitweilig ganz schön ins Zeug legen, dass am Ende alles so wunderbar auskommen konnte. Auf dem langen Weg von November bis jetzt haben wir so einige Wenn's und Weil's überwinden müssen.

Der festliche Abend nimmt seinen Lauf. Das Erdgeschoss mit all den offenen Türen und verschiedenen Räumen sorgt dafür, dass jede und jeder sich wohlfühlt und kein Gedränge entsteht. Da es noch immer warm ist, werden vom Damenzimmer aus die Türen in den Park geöffnet, wo manche zwischen den vielen kleinen Laternen spazieren, um sich kurz zu erholen. Doch bald schon finden sich alle zum nächsten Reigen ein.

Als Anna und ich kurz zum frische Luft schnappen nach draußen gehen, ist es inzwischen kühler, und ich lege ihr sogleich meine Jacke um die Schultern.
„Nun kann das Abenteuer beginnen, meine Liebe!"
„Ich weiß gar nicht, Hannes. Eigentlich hat es im November begonnen, als du zu meiner Tür hereingestolpert bist. Wir waren miteinander traurig und fröhlich, haben das wenige Brot geteilt, haben uns gestritten und wieder vertragen, sind durch Sturm und Schnee und Angst und Verfolgung miteinander gegangen. Wir haben Susanna im Fieber abwechselnd getragen, gemeinsam dich wiedergefunden und gemeinsam den Brudenhusen vertrieben. Ich glaube, wir sind schon mittendrin."

Ich bleibe im Schatten eines Busches stehen, ziehe sie in meine Arme und gebe ihr einen zärtlichen Kuss.
„Da hast du auch wieder recht. Wir sind schon lange eine Familie. Ohne dich und unsere Kinder könnte ich gar nicht mehr sein."
„Weißt du eigentlich, wie glücklich mich dieses 'unsere Kinder' macht? Jakob hat vom ersten Tag an von dir erlebt, dass er dazu gehört. Wie stolz er dich 'Vater' nennt."
Anna zittert ein wenig in der Abendkühle, und so wenden wir uns zurück zum Schloss.

„Jakob ist wundervoll. Er muss einfach erfahren dürfen, dass er geliebt und gewollt ist. Ich finde es schade, dass ich seine Eltern nicht kenne. Du siehst sicher immer wieder in ihm, was ihm mitgegeben wurde, weil du die Eltern kanntest."
„Ja, manchmal. Aber vor allem sehe ich an ihm und den anderen beiden, dass wirklich jeder Mensch einzigartig und unverwechselbar geschaffen ist. Dass man keine zwei Menschen über einen Kamm scheren und gleich behandeln kann, weil ein jeder und eine jede ein ureigenes Wesen haben."

Bis tief in die Nacht dauert unser Fest. Es ist ganz anders als das Fest in Lütgenhusen, aber ich möchte keines von beiden missen. Nach und nach verabschieden sich dann unsere Gäste, um zurück in die Stadt zu fahren oder einfach nach oben in ihre Gemächer zu gehen. Auch die Musiker packen ihre Instrumente ein, und ein paar müde Diener schaffen alle Unordnung in den großen Saal, damit die Halle und die anderen Räume morgen wieder präsentabel sind. Doch bald schicken wir auch diese ins Bett.

Nun stehen wir alleine im Dunklen Saal und lassen die Musik in uns nachschwingen. Verträumt dreht Anna sich im Kreis. Leise steigt eine Frage in mir auf, deren Antwort ich eigentlich schon kenne.
„Bist du glücklich, Anna?"
Anna bleibt stehen, öffnet ihre Augen und schaut mich an.
„Ja, Hannes. So glücklich, wie ein Mensch nur sein kann. Mein ganzes bisheriges Leben hat mich vorbereitet auf ein Leben mit dir. Ja, ich bin glücklich."

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16.6.2020

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