Kapitel 20

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Als sie endlich das große Tor passierten, überkam Dom nicht wie sonst ein Schauder der Vorfreude. Die goldenen Dächer Agbas wirkten trübe, als hätte ihr Glanz sich unter einer dicken Staubschicht versteckt. Die Wellenkönigin näherte sich ihrem angestammten Liegeplatz. Am Pier herrschte geschäftiges Treiben wie eh und je, aber die Leute bewegten sich, als hätte sich ein Schatten über sie gelegt. Inzwischen hatte jeder von dem Krieg in Seyl gehört.

Als die Wellenkönigin anlegte, wurde die Mannschaft bereits von einer Horde Neugieriger belagert. „Kommt ihr aus Seyl? Wie sieht es aus? Sind die Truppen aus Acerum wirklich schon an der Hauptstadt angelangt? Ich hab' gehört, die Oberen wollen sich ergeben..." Solche und noch weitere Fragen prasselten auf die Matrosen nieder.

Diese beantworteten sie mit erstaunlicher Geduld. Dom verließ eilig das Schiff. Schon bevor Agba in Sicht gekommen war, hatte er Argur beauftragt, das Entladen der Wellenkönigin zu beaufsichtigen. Sie hatten einige Güter aus Jamar an Bord. Die Waren aus Seyl nahmen den geringsten Teil ein. In Kriegszeiten begannen alle zu horten.

Als er außer Sichtweite war, setzte er sich seinen Hut auf und spürte dessen vertraute Schwere. Seine Gedanken gingen zu Mika, der im Gegensatz zu ihm kein Andenken an seinen Vater besaß. Wieder ließ Dom sich den Streit zwischen ihnen durch den Kopf gehen, analysierte seine Antworten. Er hatte lediglich die Wahrheit gesagt. Vielleicht nicht die vollständige, aber was hatte Mika von ihm hören wollen? Dass alles gut werden würde? Der Junge war schon immer ein Idealist gewesen.

Und jetzt hatte er den Ärger. Er konnte nur hoffen, dass es ihm gut ergangen war. Er hatte seinen beiden Müttern geschworen, sich um seinen kleinen Bruder zu kümmern. In dieser Hinsicht hatte er wohl versagt.

Nun musste er alles in Bewegung setzen, um ihm zumindest eine gewisse Überlebenschance zu sichern. Dafür musste er jedoch in den Palast des Emirs.

Auf den verstopften Gassen Agbas schien ihm jeder auszuweichen. Offenbar sprach seine finstere Miene Bände. Wo ihn normalerweise die zahlreichen Düfte der verschiedensten Gewürze lockten und das fast schon legendäre Geschrei der Händler, die sich gegenseitig unterbieten wollten, dafür sorgte, dass er seinen Stress vergessen konnte, war heute keinerlei Wirkung zu erkennen. Alles schien an ihm abzuprallen, während er zielstrebig zum Palast stapfte.

Der Sitz des Herrschers von Skaramesch erhob sich in der Mitte der Stadt, denn wie so vieles war er durch den beständigen Wachstum Agbas irgendwann gefressen worden, sodass ihn statt wie früher trockene Wüste vermischt mit bewässerten Feldern nun Schluchten aus Häusern, durchzogen von engen und verwinkelten Gässchen, umgaben. Dom hielt sich an die breite Prachtstraße, die direkt zum Tor der äußeren Mauer des Palastes führte.

Er blieb vor den beiden Wachen stehen, die ihn abwartend musterten. Inzwischen war er den meisten von ihnen bekannt, doch sie bestanden jedes Mal auf das traditionelle Zeremoniell. „Ich, Dominic da Par'Nevere il Jamar, Sohn von Baldur Bluthand begehre Eintritt in das Herz Agbas. Ich verneige mich vor seiner Großmächtigkeit, auf dass er mir sein Gehör schenken möge. Agba ist die Perle Skarameschs und der Emir ist ihr Kern."

„Wir haben Euch nicht erwartet."

„Der Emir muss mich empfangen. Es ist von höchster Dringlichkeit."

Einer der Wachen nickte und verschwand ins Innere des Palastes. Es verging geraume Zeit, bis er wieder zurückkam. „Der Emir empfängt niemanden", erklärte er Dom.

„Sagt das der Emir oder Ben Ahib?" Die Miene des Wächters sprach Bände. Er seufzte. „Sagt ihm, ich muss mit ihm über..." Er zögerte, dann fiel ihm der Name wieder ein. „...Kasar sprechen."

Die Wache verschwand wieder hinter dem Tor und erneut musste Dom warten. Dieses Mal dauerte es erheblich länger. Während die übrige Wache stoisch ihren Dienst abtat, wechselte Dom unruhig von einem Bein aufs andere. Ihm dauerte das Ganze allmählich viel zu lange. Er war vielleicht nicht so aufbrausend und leidenschaftlich wie sein jüngerer Bruder, aber niemand in seiner Familie war mit großer Geduld gesegnet. Er hatte sie sich nur nach Jahren, gefüllt mit zähen Verhandlungen, angeeignet.

Schließlich kam die Wache doch zurück. Der Mann nickte ihm zu. „Der Emir ist gewillt, Euch zu empfangen."

Dom folgte dem Mann. Eigentlich seltsam, dachte er bei sich. Er war nun schon so oft in dem Palast des Emirs ein- und ausgegangen, aber er kannte weder die Namen der Wachen, noch wusste er, was sich in den zahlreichen Zimmern und Gängen abspielte, die er noch nie zuvor betreten hatte und auch nie betreten würde. Eigentlich war er immer noch ein Fremder und würde es auch bleiben.

Ben Ahib kam auf ihn zugeeilt. „Was soll das?", rief er verärgert aus. „Der Emir gibt heute keine Audienzen."

Dom verneigte sich vor dem älteren Mann. Insgeheim respektierte er den Berater. Ben mochte vielleicht stur sein und sehr auf Regeln und Konventionen pochen, aber er hatte dem jungen Emir stets treu zur Seite gestanden, ohne jemals Profit aus seinem Posten zu schlagen.

„Es ist dringend. Ich benötige nur einen Moment. Dann soll der Emir selbst entscheiden, ob er mir mehr seiner wertvollen Zeit schenken will."

Ben Ahib schnaubte immer noch angesäuert. Aber schließlich seufzte er. „Wer bin ich, mich den Wünschen des Emirs entgegenstellen zu wollen? Beeilt Euch jedoch. Jeden Moment könnten unsere Gäste aus Drahir eintreffen. Die zukünftige Gattin des hochehrwürdigen Emirs macht ihre Aufwartung."

Dom nickte ungeduldig.

Die Wache öffnete die Tür zum Audienzsaal und der Kapitän trat ein. Der Emir stand an einem der großen Bogenfenster, die einen herrlichen Ausblick auf die Stadt boten. Sie waren zu dieser Tageszeit weit geöffnet, sodass der Lärm der Stadt die Stille des Saales mühelos übertönte.

„Ihr wolltet mich sprechen?" Obwohl niemand es von ihm erwartete, hatte der Emir es sich zur Gewohnheit gemacht, Dom mit der ehrvollen Anrede zu würdigen.

„Ja. Es geht um Seyl."

Der Emir wandte sich ihm zu. „Ich dachte, es ginge um einen alten Freund."

„Ihr wisst, dass dessen Schicksal untrennbar mit dem seines Landes verbunden ist."

„Ihr schriebet so etwas."

„Wenn Seyl untergeht, wird auch er sterben."

Der Emir seufzte. „Es könnte der Beginn einer wunderbaren Gutenachtgeschichte sein. Zwei Thronerben verbringen ihre unbeschwerten Tage unter den Armen. Mein Volk giert nach einer derartigen Unterhaltung. Es könnte wundervoll enden, wie die beliebtesten Märchen. Aber leider ist es eher ein Drama als ein Freudenspiel."

„Ihr glaubt mir also?"

Der Emir zuckte mit den Schultern, was ihn jünger und verletzlicher aussehen ließ. „Ich habe mich durch Archive gewühlt und nichts gefunden, was dagegen spricht. Es ist so stimmig, dass ich geneigt bin, Euren Schlussfolgerungen zuzustimmen. In diesem Palast hängt ein Bild, auf dem die letzte Zusammenkunft der Herrscher und Regenten des ganzen Kontinents dargestellt ist. Mein Urgroßvater ist darauf abgebildet und auch der vorletzte König von Seyl. Die Ähnlichkeit zu Kasar ist schockierend. Dieselben Züge, das gleiche Haar. Nur die Augen sind anders. Ich habe nie zuvor darauf geachtet, aber jetzt...? Es hätte Zufall sein können, aber in unserem Glauben wird gelehrt, dass es keine Zufälle gibt. Früher habe ich es nie beachtet, aber nach Kasars unerwartetem Besuch hat das Wasser den Sand aus meinen Augen gewaschen."

Beide Männer schwiegen einen Moment. Dann ergriff der Emir wieder das Wort. „Wie seid Ihr darauf gekommen?"

„Durch einen... Unfall musste ich in Jamar zurückbleiben und meine Stiefmutter, meinen Bruder, sowie Senn als meine Vertretung hierher schicken. In Jamar hatte ich allerdings ausreichend Gelegenheit, mehr über diesen ungewöhnlichen Reisebegleiter herauszufinden. Wusstet Ihr, dass eine Prophezeiung des Urwaldvolks von Jamar behauptet, dass ein goldener Mensch kommen und eine der ihren mitnehmen würde, um die Welt zu retten?"

Der Emir griff nach einer Tasse, die auf einem kleinen Beistelltisch abgestellt war. Nachdenklich starrte er in ihr Inneres, bevor er einen tiefen Schluck nahm. „Seine Haare. Ja, das ähnelt dieser Ballade, die sich derzeit in den Schenken Agbas großer Beliebtheit erfreut. Vielleicht sprechen ja alle von demselben Mann. So scheinen mein Gott und auch die Euren wieder einmal mit uns zu spielen."

Dom nickte. „Ja, aber weiß er das auch?"

„Seinem Schicksal kann man nicht entkommen. Er wird es herausfinden. Daran führt kein Weg vorbei. Doch was wollt Ihr von mir?"

„Ihr müsst Seyl in seinem Kampf gegen Acerum unterstützen. Ihr wisst genauso gut wie ich, dass das Land seinem riesigen Nachbarn deutlich unterlegen ist. Die Menschen haben keine Chance."

„Du verlangst von mir, mein Volk in den Krieg zu schicken?", rief der Emir aus.

„Ich würde nie etwas von Euch verlangen, wenn ich nicht wüsste, dass es unvermeidbar ist."

Der Emir runzelte die Stirn.

Der Kapitän wies nach draußen. „Agba ist eine wunderschöne Stadt. Euer Vater hat Euer Volk zu einem nie gekannten Wohlstand geführt. Ihr setzt sein Werk fort. Wollt Ihr wirklich, dass all das untergeht? Euer Heer ist eines der fortschrittlichsten und diszipliniertesten auf der ganzen Welt. Aber wenn es Acerum gelingt, Seyl zu unterwerfen, werdet Ihr Euch einer Übermacht entgegenstellen müssen."

„Seid Ihr jetzt unter die Kriegsstrategen gegangen?", meinte der Emir, der sich wieder gefangen hatte, belustigt.

„Ich fürchte, Ihr bringt der Situation nicht den nötigen Ernst entgegen."

Das Lächeln des Emirs verschwand schlagartig und Dom befürchtete, den Mund zu weit aufgerissen zu haben. Denn ungeachtet davon, dass der junge Mann eine sehr liberale Einstellung zu Tage legte, verbot seine Stellung, kritisiert zu werden. „Glaubt Ihr, mir wäre die Lage nicht selbst bewusst? Aber ich möchte nicht in die Geschichte eingehen als der Emir, der sein Volk in den Krieg geschickt hat."

„Das Leben fragt uns nicht, was wir wollen. Die Zeit schreitet einfach fort und wir müssen uns bemühen, in diesem Strom nicht unterzugehen."

„Weise gesprochen, alter Freund."

Die beiden Männer standen Schulter an Schulter und betrachteten die Welt außerhalb des Palastes. Dort hinter den schützenden Mauern gingen tausende Menschen ihrer Arbeit nach, manche voll gedrückter Stimmung in Aussicht auf dunkle Zeiten und andere, ohne zu wissen, was ihnen bevorstand. Eines verband sie jedoch alle: Keiner von ihnen hatte eine Zukunft wie diese verdient.

„Selbst wenn Skaramesch Seyl beistehen würde, kämen wir vermutlich zu spät. Es braucht seine Zeit, Truppen zu mobilisieren. Wir müssen den Side überqueren und dann durch ganz Seyl marschieren. Unsere Soldaten brauchen Verpflegung. In einem werdet Ihr mir sicher zustimmen - niemand kann derartige Mengen bereitstellen. Die Leute sind gebeutelt genug und alle hungern, damit ihre Brüder oder Söhne etwas zu essen haben, während sie um ihr Leben kämpfen."

Dom schwieg und der Emir fuhr fort. „Es fällt mir schwer, nichts zu tun. Meine Militärstrategen sind sich unschlüssig. Manche pochen darauf, Seyl beizustehen, erinnern mich an eine uralte Bündnispflicht und mahnen vor den Konsequenzen, die ein Nichteingreifen nach sich ziehen würde. Andererseits listet mir eine nicht gerade kleine Fraktion auf, vor welche Probleme uns eine Einmischung unweigerlich stellen würde. Von wirtschaftlicher, sozialer und politischer Natur.

„Ich verstehe. Dann ist meine Anwesenheit hier überflüssig." Es fiel Dom schwer, die Bitternis in seiner Stimme zu verbergen. Scharf klangen seine Worte im leeren Saal. Er machte auf dem Absatz kehrt mit der festen Absicht, zu verschwinden.

„Wartet", befahl der Emir ihm. „Ihr habt recht. Wir können nicht untätig bleiben. Skaramesch wird Seyl unterstützen. In beschränktem Rahmen. Ich prophezeie Euch, dass Acerum die seylschen Truppen bis zur Hauptstadt zurückgedrängt hat, bis wir als Verstärkung eintreffen. Aber Krylanid darf nicht fallen. Beladar stehe uns bei."

Obwohl er den Emir überzeugt hatte, verspürte Dom keinerlei Hochstimmung. Stattdessen blieb nur ein schales Gefühl zurück.

Er hatte seinen Teil getan. Am liebsten würde er sich irgendwo im Dschungel verstecken, denn es reizte niemanden, diese grüne Wildnis einzunehmen. Aber der Gedanke an Mika ließ ihn diesen Plan verwerfen. Es gab noch viel zu tun. Er war kein Krieger, aber er hatte viele Kontakte.

Dort oben im Norden wurden Männer verstümmelt, niedergemetzelt und abgeschlachtet, in der Hoffnung, auf diese Weise die Freiheit ihrer Familien sichern zu können. Er war zwar ein Feigling, aber er würde zumindest nicht untätig sitzen bleiben.

Dom nickte leicht mit dem Kopf. Ja, es gab noch viel zu tun.


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