Kapitel 5.2 - Gute-Nacht-Geschichten

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Ich gab es nicht gern zu, aber erzählen konnte er. Wenn Trell erst damit anfing, schien es, als könne er Bilder mit Worten malen, die einen wie kleine Netze einfingen bis man sich ganz und gar darin verlor.

„Sie sind ähnlich wie eure Irrlichter. Wir kennen sie schon seit Jahrhunderten und sie sind nicht weit in Karather verbreitet. Wir haben schon oft gegen, seltener mit ihnen gekämpft, ehe wir vor ein paar Generationen einen wackeligen Frieden schlossen. Der Pakt wurde oft angezweifelt und stand mehr als einmal auf der Kippe – aber er hält bis heute: Der Frieden mit den Flussmenschen."

Flussmenschen. Ich hatte schon von Ihnen gehört. Sie sollten wie Geister sein – oder Monster – und lebten hauptsächlich in den Gewässern der Flusslanden, aber auch über den restlichen Kontinent verteilt in großen Seen oder Flüssen. Was Trell wohl von ihnen erzählen wollte? Neben mir bewegte sich Zac und als ich zu ihm herübersah, schien er alles andere als glücklich. Zwar saß er lässig zurückgelehnt mit einer neuen Bierflasche in der Hand da, aber er musterte Trell dermaßen intensiv, als wollte er ihn allein mit seiner Willenskraft beeinflussen. Trell blieb davon jedoch völlig unbeeindruckt und begann langsam zu erzählen:

„Um die Geschichte verstehen zu können, muss man zuerst die Flussmenschen verstehen: Sie sind keine Tiere, natürlich nicht. Sie sind intelligent und können andere emotional regelrecht einfangen... doch sie sind keine Menschen. Und sie sind... anders. Es gibt dort unten in ihren Seen und Flüssen nichts, das ihnen an Kraft oder Stärke gleichkommt. Außer ihresgleichen, die sie wie im Wahn bis aufs Blut bekriegen. Sei es um Territorium, Besitz... oder Menschen."

Epoh gab einen überraschten Laut von sich und Trell nickte zu ihr hinüber. „Richtig. Menschen – oder besser: Sklaven. Wir nennen sie „Flussbräute" oder „Flussbräutigame". Arme Seelen, die diesen Wasserwesen nicht widerstehen konnten. Sie wurden von ihnen in die Falle gelockt und in deren nasse Tiefen gezerrt, um dort für den Rest ihrer Tage versklavt zu sein. Ist man erst dort unten, gibt es keine Rettung mehr. Niemand kann es unter Wasser mit einem Schwarm Flussmenschen aufnehmen – und ihre Sklaven verteidigen sie genauso leidenschaftlich, wie sie Kriege führen. Denn das ist eine weitere Wahrheit über diese Monster: Sie brauchen Menschen für ihre Arbeiten und... naja... ihre Triebe."

An diesem Punkt sah Trell direkt zu mir hinüber und fing meinen Blick ein. Dann lächelte er dunkel, als wüsste er etwas, das keiner sonst begriff. „Es heißt, sie lieben rote Haare. Es heißt, dass sie ihnen in ihrem kalten Reich eine Erinnerung an das Feuer und die Wärme der Oberfläche sind."

Meine Kehle wurde trocken und ich spürte wie sich mein Herz zusammenzog. In dem Moment wäre ich gern irgendwo anders gewesen, weit weg von diesem süffisanten Lächeln und diesen hungrigen Augen. Hastig versuchte ich einen Blick durch die Runde zu werfen und sei es nur, um mich selbst abzulenken. Da waren Hannah und Epoh, die mich neugierig ansahen und Papa, der Trell mit tiefen Falten in der Stirn musterte und...

Neben mir räusperte Zac sich trocken. Erleichtert atmete ich auf, während ich Zac lauschte. „Es heißt auch, dass sich Flussmenschen in Pferde verwandeln können und Haifischmäuler hätten... oh und nicht zu vergessen, dass sie alle unglaublich gut aussehen sollen, damit Menschen leichter auf sie hereinfallen..."

Ich konnte mir nicht helfen und musste über Zacs nüchternen Tonfall grinsen, woraufhin Trell ihm einen giftigen Blick zuwarf. „Na da können wir schon mal sicher sein, dass Du nicht zu ihnen gehörst..."

Jetzt lachten alle. Mit säuerlichem Blick lehnte Trell sich wieder zurück und nahm den Faden seiner Erzählung wieder auf. „Nun... Das sind jedenfalls Flussmenschen. Sie sind noch immer, was sie immer waren und immer sein werden: Eine Gefahr für jeden, der sich leichtfertig unseren Flüssen und Seen nährt. Doch wie gesagt: Vor einigen Generationen haben wir einen bis heute geltenden Pakt mit ihnen geschlossen, der unseren Völkern den Frieden sichert. Diesen Frieden verdanken wir vor allem einer jungen Frau – Jelena. Und davon will ich euch erzählen.

Jelena.... sie war schön, wie der Morgenhimmel. Doch so schön sie war, so scharf war auch ihr Verstand. Viele junge Männer warben ebenso leidenschaftlich wie erfolglos um sie. Jelena vertrieb sie alle. Einige verspottete sie. Manchen stellte sie nahezu unlösbare Aufgaben. Andere scheiterten in Rededuellen an ihrer scharfen Zunge. Und ein oder zwei verdienten es nicht besser, als dass sie einer ihrer Intrigen zum Opfer fielen, die den wahren Charakter der Werber offen legte. Tatsächlich könnte man einen ganzen Abend mit Geschichten über Jelenas Verehrer füllen – und wie sie einer nach dem anderen aufgaben. Alle, bis auf einen: Raoren.

Er verliebte sich auf den ersten Blick in diese schöne, streitbare Frau und begann beharrlich, um sie zu werben – mit süßen Worten und roten Rosen, mit teurem Schmuck und billigen Tricks, mit großen Gesten und kleinen Spitzfindigkeiten. Es dauerte lange, aber am Ende bekam er, was er so sehr begehrte: Sie schenkte ihm ihre Zuneigung und einen Kuss.

Doch der besiegelte ihr Schicksal. Denn jeder weiß, dass der Kuss eines Flussmenschen verhext ist. Aber niemand wusste, dass Raoren ein solcher Flussmensch war. Sonst wäre er wohl niemals auch nur in Jelenas Nähe gekommen."

„Natürlich nicht....", murmelte Zac neben mir so leise, dass nur ich es hören konnte und ich lächelte verhalten, während ich weiterhin fasziniert Trells Geschichte lauschte.

„In dem Augenblick, als Jelena nun glaubte am aller glücklichsten zu sein, zeigte er sein wahres Gesicht. Er stahl sie fort von ihren Eltern, fort von ihren Freunden, fort von allen, die sie liebten und zerrte sie in sein nasses Reich. Genau so, wie es seit jeher die Natur der Flussmenschen ist. Alles, um ihre niederen Umtriebe zu stillen.

Nur dieses Mal war es anders: Jelenas Eltern weigerten sich, es so hinzunehmen. Jeder Vater und jede Mutter versteht das. Sie würden alles in ihrer Macht stehende tun, um ein verlorenes Kind zurückzugewinnen – oder sie würden es zumindest versuchen. Die meisten scheitern letztendlich daran, dass ihnen die Möglichkeiten fehlen. Jelenas Eltern jedoch waren reich und besaßen damit alle denkbaren Mittel.

Und sie begannen einen Krieg gegen die Flussmenschen.

Es war nicht der erste Krieg zwischen den Menschen der Flusslanden und den Flussmenschen, doch es war der bisher Grausamste. Viele starben, noch mehr litten."

In diesem Moment konnte ich nicht anders, als zu Epoh zu schauen. Sie hatte ihren Vater im letzten Krieg verloren, damals war sie noch so klein gewesen. Sie meinte immer, dass sie sich nicht einmal mehr an sein Gesicht erinnern konnte und es nur von den zwei Fotos kannte, die ihre Mutter wie einen Schatz hütete. Deshalb hasste Epoh alles, was mit Kriegen zusammenhing. Sie wusste, welche Löcher ein Krieg auch nach Jahrzehnten noch hinterließ. Einen Augenblick lang schaute sie zu mir und wir lächeln uns verhalten zu. Ich hoffte, dass sie wusste, dass sie nicht allein war.

Trell bemerkte davon nichts, sondern erzählte weiter, als hätte ihn die Geschichte selbst gefangen genommen. „Letztendlich wurden die Flussmenschen so sehr in die Enge getrieben, dass sie sich zu Verhandlungen bereit erklären mussten. Es waren lange Verhandlungen, die immer wieder sabotiert wurden und oft genug fast scheiterten. Doch dank Jelena stand an deren Ende der Friedenspakt, den wir nun haben. Vieles wurde darin besprochen, vieles wurde festgelegt, aber für die Menschen gab es zwei wichtige Kernpunkte: Zum einen hatten sie nun einen Gegenzauber zu der Wasserhexerei der Flussmenschen, zum anderen ist es den Flussmenschen seither verboten, sich ihre Opfer in den Flusslanden zu nehmen. Und wenn sie sich nun eine Frau oder einen Mann suchen, müssen sie oft weit wandern und außerhalb der Flusslanden suchen, ehe sie jemanden finden, den sie zu sich in die Tiefe locken können."

Bildete ich mir das ein oder waren es gerade diese letzten Worte, bei denen mich Trell so intensiv anstarrte? Einen Moment lang dachte ich, dass ein Haifischmaul voller scharfer, spitzer Zähne wie es der an Zacs Halskette war, wirklich gut zu ihm passen würde. So witzig das im ersten Moment klang, so unlustig fand ich es. Denn irgendwie ließ mich der Gedanke nicht los, dass sich ein Fisch wohl genauso fühlen musste wie ich mich jetzt unter Trells Blicken, wenn er einen Hai auf sich zu schwimmen sah.

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