Freie Magie.

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"Es ist nie ganz bekannt geworden, wie Kaar
die alten Götter überlistete und sie
ins Exil lockte."
- aus den Schriften der Alam.
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          „Kaliee, bist du in Ordnung?", Henrics besorgte Stimme suchte sich ihren Weg zu mir durch die Dunkelheit, bereit mich wieder unter die Lebenden zu locken. Denn dieses Aufwachen hatte Ähnlichkeiten zu dem letzten Mal, als eine Leiche neben mir lag. 

Mein Kopf pochte, als wolle sich irgendwas durch meine Schädelwand herausgraben. Sämtliche Muskeln protestierten gegen meinen schaukelnden Untergrund und meine merkwürdig verrenkten Gliedmaßen. Ich fühlte mich, als wäre ich von einem Pferd gefallen. Mehrfach. Kopf zuerst.

Warum schaukelte der Waldboden? Die Frage zersplinterte hinter meinen geschlossenen Lidern in kleine Scherben aus Schmerz. Irgendjemand legte große Hände auf meine eine Schulter und fast hätte ich unter der Wärme geseufzt. Dann wurde ich geschüttelt.

„Aufwachen, Prinzessin. Der Schönheitsschlaf ist vorbei und du willst wirklich sehen, was hier vor sich geht." Das war Yessi.

Ich würde ihn umbringen. Meine Zähne klapperten und ein spitzer Stein rollte in meinem Hirn vom Hinterkopf vor zur Stirn und wieder zurück. Ich machte die Augen auf, nur um mich besser gegen ihn wehren zu können, die Hände schimpfend ausgestreckt. 
Oder zumindest wollte ich sie ausstrecken, denn irgendetwas hinderte mich und machte die Bewegung ungelenk. 

Henric, Yessi und Kaar lehnten über mir, aber nur einer von ihnen sah wirklich besorgt drein. Hinter ihnen hoben sich ein Gitter kaum noch von dem dunkelwerdenden Himmel ab, in dem die ersten Sterne zu mir herunter blinzelten. Glühwürmchen hatten sich darauf gesetzt und wackelten mit jedem Holpern meines Bodens aus dem Fokus meiner Augen und wieder zurück. 

Warum war da ein Gitter im Himmel? Eine böse Vorahnung lächelte mich aus den Lücken in meiner Erinnerung an. Was hatte ich verpasst? 

„Hat es funktioniert?", Kaar hätte für meinen Geschmack ein klein wenig weniger begeistert aussehen können. Auch jetzt leuchtete er mit den kleinen Wesen um die Wette, seine roten Haare wie glänzendes Kupfer. Er war ein Gott seiner Natur und ich wollte ihm gerne mit einer Handvoll Erde das Grinsen aus dem Gesicht wischen.

Aber ich lag nicht mehr auf dem weichen Waldboden, sondern auf Holz. Gefälltem und geschnittenem Holz, das in seiner Gesamtheit  die Form eines Wagens ergab. Zumindest passte das dumpfe Hufgeklapper und die leise murmelnden Stimmen um uns herum dazu. 

Mir fehlte immer noch ein sehr wichtiges Puzzleteil. 

„Hat was funktioniert?" Ich musste meinen Kopf festhalten, während ich mich mit Henrics Hilfe langsam aufrichtete. Laub noch aus dem Wald klebte in meinen Haaren und Gras an meinen Händen. Letztere wischte ich an meiner Stirn ab, innerlich wünschend, ich könnte mich wieder hinlegen. Wenn ich gestorben wäre, würde er mir das sagen, oder? 

Yessi lehnte sich zurück. Er saß auf einer Bank neben Kaar und gegenüber von Henric und sah so finster drein, als hätte ich schon wieder einen Krieg begonnen. Seine Hände waren mit einem dicken Seil gefesselt, das vor meiner Auszeit definitiv noch nicht da gewesen-... 

Im Hintergrund wieherte ein Pferd. 

Die Reiter... Das Schwert! Mein Puls verdoppelte sich prompt. Ein Blick in jede Richtung verriet mir, dass unser Wagen Teil eines kleinen Trosses war. Soldaten in dunkler Rüstung und mit mir schrecklich bekannter gelber Farbe auf den Wappen ritten vor und hinter uns. Ihre Blicke waren abgewendet, besorgt auf die vorbeiziehenden alten Bäume gerichtet, aus deren nächtlicher Schatten uns dutzende leuchtende Augenpaare beobachteten. 

Ich ruckte aufrechter, bereit aufzuspringen und wurde nur von Henric zurückgehalten. Yessi erwiderte meinen Blick.
"Bachars Männer", bestätigte er meine Vermutung. Er versuchte gleichzeitig die Männer vor und hinter uns im Auge zu behalten, während Henric sich weiter über mich beugte. "Sie haben auf uns gewartet."

Bachar? Auch meine Atmung beschleunigte sich und für einen kurzen Augenblick vergaß ich Kaar und was auch immer er mich gerade gefragt hatte. Yessi stand mit Bachar im Krieg.
"Warum? Woher wusste er-...", ich brach ab, als ich mich an Roussex Beschreibung der Männer in fremder Rüstung erinnerte. Männer, die ihren Weg durch den Wald kannten. 
"Was habt ihr mit uns vor?" 

Ich hatte nur halblaut gesprochen. Eher ein Laut aus purer Verzweiflung während sich die möglichen Antworten in meinem Kopf wie schwarze Felsbrocken stapelten. Antworten, die ich außer ein paar langen Blicken nicht bekam. Nicht einmal eine halbe Reaktion aus Männern, die sich in Schweigen wie eine zweite Rüstung hüllten. 

Henric starrte grimmig zu ihnen hinüber, Spannung in jedem Muskeln. 
"Gib dir keine Mühe. Man hat uns eine Falle gestellt." 

Ich war sehr dankbar, dass er wir und nicht dir gesagt hatte. Henrics Fesseln sahen aus, als hätte jemand an ihnen genagt. Yessis Knöchel waren wund und verfärbt und ein neuer blauer Fleck zierte seine Schläfe.
Alle beide sahen müde aus, als hätten sie ihre letzten Kräfte für vergebliche Befreiungsversuche gegeben, die jetzt wie Blei auf ihren Muskeln lagen. 

Yessis Augen fanden in der Dunkelheit meine und für einen kurzen Moment verlangsamte sich mein hämmernder Puls zu einem erträglichen Schlagen. Er studierte mich unter schweren Lidern, las meine bleibende Frage aus meinem Gesicht. 
"Meine Gefangennahme wäre eine Möglichkeit den Krieg zu beenden." Er sprach leise, gedämpft, ein winziges Stück seiner Rüstung hergebend. 

Henric, der als Einziger nicht verstand, wovon er redete, sandte ihm einen düsteren Blick, doch er kommentierte den Satz nicht. Sagte nicht, dass er den jungen König gerne ausgeliefert hätte, wenn dies bedeutete, dass er mich nach Hause schleifen konnte. Hielt seine Lippen zusammengepresst, als würde er sich selbst verbieten, zu sprechen. Er saß stocksteif neben mir, die Schultern durchgedrückt und die Augen wachsam. 

Sie hatten mich benutzt, um Yessi auszubrechen. Übelkeit begleitete die Erkenntnis. Und ein Muster, dass ich nicht wahrhaben wollte. Seine Gefangennahme hatte er gesagt, aber wir beide wussten, dass er seinen Tod meinte. Und als hätte ich ihn gerufen, wanderte Eis bei dem Gedanken durch meine Adern und verbreitete eine neue Dunkelheit, die selbst die leuchtenden Schlingpflanzen an den Bäumen nicht erhellen konnte. Wir mussten hier raus. Wir mussten hier raus. Wir mussten-... 

Yessis Hand an meinem Knie stoppte meine Gedanken und holten den Fokus meiner Augen auf sein Gesicht zurück, das von unten zu mir aufsah. 
"Sie wussten, dass du eine Leiche in deinem Bett nicht un-untersucht lassen würdest- aber sie konnten nicht wissen, dass du mich dazu ausbrichst." Er sprach ruhig und eindringlich. Jedes Wort ein gezielter Pfeil, der meine Panik durchbrechen sollte. 

Sein Tonfall zwang meine Atmung zu einem normaleren Tempo zurück. Zwang mich, kurz zu überlegen, ob seine Logik Sinn machte und zurück in unseren jetzigen Moment zu kommen. Doch. Es war zu erwarten, dass ich meine Ermittlungen nicht ohne ihn machen würde. Der einzige Fehler, den Bachar gemacht hatte, war anzunehmen, dass ich es nicht auch ohne Mordfall getan hätte. 

Im Augenwinkel bemerkte ich Henrics Blick auf Yessis Hand. Sie ruhte immer noch auf meinem Knie und instinktiv zuckte ich zusammen. Yessi zog sofort seine Hand zurück und noch bevor ich auch nur einen Laut von mir geben konnte, hatte er den Blick wieder nach draußen gewandt und die Mauern in seinem Gesicht vorgezogen. 

Für Kaar machte es anscheinend keinen Unterschied, wo oder in wessen Gewalt wir uns befanden. Er beobachtete die ganze Situation mit milder Erheiterung, ehe er sich wieder vollkommen mir zudrehte. 
„Ich meinte das Ritual. Hast du den Mann gesehen? Wo ist er?"

Ich musste mehrfach blinzeln, um zu ihm zurückzukommen. Egal wem Yessi die Schuld gab, wir mussten hier raus. Ich hatte ihn nicht aus einer Zelle befreit, nur um ihn hier wieder in einer sitzen zu lassen. 
Mein erster Blick ging zu der schmalen Tür an der Rückseite des Wagens, an der ein dickes, halbverostetes Schloss hing. Es schwang leise quietschend mit dem unebenen Boden mit. 

„Ritual?", Henric hatte wieder begonnen seine Fesseln gegen die raue Holzkante seiner Bank zu reiben, doch jetzt hielt er inne. Ich saß zwischen den beiden Bänken vor ihm und mein Blick sprang vom Schloss zu ihm. Dreck hatte sich wie Kratzspuren auf seinem Gesicht verteilt, aber selbst jetzt sah er noch makellos und perfekt aus. 

Mein Blick kehrte zu dem Schloss zurück. Der Wagen hinterließ Spuren in dem moosigen Boden, aber die Reiter kannten den Sakella-Wald gut genug, um Pfade zu finden, die ausreichend für einen Tross waren. Die ansonsten dichten Bäume könnten uns Sichtschutz bei einer Flucht geben. Wenn wir das Schloss knacken konnten-... 
"Ich habe Haarnadeln..." setzte ich an, doch Henric ließ sich nicht so leicht abwimmeln. 

"Welches Ritual?" Er klang zunehmend besorgter, als wäre er sich nicht sicher, ob Kaar oder ich die Personen waren, denen er ein geglücktes Ritual zutraute. 

Mein Zögern lockte auch Yessis Aufmerksamkeit zurück. Reizte seine Neugierde trotz der abwehrenden Haltung, die er mir und der Welt gegenüber eingenommen hatte. Er studierte mich vor sich, wie jemand der erwartete, jeden Moment geschockt zu werden. Ein kalkulierender Ausdruck, der nur von seinen intelligenten Augen abgemildert wurde. Es war unmöglich wegzusehen. Unmöglich, nicht verzweifelt an den kleinen Geheimnissen festzuhalten, die sich teilweise in Papierform noch immer in meiner Rocktasche befanden. 
'Der Tod deiner Eltern war kein Unfall.' Oh ja, das würde prima funktionieren. 

"Redet mit mir. Was habt ihr zwei getan?", warf Henric erneut ein, seine Befreiungsversuche momentan vergessen. 

Ich schaffte es nicht, mich von Yessi loszureißen, also versuchte ich es mit einem ärgerlichen Blick in seine Richtung. Er wollte mich abschotten? Gut. Aber er musste auch nicht immer alles wissen. Auch, wenn ich ihm vom Ritual wahrscheinlich erzählt hätte, wenn er nicht so misstrauisch wäre. 

'Trotzreaktion', glaubte ich Moira in meinem Hinterkopf zu hören. 

Yessi lehnte sich zu mir herunter, eine gefesselten Handgelenke zwischen seinen Knien. Sein Gesicht kam so nahe, dass ich einzelne Sommersprossen auf seiner Haut sah. Den Schatten, den seine Wimpern auf seinen Wangenknochen hinterließ. Er hörte, wie ich instinktiv die Luft anhielt und ein kleines, sadistisches Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
Wo ist wer, Kaliee?", er sagte meinen Namen so zuckersüß, dass ich ihm am liebsten eine Kopfnuss gegeben hätte. 

Allein Kaars Räuspern hielt mich davon ab, als könne er meine Gedanken lesen. Kopfschmerzen pulsierten mit jedem Stock über den der Wagen holperte. Ich stoppte meine Impulse, tat einen tiefen Atemzug und erwiderte dann genauso liebenswürdig: "Kannst du ein Schloss aufbrechen, Yessi?" Und nur weil ich schlechte Laune hatte, fügte ich noch ein wenig Wimpernklimpern hinzu. 

Ganz langsam löste sich Yessis Blick von mir und wanderte hoch zu Kaar, sein provokanter Ausdruck in etwas Gefährliches umwandelnd. 
Wo ist wer?", wiederholte in seiner eigenen Sprache, anscheinend bereits am Ende seiner Geduld mit mir angekommen. 

Henric betrachtete Yessi als müsse er eine sehr schnelle Gefahreneinschätzung abgeben.
„Du weißt, dass jeder von uns deine Sprache spricht? Inklusive ihr?"

Oh, nein. Für einen winzigen Moment schloss ich meine Augen, mehrere Erinnerungen sehend, wie ich hatte Yessi und Lichi hatte jedes Wort für mich in Tacia übersetzen lassen, um nicht preiszugeben, wie viel ich wirklich mitbekam. Lichi wusste inzwischen, dass ich alles verstanden hatte, aber Yessi... 

Yessi hatte mir anvertraut, dass er Magie wirken konnte und ich hatte erwidert, dass ich keine Geheimnisse hätte. Nichts, was ich mit ihm teilen konnte. Kein Stück meiner eigenen inneren Rüstung für das Stück, das er mir bereitwillig überreicht hatte. 

Jetzt sah er mich nicht einmal an. Er blinzelte lediglich langsam, ein weiters Puzzlestück für später festhaltend, das sein Bild von mir veränderte, bis er mich kaum noch erkannte. Schließlich richtete er sich wieder auf. Löste die Spannung auf, wie jemand einen Drachen dem Wind übergab und ihn ohne einen weiteren Blick zurückließ. 
„Nein. Das wusste ich nicht. Aber vielleicht möchte mir trotzdem jemand erklären, warum sie bewusstlos auf dem Waldboden zusammengebrochen ist?" 

Eigentlich nicht.  Denn das beinhaltete noch mehr Geheimnisse vor ihm und ich war mir nicht mehr sicher, ob er danach überhaupt noch mit mir reden würde. Stattdessen fasste ich Kaar ins Auge. "Ich habe ihn erkannt. Er steht immer noch in einem See. Und er hatte merkwürdige blaue Tätowierungen, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe."

Ich ließ mir von Henric helfen, mich neben ihn auf die Bank zu setzen. Von außen wurden uns misstrauische Blicke zugeworfen, doch wenn ich recht hatte, konnten uns die Männer nicht verstehen. 

Kaar schenkte mir einen milde tadelnden Blick, als habe er Moiras Stimme ebenfalls im Ohr und wandte sich dann an die zwei anderen. „Wir haben ein Ritual gewirkt, um den Mann zu finden, der vielleicht deinen Bruder in einen Massenmörder verwandelt hat", erklärte er wie jemand, der von einem Ausritt berichtete.

Henric griff dorthin wo sonst immer sein Schwert an seinem Gürtel gehangen hätte, plötzliche Spannung in all seinen Muskeln. Kaar ignorierte diese Reaktion auf seine Erklärung gekonnt und wandte sich stattdessen an mich: „Erinnerst du dich noch, was das Tattoo dargestellt hat?"

Ich antwortete nur zögerlich, deutlich abgelenkter durch das alarmierte Verhalten meines Freundes. „Ja, ich-..."

„Oh nein", ging Yessi dazwischen, die Hände in Fesseln erhoben, als müsse er uns auseinander drängen, „Wir werfen nicht die Worte: Ritual und Massenmörder herum, als würden die alles erklären. Ich habe Fragen, er hat Fragen und dieses merkwürdige Kaninchen, dass dich nicht in Ruhe lassen will, hat sicherlich auch Fragen."

Mein Blick fiel auf Kaars Füße, neben denen tatsächlich ein kleines braunes Kaninchen saß und Anstalten machte, sich Schlafen zu legen. Mit einem herzzerreißend weichen Lächeln beugte er sich herunter und nahm es auf den Arm, wo es sich sofort streckte, gähnte und einkuschelte.

Ich schluckte. Das war keine leichte Wahrheit. 
„Irgendjemand schneidet Mitgliedern von königlichen Familien die Kehlen auf. Der Königin aus Fell, unserem König...", ich stockte, nur ganz kurz. Stolperte über die nächsten Worte, „... mir und-..." deinen Eltern. Aber das sagte ich nicht. Die Zeichnungen knisterten in meiner Rocktasche. Aber ich sagte es nicht.

Yessi hatte ein Recht darauf, zu erfahren, was womöglich mit seinen Eltern geschehen war. Aber nicht so. Nicht vor zwei ihm fremden Männern, in einem Käfig umringt von fremden Soldaten, von denen einer nun näher ritt und mit einem Schild gegen die Gitterstäbe schlug.
"Ruhe!" 

Ich zuckte unwillkürlich zusammen und für mehrere Minuten sagte niemand mehr etwas. Das Schweigen nur gestört von dem Hufschlag der Pferde und dem Flüstern des Windes in den Blättern um uns herum. Wir mussten von hier verschwinden. 

„Das war alles dein Bruder?", Henrics Stimme klang leise, beinahe hohl. Ein Glühwürmchen tanzte um seinen Kopf herum, doch seine Aufmerksamkeit galt allein Yessi, als er seine eigenen Lücken in der Geschichte füllte, „Dein Bruder hat ihr das angetan?"

Er sagte es wie ein Vorwurf. Als habe er von Yessi erwartet, dass er mich vor solchen Situationen beschützen würde. Und ich wusste, dass Yessi dasselbe dachte. Auch wenn es unmöglich gewesen war. Wir hatten einen Mörder stoppen wollen. Und am Ende hatte er alles versucht. 

Meine Finger fanden die feine Narbe an meinem Hals ganz alleine. Ich spürte Yessis Blick an mir kleben und für mehrere Herzschläge fühlte ich mich, als zöge er mich durch einen Tunnel zu sich heran, bis wir alleine mit den zirpenden Grillen im Wald standen. 
„Warum?", fragte er still, als rede er wirklich nur mit mir, „Ich kenne nur sein Motiv für seinen Angriff auf dich. Warum würde er all diese Menschen töten?"

Ich hörte die Bitte dahinter und noch etwas in mir zerbrach. Es hatte seinen Grund, warum ich noch am Leben war und ich würde niemanden enttäuschen. 
„Wir glauben, jemand anderes lenkt ihn. Jemand, dessen Motiv wir noch nicht kennen."

Der Mann im See. Unfreiwillig kam er zu mir zurück, wie er mich aus Marus Augen angesehen hatte, so ähnlich zu Yessis Augen und doch vollkommen fremd. Ohne Tiefe.
Ich schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen loszuwerden und fokussierte mich stattdessen auf etwas anderes. Das Tattoo.

In meinem Rock hatte sich ein kleiner Ast verfangen, den ich vorsichtig aus dem Stoff befreite und nutzte, um in die fauligen Bretter des Bodens das Muster hineinzuritzen. Oder ich versuchte es zumindest und malte schließlich mit dem grünen saftigen Ende. 

„Lenken? Wie durch Erpressen?", fragte Yessi nach, doch der kurze Moment zwischen uns war gebrochen und die Frage mehr an alle anderen gestellt als an mich.

„Durch Magie", erklärte Kaar, das Kaninchen in seinen Armen wiegend, „Kaliee konnte ihn in den Augen deines Bruders sehen."

Im Augenwinkel bemerkte ich, wie Yessi mich bei dem Wort Magie ansah, die Arme plötzlich nicht mehr locker herunterhängend und der Rücken durchgedrückt. Doch Henric ging dazwischen, bevor Yessi irgendetwas nachfragen konnte.
„Magie ist ausgestorben. Und selbst wenn... warum sollte Kaar jemanden mit Macht beschenken, der gleich gegen das Erste seiner Gesetze verstößt?" Keine Gewalt.

Technisch gesehen, war das nicht das erste Gebot, aber ich ließ es durchgehen, weil ich die Zeichnung des Symbols auf dem Holz fertig gestellt hatte. Kaars Blick fiel ebenfalls darauf.
„Vielleicht damit."

Beide Männer beugten sich näher, Yessi mit gerunzelter Stirn, Henric plötzlich blass, als er sah, was ich gezeichnet hatte. Das Symbol wurde immer wieder abwechselnd von dem hoch stehenden Mond und den fluoreszierenden Blumen erhellt. In dem bewegten Licht sah es beinahe aus, als löse es sich aus seiner Form, als hebe es sich von dem morschen Boden ab. 

„Das war sein Tattoo. Aber nicht wie schwarze Tinte, sondern...", erklärte ich, mühsam das Bild zusammenstückelnd, das sich immer wieder hinter heftigen Wellen an Kopfschmerzen versteckte.

„Blau leuchtend? Als hätte es jemand in seine Haut geschnitten und darunter ein Licht offenbart?", half Kaar mir aus, ebenfalls sich tiefer beugend. Sein breites Lächeln war verschwunden, nachdenklicher geworden, „Es sieht wirklich toll aus, wenn man nicht weiß, was es bedeutet. Aber ihr beide .... Ihr habt es schon mal gesehen, nicht wahr?"

Er musste weder Yessi, noch Henric dabei ansehen. Ich tat es für ihn. Henric und Yessi hatten solche Tattoos schon mal gesehen? Wo? Und warum? Was hatte das zu bedeuten? 
Der Wagen wackelte und weiter vorne wieherte ein Pferd. 

Yessi erklärte sich als Erster. Verwirrung machte seine Worte zögerlich, als wäre er sich nicht ganz sicher: „Andrew- mein Steward- hatte ein Buch mit ähnlichen Zeichen. Nicht exakt solche, aber die Form..." Er zeichnete sie  in die Luft, als könne er sich so besser erinnern. Sein Verstand in vollem Tempo. 

„Ah!", Kaar hob einen Finger und sein Grinsen kehrte zurück, vollkommen an mich gewandt, „Erinnerst du dich an den kleinen Stern an seiner Kette, den er immer berührt hat, wenn du in den Raum gekommen bist? Behalte den im Hinterkopf." Er nickte zu sich selbst, als würde er Sinn ergeben.

Was ich, und vor allem Yessi, der erst Kaar und dann mich ansah, nicht bestätigen konnten. „Woher-...?", setzte er an, doch Kaar sprach bereits wieder. 

„Aber das erklärt nicht, warum unser Hauptmann hier weiß wie eine Gans wird."
Er hob den Kopf und erstaunt bemerkte ich, dass Henric sich nicht mehr über das Symbol lehnte, sondern rückwärts gegen die Gitterstäbe presste. 

In der hereinbrechenden Nacht war er beinahe leuchtend weiß. Kaar und ich teilten denselben Teint, der sich mit den Jahreszeiten kaum änderte. Yessi war deutlich heller und Henric, der nicht gebürtig aus Eslaryn kam, ebenfalls. Aber jetzt gerade war er der Mond zu Yessis Schatten. Er schluckte mehrfach, ehe er seine Stimme wiederfand.
„Das ist ein Symbol der alten Götter." 

Obwohl er flüsterte, trugen seine Worte durch den gesamten Wald. Fanden ihr Echo in den blinzelnden Augen zwischen den Ästen, die unsere Prozession verfolgten. 

Mein Magen fiel. Der Wagen tat noch einen Ruckler, der uns alle hin und her warf. 
Das war unmöglich, oder? Ich hatte noch nie eines gesehen, selbst während meinen Abenteuern mit Isabella, Jac und Henric nicht. Und das hatte auch seine Gründe.
Ich wandte mich an Kaar.
„Aber du...", im letzten Moment stoppte ich mich und korrigierte, „Aber Kaar hat doch die alten Götter ins Nichts verbannt."

Jeder wusste das. Es vergingen nicht viele religiöse Reden, in denen nicht Kaars heroischer Sieg über die alten Mächte beschrieben wurde. Wie er das gemacht hatte, war mir allerdings bis jetzt ein Rätsel. Umso mehr, seitdem ich ihn persönlich kannte.

Erst verspätet bemerkte ich, dass Yessi mich mit schiefgelegtem Kopf musterte, sein Gesicht so neutral, das ich nichts darin lesen konnte. Nicht mehr. 

"Ruhe hab ich gesagt!", schnarrte einer der Soldaten, der sich wieder hatte zurückfallen lassen. Wir alle schreckten zusammen. In einer unauffälligen Bewegung wischte Kaar mit dem Fuß das Symbol vom Boden, doch sein Bann blieb. 

Hatte sich in meine Netzhaut eingebrannt, als wäre es noch immer dort. Pulsierend wie ein Herz, das wir mit unseren Worten zurück zum Leben erweckt hatten. Man sprach nicht über die alten Götter auf dieselbe Weise, wie niemand sagte, dass schon lange kein Wagenunfall mehr passiert wäre oder die Scabäus-Käfer friedlich dieses Jahr wären. 

Es dauerte mehrere Minuten, bis der Soldat wieder nach vorne ritt. Spannung hatte die Lücke zwischen den Männern gefüllt, die die letzten Lichtstrahlen hinterlassen hatten. Es musste irgendwann mitten in der Nacht sein und der Wald erwachte in leisem Wispern zum Leben. 

Auch wir sahen uns um. Ich hatte keine Ahnung wo wir uns befanden, doch Yessi kannte sich gut genug aus. Wusste sicherlich, wo wir vielleicht Schutz finden könnten. Wenn wir nur hier raus kämen. 

Ohne den Blick von ihm zu nehmen, packte Kaar Henrics blauen Ärmel. Er sprach leiser. Ernster, als ich ihn jemals erlebt hatte. „Aber das heißt nicht, dass sie in anderen Ländern nicht immer noch gehuldigt werden. In der Hoffnung oder aus Angst, dass sie doch irgendwann zurückkommen."

Henric sah aus, als würde Kaar ihm physische Schmerzen bereiten und ich spannte mich an, nicht sicher, wen von beiden ich schützen wollte. Die Soldaten warfen uns immer wieder Blicke zu, doch wir blieben still.
Dann entließ Henric einen langen Atemzug. Es war wie eine Kapitulation, die den letzten Kampf aus seinen Muskeln holte. Er sackte förmlich rückwärts gegen das Metall. 

Kaar schob dessen Ärmel hoch und offenbarte ein blasses Brandmal.

Zuerst bemerkte ich, wie Yessi sich unbewusst näher zu mir lehnte, ehe ich unter den Sternen das Zeichen erkannte. Erschrocken zuckte ich zusammen. 
Warum hatte Henric ein ähnliches Symbol auf seinem Arm?

Die Vorstellung, dass er ein Anhänger der alten Götter war, war vollkommen absurd.
„Sie waren Spieler, die ihre Intrigen auf den Rücken der Menschen ausgelebt haben und ihre Langeweile durch Chaos stillten." Warum klang ich also, als würde ich ihn anschuldigen?
Warum fiel es mir schwer, tiefe Atemzüge zu tun? 

Für einen einzigen Herzschlag war mir der Käfig plötzlich zu klein. Zu voll. Dann erinnerte ich mich daran, neben wem ich saß und mein schlechtes Gewissen trieb mir die Farbe in die Wangen. 

„Aber sie konnten auch Reichtum, Macht und Wünsche schenken, wenn man ihnen nur gut genug gefiel." Ich schmeckte die Bitterkeit von Henrics geflüsterten Worten zwischen uns in der Luft. Sah, wie er seine Handgelenke gegen seine Fesseln spannte, als wolle er sie zerreißen. 

Kaars Schultern sackten ein kleines Stück ab.
„Du warst ein Heimkind. Religiöse Betreiber? Haben dich gebrandmarkt wie eine Opfergabe, in dem Vertrauen, aus dem Exil mit Wohlwollen beschenkt zu werden? Kein Wunder, dass du dort abgehauen bist." Er klang beinahe traurig. Als habe er dieselbe Geschichte schon hunderte Male gehört, unfähig, sie ein einziges Mal umzuschreiben. Als wäre er dabei gewesen. 

Mit einem Ruck machte sich Henric von ihm los und ein Ärmel rutschte herunter. Sein Blick war genauso finster wie der Nachthimmel über uns. 
„Alles Wohlwollen habe ich im Palast in Hannabas gefunden." Er warf es Kaar wie eine Waffe entgegen.

Doch dieser nickte lediglich, als mache das vollkommen Sinn.
„Im Schutze eines noch mächtigeren Gottes", er zwinkerte mir zu, doch das Licht in seinen Augen fehlte, „Aber ein silberner Stern hätte vollkommen gereicht. Vielleicht ein wenig zu vorsichtig von Andrew, aber er hat seine Recherche gründlich betrieben."

Silberne Sterne schützten gegen den Blick der alten Götter? Es war genau die Art Aberglaube, die ich Andrew zutraute, selbst wenn die Götter bereits seit Jahrzehnten verbannt waren.

Etwas, das ich wissen konnte, weil ich ihn kennengelernt hatte. Kaar aber nicht. Und Yessi entging sowas nicht, aber dieses Mal ließ er es sich nicht anmerken, sondern sagte nur düster: „Nicht vorsichtig genug, wenn sie Kontakt zu meinem Bruder gefunden haben." 

Meine Gedanken sprangen bereits einen Schritt weiter, als die unabsichtlichen Hinweise, die Kaar Yessi gab. Ich musste mich zusammenreißen, damit ich weiterhin leise sprach, den Soldaten um uns herum immer wieder prüfende Blicke zuwerfend.
„Wenn der Mann im See ein Priester der alten Götter ist... wäre es möglich, dass sie ihm seine magischen Kräfte geben?"

Kaars Lächeln war diabolisch. Genau das Lächeln, mit dem er von dem Ritual gesprochen hatte, dessen Kopfschmerzen bei dem Anblick spontan wieder schlimmer wurden. 
„Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden", er wirbelte zu Yessi herum, der instinktiv von ihm wegrutschte, „Kannst du mit einer Haarnadel ein Schloss aufbrechen, Yessaia?"

Sein voller Name ließ Yessi die Augen leicht verengen. Für mehrere Herzschläge betrachtete er Kaar mit seinem typischen kalkulierenden Blick, dann schüttelte er den Kopf. 
"Ihr wollt diesen Priester jagen. Ich will meine Familie in Sicherheit wissen", wenn er gekonnt hätte, hätte er die Arme verschränkt, "Ich werde euch nicht helfen, wenn ich euch nicht vertrauen kann."

Der Treffer landete irgendwo in meiner Magengrube. Er konnte mir vertrauen. Auch, wenn ich ihm nicht alles erzählte. Aber anstatt zu zeigen, wie sehr ich ihm vertrauen wollte, hob ich nur eine Augenbraue. Angriff war die beste Verteidigung. 
„Wer sagt, dass wir dir eine Wahl lassen?", ich beugte mich nach vorne, bis mich fast auf seiner Bank abstützen musste, um nicht gegen ihn zu fallen, „Du hast selbst gesagt, dass das hier eine Entführung ist. Da werden keine Ultimaten gestellt."

Ein Glühwürmchen flatterte zwischen uns hindurch und erhellte Yessis Kopfschütteln, das nur schwer sein kleines privates Lachen kaschierte. Ich hatte ihn überrumpelt und er suchte zwischen den Bäumen eine Antwort, ehe seine grauen Augen schließlich wieder bei mir endeten, so viel dunkler als Grau.
„Ich glaube, wir beide sollten uns mal unterhalten. Alleine- Wenn das für deinen Verlobten in Ordnung ist."

Mir wurde spontan heiß. Überall. 
"Um mir zu sagen, wie wir hier raus kommen?", presste ich weiter. 

Das winzige Grinsen blieb bestehen, während er auf mich herunter sah. 
"Wenn dein Verlobter in der Lage ist, Rituale mit Magie zu versehen, kann er bestimmt auch mit einer kleinen Explosion dieses Schloss verschwinden lassen?"

Er sprach mehr mit Kaar als mit mir. Aber ich konnte mich nicht so recht aus unserem Blickduell lösen. Er hätte mir diese Idee nicht teilen müssen. Aber hatte auch nicht darüber alleine reden wollen. Meine Handflächen begannen zu kribbeln. Ich sah sogar ein Flimmern in der Luft zwischen uns.

„Oh! Freie Magie!", rief Kaar begeistert und wir beide drehten uns zu ihm um. Überall im Wald flimmerte die Luft in unterschiedlichen Farben des Regenbogens. Zog sich zusammen und dehnte sich wieder aus. Die Glühwürmchen in den Bäumen erloschen wie ausgeblasene Kerzen und die Pferde wurden still.

Zu still. Der Tross kam abrupt zum stehen, während sich die Soldaten beunruhigt in alle Richtungen umsahen. Sich in den Sätteln drehten und ihre Schwerter zogen. 

Ich hatte gerade noch Zeit, zu dem Schluss zu kommen, dass das wohl nichts mit Yessi und mir zu tun hatte, als Kaar sich auf mich warf.
„Alle in Deckung!", warnte er die anderen und gleichzeitig mit einem ohrenbetäubenden Knall, riss er mich zu Boden.


"Wer ist dieser Kerl?" - Yessi, sehr misstrauisch gegenüber Kaar.

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