Kapitel 8.1 - Kannst Du mal bitte?

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(Bild: Senga an Land by KareiKite)


Neujahr, 2146 n.n.O.

(Sommersonnenwende, entspricht 0. Tas'Saru 2146 n.n.O.)

Nicht viel später war Mittsommer da und das neue Jahr stand vor der Tür. Seit Tagen schon hatte den Schwarm eine kribbelige Unruhe erfasst, noch schlimmer als vor den Wettkämpfen. Doch wann immer ich jemanden danach fragte, bekam ich nur verlegene, ausweichende Antworten, meistens gekoppelt an ein >>Du wirst schon sehen.<<

Einzig Varonas Antwort war wie üblich etwas aufschlussreicher:

>>Wenn man es genau nimmt, werden an Neujahr die Flussbräute und -bräutigame des Schwarms geehrt. Wir müssen da tatsächlich nichts machen, weil alle Vorbereitungen bei den Flussmenschen liegen. Ab Mittag versammeln sich dann alle Erwachsenen auf der Insel und feiern Mittsommer, wie es Brauch ist, also mit Musik, Spielen und jeder Menge Essen und Trinken.<<

>>Aber warum nur die Erwachsenen?<<, hatte ich irritiert gefragt.

Daraufhin hatte sie mich überrascht angesehen. >>Na weil sich die Kinder des Schwarms noch nicht in Menschen verwandeln können. Diese Fähigkeit kommt erst im Verlauf der Pubertät, in der Regel zwischen zwölf und vierzehn Jahren.<<


Noch immer kreisten mir diese letzten Sätze unserer Unterhaltung im Kopf herum. Irgendetwas daran machte mich stutzig, aber ich kam einfach nicht darauf, was es war. Trotzdem war ich dankbar für meine kleinen, rosa Pillen, die jegliche Schwangerschaft verhinderten – Varona hatte sie mir schon vor einiger Zeit mit einer kurzen Erklärung und einem verschwörerischen Augenzwinkern gegeben. Eine große Sorge weniger.

Allerdings war es im Moment auch wirklich schwer, sich Sorgen über irgendwas zu machen, denn ich dümpelte zusammen mit Ricco, Varona und einigen anderen Menschen des Schwarms träge auf einer Sandbank etwas abseits der Insel. „Nichts tun an Mittsommer" nahmen wir gerade wörtlich. Und obwohl ich in letzter Zeit reichlich Freizeit gehabt hatte, war es in diesem Augenblick der pure Luxus. Wir lagen entspannt in der Sonne, die Kiemen im Wasser, die Köpfe in der Luft und genossen die Wärme, den Wind auf der Haut, ebenso wie die Kleinigkeit, einfach mal belanglos reden zu können, ohne sich direkt berühren zu müssen. All das eben, was man als normaler Mensch im Fluss manchmal vermisste.

Das sollte ich öfters machen.

Schade, dass ich vorher nicht selbst darauf gekommen war, denn meine Verletzungen waren nun soweit geheilt, dass sie zwar noch immer scheußlich aussahen und bei den falschen Bewegungen schmerzten, aber ich durfte langsam wieder mit meinen Arbeiten anfangen – und noch langsamer wieder mit Riccos Sportstunden.

Während wir uns also an unserer Faulheit erfreuten, beobachteten wir träge, wie der halbe Schwarm auf der Insel zu Werke war. Immer wieder tauchten sie auf, um etwas an Land zu bringen oder hektisch zwischen den Bäumen hin und her zu wuseln.

Ich hatte nicht den Hauch eines schlechten Gewissens.


Als die Mittagssonne fast im Zenit stand, tauchten plötzlich einige Flussmenschen auf, die direkt auf uns zuhielten. Ein kurzer Blick in die Runde machte deutlich, dass es die festen Partner von allen anwesenden Flussbräuten und -bräutigamen waren. Nur für Varona war niemand gekommen. Doch das schien sie nicht zu stören, denn sie winkte der herannahenden Meute munter zu.

Auch ich begrüßte Zac mit einem Lächeln und blickte ihm erwartungsvoll entgegen. Seit er mir erklärt hatte, was ihn umtrieb, hatten wir uns nicht mehr gestritten und verstanden uns besser denn je – obwohl wir noch keine Lösung für sein Dilemma gefunden hatten. Aber immerhin hatte er durch diese zweifelhafte Aktion Ruhe vor seinem penetranten Arbeitskollegen.

„Hast Du auch so hart gearbeitet?", fragte ich neugierig und er erlaubte sich ein Augenzwinkern in seinem sonst starren Gesicht, während ich meine Arme um seinen Hals legte und mich näher an ihn heran zog.

>>Voller Tatendrang...<<, kam die Antwort wie ein Murmeln in meinem Kopf, denn als Flussmensch war es ihm nicht möglich, normal mit dem Mund zu sprechen. Dabei strichen seine Hände meine Hüften herab und er hauchte mir einen leichten Kuss auf die empfindliche Stelle hinter meinen Ohren, kurz über meinen Kiemen. Ich schauderte. Zum einen wegen seiner Berührung, aber noch viel mehr wegen seinen Absichten, die ich deutlich in unserer Gedankenverbindung spürte...

Dabei fielen mir die anderen wieder ein und die Röte schoss mir ins Gesicht, während ich mich hektisch umsah. Zum Glück waren die Meisten schon weg. Wieder glitt mein Blick zu Zac und seinem muskulösen Oberkörper. Fast hätte ich mich in dem Anblick verloren, als mir neben seiner normalen Haifischzahn-Kette noch eine Kordel mit einer simplen Holzscheibe auffiel, die er um den Hals trug. Seit wann trug er das?

Da räusperte sich Varona neben uns, die bisher taktvoll beiseite geblickt hatte. „Na? Kommt ihr noch?", fragte sie und ich wurde noch röter, als ich nickte. Die Earis kicherte und zwinkerte uns zu, ehe sie mit einem einzigen Schlag ihrer ausladenden Schwanzflosse unter Wasser, Richtung Insel verschwand.


Doch bevor wir die Insel erreichten, schwamm uns bereits Koral entgegen. >>Zacery!<<, die Art wie er das rief, klang nicht besonders vielversprechend. >>Uhna schickt mich. Risa hat geschrieben und sie will dir, glaub ich, den Brief zeigen! Ich hab sie zuletzt bei den Apfelbäumen gesehen.<<

>>Danke! Ich werde gleich mal schwimmen<<, antwortete Zac und ich spürte seine spontane Neugierde in unserer Gedankenverbindung. Seine zweitälteste Schwester schickte nicht oft Briefe. Dann wandte er sich wieder an mich und strich mir mit einer Mischung aus Bedauern und aufkeimender guter Laune über die Wange. >>Bis später. Ich finde dich.<<

Noch bevor ich antworten konnte, hatte er mich losgelassen und war zügig davon geschwommen, zu einer anderen See-Ausstiegsstelle, die näher an den fünf Apfelbäumen der Insel lag. Etwas verdutzt sah ich ihm nach. Die Vorstellung, die Insel zu den Mittsomerfestivitäten allein zu betreten, behagte mir nicht. Wer sollte mir jetzt die Luftatmung ermöglichen? Besser ich beeilte mich, damit ich noch Koral erwischte, der gerade an Land sprang.


Tatsächlich erwartete mich nicht Korals, sondern Achs' ausgestreckte Hand und sein breit lächelndes Gesicht, das mich begrüßte, als er mich aus dem See an Land zog und die Wasseratmung dabei von mir nahm. Es dauerte einen Moment bis ich mich von der Umstellung erholt hatte, doch dann wandte Achs sich seiner Tochter zu, die nicht weit von uns entfernt stand und leise mit Koral plauderte. „Phia, kannst du mal bitte ein hübsches Kleid für Senga raussuchen? Du hast doch ein Auge für so was."

„Kannst du vergessen Papa. Darauf falle ich nicht mehr herein! Das kannst du schön selbst machen!"

Es war das erste Mal, dass ich Phias Stimme mit den Ohren hörte und nicht nur in meinem Kopf. Doch ihr scharfer, ironischer Tonfall ließ mich dennoch zusammenzucken. Ich hatte eigentlich gehofft, dass wir mittlerweile eine Ebene gegenseitiger Akzeptanz erreicht hatten – zumindest grüßten wir uns seit einiger Zeit knapp, auch wenn wir nicht viel miteinander sprachen. Aber anscheinend war dem nicht so.

Doch Achs schien das Verhalten seiner Tochter nicht weiter zu stören. Stattdessen wandte er sich mit einem schelmischen Grinsen an mich. „Senga, kannst du mir mal bitte das Handtuch reichen? Meine Hände sind etwas nass geworden..."

Ohne darüber nachzudenken, streckte ich mich, um an besagtes Handtuch zu kommen und reichte es Achs. Dieser grinste nur noch breiter, kramte in einem Beutel und reichte mir ein einfaches Band, an dem eine Holzscheibe baumelte. "Willkommen an Bord!"

"Was-", setzte ich irritiert an, doch da war er schon weg.

Da fing ich Phias Blick auf. "Hast du dir das wirklich gut überlegt? Das ist gefährlich."

Wieder sah ich verwirrt auf die Holzscheibe in meinen Händen. Sie sah aus wie die von Zac. "Was bedeutet das?"

"Oh wie gemein. Du wusstest es gar nicht?", kicherte Phia. Doch es lag mehr Schadenfreude als Mitleid in ihrer Stimme, was mich zunehmend beunruhigte.

"Was wusste ich nicht?"

"Es ist ein Spiel", erklärte sie endlich. "In dem Moment, in dem du eine Kannst-du-mal-Bitte-Aufforderung befolgst, bist du Teil davon und bekommst diese Holzscheibe. Die trägst du den Rest der Feierlichkeiten über. Ab jetzt werden die ganze Zeit über Leute mit Holzscheiben zu dir kommen und dir "Kannst-du-mal-Bitte-Aufforderung" stellen. Manche sind leicht und manche schwer oder dumm oder gemein. Du kannst auch ablehnen, aber dann bekommst du einen Punkt auf deiner Holzscheibe. Die zehn, die am Ende die meisten Punkte haben, werden bestraft."

Ich schluckte mit einem ungutem Gefühl und drehte die kleine Holzscheibe unsicher in meinen Händen. Ich war mir nicht sicher, ob das nach Spaß oder Leiden klang. „Was müssen die Verlierer tun?"

Phia grinste boshaft. „Letztes Jahr mussten sie die Ruine schrubben. Ich glaube dieses Jahr sind es die letzten zehn und geht es um die Schichtdienste der Wasserpost für die gesamte Tas'Saru."

Ich verzog das Gesicht. Die Wasserpost war im Prinzip nichts anderes, als dass irgendein Schwarmmitglied sich den ganzen Tag an einer bestimmten Stelle im See aufhielt. Die Menschen der umliegenden Dörfer konnten zu der Stelle kommen und einen Brief oder ein kleines Päckchen abgeben, das dann in einen Wasserfesten Behälter gepackt und schnellstmöglich über den See hinweg zum Ziel gebracht wurde. Gegen ein gewisses Endgeld, versteht sich. An manchen Tagen gab es mehr zu tun, an anderen weniger – aber prinzipiell hatte ich keine Lust darauf, den ganzen Tag lang irgendwo zu warten und Kurier zu spielen – und das auch noch die nächsten 90 Tage!

Trotzdem hing ich mir das Bändchen um den Hals. Verlieren wäre zwar wirklich ätzend – doch wenn ich mitspielte, konnte ich vielleicht genug Pluspunkte im Schwarm sammeln, um endlich meinen Brief schreiben zu können.

Da unterbrach Korals fröhliches Lachen meine Gedanken. „Senga! Kannst du mir mal bitte eine Hand voll Steine vom Ufer holen?

Mein erster Impuls war ein klares ‚Hol es dir selbst!'. Doch dann dachte ich wieder an die Wasserpost. Also lächelte ich so liebenswürdig wie möglich. "Gerne doch. Kannst du bitte so lange mit den Armen schlagen, als wären es Flügel und dabei Enten-Quak-Geräusche machen? Dann finde ich dich schneller wieder..."

Koral sah mich überrascht an und neben ihm begann Phia laut zu lachen und ihm den Unterarm zu tätscheln, während sie mir zuzwinkerte. "Ich sehe, du hast es verstanden."

Ich nickte ihr und Koral verhalten lächelnd zu, drehte mich um und ging zum Wasser zurück, während der Flussmann begann mit den Armen zu schlagen und Quak-Geräusche zu machen. Ich würde mir kurz Zeit lassen, um auch wirklich nur die allerschönsten Steine herauszusuchen.

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