Kapitel 8.2 - Kannst Du mal bitte?

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Neujahr, 2146 n.n.O.
(Sommersonnenwende, entspricht 0. Tas'Saru 2146 n.n.O.)


Nachdem ich Koral von seinem Entendasein befreit hatte, konnte ich mir ein ruhiges Plätzchens suchen, um meine Sachen zu wechseln. Phia hatte es tatsächlich geschafft, mir ein leichtes Sommerkleid zu besorgen, dessen mit Blumen bedruckter Stoff mir locker um die Knie schwang. Aber vor allem, hatte es lange, dünne, Spitzen besetzte Ärmel (sogar mit passender Strumpfhose!), die meine blauen Flecken von diesem verflixten Tunnelunfall wunderbar kaschierten. Immerhin hatten sich die meisten von Ihnen schon gut aufgehellt, andere waren sogar schon verschwunden, was mir Hoffnung gab, irgendwann wieder normal auszusehen.

Nachdem ich mir noch die Zeit genommen hatte, meine roten Locken mit einem Kamm und einer muschelförmigen Spange zu bändigen, machte ich mich auf den Weg, die Insel zu erkunden.

Zwar war ich die letzten Zyklen öfter hier gewesen, sei es zu unseren Geschichtsabenden oder weil Zac und ich uns die Sterne ansehen wollten, doch trotzdem hatte ich bisher keine Gelegenheit gehabt, mich in Ruhe umzusehen. Vor allem, da heute alles besonders schön geschmückt war. Überall hingen Girlanden und bunte Bänder schmückten die Bänke und Stühle, die am Wegesrand standen und die die ganze Insel aussehen ließen, als wäre sie aus einem Märchen entsprungen. Von den gemütlichen Sitzecken mit Kissen und Decken, die ein wenig abseits der Wege lagen und zum zurückgezogenen Plauschen einluden, ganz zu schweigen. Doch besonders freute ich mich darauf, wenn später die Fackeln und Feuerschalen entzündet werden würden, die entlang der Wege aufgestellt waren. Das würde geradezu romantisch aussehen.

Während ich langsam über die Wege schlenderte, kamen mir Lisa und Ivory entgegen, wobei mir Lisas Holzscheibe um den Hals nicht entging. Ihr meine auch nicht. „Senga! Kannst Du mal bitte die nächsten zwanzig Fackeln immer eine Handbreit nach rechts verschieben?"

Ich spürte, wie sich ohne mein Zutun ein verhaltenes Lächeln auf mein Gesicht schlich, das die beiden Frauen erwiderten, als sie an mir vorbei gingen und ich mit der Aufgabe begann. Vielleicht würde mir im Laufe des Tages noch eine passende Antwort einfallen.


Langsam kam ich zu dem größeren Platz, der sich an die sieben Häuser auf der Insel anschloss. Es schien so etwas wie das Gegenstück zum Herzplatz am Grund des Sees zu sein, denn auch hier gab es einen steinernen Altar. Doch war er nicht Lore geweiht, sondern Saru, der Göttin des Feuers, Sommers, Krieges und der Leidenschaft. Fasziniert betrachtete ich das übermannsgroße Ei, in dessen Mitte ein großes Loch herausgearbeitet war. Dieser Durchbruch war von kunstvollen Flammenornamenten verziert, doch heute sah man von ihnen nicht viel. Stattdessen stand darin eine kleine Feuerschale in der bereits ein kleines Feuerchen munter vor sich her brannte, das tanzende Schatten auf die verbleibenden, sichtbaren Ornamente warf. Eigentlich wunderte es mich nicht, dass sie Sarus Schrien heute besonders ehrten. Immerhin wurde mit Neujahr auch ihr Monat eingeleitet.

Und ganz ähnlich wie bei dem Herzplatz auf dem Grund des Sees fanden sich hier nach und nach alle Anwesenden ein. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil hier eine kleine Bühne aufgebaut war, an die sich eine recht große Freifläche mit einer beträchtliche Anzahl von Bänken, Stühlen und Tischen anschloss. Letztere bogen sich förmlich unter dem aufgeladenen Essen.

Plötzlich tauchte Sirek an meiner Seite auf. „Senga! Wie schön, dass du da bist!", rief er und umarmte mich kurz.

Überrumpelt starrte ich ihn an. „Äh – danke...?"

Doch da war er schon zu Orell weiter geeilt, um auch ihn zu begrüßen und zu umarmen. Hinter mir hörte ich ein Kichern und sah Lachsa, die Sirek amüsiert beobachtete, wie er offenbar ihre Aufgabe ausführte. Dieses Spiel hatte wirklich Potential, abstruse Züge anzunehmen. Lustig war es trotzdem.

Oder auch nicht. „Senga! Kannst Du mir mal bitte den Hebel vorführen, den ihr neulich bei Ricco hattet?"

Ich zog die Augenbrauen hoch und musterte Sina, die zusammen mit Cana auf mich zukam – einer andere Flussbraut, mit der ich recht häufig in Riccos Training übte. Alle beide hatten sie ebenfalls eine Holzscheibe um ihre Hälse hängen. Verlegen sah ich sie an, wobei ich daran denken musste, dass meine kämpferischen Fähigkeiten weit hinter denen der Flussfrauen zurück lagen. Cana machte es nicht besser, als sie fröhlich auflachte und anfing zu winken und zu schreien „Zacery! Zac! ZAC!"

Überrascht drehte ich mich um und sah eben jenen jungen Mann geschmeidig wie eh und je auf mich zukommen. Ohne dass ich es verhindern konnte, saugten sich meine Augen regelrecht an ihm fest. Er hatte sich für ein schlichtes, weißes Hemd entschieden, dessen oberste Knöpfe er bequemer weise offen gelassen hatte, und eine dunkle Hose. Doch das konnte nicht über das gelassene Selbstbewusstsein hinwegtäuschen, mit dem er sich seit jeher bewegte. Ihn so zu sehen erfüllte mich unbewusst mit Stolz, dass er zu mir gehörte.

„Schön, dass Du kommst, Zac!", unterbrach Cana meine Bewunderung für diesen Mann und holte mich in die Realität zurück. „Senga wollte uns gerade den Hebel zeigen, den wir zuletzt von Ricco gelernt haben. Kannst Du bitte mal das Versuchskaninchen für sie spielen?"

Ich sah das Interesse in seinen Augen aufblitzen und wäre am liebsten weggelaufen. Ich hatte wirklich nicht die geringste Lust, meine quasi nicht vorhandenen Selbstverteidigungskünste vorzuführen und mich so zum Gespött zu machen. Doch da war Zac schon nahe genug und legte einen Arm um meine Hüfte, um mich näher an sich heran zu ziehen.

>>Du siehst fantastisch aus, Liebes...<<, flüsterte er in unseren Gedanken, was einen Schwarm von Schmetterlingen in meinem Bauch flirren ließ – wer hörte nicht gern Komplimente von seinem Liebsten?

Derweil hatte er sich ohne eine Miene zu verziehen weiter mit Sina und Cana unterhalten und es dauerte einen Moment, bis ich den Gesprächsfaden wiederfand. Noch so eine Eigenschaft mit der ich wirkliche Gewöhnungsschwierigkeiten hatte: Flussmenschen konnte ohne Probleme zwei Gespräche gleichzeitig führen.

„... weil Ricco ja in den höchsten Tönen von ihr spricht."

Ich blinzelte verwirrt. Sprachen sie von mir? Den Eindruck hatte ich ja während der Trainingsstunden ehrlich gesagt nicht, doch Zac musterte mich plötzlich mit einem völlig neuen Interesse. „Ist das so?", fragte er neugierig und ich schüttelte intuitiv den Kopf.

Erstens war ich nicht so gut. Und zweitens waren wir an Land. Nicht viele unserer Übungsstunden fanden an Land statt. Die beiden lachten, doch Zacs Hand glitt von meiner Hüfte herunter, sodass er mir plötzlich mit lauerndem Blick gegenüberstand. „Na dann zeig doch mal, was du gelernt hast!"

Mit diesen Worten machte er mit einem Mal einen gezielten Schritt auf mich zu und griff nach meinem Handgelenk, während er gleichzeitig mit der anderen Hand ansetzte, als wolle er mich in einen Schwitzkasten nehmen. Zugegeben: Es war langsamer, als er es wohl in einem wirklichen Kampf getan hätte – es traf mich trotzdem völlig unvorbereitet. So reagierte ich intuitiv mit der Ausweichbewegung, die Ricco uns immer und immer wieder eingebläut hatte und tauchte unter seinem Arm hinweg, wodurch ich plötzlich gar nicht mal so schlecht dastand.

Doch da verließ mich meine Intuition und ich wusste nicht, was ich als nächstes tun sollte. Wie ein bedröppeltes Lamm stand ich vor Zac und konnte ihn nur anstarren. Dieser grinste mich frech an und nutzte mein Zögern ohne weitere Überlegungen, indem er einfach umgriff und seinen nun wieder vorhandenen Vorteil nutzte, um mich fest an sich heranzuziehen und mir unter Applaus von Sina und Cana einen dominanten Kuss auf die Lippen zu drücken.

>>Gewonnen<<, flüsterte er selbstgefällig in unseren Gedanken.

Diese Selbstgefälligkeit war es letztendlich auch, die mich dazu anstachelte, seine mittlerweile nicht mehr ganz so fest sitzenden Mittel-, Ring und kleinen Finger zu greifen und sie rücksichtslos nach hinten zu drücken. Ächzend gab er nach und ging vor mir auf die Knie. Jetzt war ich die, die grinste. „Hab dich", feixte ich und unsere beiden Zuschauer brachen in schallendes Gelächter aus.

„Ach Zac – ich bin enttäuscht", witzelte Sina. „Dich so von deiner Deckung ablenken zu lassen..."

Da ich schon wieder losgelassen hatte, stand Zac auf und schüttelte sich seine Hand aus, ehe er sich mit gespielter Übertriebenheit die Haare aus dem Gesicht strich. „Das war sowieso nur Show", witzelte er und zwinkerte mir zu. Dann wurde er ernster. „Aber ehrlich: Das war gar nicht mal so schlecht. Du denkst nur noch zu viel."

Wie sollte ich bei so was bitteschön nicht denken? Und überhaupt- „Wozu? Ich mein: Wir werden doch nicht wirklich angegriffen, oder?"

Zac blinzelte verwirrt und ich fragte mich, was er wohl dachte. Doch ehe ich fragen konnte, mischte sich Sina ein: „Sag das nicht. Der letzte Angriff kam vom Schwarm aus den Fieber-Seen. Das liegt aber jetzt auch schon gut zwei Jahre zurück."

Cana wiegte bei diesem Einwurf leicht den Kopf hin und her. „Jaaa -schon. Aber du musst zugeben, dass das mehr Rache war für unseren kleinen Überfall."

Ich starrte die beiden an und schüttelte ungläubig den Kopf. „Wir haben einen anderen Schwarm überfallen?"

Sina zuckte die Schultern. „Joar. Mittlerweile kommen wir aber wieder ganz gut miteinander aus. Und letztendlich ging es um nichts Ernstes."

„Was heißt denn „nichts Ernstes"? Und vor allem: Was ist was Ernstes?", fragte ich unsicher und Zac zog mich mit einem Mal wieder dichter an sich heran. Ich spürte seine gute Laune durch unsere Gedankenverbindung fließen und musste ganz automatisch etwas mehr Lächeln.

„Hübsche, junge Frauen zum Beispiel."

Das Lächeln verging mir. Menschen. Wenn ein Schwarm Menschen stahl, war es was Ernstes.

Doch ehe ich antworten konnte, betrat plötzlich Uhna die Bühne – und wartete. Allein die Tatsache, dass sie so offensichtlich wartete, brachte alle Anwesenden fast augenblicklich zur Ruhe und eine erwartungsvolle Stille breitete sich über der versammelten Menge aus.

Schließlich räusperte sie sich mit einem breiten Lächeln: "Liebe Familie. Ihr wisst: Das letzte Jahr war turbulent, aber erfolgreich und-"

Weiter konnte ich ihr nicht folgen, denn Zac hauchte mir einen sanften Kuss auf die Stirn. >>Du hast „uns" gesagt.<<

Bei diesen Worten spürte ich seine Freude deutlich, wusste aber noch immer nicht, was er meinte. >>Hä?<<

>>Als du vom Schwarm gesprochen hast, hast du „uns" und „wir" gesagt.<<

Oh. Tatsache. Ich hatte „uns" gesagt. Und das, obwohl ich sonst immer Worte wie „ihr" oder „der Schwarm" verwendete. Ich hatte es nicht einmal gemerkt. Aber es fühlte sich auch nicht falsch an. >>Das hat sich wohl so eingeschlichen<<, murmelte ich verlegen und wieder spürte ich das Lächeln in Zacs Gedanken.

Aber er sagte nichts weiter dazu, sodass ich gerade so noch die letzten Sätze von Uhnas kurzer Neujahrsrede mitbekam: „ ... Und ich hoffe – nein, ich bin mir sicher – dass die Götter uns auch im nächsten Jahr gnädig gesinnt sein werden. Aber ich will das Ganze jetzt gar nicht unnötig in die Länge ziehen. Nur so viel: Willkommen im Jahr 2146!"

Ein Johlen und Applaudieren brach aus, aber Uhna hob noch einmal wirkungsvoll die Hände und erneut kehrte Stille ein: „Eine Sache noch, bevor ich es vergesse: An alle, die an unserem diesjährigem Wettbewerb teilnehmen: Könnt ihr mal bitte Tanzen?!"

Wieder brach Applaus aus, als sie diesmal wirklich von der Bühne sprang und fünf Flussmenschen diese innerhalb weniger Augenblicke für sich und ihre Musikinstrumente eroberten. Kurz darauf erklangen die ersten Töne einer eingängigen Melodie, als Zac sich mir wieder zuwandte und mir auffordernd die Hand entgegenstreckte. „Na dann? Wir wollen ihre Bitte doch nicht abschlagen, oder?"

Matt lächelnd schüttelte ich den Kopf. Als ich meine Hand vorsichtig in die Seine legte, um zusammen mit dem Rest meines Schwarms das neue Jahr zu begrüßen, glitt mein Blick über die Menge und blieb an Dora hängen. Die Flussfrau starrte Zac und mich mit ausdruckslosem Gesicht an. Dann bemerkte sie meinen Blick. Mit noch immer unbewegter Miene, hob sie ihr Glas, prostete mir zu und wandte sich ab. Innerlich verscheuchte ich das mulmige Gefühl, das Zacs Ex-Partnerin in mir auslöste und schmiegte mich wieder in seine Arme. Vergangenes sollte man nicht aufwühlen.

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