Kapitel 21

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„Senn?", Alyns besorgte Stimme riss mich aus meiner Erstarrung, die nahezu schon an eine Ohnmacht grenzte. Das Rauschen des Blutes in meinen Ohren trat in den Hintergrund, als ich langsam den Kopf wandte.

Ihr Blick flehte mich stumm an, einfach loszulachen und alles als Unsinn abzutun. Ich schüttelte langsam den Kopf und ihre Augen wurden groß. „Nein", flüsterte sie.

„Ich wusste es nicht", entgegnete ich mit brüchiger Stimme.

„Es darf nicht sein." Ich konnte das Entsetzen in ihrer Stimme hören. Sie hatte sofort verstanden: Die Geschichte schien sich zu wiederholen. Einst war mein Vater vom royalen Hof geflüchtet, weil die Liebe zu einem Ratsmitglied verboten war. Allerdings war er nicht der Thronerbe gewesen, sondern nur einer von vielen Abkömmlingen des Königshauses. Ich hingegen war der letzte.

Es fiel mir schwer, mich als einen Adeligen zu sehen. Es passte einfach nicht zu mir. Ich war ein einfacher Mann und das reichte mir.

„Wieso?", seufzte ich.

„Sie wussten es also wirklich nicht?", mischte sich Elisa ein.

„Nein", antwortete ich ehrlich.

„Das ändert vieles." Die Großmutter der Königin schien ungehalten.

„Es ändert gar nichts", widersprach ich stur. „Ein altes Bild ist längst kein Beweis für meine Verwandtschaft mit irgendwelchen Herrschern und der Brief könnte gefälscht sein."

„Natürlich wird niemand seine Echtheit bestätigen können. Ihrer Reaktion entnehme ich jedoch, dass sie Ihre eigenen Worte nicht glauben. Natürlich ist das Bild kein Beweis. Aber es wäre ein großer Zufall. Wenn es wirklich eine überirdische Macht gibt, dann sind Sie der wahre Thronerbe."

„Er ist es."

Überrascht starrte ich Sphen an, der bisher geschwiegen hatte. Seine Worte waren mit starkem Akzent hervorgebracht, aber jeder hatte sie verstanden.

Alyn warf mir einen entschuldigenden Blick zu. Sie hatte ihm offenbar das Gesagte übersetzt, während ich noch in die Diskussion vertieft gewesen war.

„Was soll das?", fragte ich den Assassinen in seiner Muttersprache.

„Erinnerst du dich an dieses Schanklied?"

Ich schüttelte den Kopf, mir nicht im Klaren darüber, wovon er eigentlich sprach.

Er summte eine leise Melodie und ich stellte erstaunt fest, dass er eine angenehme Stimme besaß. „Es kam der Prinz aus dem fremden Land..."

Ich unterbrach ihn. „Das ist nur ein Lied."

„Nein, es ist eine Prophezeiung."

Ich seufzte wieder und rieb mir müde die Stirn. Es war bereits spät und ich hatte die Nacht zuvor nicht sehr viel geschlafen.

„Wir können das nicht ignorieren", sagte die Königin.

„Was soll das heißen?", fragte Alyn angespannt.

„Sie sind jetzt nicht mehr nur noch irgendwelche Fremde, die sich zufälligerweise in unser Land verirrt haben. Er ist ein politischer Trumpf gegenüber der Herrschaft der seylschen Usurpatoren. Allein durch seine Geburt ist jede seiner Handlungen von Bedeutung. War er zuerst nur ein einfacher Reisender, ist er jetzt ein Staatsgast."

„Es ändert nichts", sagte ich erneut, im Bewusstsein, dass ich mich wiederholte. Aber die ganze Situation erschien mir so surreal, dass ich sie für ein Possenspiel gehalten hätte, wäre nicht der Ernst in den Stimmen aller derart überdeutlich. Es gelang mir nicht, das Gesagte zu verarbeiten, obwohl mir seine Tragweite längst bewusst war. „Meine Freunde sind Edelsteine und damit ein wesentlicher Teil des Rates, eines nicht unbedeutenden Organs. Meines Erachtens bedeutender als ein einzelner Mann auf einem verstaubten Thron. Ihr wusstet von ihnen, aber Ihr habt deswegen nichts unternommen."

„Der Rat ist veränderlich, seine Mitglieder sind ersetzbar. Sie jedoch sind der Letzte Ihrer Familie."

„Soll das bedeuten, ich wäre mehr wert als die anderen?" Ich konnte mich nur mühsam beherrschen. „Seyl kann auch ohne einen Monarchen an seiner Spitze existieren. Das Volk kann einen Präsidenten oder einen Lordkanzler wählen, wie in Solitar und Beerland. Niemand sollte das Recht haben, nur durch Geburt ein ganzes Land regieren zu dürfen. Abgesehen davon, dass ein König in Seyl momentan nichts zu sagen hätte."

Die Königin schüttelte entschieden den Kopf und ich konnte einen eisernen Willen in ihren Augen ausmachen. Genau dieser Blick erwartete mich, wenn ich selbst in den Spiegel starrte. „Unabhängig davon, wie die momentanen Machtverhältnisse in Seyl auch sein mögen - Erza hat zur seylschen Monarchie stets die besten Beziehungen gepflegt und ich habe nicht die Absicht, damit aufzuhören, nur weil wir Jahrhunderte keinen Kontakt mehr hatten. Ich werde dafür sorgen, dass Ihnen im Palast Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Morgen werden wir uns dann weiter beraten."

Mit diesen Worten wandte sie sich ab und rauschte davon, gefolgt von ihrer Großmutter.

Nepomuk warf mir einen entschuldigenden Blick zu und eilte dann seiner Verlobten hinterher.

„Das war ja interessant. Erstaunlich, was für Zufälle es gibt. Ach ja, tut mir leid, meine Schwester ist manchmal recht stur. Daran kann man nichts ändern. Sie hat mit mir einmal zwei Wochen nicht mehr gesprochen, nur weil ich ihr..."

Mal ließ einen Schwall Worte folgen, aber niemand schien ihr zuzuhören. Ich konnte erkennen, wie sich ihre Miene leicht verdunkelte, als ihr das bewusst wurde. Nichtsdestotrotz sprach sie weiter, bis ihr Verlobter sie sanft am Arm nahm. „Wir sollten zu Bett gehen."

Widerstrebend folgte Mal ihm und warf mir einen letzten Blick zu.

Ich starrte ihr hinterher.

„Wenn Sie mir bitte folgen würden, Eure Hoheit."

Erst als Alyn mich leicht anrempelte, wurde mir bewusst, dass der Diener, der da vor uns stand, mit mir sprach.

„Nein", weigerte ich mich. „Ich bleibe bei meinen Freunden."

„Aber..." Der Mann, der bestimmt doppelt so alt war wie ich, schien nicht so recht zu wissen, was er sagen sollte. Seine Erziehung verbot es ihm, mir zu widersprechen.

„Ich werde in die Herberge zurückkehren. Richtet Eurer königlichen Majestät einen schönen Gruß aus. Ich empfehle mich."
Grimmig marschierte ich auf die Tür zu, durch die wir hineingekommen waren.

„Senn!" Die anderen eilten mir hinterher. „Senn, du kannst nicht einfach einen königlichen Befehl ignorieren!" Alyn schloss zu mir auf.

„Ich habe keinen Befehl gehört."

„Wir können es uns nicht leisten, die Königsfamilie gegen uns aufzubringen. Denk doch einmal an die politischen Folgen. Du bist der Thronfolger von Seyl. Wir sind hier als Bittsteller. Was werden die Leute sagen? Erza wird uns nicht unterstützen, wenn du ihre Autorität nicht würdigst."

„Wir wollen gar nichts", entgegnete ich kalt. „Wir sind nur auf der Suche nach einem Edelstein und wir haben ihn gefunden. Wir werden nach Seyl zurückkehren und die ganze Sache einfach vergessen."

Sie packte mich am Handgelenk und hielt mich zurück. „Sieh mich an!", befahl sie mir.

Widerwillig blieb ich stehen. Obwohl ich meine wahren Gefühle hinter einer undurchdringlichen Maske verborgen hatte, konnte sie in mir lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch. Ihre Miene wurde weicher. „Ich weiß, dass dich das aufwühlt. Aber ich kann mir niemanden vorstellen, der ein besserer König wäre als du. Du handelst längst danach. Nun hast du aber auch die Mittel dazu. Nur weil dir die Vorstellung nicht behagt, musst du nicht auf einmal auf stur schalten."

„Alyn, ich bin ein Mörder. Laut Gesetz gehöre ich in den Kerker und nicht auf einen Thron. Mal abgesehen davon, dass ich mich dort nicht wohlfühlen würde. Wer würde jemanden mit meiner Vergangenheit schon akzeptieren?"

„Das Volk liebt dich."

„Das Volk ist idealistisch. Sie halten mich für eine Art Wächter der Gerechtigkeit, der die ungerechten Taten der Oberen und ihrer Unterstützer rächt. Jemand, der den einfachen Menschen ein Gefühl der Macht gibt, weil sie in ihrer Hilflosigkeit nicht allein gelassen werden. Das heißt noch lange nicht, dass mir deswegen völlige Narrenfreiheit zugesichert werden darf."

„Das ist doch Vergangenheit."

„Es beweist meine fehlende Integrität. Ich wäre immer ein Mann, dem man nur wenig Vertrauen entgegenbringen kann. Meine Ansprüche würden immer in Zweifel gezogen werden."

„Die Götter würden dich bestätigen?" Es klang wie eine Frage. Eine Frage, auf die sie vermutlich längst die Antwort kannte.

„Ja, das würden sie, nicht wahr?", entgegnete ich leise. Die Götter, denen ich noch einen Gefallen schuldete. War ich allen Katastrophen nur entkommen, um eines Tages auf einem Thron zu sitzen, den ich nicht wollte? Ich dachte an Onyx' Worte: Vielleicht war es notwendig, damit alles hiermit enden kann. Mit mir. Die Götter hatten bestimmt, dass mein Leben geopfert werden sollte. Wollten sie das Königsgeschlecht von Seyl mit mir auslöschen? Musste ich sterben, damit das Volk endlich sein Mitspracherecht bekam? Schlussendlich änderte sich nichts. Seit mein Vater gestorben war und mein Onkel mich bei sich aufgenommen hatte, war mein Durst nach Freiheit stetig gewachsen. Selbst als ich sie längst erlangt hatte, war ich ein Getriebener geblieben. Von meinem eigenen Wunsch nach Rache. Nun hatte ich endlich meinen inneren Frieden gefunden, in Alyn und auch in den anderen. Doch nun war dieser mir wieder genommen worden.

„Senn." Rosenas leise Stimme, riss mich aus meinen düsteren und missmutigen Gedanken.

Sie blickte zu mir auf. Obwohl sie etwas größer war als Lapislazuli fehlten ihr ungefähr zwei Köpfe, um mir gerade in die Augen schauen zu können. „Ich bin froh, dass du es bist."

Leicht gerührt setzte ich ein schiefes Lächeln auf. „Danke, Ro. Aber du weißt nicht, was ich alles getan habe."

Fast trotzig verschränkte sie die Arme. „Doch", sagte sie. „Ich weiß sehr wohl, was du getan hast. Was du für mich getan hast. Ohne dich..." Ihre Stimme begann zu zittern und mit ihr auch ihre zierliche Gestalt. Sie musste nicht weitersprechen.

„Bei den Göttern. Rosena, es tut mir leid."

Sie bemühte sich um ein Lächeln. „Nein, du musst dich nicht entschuldigen. Ich schulde dir so viel. Ich weiß, dass du deine Sache gut machen wirst. Einfach, weil du selbst schon ganz unten warst. Du weißt, wie es den Leuten dort geht und du hast dich um sie gekümmert. Ihnen geholfen. Ohne, dass du es selbst gemerkt hättest."

Ich runzelte die Stirn. „Du meinst, indem ich irgendwelche Leute getötet habe?"

„Genau das meine ich. Dir ist es nicht einmal bewusst."

„Ich..."

Alyn schüttelte den Kopf. „Du bist ein hoffnungsloser Fall. Komm Ro, lassen wir ihn einmal allein. Vielleicht kommt er dann ja von selbst darauf. Er ist ein sturer Esel, egal, was wir ihm sagen, er hört sowieso nicht."

„Ich...", gab ich ein wenig hilflos von mir, als Lapislazuli mir einen amüsierten Blick zuwarf.

„Manche Anführer sehen sich als Anführer. Aber oftmals bedeutet wahre Führungskraft, sich nicht zu sehr in der Position zu gefallen. Auch zurücktreten zu können und seine eigenen Fehler zu erkennen. Du hast viele Fehler gemacht, doch bist du auch bereit, aus ihnen zu lernen. Ich glaube nicht an eure Götter, ich glaube nicht einmal daran, dass Männer besonders gute Führer abgeben, wo sie doch oftmals viel zu stark von ihren primitiven Instinkten gesteuert werden. Aber für einen Mann machst du deine Sache gut und wenn es eure Götter wirklich gibt, dann vertraue darauf, dass sie wissen, was sie tun. Das sollten Götter nämlich."

Damit eilte sie hinter den beiden anderen Frauen her. Schließlich stand Sphen vor mir. Wenn ich in sein Gesicht starrte, konnte ich dieselbe Mischung aus Entschlossenheit und Maskenhaftigkeit ausmachen, die mich selbst auszeichnete. Auch er verstand es, seine Gefühle zu verbergen.

„Was willst du mir für einen Rat geben?", fragte ich erschöpft.

Er grinste. „Ich habe nicht alles verstanden. Aber du bist ein König. Das ist doch großartig. Du bekommst alle Frauen, die du willst und die Leute, die dir nicht gefallen, sperrst du einfach ein."

Ich wusste, dass er das nur sagte, um mich aufzuheitern. Trotzdem gelang mir nur ein müdes Lächeln. „Nun, noch bin ich kein König. Vielleicht werde ich es ja nie sein."

Sphen klopfte mir auf die Schulter und ich konnte ein Zusammenzucken nur gerade so unterdrücken. „Das wird schon. Wir sind ja auch noch da. Sind wir dann deine neuen Untertanen?"

Alyn und Rosena zweifelslos. Aber was war mit Sphen und Lapislazuli? Gab es Regelungen für solche Fälle? Mir wurde bewusst, dass ich so gut wie gar keine Ahnung von Politik hatte.

„Ich weiß es nicht", antwortete ich deshalb wahrheitsgemäß.

„Ach, wenn nicht, dann machst du uns einfach dazu. Die Beziehungen zwischen Skaramesch und Seyl sollten gefördert werden."

„Ich befürchte, du denkst viel zu weit."

Er lachte und wandte sich zum Gehen. „Du bist der pessimistischste Mensch, den ich kenne."

„Realist", murmelte ich. „Ich bin Realist."

Wladi folgte eilig den anderen und auf einmal stand ich allein im leeren Flur. Nur der alte Mann wartete noch bei mir. Sein Mund hatte die Form eines umgedrehten U, was ihm einen leicht grimmigen Ausdruck vermittelte.

Als ich ihn anstarrte, nickte er mir nur zu. „Wäre seine Hoheit dann so weit?"

Seine Miene verriet nicht, was er wirklich von mir dachte, auch wenn er zweifellos alles mit angehört hatte.

Ich folgte ihm durch die Gänge, die zwar allesamt noch erleuchtet waren, aber drückend und düster schienen.

Ein Mann kam uns entgegen, der mir kaum Beachtung schenkte, sich jedoch leicht vor meinem Begleiter verneigte und weitereilte. Gab es in Palästen eine Hierarchie unter den Dienstboten? Gewiss. Es musste eine Befehlsstruktur geben.

Aber ich konnte es nicht sicher sagen.

Weil ich keine Ahnung hatte.

Wieder sammelte sich ein Geschmack von Bitternis in meinem Mund. Der Mann schien von alldem nichts zu bemerken.

Schließlich standen wir vor einer Tür. Der Mann öffnete sie, drückte einen Schalter und Lichter flammten auf. Der Raum war größer als mein Haus in Seyl, welches durch die vorangestellten Verkaufsräume schon zu den geräumigeren gehörte.

Der Diener deutete mein Zögern falsch. „Falls es Ihnen zu klein ist, lasse ich eiligst einen anderen Raum herrichten."

„Nein", sagte ich hastig. „Es passt alles, danke."

Der Mann nickte nur und verbeugte sich tief. „Sollten Sie noch etwas benötigen, können Sie einfach klingeln." Er wies auf eine Schnur. „Ich wünsche eine angenehme Nacht."

„Danke", sagte ich nochmals. „Die wünsche ich Ihnen auch."

Sobald er verschwunden war, machte ich mich daran, den Raum zu untersuchen.

Das Bücherregal war mit ein paar Titeln gefüllt, die weder geschichtliche Ereignisse wiedergaben noch von wissenschaftlichen Erkenntnissen berichteten. Nachdem Religion in Erza eine eher untergeordnete Rolle spielte, hatte ich beileibe keine spirituellen Texte erwartet, aber die Werke handelten anscheinend von ausgedachten Geschichten. Fasziniert blätterte ich sie durch.

Dann trat ich ans Fenster und starrte in die Finsternis. In der Ferne konnte ich die Lichter der Stadt ausmachen. Dort draußen waren meine Gefährten. Es grämte mich, dass sie mich zurückgelassen hatten.

Es war nicht rechtens. Sie waren meine Freunde und ich würde mich nicht schon wieder von ihnen trennen lassen. Sie waren mir gefolgt und ich würde mich nicht von ihnen abwenden. Entschlossen drückte ich die Klinke der Tür nach unten und verließ leise den Raum. Zuvor drückte ich aber noch den Schalter, den der Diener betätigt hatte. Wer wusste schon, was passieren würde, wenn ich es nicht tat. Dann folgte ich dem Gang.

Ich würde morgen zurückkehren. Mit den anderen. Dann würden wir weitersehen.

Niemand begegnete mir, während ich durch den labyrinthartigen Palast irrte. Ich bedauerte, dass mein unfehlbarer Orientierungssinn nur in Seyl funktionierte. So hatte ich nur ein ungefähres Gefühl, wo ich mich befand.

Auf einmal stand ich vier Wachen gegenüber, die gerade eben um die Ecke bogen.

Da ich nichts Verbotenes tat, hatte ich auch nicht darauf geachtet, ob sich noch andere Menschen in der Nähe aufhielten.

Die drei Männer und die Frau hielten überrascht inne. „Was machen Sie hier?", fragte die Frau. Sie besaß die gleiche selbstbewusste Ausstrahlung wie Alyn oder Lapislazuli.

„Ich gehe zu meinen Freunden", erklärte ich.

„Mitten in der Nacht? Im Königspalast?" Einer der Männer lachte beißend.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, meine Freunde sind nicht hier. Darum suche ich den Ausgang, aber dieser Palast ist ein wahres Labyrinth."

„So unverfroren war noch niemand. Sag, wie bist du hier reingekommen? Was willst du wirklich? Einen Blick auf die Königin erhaschen? Etwas Tafelsilber stehlen?"

„Nein. Ich bin hier zu Gast. Doch ich habe meine Meinung geändert. Ich werde in der Herberge übernachten. Ich bin kein Dieb."

Ein seltsames Déjà-vu überkam mich. Wieso wurde ich nur immer für einen Dieb gehalten? Inzwischen trug ich sogar die Kleidung, die Lars mir gegeben hatte und die feiner war als das Meiste, was ich je besessen hatte.

„Das sagen sie alle."

„Bitte." Das Wort fühlte sich falsch in meinem Mund an. „Das ist alles nur ein Missverständnis. Die Königin bestand darauf, dass ich die Nacht hier verbringe, aber das ist nicht rechtens."

„Natürlich ist das nicht rechtens. Wärst du ein geladener Gast, hätte man uns davon in Kenntnis gesetzt."

„Es war alles sehr kurzfristig. Sie können gerne mit einem Angehörigen der Königsfamilie sprechen. Diese werden Sie über alles aufklären."

Die Frau runzelte die Stirn. Sie schien erste Zweifel zu hegen und auch die beiden Wachen im Hintergrund warfen sich fragende Blicke zu. Der übrige Mann jedoch schüttelte den Kopf. „Du weißt genau, dass wir niemanden der Hoheiten aus dem Schlaf reißen wollen. Aber wir werden sie morgen fragen. Die Nacht kannst du in einer Zelle verbringen, damit du auch nicht wegläufst."

Ich wich zurück, als er nach mir griff. „Bitte", sagte ich wieder. „Tun Sie das nicht. Das ist ein Fehler."

„Nehmt ihn mit."

Fast hätte ich gelacht. Ich sollte auf den Thron gehievt werden? Wahrscheinlich würden mich meine eigenen Wachen gleich als Allererstes verhaften. Ich drehte mich um und ergriff die Flucht.

Vielleicht war das nicht die klügste Handlung, aber weder wollte ich die königlichen Gardisten zusammenschlagen, noch hatte ich Lust darauf, eine Nacht in einer kalten, feuchten Zelle zu verbringen.

„Stehen bleiben!"

Ich konnte nur hoffen, dass keiner von ihnen eine Armbrust besaß.

Offenbar nicht, denn statt des Sirrens eines Bolzens ertönten rasche Schritte.

Blind rannte ich durch die Gänge, in der Hoffnung, irgendwo einen Ausgang oder ein Versteck zu finden.

Fast wäre ich gegen einen überraschten Diener gestoßen, der mich mit offenem Mund anstarrte. Ich entschuldigte mich hastig und lief weiter. Bis ich schließlich auf weitere Wachen stieß. Diese versperrten mir den Weg, als hinter ihnen der Ruf ertönte, mich aufzuhalten.

Ich seufzte und hob ergeben die Hände. Vielleicht hätte ich acht bewaffnete Leute besiegen können. Aber nicht, wenn ich niemanden dabei verletzen wollte.

Einer meiner Verfolger trat von hinten an mich heran. Ich konnte sein lautes Keuchen hören, als er mir die Arme hinter dem Rücken verdrehte und mit Handschellen fesselte.

Nun, eine Nacht auf hartem Boden würde mich schon nicht umbringen. Ergeben ließ ich zu, dass der Gardist meinen Oberarm packte und mich mit sich zog.


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