Kapitel 5.2 - Guten Morgen liebe Sorgen

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gewidmet namika-channnn,

weil ich mich immer noch darüber freue, dass Du diese Gechichte gefunden hast und schon so lange mitverfolgst! danke! <3

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Ich wusste nicht, was schlimmer war: Trell, der wie selbstverständlich rechter Hand neben mir herlief und ein Gespräch über Belanglosigkeiten mit Achs zu meiner Linken führte, oder das Gasthaus, das sich klein und gedrungen vor uns auftat und mit jedem Schritt unvermeidbar näher kam. Gleich würde ich Papa treffen – und ich wusste noch immer nicht, was ich ihm eigentlich sagen wollte. Bei dem Gedanken breitete sich leichte Übelkeit in meinem Magen aus. Es war so viel passiert. Meine Beine fühlten sich an wie Blei und nun, wenige Meter vor dem Ziel, schaffte ich es einfach nicht, noch weiter auf die schwarz gestrichene Eingangstür zuzugehen. Mit mir kam auch die ganze Gruppe zum Stehen und warf mir verwunderte Blicke zu.

Doch noch ehe irgendjemand etwas sagen konnte, wurde die Eingangstür schon von innen geöffnet, ja regelrecht aufgerissen, und Lucien stürmte heraus. Als er uns sah, blieb er wie angewurzelt stehen – und starrte mich an, als wäre ich eine Ausgeburt von Vaskis' persönlichen Schabernacksgedanken.

Ich starrte stur zurück. Der Kerl war vielleicht größer als ich, aber definitiv jünger und ich hatte es satt mich von allen einschüchtern zu lassen. Schließlich wandte ich der junge Mann ruckartig an Trell und ignorierte uns andere damit überdeutlich. „Sie erwarten euch."

Trell nickte. Doch Lucien schien das schon gar nicht mehr zu bemerken, denn er lief direkt weiter, hielt auf die schmale Lücke zwischen mir und Achs zu. Ganz automatisch trat ich ein Stück bei Seite, um ihm Platz zu machen, als er einen plötzlichen Schritt zur Seite trat und mich direkt mit seine Schulter rammte.

„Autsch!"

Ich stolperte zurück, wäre sicherlich noch weiter getaumelt, hätte nicht eine kräftige Hand meine Hüfte gepackt, um mich zu stabilisieren. Verstört blickte ich in Trells dunkle Augen, die über mein Gesicht huschten, ehe sie den Jungen fixierten. „Lucien!", brüllte er, offensichtlich wütend.

Doch dieser hatte nicht gewartet, sondern war einfach weiter gegangen.

Allerdings hatte er die Rechnung ohne Ricco gemacht. Der hatte ihn mit zwei Schritten eingeholt und rammte seinen Ellenbogen nun kräftig in Luciens Seite.

„Du dreckiger-", keuchte der Tischlerlehrling.

Doch ich verstand seine Beleidigung nicht, weil Suriki auf Varonas Schulter plötzlich laut zischte und mit den Flügeln schlug. Wie alle anderen auch, wäre ich darüber vielleicht erschrocken zusammengefahren, wenn ich nicht noch immer Trells warme Hand an meiner Seite spüren würde. Konnte er mich nicht endlich loslassen?

Mit einem Ruck ging ich einen großen Schritt nach vorn.

Weg von ihm, hin zu Varona, die Ricco gerade mit scharfen Blicken förmlich aufspießte. Dieser nahm langsam die Hand von dem Messer an seiner Seite und setzte ein undurchdringliches Lächeln auf, das jedoch kaum über die Wut in seinen Augen hinwegtäuschen konnte. Aber wenn Ricco sich jetzt nicht zurückhalten könnte, würde er jedes Vorurteil bestätigen, dass die umliegenden Dörfler gegen die Schwärme hatten.

„Es ist wohl besser, wenn wir jetzt reingehen", schaltete sich plötzlich Achs' ruhige Stimme dazwischen und trieb uns nun doch voran, ohne dass wir weiter auf Lucien achteten, der sich mit zügigen Schritten aus dem Staub machte.


Als ich das schummrige Zwielicht des Gasthauses betrat, fühlte ich mich im ersten Moment wie blind. Und taub – denn die Stille drückte mir mehr auf die Ohren als es die Wassermassen in den Tiefen des Sees zu tun pflegten. Andererseits war das um diese Tageszeit bei diesem Gewerbe wohl nichts Ungewöhnliches, erwachte es doch erst am späten Nachmittag langsam zum Leben.

Die Stille wurde jäh unterbrochen, als ein erstickter Schrei von der anderen Ecke der Gaststube zu mir herüber drang. Im nächsten Augenblick blieb mir die Luft weg und mit einem leisen Ächzen sackte ich ein Stück weit zusammen, ehe ich mich unter Papas gewichtiger Umarmung wieder ausbalancieren konnte. Dennoch krallte ich mich fest in sein Hemd, während ich seinen tröstlichen Geruch nach Brettern, Sägespähnen, Arbeit und Holzöl – den Geruch meiner Kindheit – tief einatmete.

„Den Göttern sei Dank, es geht dir gut", murmelte er leise.

Für einige kurze Augenblicke sagte keiner von uns etwas, denn Worte waren überflüssig. Ich spürte Papas Sorge und Wut, all seine Erleichterung und Freude fast so sehr als hätte ich eine Gedankenverbindung zu ihm.

Für einige kurze Augenblicke war die Welt einfach in Ordnung.

Dann löste er sich von mir und der Moment war unwiederbringlich vorüber. Das war es zumindest, was ich in Hannahs ernstem Gesicht sah. Trotzdem rang sie sich ein Lächeln ab, als sie meinem Blick begegnete und trat ein paar vorsichtige Schritte näher, um mich ebenfalls in eine Umarmung zu ziehen.

„Hast du es dir überlegt?", flüsterte sie an mein Ohr.

Bei der Frage zog sich alles in mir zusammen. „Noch nicht", antwortete ich hilflos, während ich Trells Anwesenheit knapp hinter mir überdeutlich spürte. Ihr Vorschlag, ihn zu heiraten, erschien mir noch immer gleichermaßen verlockend wie entsetzlich.

Hannah seufzte leise und ließ mich los. Irgendwie hatte ich das Gefühl, die falsche Antwort gegeben zu haben. Doch zurücknehmen konnte und wollte ich es nicht. Also wandte ich mich dem Kreis der stillen Beobachter zu. Ich konnte ihnen ihr drückendes Schweigen nicht einmal verübeln. Auch ich hatte keine Idee, was man in einer solchen Situation sagen könnte.

Varona räusperte sich leise und ergriff das Wort, wofür ich ihr dankbar war. „Wie geht es deinem Bein, Markus? Helfen die Übungen und die Medikamente?"

Die blauen Augen meines Vaters huschten zu der Earis und er bestätigte ihre Frage mit einem kurz angebundenen, nichtssagenden Nicken. „Ja. Vielen Dank."

Mehr nicht. War das wirklich mein Vater? So distanziert und abweisend hatte ich ihn nie kennengelernt. „Papa – wir müssen reden", sagte ich schließlich direkt, weil mir keine vernünftige Eröffnungsfloskel in dieser Situation einfiel und und wollte auf einen der vielen leeren Tische des Schankraums zugehen. Doch mein Vater bewegte sich kein Stück und so blieb auch ich stehen und sah ihn fragend an.

Er lächelte mich an, wie er es sonst immer getan hatte – warm und voller Lebensfreude. Fast täuschte es über die tiefen, sorgenvollen Falten hinweg, die sich während der letzten Zyklen in sein Gesicht gegraben hatten. „Du bist hier immer willkommen, Schatz."

Achs neben mir versteifte sich. Wir alle hatten die Exklusivität in diesem ‚du' gehört.

„Aber ich möchte nicht mit dir reden, wenn diese-" Hannah legte ihm sanft eine Hand auf den Unterarm und warf ihm einen mahnenden Blick zu. Papa unterbrach sich. „der Schwarm zuhört."

Jetzt räusperte Achs sich. „Markus, ich kann deine Wut verstehen."

Papas Gesicht legte sich in tiefe Falten, die mehr als Worte es je gekonnt hätten, davon sprachen, dass er genau das nicht glaubte. Trotzdem fuhr Achs unbeirrt fort: „Sehr gut sogar. Aber du wirst sicher auch verstehen, dass ich dich nicht mit Senga allein lassen kann. Und auch nicht will."

Unruhig rieb mein Vater seine Handflächen aneinander, sodass ein raues Rascheln entstand, eine Geste, die ich von früher kannte und die mir so vertraut war, wie Zacs Hände, die durch seine Haare fuhren, wenn er nicht wusste, wohin mit ihnen. Ich blinzelte den Gedanken weg und konzentrierte mich auf Papas Worte: „Was glaubst du, was ich tue? Sie entführen? Oder sie vielleicht grün und blau schlagen? Das sind nicht meine Gewohnheiten."

„Wir haben ihr nie etwas getan!", verteidigte sich Achs mit schmalen, wütenden Augen.

Doch Papa ließ das kalt. „Ach nein? Dann hab ich mir ihre Verletzungen bei unserem letzten Treffen nur eingebildet?"

„Das war niemand!", warf ich nun auch leise ein und schauderte leicht, als ich daran dachte, wie zerschunden ich vor ein paar Zyklen tatsächlich noch ausgesehen hatte und wie es dazu gekommen war. „Das war ein anderer Schwarm."

Ich brauchte nicht einmal Trells scharfes Einatmen neben mir zu hören oder in Hannahs weit aufgerissene Augen zu blicken, um zu verstehen, dass diese Aussage keinen Unterschied machte. Ein Flussmensch war für sie ein Flussmensch, ganz egal zu welchem Schwarm er gehörte.

Papas Seufzen zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Insbesondere meine, als sich seine hellen Augen wie Stahlnägel in mich hineinbohrten, ehe er sich wieder an Achs wandte: „Es bleibt dabei. Ich möchte mit Senga reden. Allein. Euch habe ich nichts zu sagen."

Nun war es Achs, der leise aber vernehmlich seufzte und Varona, die dicht neben ihm stand, warf ihm einen kurzen, mahnenden Blick zu. Ich war mir sicher, dass sie mit ihren Händen die seinen streifte, um ihm einen gedanklichen Ratschlag zu geben. Schließlich nickte Achs langsam. „Na gut. Ihr dürft allein in einem der oberen Zimmer sprechen." Sein Blick glitt zu einer Uhr. „Fünf Minuten. Und auch nur, weil ich Senga vertraue."

Bei seinen Worten krampfte sich alles in mir zusammen, doch ich versuchte, mein Gesicht möglichst ausdruckslos zu halten, während ich Achs zunickte und meinem Vater die Treppe hinauf folgte.


Wir schwiegen bis die niedrige Tür des spärlich eingerichteten Gästezimmers hinter uns ins Schloss fiel. Dann drehte sich mein Vater mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck zu mir um: „Ist der Kerl irgendwie mit Zac verwandt?"

„Ähhhh", begann ich völlig überrumpelt. Selbst in meinen Ohren klang das wie Varons sprichwörtliches Kaninchen, das mit der Schlange um sein Leben feilscht. Verärgert biss ich mir auf die Lippen und straffte mich. „Sein Vater. Warum fragst du?"

„Ah", murmelte Papa mehr zu sich selbst als zu mir. „Das erklärt die Ähnlichkeit. Aber er ist normal, oder? Zumindest hat er nicht diesen steifen Gang, den die sonst haben."

Ich blinzelte und war noch immer völlig baff, schon allein wegen der kühlen Abfälligkeit mit der Papa sprach. Dabei hatte er mir Zeit meines Lebens eingebläut, dass man respektvoll zu allen und jedem sein sollte. „Ja. Achs ist Uhnas Flussbräutigam und-"

„Dann entführen auch die Frauen irgendwelche armen Kerle?", seine Stimme schwankte irgendwo zwischen Entsetzen und Mitgefühl.

Völlig überfordert ließ ich mich mangels eines Stuhls auf das frisch bezogene Bett fallen. Einfach nur, um irgendwo sitzen zu können, weil ich mich nicht länger auf das Stehen konzentrieren wollte. Selbst das schien mir gerade zu viel. „Nein. Also. Vielleicht. Ich weiß es nicht. Achs jedenfalls ist freiwillig mit Uhna mitgegangen – und alle anderen, die ich näher kennengelernt habe eigentlich auch."

Papa schnaubte. „Du meinst: Das ist das, was sie dir erzählen."

Gestresst fuhr ich mir mit der Hand durch die Haare. Wie sollte ich so argumentieren? Was konnte ich sagen, um ihn zu überzeugen, seinen Feldzug aufzugeben und nach einer anderen Lösung zu suchen? „Das ist das, was ich tagtäglich mit eigenen Augen sehe."

Wieder dieses abfällige Schnauben. „Natürlich tust du das. Wer keine Hoffnung hat, passt sich an. Und das meine ich nicht als Vorwurf."

Ich schwieg und starrte auf meine Hände, dachte an mich selbst und wie ich mich nach und nach in meinen Schwarm integriert hatte. Was sollte ich dazu sagen? Er hatte ja nicht unrecht und dennoch war es irgendwie falsch, fühlte sich falsch an.

Doch Papa wartete gar nicht erst auf eine Antwort von mir. Stattdessen ging er vor mir in die Hocke, nahm meine Hände sanft in die seinen und fixierte mich mit einem durchdringenden Blick. „Aber es ist nicht ohne Hoffnung, das weißt du Senga, oder? Bald schon habe ich die Lösung hier vor Ort und wenn sie dann nicht einwilligen..."

Er brach ab, biss sich auf die Lippe und stand wieder auf, während er ans Fenster trat und schweigend hinausblickte.

„Was dann, Papa?", fragte ich leise und konnte den alarmierten Unterton nicht aus meiner Stimme verbannen. „Was hast du vor?"

Aber mein Vater schüttelte nur den Kopf. „Das kann ich dir nicht sagen. Trell sagte, dass sie sich in die Gedanken schleichen und alles, was sie wissen wollen aus einem herausziehen, direkt aus dem Kopf." Wie, um sich selbst davon zu überzeugen, tippte er sich an die Stirn, während sein finsterer Blick weiterhin irgendetwas auf der Straße unter dem Fenster fixierte. „Ich vertraue dir. Aber ich traue ihnen nicht."

Ich schwieg. Schon wieder. Es war ja wahr, was er sagte. Zac hatte es mir gezeigt, ganz am Anfang, als er jeden meiner Gedanken mitgehört hatte, weil ich noch keine Mauer zwischen uns ziehen konnte. Els hatte es bewiesen, als er meine Unfähigkeit ausgenutzt und sich durch meine Gedanken und Erinnerungen gewühlt hatte, immer auf der Suche nach Informationen über den Schwarm. Diese Gedankenschleicherei schien eine ebenso beliebte wie ekelhafte Praxis zu sein.

„Es stimmt", antwortete ich schließlich, als das Schweigen zwischen uns sich in die Länge zog. „Und trotzdem. Papa, was du da tust, ist gefährlich! Siehst du nicht, wie die Lage sich zuspitzt?"

Mein Vater biss die Zähne so sehr zusammen, dass sich seine Kiefermuskeln klar abzeichneten. „Ja, natürlich tut es das. Schon allein, weil die Menschen hier nicht länger gewillt sind, einfach hinzunehmen, was diese Monster hier treiben."

Bei dem Begriff ,Monster' zuckte ich unwillkürlich zusammen. Wut schlängelte sich durch meine Verwirrung und Unsicherheit hindurch und ich konnte nicht anders, als den Blick meines Vaters fest zu erwidern, als er sich endlich wieder zu mir umdrehte. „Es gibt keine Monster in diesem See. Nur Leute, die genau wie du und ich versuchen, ihr Leben zu führen. Männer und Frauen, die ihren Berufen nachgehen." Ich sah ihm fest in die Augen. „Kinder, die darauf warten, groß zu werden."

Zum ersten Mal in diesem Gespräch sah ich wie Papas Blick weicher wurde – und unglaublich müde. „Du glaubst also, dass von den Flussmenschen keine Gefahr für dich oder die Leute hier im Umland ausgeht?"

„Genau." Meine Stimme klang fest, als ich das sagte – doch ich konnte seinem bohrenden Blick nicht standhalten. Meine Gedanken glitten zu Els und die Art, wie er meine Schwäche brutal für sich genutzt hatte. Sie huschten weiter zu dem Schwarm, der uns angegriffen hatte und rücksichtslos zurückgeschlagen worden war. Zu den Vorschlägen, die in der Schwarmversammlung gefallen war, wie man am besten mit der derzeitigen Situation und den Menschen ,in der Nachbarschaft' umgehen sollte. Nein. Ich wusste es besser. Flussmenschen waren nicht ungefährlich. Im Gegenteil. Sie waren genauso gefährlich wie alle anderen „normalen" Menschen auch. Und genau wie alle anderen auch wehrten sie sich verbissen, wenn man sie in die Ecke drängte.

Als ich wieder zu Papa sah, war da einmal mehr dieser abweisende Ausdruck in seinem Gesicht. „Ich verstehe", sagte er langsam und mit einer Stimmenlage, die so hart wie die Nägel war, die er sonst ins Holz schlug. „Ich verstehe, dass du das sagen musst."

Geschlagen schloss ich die Augen.

Ich hatte nichts erreicht.

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