„Gesucht: Lyanna Tiàlan. Kronprinzessin, verschwunden in der Nacht vor ihrer Hochzeit. Sie hat lange, rote Locken und blaue Augen. Das Preisgeld für Hinweise liegt bei zwölf Goldknoten, für ihre Rückerstattung zum König bei hundert. Jeder, der ihr bei der Flucht hilft, macht sich des Hochverrats schuldig und wird noch vor dem Morgengrauen seiner Inhaftierung erhängt."

(erster gedruckter Aushang, in jeder Stadt zu finden)

❆❆❆

Was bisher geschah...

          Elayn hatte den grinsenden Kerl mit einem Messer gegen die eisweiße Rinde einer Eiche gepinnt. Ihr Atem sammelte sich in Wolken zwischen ihren Gesichtern, schnell und lebendig. Sie hätte beinahe selbst gegrinst: Sie hatte ihn überrascht. Sie fühlte sich gut- besser sogar als Maze, der mal wieder zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen war, um zu begreifen, dass sie verfolgt wurden. 

Knirschende Schritte kündigten ihren Freund hinter ihr an, noch bevor er den Mund öffnete.
„Wer-...Ist das... Jamah Lenlay? Der Stiefsohn des Königs?", seine Stimme wurde wortweise schriller, bis sie ihn kaum verstand, „Was macht der denn hier?"

Oh? Elayn musterte den Kerl eingehender. Er sah verdächtig sauber aus. Zu... weich. Noch bevor sie einen konkreten Gedanken fassen konnte, kam sie ein winziges Stückchen näher und roch an ihm. 

Jamah Lenlay lachte auf. 
"Entschuldigung, riecht man mir das blaue Blut etwa an?"

Fast wäre sie instinktiv von ihm zurückgewichen. Die Stiefsöhne des Königs waren nicht gerade für ihr sanftes, friedfertiges Leben bekannt. Zuerst töten und dann Fragen stellen? Elayns Gedanken hopsten und sprangen wie Herbelzwerge auf der Jagd. Ihr Brustkorb hob und senkte sich beunruhigend, als weite sich mit jedem Atemzug die Möglichkeit aus, dass sie dem Burschen ohne einen weiteren Gedanken die Kehle aufschneiden würde. Da gab es nur ein Problem.
„Ich denke, er ist derjenige, der uns eben vor den Waldelfen gerettet hat."

Hinter ihr setzte Maze sich auf einen Baumstumpf. Und sprang sofort wieder auf die Füße.
„Was? Warum?" 

Jamah sagte dazu nichts. 

Und das war tatsächlich eine ausgezeichnete Frage gewesen. Jeder andere aus dem Königshaus wäre dankbar für die arbeitslose Entsorgung zweit weiterer genmutierter Menschen. Warum hatte er eingegriffen?

Hinter ihr lief Maze eine Schneise um seinen Baumstumpf herum, die Arme in unverständlicher Diskussion nach oben werfend. 

„Kannst du dich bitte konzentrieren? Bringe ich ihn um oder nicht?" Elayns Hände bebten vor Anstrengung, obwohl der Kerl kaum Gegenwehr leistete.

Im Gegenteil: Ihre Frage amüsierte ihn nur noch mehr. Mit all seinen blonden Locken und blauen Augen sah er aus wie ein semi-freundlicher Hund, der gerade deine zwei Rilas gefressen hatte. 
„Du wedelst schon so lange mit dem Messer vor meiner Nase herum, dass ich langsam den Eindruck gewinne, du willst mich gar nicht umbringen."

Ohhhh falsche Antwort.  Elayn drückte zu, bis die ersten Tropfen Blut aus seiner Haut rannen. „Warum bist du uns gefolgt?"

Jamah Lenlays Grinsen wurde katzenhaft. „Nicht euch. Dir."

Maze zuckte zusammen, als erwarte er  einen Tritt gegens Schienbein für so schlecht platzierte Dreistigkeit. 

Ganz klar ein Adeliger. 
Doch zu aller Überraschung ließ Elayn einen Funken Selbstbeherrschung sehen.
„Na dann... Hier bin ich: Erzähl."

„Vielleicht würdest du das Messer entfernen? Wenn ich schlucke, kratzt es an meinem- schon gut schon gut!" Die Hände abwehrend erhoben, drückte Jamah sich weiter in den Baumstamm hinein.

Elayn bleckte die Zähne.

„Ich bin hier, weil du meine einzige Chance bist, meine Halbschwester Lyanna wiederzufinden."

„Die flüchtige Thronerbin ist deine Schwester?" Unwillkürlich kam Maze einen Schritt näher, um einen bessern Blick auf Jamahs Züge zu bekommen. Selbst auf der frostigen Stufe zum Winter hatte er sonnengebräunte Haut, die sich gegen die kühlen Farben des Hintergrunds abhob.

Nur für einen ganz kurzen Moment schloss Elayn die Augen. Lya. Erste Erbin des Königs, die mit einem magischen Gen zur Welt gekommen war. Verschwunden in ihrer Hochzeitsnacht. Flüchtig, nicht entführt. Elayn sammelte sich wieder. 

„Wie kommst du auf die Idee, dass ich weiß, wo sie ist?" Sie hätte sich die Frage sparen können. 

Jamahs Ausdruck verriet ihr sofort, dass er durch ihre Schauspielerischen Künste hindurchsah, wie durch Eiszapfen. 
„Der Herold des Königs schien zu glauben, dass du weißt, wo sie ist, nicht wahr?"

Elayn, sichtlich aus dem Gleichgewicht gebracht, lockerte ihren Griff.

Noch ehe Maze sie warnen konnte, hatte der Kerl sie mit einem gezielten Schlag entwaffnet. Elayn stolperte nach vorne und er duckte sich weg.

Maze wollte ihr zu Hilfe kommen, doch es ging zu schnell. Eine Drehung und Jamah Lenlay hatte das Messer wieder aufgehoben und Elayn stand an seiner Stelle an die kalte Rinde gepresst.
„Schade. Du hast mir andersherum besser gefallen", ließ er sie triumphierend wissen, doch das hielt nicht an. 

Elayns zweites Messer drückte sich bereits durch den Stoff seiner dichten Tunika. 

Jamah rang sich ein leises Lachen ab, ehe er die Hände hob und das Messer fallen ließ. Er wollte sich umdrehen, als Elayn ihm einen Tritt in die Weichteile gab. Nur aus... Gründen.
Mit einem Japsen ging er auf die Knie.

Maze verzog mitfühlend den Mund.

Elayn stiefelte um ihn herum, wie um einen Schemel. Er war seiner Schwester ähnlicher, als es beide vermutlich gerne zugeben würden. 
"Lya hat mich vor besagtem Herold des Königs gerettet." Zugegeben, sie hatte ihn auch auf den Plan gerufen. Aber das brauchte ihr naseweißer Halbbruder ja nicht wissen. "Ich bräuchte also einen verdammt guten Grund, warum ich einen weiteren Kerl aus diesem Haushalt zu ihr führen sollte." 

"Sie...", stöhnend kam Jamah wieder auf die Füße, "Sie ist nicht vor mir weggelaufen." 

"Bist du dir sicher?", Elayn hob eine Augenbraue und platzierte sich neben Maze, der aus der ganzen Konversation weniger mitnahm als ein Sieb beim Wassertragen, "Ich meine bei deinem Charme-..." 

"Ich war an ihrer Flucht beteiligt", schnitt Jamah dazwischen, die Stimme leicht erhoben, "Wir wollten uns an einem geheimen Ort treffen." Unbewusst ballte er die Fäuste, den Blick auf seine Stiefel gesenkt. Es war das erste Mal seit ihrem Treffen, dass er nicht lachte. 

Und nur deswegen glaubte Elayn ihm. 
"Wann wäre dieses Treffen gewesen?" 

"Vor zwei Wochen." 

Scheibengnome. Elayns eigene Zeitrechnung zog ihren Blick zur Seite. Wo war Lya?  Bis jetzt hatte sie heimlich gehofft, dass die Thronerbin einfach länger brauchte, um sich wieder bei ihr zu melden. Aber jetzt...
"Da ich deine Schwester offensichtlich nicht habe, was wäre dein nächster Schritt in deiner Suche?" 

Jamahs Kopf schnellte nach oben und sein Gesicht machte etwas kompliziertes, das ihn in einem Schritt Jahre jünger aussehen ließ. 
"Du hilfst mir?", platzte es aus ihm heraus, im selben Moment, wie Maze fragte: "Du hilfst ihm?" 

Entschuldigend presste Elayn die Lippen zusammen, als sie ihren Freund ansah. Er würde seine große Liebe auch ohne sie finden. 

"Du hilfst mir?", wiederholte Jamah noch einmal und in zwei großen Schritten kam er näher. 

Elayn stoppte ihn mit dem Messer wieder an seiner Kehle. 
"Frag noch einmal und ich bringe dich in handlichen Scheibchen zu deiner Schwester."

❆❆❆

"Voted für Prinzen in handlichen Scheiben!"- Elayn, muss mal wieder die Welt retten. 

Teil 0 des Christmas-Specials :D Oder wie ich es nenne: 
Wie Elayn sich an die Szene erinnert, die Maze vollkommen anders beschrieben hat. 

Oh und... es ist jetzt nicht mehr arg verwunderlich, von wem "die andere Lya" ihren Charakter geerbt hat :D

Seid ihr bereit für Gewalt zu Weihnachten? xD 

Wir sehen uns am 24. wieder!

xoxo