Kapitel 9.1 - Wasser ist nass

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Es floss noch einiges Wasser den sprichwörtlichen Fluss hinab, aber dann war es soweit: Der Frühling hatte diese Woche laut Kalender ganz offiziell begonnen.

Endlich.

Trell würde demnächst weiterziehen müssen und dann wären es nur noch Papa, Zac, Epoh, Hanna und ich. Ja, darauf freute ich mich. Insbesondere, weil nun auch der Sommer mit seinen langen Tagen und hellen Abendstunden nicht mehr fern war. Alles, was ich brauchte, war nur ein bisschen mehr Geduld und Ablenkung. Dazu war das traditionelle, jährliche Erstbaden perfekt. Genau zum Frühlingsquell, also Frühlingsanfang trafen sich alle, die Lust hatten, um in den kleinen Waldsee zu springen und somit die „Badesaison" zu eröffnen. Das Wasser war noch richtig kalt, was für alle Beteiligten seit jeher der Ansporn war, einen Wettbewerb daraus zu machen: Wer hält es am längsten aus?

Und weil Feste gefeiert wurden, wie sie eben fielen, wurde aus diesem kleinen Wettkampf eine Art traditionelles, lokales Großereignis. Ja – das würde lustig werden. Ich freute mich schon seit Wochen darauf, da ich endlich die Möglichkeit hatte, all die Leute zu sehen, die ich den ganzen Winter über nicht mehr treffen konnte, weil es abends zu früh dunkel wurde.

Und heute war es soweit. Epoh und ich standen schon seit dem Morgen in der Küche, um ein paar Happen vorzubereiten. Standardmäßig brachte jeder ein bisschen was mit, Essen, Trinken, Gläser, Feuerschalen, Holz, Handtücher... Was man eben zum Feiern brauchte und gerade mitbringen konnte. Irgendwie klappte es jedes Jahr, dass von allem genug da war oder zumindest so rationiert wurde, dass es für den Abend reichte. Doch das Essen vorzubereiten war im Augenblick gar nicht so leicht, wenn alle paar Minuten irgendeiner der Herren in die Küche schlich, um was zu stibitzen.

So wie Zac gerade, der mit Epoh plauderte. „...na schade, dass Marcus heute nicht mitkommt...", meinte er am Rande, während sich seine Hand ganz unauffällig immer näher an den Teller mit den Bouletten heranschob.

„Ach nein? Stimmt ja, Mama sagte, sie wolle mit ihm noch mal los, ein paar Besorgungen machen und vielleicht den freien Nachmittag genießen oder so", antwortete Epoh und achtete nicht weiter auf die wachsende Gefahr für die wertvollen Früchte unserer Vormittags-Arbeit.

Patsch! Ich schlug Zac spielerisch auf die Hand und drohte ihm mit einem Löffel: „Ich seh das!"

Einen Moment lang ruhten seine hellen Augen auf mir und ein leises Lächeln huschte über sein Gesicht, ehe er sich wieder an Epoh wandte. „Hast Du das gesehen? Sie lässt mich hungern! Dabei bin ich noch im Wachstum!"

Epoh lachte. „Zac, ich möchte dir nicht deine Träume rauben, aber ich glaube nicht, dass du noch wächst..."

„Meinst Du wirklich? Zu schade", antwortete er und seufzte herzzerreißend theatralisch.

„Ach tröste dich, Kleiner", ertönte plötzlich Trells hämische Stimme von der Küchentür. Ich zuckte erschrocken zusammen, als mein Blick zu ihm huschte. Wie lange er da wohl schon stand? Ich hatte ihn nicht kommen hören. „Jede Frau wird dir sagen, dass es nicht auf die Größe ankommt."

Ganz automatisch hatten sich auch Epoh und Zac zu dem jungen, blonden Mann umgedreht, der entspannt im Türrahmen lehnte und Zac um mindestens einen halben Kopf überragte. Doch das schien diesen nicht im mindesten zu beeindrucken. Stattdessen erwiderte er Trells hämisches Grinsen in gleicher Weise. „Da hast du recht, Großer. Bei mir hat sich noch keine beschwert."

Es dauerte einen Moment, ehe ich den Subtext verstand. Tatsächlich realisierte ich es erst, als ich Epohs unterdrücktes Kichern hörte.

Oh.

Rasch wandte ich mich ab, um meine glühenden Wangen zu verstecken. Epoh war da ein kleines bisschen direkter: „Wenn ihr dann endlich fertig seid mit eurem – männlichem Eifer", sie zögerte bedeutungsschwer und warf den Männern einen tadelnden Blick zu, der original von ihrer Mutter hätte kommen können, „könnt ihr euch auch fertig machen und helfen, die Sachen hier einzupacken. Wir sind eh spät dran und Sumsa kommt uns gleich abholen."

Ohne ein weiteres Wort begannen die Kerle sofort mit Hand anzulegen. Wow, manchmal wünschte ich, ich wäre ein bisschen mehr wie sie.

Natürlich waren wir trotzdem nicht rechtzeitig fertig, als Sumsa kam, eigentlich waren wir das nie. So stand er noch im Flur und plauderte mit Zac und Trell, während Epoh und ich uns oben fertig umzogen, wobei wir mit halbem Ohr auf die träge Unterhaltung der Männer lauschten.

„Und ihr zwei?", fragte Sumsa. „Geht ihr heute auch schwimmen? Ich muss ja – die letzten Jahre hab ich es immer länger als meine beiden Brüder im Wasser ausgehalten. Dieser Titel muss verteidigt werden!"

Einen Moment lang herrschte Stille und ich spitzte die Ohren. Wenn Zac – Ich wurde ein bisschen rot, doch dann machte mir die Realität einen Strich durch die Rechnung.

„Ach weißt du – ich bin nicht so der Schwimmer", antwortete Zac gelassen. „Wasser ist mir einfach zu nass."

Ich hörte Sumsas leises, typisch ironisches Lachen und mit einem Seitenblick auf Epoh wurde mir klar, dass auch sie dem Dialog gebannt folgte. Sie konnte sagen, was sie wollte – es war offensichtlich, dass sie Sumsa gern zuhörte. „Kommst du nicht auch aus den Flusslanden? Aber ehrlich? Ich an Ddiner Stelle würde mich spätestens jetzt fragen, ob ich nicht adoptiert bin oder so was..."

Alle Männer lachten und Epoh und ich tauschten einen Blick, mit dem wir uns stumm darauf einigten, dass das der ideale Zeitpunkt war, um wieder nach unten zu gehen. „Und du Trell? Oder ist dir das Wasser auch zu nass?", fragte Epoh nebenbei, als wir die Treppe runterkamen und erntete dafür ein schiefes Grinsen.

„Ich habe immerhin eine Badehose dabei."

Das war unser Startschuss, endlich loszugehen. Der Weg dahin war noch lang und so vertrieben wir uns die Zeit mit oberflächlichem Geplänkel. Insbesondere Epoh und Sumsa schienen eine Art unterschwellige Spannung auszutragen. Dabei konnten sie es absolut nicht lassen, einander immer wieder spitze Bemerkungen zuzuschießen. Schließlich fragte Zac grinsend, wann denn der Hochzeitstermin nun angesetzt sei. Das brachte ihm einen tödlichen Blick von beiden ein, die im exakt gleichen, angeekeltem Tonfall konterten: „Niemals!"

Ich glaubte ihnen nicht. Im Gegenteil: Ich hatte mir schon vor Jahren Entwürfe gezeichnet, welche Art Kleid ich auf deren Hochzeit tragen wollte. Es war nur eine Frage der Zeit – jeder konnte das sehen, nur die zwei nicht.

Als wir dann endlich da waren, würde es ganz offensichtlich nicht mehr lange dauern bis das erste offizielle Seebaden des Jahres begann. Wobei manche sagten, „See" sei schon eine fast zu nette Bezeichnung dafür. „Breite Flussstelle" käme der Wahrheit viel näher. Das scherte heute jedoch die wenigsten. Im Gegenteil es hatten sich gefühlt ganze Dörfer hier eingefunden. Männer und Frauen jeden Alters, die entweder in munter schwatzenden Gruppen zusammenstanden oder auf den aus Brettern und Baumstämmen improvisierten Bänken saßen – sofern da noch Platz zwischen dem ganzen Essen und Trinken war. Zwischen den Menschengruppen brannten bereits hell flammende Feuerschalen und Kinder rannten dazwischen herum, spielten Fangen oder versuchten sich gegenseitig ins Wasser zu schubsen, was von den entsprechenden Müttern äußerst kritisch beäugt wurde. Zufrieden ließ ich den Blick über all die gutgelaunten, lachenden Menschen schweifen und sah von weitem schon, dass jemand eines der wenigen Grammophone der Gegend mitgebracht hatte. Heute würde es sogar Musik geben, vermutlich bis spät in die Nacht. Es würde mit Sicherheit toll werden.

Da sah ich Lilly bei einigen anderen, guten Bekannten stehen und mit einem kurzen Abschiedsgruß eilte ich zu ihr herüber. Sie lachte auf, als sie mich sah und umarmte mich. Dabei glitt ihr Blick kurz zu Trell, Epoh, Sumsa und Zac, denen sie zwar munter zuwinkte, sonst aber nichts. „Nanu?", fragte ich leise, als ich ihr zu einigen anderen unserer Freunde folgte. „Willst du Trell nicht begrüßen?"

Sie warf mir einen langen Blick zu, den ich nicht deuten konnte. Dann lächelte sie und zuckte die Achseln. „Ach weißt du – wir waren ein paar Mal aus, aber es hat einfach nicht gepasst..."

Am liebsten hätte ich noch mehr gefragt, aber da waren wir schon bei einer dieser Menschentrauben und ich wollte das Thema auch nicht in aller Öffentlichkeit breit treten. Stattdessen vertiefte ich mich in andere Plaudereien. Vielleicht gab es später noch eine Gelegenheit.

Nicht lange nach unserem Eintreffen ging es los.

Es war nicht so, als hätte sich jemand hingestellt und laut „los" gebrüllt. Vielmehr machte sich überall eine unterschwellige Unruhe breit und nach und nach trudelten alle Anwesenden zum Seeufer, um sich dort einen guten Platz zu sichern.

Nur Zac nicht.

Ich hatte es erst gar nicht wirklich gemerkt, weil ich mit einigen Bekanntschaften, die ich ewig nicht gesehen hatte, tief ins Gespräch versunken war, über Neuigkeiten und nostalgische Erinnerungen. Aber als ich mich irgendwann umsah, konnte ich ihn nirgends entdecken. Ob er sich verlaufen hatte? Unter dem Vorwand, vor Beginn noch einmal etwas Trinken zu wollen, setzte ich mich ab und stromerte durch die Gegend, während ich nach Zac Ausschau hielt.

Wenig später fand ich ihn auch am Waldrand – mit Giselle.

Einen Moment lang breitete sich ein flaues Gefühl in meinem Magen aus, während ich zusah, wie dieses Weib noch dichter an Zac heranrückte und den Kopf geschickt nach hinten neigte, damit sie zu ihm aufsehen konnte. Dabei lächelte sie ihn herausfordernd an und schien irgendwas zu sagen. Alles an ihrer Haltung rief auf eine elegante aber eindeutige Weise „küss mich" und als Zac sich tatsächlich ein Stück weit vorbeugte, zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Am liebsten hätte ich weggesehen, doch ich konnte nicht. Ich konnte nur zusehen wie er sich zu ihrem Ohr beugte, ihr etwas zuflüsterte und mit seinen Händen sanft über ihre strich – und da sah er mich.

Als hätte er meinen Blick gespürt, suchten seine Augen genau die Stelle, an der ich stand und begegneten den meinen über Giselle hinweg. Plötzlich huschte ein Lächeln über sein Gesicht und er zwinkerte mir verschwörerisch zu, genauso wie er es sonst auch tat, wenn er mich sah. Jetzt war mir übel. Mit einem Kloß im Hals wandte ich mich ab und flüchtete ziellos durch die Menschengruppen.

Erst als ich Epoh sah, kam ich zur Ruhe und blieb neben ihr stehen. Zutiefst unglücklich erwiderte ich ihren fragenden Blick. „Vielleicht bin ich nur eine kleine Schwester für ihn."

„Hm?"

„Zac. Glaubst du, dass er... dass ich... Giselle..."

Ich brachte es nicht über mich, auszusprechen, was ich gerade gesehen hatte, doch Epoh verstand mich trotzdem und legte mir tröstend eine Hand auf den Arm. „Wenn er mit Giselle länger als einen Abend redet und immer noch nicht genug hat, ist er eh ein Idiot, an den du keinen Gedanken mehr verschwenden musst. Das hat Sumsakras schließlich auch erkannt."

„Aha. Ich-", da erst drang durch, was sie eigentlich gesagt hatte und ich starrte sie mit großen Augen an. „Moment! Was?! Sumsa und Giselle?"

Sie nickte knapp und unwirsch. „Ist schon Jahre her. Und ging nicht lange, aber-", sie unterbrach sich und schwieg verbissen. Ganz offensichtlich schien es sie noch immer zu stören, vor allem, da heute wirklich das erste Mal war, dass ich davon hörte.

Das erklärte so viel! Kein Wunder, dass die drei so ein schlechtes Verhältnis zueinander hatten. Sie waren in der Schule in einem Jahrgang gewesen und das Beste, was man über die Beziehung zwischen Giselle und Epoh sagen konnte war, dass sie seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen hatten. Irgendwie heiterte mich das auf.

Ich war ein schlechter Mensch.

„Komm jetzt!", motivierte Epoh mich weiter und zog mich an der Hand zum Ufer hin. „Sie gehen gleich ins Wasser! Sieh mal – da ist sogar Trell!"

„Aha", murmelte ich und beobachtete wie sich die Menschen, Männer und Frauen aller Altersklassen, ins eiskalte Wasser stürzten. Viele kamen schon nach wenigen Sekunden wieder ans Ufer zurück, andere hielten es länger aus. Alle, die dem Wasser entstiegen, zitterten wie Espenlaub, grinsten aber glücklich, denn sie wurden mit Jubeln, Johlen und Klatschen begrüßt, geradeso als wären sie Helden. Vor allem ihre Liebsten kümmerten sich ganz besonders um die Erstbader.

Ich lächelte und beobachtete Epoh dabei, wie sie Sumsa ein Handtuch und einen Tonkrug mit heißem Glühwein mit einem warmen, stolzen Lächeln entgegenhielt, als dieser schließlich das Wasser verließ. Immerhin war er als einer der letzten kurz nach seinen Brüdern zurück zum Ufer gekommen, zitternd wie alle doch unübersehbar zufrieden.

In dem Moment konnte ich nicht anders als einen leisen Stich der Eifersucht zu spüren. Vor zwei Jahren hatte ich auch so dagestanden, mit einem Handtuch und einem Becher Glühwein für Jona in den Händen. Ich war so glücklich gewesen. Und jetzt? Meine Augen flackerten zu Jona, der kurz vor Sumsa ans Ufer gekommen war und nun bei einem anderen Mädchen stand und sich zitternd aber stolz in ihrer Bewunderung aalte. Was wohl gewesen wäre, wenn sich Zac an diesem Wettbewerb beteiligt hätte?

Ich wusste, ich sollte es nicht tun. Trotzdem glitten meine Augen wieder suchend über die Menge und fanden ihn problemlos. Er stand noch immer bei Giselle, hatte mittlerweile sogar einen Arm um sie gelegt, während er in der anderen Hand ein Bier hielt und lässig das geschehen am Ufer verfolgte.

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