Kapitel 5.3 - Guten Morgen liebe Sorgen

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gewidmet Coco_dnr,

weil wir uns zwar nicht kennen, aber ich mich freue, dass Du dabei bist! :D

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Der Rückweg verlief in tiefem Schweigen. Doch während auf dem Hinweg jeder seinen eigenen Gedanken nachgehangen hatte, war es jetzt ein Schweigen voller Vorwürfe – an mich. Oder war ich es, die mir Vorwürfe machte?

Warum hatte ich mit meiner Antwort gezögert? Wäre ich nur ein bisschen überzeugender gewesen, hätte das Gespräch vielleicht konstruktiv werden können, ich hatte es deutlich in Papas Gesicht gesehen. Und gleichzeitig wusste ich, dass ich nicht anders hätte handeln können. Ich war schon immer eine schlechte Lügnerin gewesen.

Trübsinnig starrte ich auf die sich kräuselnde Wasseroberfläche des Sees, unter die Achs und Varona gerade verschwunden waren. Sie wollten schon mal vorschwimmen und den Schwarm über das gescheiterte Gespräch informieren. Ricco und ich würden nachkommen, denn wir mussten erst noch zurück zur Truhe am Landgangspunkt, wo unsere Wassersachen lagen. So jedenfalls der offizielle Grund. Keiner hatte es laut ausgesprochen, aber mir war auch so klar, dass sie das für mich taten. Damit ich die Frustration, die diese Nachricht gegen Papa – und vielleicht auch gegen mich – auslösen könnte, nicht ungefiltert abbekam.


Wieder seufzte ich. Hinter mir hörte ich einen ähnlichen Seufzer von Ricco, was mir schlagartig seine Anwesenheit ins Gedächtnis rief. War ich überhaupt schon mal mit ihm allein gewesen? Ich konnte mich nicht erinnern. Woran ich mich aber erinnern konnte, war die Abneigung in seinem Gesicht während der letzten Schwarmversammlung.

„Was jetzt?", fragte ich, meine erste Frage seit langem, die ich direkt an ihn richtete.

Ricco zuckte die Achseln. „Wir haben ein bisschen Zeit. Lass uns zurück zur Strandtruhe gehen und noch ein bisschen in der Sonne sitzen."

Ehrlich gesagt klang das nicht so schlecht. Trotzdem konnte ich mir eine Spitze nicht verkneifen: „Und was ist, wenn ich versuche, wegzulaufen?"

Ricco warf mir einen langen, kühlen Blick zu. „Du kannst es versuchen. Aber erwarte keine Gnade von mir."

„Dass du keine Gnade kennst, weiß ich. Danke trotzdem für den Hinweis."

Wir machten beide keine Scherze.

Einen Moment lang war es still zwischen uns. Gerade wollte Ricco zu einer Antwort ansetzen, als wir es hörten. Ein ferner, feiner Gesang, verwoben mit dem sanften auf und ab einer einfachen gleichmäßigen Melodie, die mich unweigerlich an rauschende Wellen denken ließ. Fasziniert blieb ich stehen, um zu lauschen. So wunderschön. Fast so schön, wie die tödlich-lieblichen Irrlichtgesänge meiner Heimat.

„Was ist das?", murmelte ich leise und schien damit Ricco aus einem Trance zu reißen.

„Meermenschengesänge."

Einen Moment lang dachte ich an all die Dinge, die dazu in der Schwarmversammlung besprochen worden waren. Das war nicht gut. „Und jetzt?"

„Nichts. Es bleibt wie geplant. Alles andere wäre gefährlich. Noch besser wäre es, im See unterzutauchen. Aber das können wir grad nicht."

Ich nickte knapp, wusste nicht, was ich davon halten sollte, dass er lieber den zweifelhaften Melodien der Meermenschen lauschte, als sich mit mir und den schlechten Nachrichten dem Schwarm zu stellen. Andererseits hatte er in der Versammlung für dieses Treffen gestimmt obwohl es auch nach meinem „Beweis" für mein Gespür viele Zweifel und Gegenargumente gegeben hatte. Aber warum?

„Ich habe trotzdem gehofft, dass es was ändern würde", lautete Riccos schlichte Antwort, als ich danach fragte. „Außerdem hat es Zeit gekauft und blinde, vorschnelle Rachehandlungen verhindert."

Da hatte er recht. Immerhin hatten die Gemüter jetzt etwas Zeit gehabt, um sich abzukühlen. Wie lange würde das helfen? Nicht lange, nachdem, was Papa mir in diesem Zimmer gesagt hatte: ,Bald schon habe ich die Lösung hier...'

Ich schluckte. Das klang, als hätte er einen Plan.

Dabei war mein Problem noch immer ein anderes: Wenn ich ehrlich war, war ich mir schon lange nicht mehr sicher, wo mein zu Hause war. Gleichzeitig konnte und wollte ich keine endgültige Entscheidung treffen. Alles fühlte sich falsch an. Doch ich musste. Denn ich konnte den Gedanken nicht mehr abschütteln, dass dieses ganze Chaos nur wegen mir und meiner Unfähigkeit eine klare Meinung zu fassen, war.

Wieder in tiefes Schweigen versunken, liefen Ricco und ich nebeneinander her, während der Chor der Meermenschen weiterhin ihre süßen Melodien flüsterte und ich nicht umhin kam, zu lauschen. Ich wünschte, ich könnte die Worte verstehen, die sie sangen. Doch dazu waren wir zu weit weg vom Strand - vielleicht könnte ich sie besser hören, wenn wir nur ein bisschen näher kämen?

Ich blinzelte und schüttelte den Gedanken ab, von dem ich mir nicht sicher war, ob er überhaupt von mir kam. Stattdessen konzentrierte ich mich darauf, weiter neben Ricco herzutrotten, den Blick stur auf den Weg vor uns geheftet.

Leider gestaltete sich selbst das schwer, denn wir hatten uns noch immer nichts zu sagen. So befand sich nur die Stille und der zunehmend unheimlicher werdende Gesang der Meermenschen zwischen uns. Beides wurde plötzlich von einem schrillen Pfiff durchbrochen.

Im nächsten Moment flogen faustgroße Steine auf uns herab.

Ich schrie entsetzt auf, als eines dieser Geschosse meine Schulter traf. Gleichzeitig machte ich mich instinktiv klein und riss die Arme hoch, um meinen Kopf zu schützen, nur um genau dort wieder einen Stein abzubekommen. Ich schrie wieder – diesmal leiser.

Neben mir hörte ich ein dumpfes Geräusch, als einer der Steine Riccos Rücken traf. Der Krieger zischte und fluchte in einer Sprache, die ich noch nie gehört hatte. Doch allein von seinem Tonfall stellten sich mir die Nackenhaare auf.

Fast wäre ich vor ihm geflüchtet, denn einen irrationalen Moment lang hatte ich vor ihm mehr Angst als vor den fliegenden Geschossen um uns herum. Doch da packte er mich auch schon am Unterarm und schleifte mich rücksichtslos hinter sich her. Weg von den Steinen, hin zu einer kleinen Baumgruppe hinter deren Stämme wir behelfsmäßig Schutz fanden. Einen Augenblick später flogen auch keine Steine mehr.

In der plötzlichen Stille hallten die Meermenschengesänge um uns herum nur um so lauter wieder. Und obwohl sie verlockend waren, konnte ich nicht mehr als einen kurzen Gedanken an sie verschwenden. Stattdessen wollte ich fliehen, doch Ricco hielt noch immer schraubstockartig mein Handgelenk umklammert und seine blanke Wut floss in unserer Gedankenverbindung zu mir herüber. Es war schwer, sich dagegen abzugrenzen und ich wünschte, er würde mich loslassen. Doch als ich versuchte, mich zu lösen, knurrte der Krieger wieder etwas Unverständliches.

>>Riccodris!<<, brüllte ich ihn hilflos in unseren Gedanken an.

Er wollte antworten, aber ehe er dazu kam, ertönte ein hoher, herausfordernder Schrei aus den Baumkronen vor uns, in den andere Stimmen mit einfielen. Blanke Panik überfiel mich, doch Riccos hell lodernde Wut drängte sie zurück, hielt mich davon ab, kopflos in den Wald zu rennen.

Der Krieger neben mir spuckte verächtlich auf den Boden aus. „Feiges Pack, hocken in den Bäumen, wie die Geier", knurrte er mit einem Akzent, der so schwer war, dass ich die Worte kaum verstand. „Immerhin können sie nicht weiter über die Bäume. Also entweder sie kommen runter oder warten bis wir weg sind."

Mein Blick folgte dem Seinen und ich sah, was er meinte: Die Bäume standen nicht nah genug, als dass irgendwas, das schwerer war als ein Eichhörnchen oder eine Earis, uns folgen könnte.

„Dann lass uns gehen", flüsterte ich drängend zurück, wofür ich einen vernichtenden Blick von ihm kassierte. Er wollte etwas antworten, ich spürte das deutlich in unserer Gedankenverbindung, als ein jähes Rascheln und Rumsen unsere Aufmerksamkeit dringender auf sich zog. >>Bitte, Ricco!<<, flehte ich noch einmal nachdrücklich.

Zu spät. Unsere Angreifer sprangen die Bäume herunter und der Krieger gab endlich meine Hand frei und löste die Gedankenverbindung zwischen uns.

„Sieht nicht so aus, als hätten wir Gelegenheit zur Flucht", antwortete Ricco schließlich, zog sein Messer und drückte es mir in die Hand. Völlig verdattert starrte ich erst auf den kalten, schweren Stahl zwischen meinen Fingern, dann auf Riccos breiten Rücken, der sich direkt vor mich geschoben hatte.

Und mit einem Mal fühlte ich mich sicher.

Ganz plötzlich und aus dem Nichts heraus hatte ich es verstanden.

Ricco würde mich nicht zurücklassen. Niemals. Ganz egal, wie er zu mir stand oder wie sehr wir uns auch streiten würden. Ich gehörte zu seinem Schwarm, zu seiner Familie. Ob ich nun wollte oder nicht. Und Familie wurde nicht zurückgelassen. Das war der Kern jeder Entscheidung, die der Schwarm traf. Das war es, was sie im Zweifel immer vereinte. Das war der Grund, warum er Zac damals den Speer zugeworfen hatte. Nicht, weil er auf „Zacs Seite" stand. Oder weil er mir böses wollte. Ich gehörte zur Familie. Ich wurde nicht zurückgelassen.

Ganz simpel.

Diese Erkenntnis traf mich so unverhofft wie die Ohrfeige, die ich vor so vielen Zyklen von Ari bekommen hatte. Nur im Gegensatz zu damals fühlte ich mich nicht so panisch, nicht so hilflos, nicht so ausgeliefert. Nicht mehr.

„Brauchst du das nicht selbst?", flüsterte ich und wollte ihm das Messer zurück geben.

Auf die Frage hin schnaubte Ricco nur wieder abfällig. „Für diese Kinder? Du hältst auch nicht viel von mir oder?"

Kinder? Jetzt erst sah ich zu den fünf Gestalten, die ein Stück weiter vor uns zum Stehen gekommen waren. Unruhig glitt mein Blick von einem zum anderen – sie waren alle 14, vielleicht 15 Jahre alt. Der Hass in ihren Gesichter stand dem eines Erwachsenen dennoch in nichts nach. Schließlich blieb mein Blick an dem einzigen, mir bekannten Gesicht hängen. Lucien. „Du", hauchte ich. „Warum?"

Lucien hörte meine Frage nicht. Vielleicht weil noch immer die schwammig-verführerischen Töne der Meermenschengesänge um uns herum waberten, wie zu penetrantes Parfum. Oder vielleicht auch, weil Ricco seine Frage sehr viel lauter gestellt hatte: „Dann seid ihr wohl die Feiglinge, die Gropp und Cana angegriffen haben."

Die Jungen kicherten, als hätte Ricco einen schmutzigen Witz erzählt. „Ja. Ja da war mal so ein Kerl mit seiner Hure", antwortete Lucien mit unruhig hin und her huschenden Augen.

Ricco und ich versteiften uns gleichzeitig.

Wut rann durch meine Adern, kalt und mitleidlos. Sämtliche meiner Fluchtinstinkte waren zum Erliegen gekommen. Zurück blieben nur Canas geteilte Erinnerungen von Gropp, der wehrlos Luciens Schläge über sich ergehen lassen musste, während zwei dieser Halbstarken ihn festhielten.

„Und jetzt plant ihr kleinen Schwanzlutscher das gleiche für uns?" Noch immer lag sein Akzent schwer zwischen Riccos Worten. Doch das machte sie nicht weniger bedrohlich.

Die jungen Männer vor uns bewegten sich unruhig und der Krieger breitete herausfordernd seine Arme aus. „Na dann – fangt an. Ich warte."

Ohne dass es mir selbst ganz bewusst war, hatte ich mein Messer sicher gegriffen, wie Ricco es mir in so vielen Trainingsstunden beigebracht hatte, und einen stabileren Stand eingenommen, während ich die Jungspunde vor uns im Blick behielt. Ricco würde nicht weichen – meine Aufgabe war es, ihm den Rücken freizuhalten, sollte eine dieser Ratten, versuchen, uns von hinten zu attackieren.

Plötzlich huschte Unsicherheit über die Mienen der Jungen. „Luce – wenn das wirklich Markus' Tochter ist..."

Ich starrte den Kerl sprachlos an. Hatte er wirklich erst jetzt angefangen, über sein Handeln nachzudenken? Doch der eine Satz schien auch die Zweifel der anderen zu verstärken. Riccos dunkle Gestalt, die sich turmhoch vor mir aufbaute, tat ihr Übriges dazu.

„Jasper, ich-", doch Lucien unterbrach sich, als er in die Gesichter seiner Mitverschwörer sah. Obwohl er noch immer zu allem entschlossen wirkte, schien ihm klar zu werden, dass er im Zweifel allein dastehen würde. „Du hast recht. Wir sollten nicht hier sein. Sie sieht auch nicht so aus, als wollte sie unbedingt von uns gerettet werden."

Ich zuckte zusammen. Aber es änderte nichts daran, dass ich verbissen blieb, wo ich war. Die Jungen jedoch bewegten sich wie abgesprochen, langsam rückwärts und waren wenige Momente später zwischen den Bäumen verschwunden. Zurück blieb nur die Stille des Waldes, durchsetzt mit leisen Vogelgezwitscher. Ganz so, als wäre nie etwas gewesen.

„Bei den Göttern", flüsterte ich absolut überrumpelt von der plötzlichen Wendung der Ereignisse. Niemals hätte ich gedacht, jetzt noch ohne irgend eine Art der weiteren Eskalation hier heraus zu kommen. „Was war denn das?"

„Ist es dir auch aufgefallen?", fragte Ricco ruhig und nahm das Messer wieder entgegen, dass ich ihm auffordernd hinhielt. Ich wollte es nicht länger als nötig mit mir herumschleppen.

„Nein. Was- ?"

„Die Meermenschen haben aufgehört zu singen."

Ich starrte ihn an und lauschte.

Er hatte recht.




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