2. Willbur der reißende Reißer

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Ihr fragt Euch jetzt sicherlich alle: Wie sieht so ein echtes, kleines Monster denn wohl aus? Doch leider kann ich Euch das auch nicht ganz genau sagen, denn es ist an einem Tag immer ganz anders als am Vortag und nie gleich. Doch zumindest eins weiß ich ganz genau. Er ist ein Junge und kein Mädchen. Das hat er mir nämlich mal ganz am Anfang erklärt, als ich ihm eine große rosa Schleife um den Kopf herum wickeln wollte. Da war ich gerade zwei geworden oder drei und er war ein kuscheliger, kleiner Plüschhund, mit leuchtend roten Augen und echten Monsterreißzähnen, einem grün-lila Zottelfell und einer langen, rauen, blitzblauen Zunge, mit der er mich ständig abgeschlabbert hat .

Ihhh Bäh!

Zuerst habe ich natürlich vor Angst geschrieen, als er sich mir auf diese Weise vorgestellt hat, doch dann habe ich nur noch gelacht, weil seine Zunge mich so schrecklich gekitzelt hat. Ab sofort war er mein allerbester Freund und ist es bis heute geblieben.

Doch es war früher für mich schon irgendwie merkwürdig, einen solch seltsamen Monsterfreund zu haben, den man nie sofort auf Anhieb wieder erkennen konnte. Wie überrascht ich doch war, als er jeden Tag anders ausschaute, das kann ich Euch verraten! Er behauptet ja heute noch, er hätte sich mir jeden Tag aufs Neue vorstellen müssen, weil ich ihn ständig nur gefragt hab wer er denn sei und was er denn mit Willbur gemacht hätte. Kann sein, weiß ich nicht mehr. Ich war ja noch ganz klein, damals.

Aber an einige wirklich witzige Figuren, die er in der langen, langen Zeit seit meinem zweiten Geburtstag darstellte, kann ich mich noch sehr genau erinnern. An den kleinen, knuddeligen Teddybären, mit seinen gelben, geschlitzten Chinesenaugen, scharfen Krallen an den Pfoten und großen, klobigen, roten Stiefeln an den storchenlangen Beinen, mit denen er andauernd auf und ab marschiert ist, wie der gestiefelte Kater im Märchen. Am selben Tag hat er mit seinen messerscharfen Krallen ein ziemlich seltsames Muster in meine Kinderzimmertapete geritzt. Da war ich aber schon vier, glaub ich. Meine Oma hat damals absolut begeistert gesagt, ich sei ein künstlerisches Genie, das unbedingt gefördert gehört. Ha! Ich und ein künstlerisches Genie, das ich nicht lache! Ich kann ja noch nicht einmal einen geraden Strich auf ein Blatt malen, geschweige denn eine Blume, die auch nur im Entferntesten so aussieht als wär's eine, sagt zumindest meine Kunstlehrerin immer zu mir. Dass sie mir keine sechs im Unterricht gibt liegt nur daran dass ich noch in die Grundschule gehe. Aber mal ehrlich, was ist denn bitte so Besonderes daran, hm? Es ist nur Kunst! Pferde aus Stofffetzen schneiden und so ein Quatsch, Blumen und Wiesen und Häuser malen, mich selbst zeichnen. Wozu gibt es denn heutzutage den Fotoapparat, hä?

Mir gefallen in der Schule vor allem die Sprachen Deutsch und Englisch, Lesen und Schreiben. Aber Englisch haben wir leider erst nächstes Jahr und in Deutsch murkeln wir immer noch am Schönschreiben rum, was ich aber natürlich schon bestens kann, schließlich schreibe ich unheimlich viel und gerne.

Übrigens, wenn wir schon von fremden Sprachen sprechen. Wusstet Ihr, dass ich ganz richtig und echt mit meinem Monster sprechen kann? Er redet zwar meistens deutsch mit mir, doch wenn er sich über irgendwas aufregt, was mitunter auch mal passiert, dann brabbelt er immer auf monsterisch los, was er mir übrigens seit ein paar Jahren ebenfalls beibringt, damit ich ihn auch verstehen kann, wenn er so schimpft oder etwas in seiner Sprache erzählt. Zwar sagt er mir immer nur ein Wort oder einen ganz kurzen Satz pro Tag und manchmal vergesse ich die Worte und Sätze dann auch gleich wieder und er muss sie mir über eine Woche lang wiederholen, bis ich endlich kapiert habe, wie man das richtig ausspricht und was das noch mal heißen soll, doch das macht mir nichts aus. Denn ich hab ja Zeit. Doch jetzt, nach drei Jahren Monsterischunterricht, bei dem besten und witzigsten Lehrer den man sich überhaupt denken kann, kann ich schon eine ganze Menge verstehen und sprechen und es ist auch wirklich nicht besonders schwer.

Obwohl natürlich, wenn man es korrekt und übergenau betrachtet, ist monsterisch für die Menschen überhaupt keine ausländische Sprache. Eher so was wie Quatsch-Plappern. - Bah!

Das macht mich immer ziemlich wütend und traurig, wenn ich daran denke, dass die Leute das so sehen. Denn ich kann es doch schon so gut sprechen und habe es auch wirklich lange und fleißig geübt.

Ein bisschen kann ich Euch ja auch beibringen wenn ihr wollt, okay? Zum Beispiel: p'- will- dü ver-knaahk! Das heißt so viel wie: „Du bist ein Blödmann."

Das hab ich auch neulich in der Schule zu Bastian Fenner gesagt, weil er die kleine Fanny Schreiber in die Dornenhecke, gleich rechts neben dem Mädchenklo, geschubst hat. Natürlich trau ich mich das nur auf monsterisch zu ihm zu sagen.

Der ist ja so fies, der Bastian. So dick und groß und strohdumm, ja wohl!

Der hat sich doch tatsächlich nur über meine Worte kaputt gelacht. Kapiert hat er's nicht - zum Glück! Sonst hätte er mich garantiert auch noch mit da rein geschubst.

Sowieso kapiert anscheinend keiner außer meiner Oma Gertie, was es mit dem monsterischen noch so alles auf sich hat. Noch nicht einmal der Herr Lehrer in der Schule und der weiß doch eigentlich alles, hab ich zumindest früher mal gedacht. Aber wisst Ihr was? Das ist gar nicht so. Er weiß überhaupt nicht alles! Denn als er uns letztes Jahr in der Klasse fragte, ob wir vielleicht noch eine andere Sprache sprechen könnten außer deutsch, so wie Jaques, der ist nämlich eigentlich ein Franzose und spricht zu Hause auch französisch mit seiner Mama, oder Ivan, der ist ein Russe und spricht perfekt russisch, da hab ich mich natürlich auch gleich mal gemeldet. Der Lehrer hat ganz schön Dumm geguckt, als er mich aufrief und mich nur ganz verwundert gefragt: „Ja, Lilly? Welche Sprache kannst Du denn noch sprechen, außer Deutsch?" Ich habe ihnen allen sofort und ganz stolz auf mich selbst erklärt: „Ich kann monsterisch!" Daraufhin haben sie aber nur alle brüllend los gelacht und der Lehrer war ziemlich sauer auf mich. Hat mich glatt nach draußen vor die Tür gesetzt und gesagt, ich wüsste nicht was der Ernst des Lebens sei, na ja! Der Herr Lehrer zumindest hatte noch nie ein eigenes Monster unter dem Bett. Und wisst Ihr was? So gemein wie der ist, bekommt der auch keins.

Die Monster gehen nämlich nur zu netten Menschen unter die Betten! Hat zumindest mein kleines Monster behauptet, als ich ihm nachmittags davon erzählt hab, und das muss es ja wissen.

Heute ist mein Monster übrigens eine fünfunddreißig Zentimeter große, männliche Barbie-Puppe mit schräg stehenden, schwarzen Augen, lila lockigen, kurzen Haaren, die ihm wild zu Berge stehen, spitzen Elfenohren und scharfen Monster-Reißzähnen. Das ist übrigens das Einzige was immer gleich an ihm bleibt: Die scharfen Monster-Reißzähne! Sehen echt cool aus, kann ich Euch sagen. Wirklich super monstermäßig! Und genau so muss es auch sein, sagt mein Monster immer. Er heißt übrigens mit vollem Namen „Willbur, der reißende Reißer!"

Den Namen hat er sich selbst gegeben.

Er denkt auch immer er sei ein ganz, ganz wilder und außerdem ein schlimmer Finger, soviel Schabernack und Unsinn wie er gerne anstellt. Doch wisst Ihr was ich über ihn denke? Ich finde ihn einfach nur süß und zum Knuddeln, sogar wenn er so viele Süßigkeiten in sich rein gestopft hat, dass sein Bäuchlein so dick wie eine Kegelkugel wird und er sich nicht mal mehr einen Millimeter von der Stelle weg bewegen kann.

Aber wenn er heute schon rein äußerlich eine Puppe ist, will ich auch gerne mal wieder mit ihm Puppenwagen ausfahren spielen. Und jetzt, so nach der Schule und den schnell gemachten Hausaufgaben kann ich das auch endlich tun.

Oma ist mal wieder unterwegs zu ihrer Freundin Frieda Hiller, denn die hat ein neues Enkelkind bekommen. Oma mag es zwar nicht so besonders, wenn sie sich unzählige Fotos angucken und die ganze Zeit über breit lächeln muss, nur weil auf den Bildern ein Baby  zu sehen ist das total zerknittert, fast wie ein alter Opa, aussieht und außerdem auch noch heult oder gähnt, oder schläft oder aber rosarot im Gesicht ist, weil ihm gerade ein Pups quer sitzt, doch sie trägt es mit Fassung. „Das nennt man dann eben gesellige Konversation machen!", sagt sie immer nur Schulter zuckend und fügt sich drein, so wie ich mich auch drein füge, wenn ich mal wieder zum Sonntagskaffee der Klatschbasen mitgehen muss. Die Omas dort fragen einen immer mit dümmlichen Grinse-Gesichtern ein Loch in den Bauch und man muss immer ganz höflich und artig bleiben, still sitzen und danke ja und danke nein sagen, viel lächeln, bis einem die Backen fast platzen und möglichst wenig dazwischen fragen, um nicht als frech zu gelten. Gottlob verlangt Oma Gertie das höchstens einmal im Monat von mir, dass ich dahin mitkommen muss.

Aber heute haben wir, wie gesagt, komplett frei. Denn es ist Montag und die Klatschbasen können mir alle zusammen den Buckel runterrutschen.

Ich möchte spielen und lachen und raus ins Freie, obwohl es kalt ist und bald schneien wird. Die Wolken hängen schon ganz tief am Himmel und im Radio haben sie erzählt, dass es morgen draußen überall weiß sein wird. Toll, Schlittenfahren! Machen wir dann morgen, aber heute liegt noch kein Schnee. Heute können wir was anderes machen.

Willbur quengelt ein bisschen, als ich ihn mir schnappe und die Treppe runter trage, doch das ist ja nichts Neues.

Er mag es nämlich nicht so gerne bei der Kälte draußen zu sein, wisst Ihr? Auch wenn er meistens ein dickes Zottelfell an hat. Doch oft, wenn wir draußen sind, kommt die böse Frau Kaspar von gegenüber zur Haustür rausgestürmt und schimpft mich tüchtig wegen irgendwas Erfundenem aus. Die beschwert sich wirklich und ganz echt über jede noch so kleine Kleinigkeit an mir und um mich herum. Entweder gefällt ihr nicht was ich mache oder was ich anhabe. Und letzten Frühling hat sie mich ganz dolle ausgeschimpft, weil das Blumenbeet von Oma nicht so toll wie sonst immer ausgetrieben hat, weil ich nämlich angeblich die Blumen-Zwiebeln falsch rum in die Erde gesetzt hab. Dann hat sie sich noch den ganzen Sommer über beschwert. dass Oma mit ihrem Sonnenblumen-Indianerhut lächerlich aussähe und ich mit meinen komischen flunsigen Locken ebenfalls, dass ich mir die lästigen Dinger, die bestimmt schwer zu kämmen seien und eine Menge Arbeit machen würden, gefälligst schneiden lassen solle, denn ich würde ja aussehen wie ein wildes Huhn vom Acker nebenan! Wirklich und wahrhaftig, das hat sie zu mir gesagt!

Sie beschwert sich außerdem immer, dass ich oft zu laut wäre und lästig, dass ich sie und alle anderen Menschen auf der Welt störe und ihr sogar Schnecken in das preisgekrönte Salatbeet rein werfe, um sie extra noch mehr zu ärgern. Aber, Hand aufs Herz, das ist nicht wahr! Die Schnecken kriechen von ganz alleine in den Salat rein. Das machen sie ja auch so in Oma Gerties Beet und in dem von Frau Langemann von schräg gegenüber ebenfalls. Ich gehe immer nur zum spielen raus. Und das ist ja wohl nicht verboten.

Oma sagt mir immer, wenn ich mich bei ihr über die alte Knerbel-Kaspar beklage, weil die mich wieder ungerecht angemault hat, dass ich ihr gegenüber trotzdem höflich bleiben und lächeln und am Besten ganz und gar weg hören soll, bei dem, was sie so alles schreit und schimpft. Doch ab und zu hab ich schon Lust der Miesepeter-Kaspar meine ehrliche Meinung zu sagen. Das nämlich die Einzige die hier ja wohl lästig ist, sie selbst ist und niemand sonst! Am liebsten würde ich ihr sogar ab und zu Streiche spielen, doch alleine trau ich mich das nicht und Willbur? Tja, der hat anscheinend ebenso viel Angst vor ihr, wie ich. Denn wie gesagt, er geht schon gar nicht mehr gerne raus und ich glaube das liegt nur an ihr.

Er duckt sich nämlich immer gleich weg oder saust wie der Blitz auf und davon, wenn sie auch nur um die Ecke geschlurft kommt oder aber zum Fenster raus guckt. Ob er wohl Angst hat, dass die Frau den Kammerjäger ruft, wenn sie ihn mal zu Gesicht bekommt? Möglich wär's. Zutrauen würde ich ihr das zumindest! Aber heute ist von der Miesepeter-Kaspar zum Glück nichts zu sehen, als wir raus in den Garten gehen. Na ja, zumindest jetzt noch nicht.

Ich setze den immer noch maulenden Willbur in den Puppenwagen rein und decke ihn mit einer flauschigen hellblauen Puppendecke zu.

Meistens hört er dann auf zu motzen und lehnt sich erst mal ausgiebig gähnend zurück, während ich ihn über das Kopfsteinpflaster schaukele. Das macht ihm nämlich dann doch immer Spaß, weil ich ja schieben muss und er sich's einfach nur gemütlich zu machen braucht, ohne dabei einen Finger krumm zu machen. „Das ist das wahre Monsterleben!", behauptet er dann oft genüsslich grinsend. Oder er befiehlt mir: „Jetzt nach rechts, Frau Chauffeurin, nach links, halt! Und jetzt los rennen, ich will, dass es ganz dolle schaukelt!" Und dann renne ich und er wird im Kinderwagen hin und her geworfen wie in einer Achterbahn. Das macht ihm am allermeisten Spaß.

Wie gerne würde ich das auch mal erleben, dass er mich fährt und ich von ihm geschaukelt werde, doch dazu ist er natürlich viel zu klein und ich bin viel zu groß und zu schwer!

Doch heute ist irgendwie trotz meiner Mühe dass er ordentlich Spaß hat, alles ganz anders als sonst. Egal wie wild ich ihn auch schaukle, er meckert und grummelt und brummelt und motzt die ganze Zeit über, während ich ihn nur immer weiter anschiebe. Das tut er sonst nicht, also bleib ich schließlich stehen. Vielleicht ist ihm ja irgendwie schlecht geworden, von der ganzen Schaukelei über das Kopfsteinpflaster, denke ich und kehre schnell wieder mit ihm ins Haus zurück. Da hole ich ihm gleich seine Lieblings-Schokolade aus dem Vorratsschrank unter der Treppe. Die nützt bei Willbur nämlich immer was!

Schokolade gegen jedes Weh-Wehchen, gegen Übelkeit, gegen Magendrücken, gegen Husten und Schnupfen und das höchste Fieber der Weltgeschichte...

Na ja, Monster sind eben anders als wir Menschen. Wenn wir Kinder zu viel naschen bekommen wir davon Bauchweh oder Zahnschmerzen. Wenn die Monster das tun, werden sie lediglich dick, fühlen sich aber trotzdem immer noch pudelwohl dabei. Also haben wir zu Hause nun riesige Mengen von Schokolade und anderen Süßkram, wie Lakritzstangen, Bonbons, Kekse, süße Müsli-Riegel und Schoko-Sahne-Pudding gebunkert. Alles nur für mein kleines Monster. Na ja, fast alles. Aber für Notfälle müssen wir auch eine Menge da haben. Willbur hat nämlich einmal, als er wirklich arge Kopfschmerzen hatte, vierzehn ganze Tafeln Schokolade in nur fünf Minuten verputzt. Meine Oma dachte schon ich bekomme einen Zuckerschock und mindestens drei Kilo Übergewicht, doch es war ja mein Monster, das die ganze Schokolade gefuttert hat, nicht ich. Und es ging ihm danach auch gleich wieder richtig gut.

Doch als ich ihm jetzt die Schokolade hinhalte, damit es ihm schnell wieder besser geht, mag er sie gar nicht nehmen. Was ist nur los mit ihm?, überlege ich nun doch ein bisschen ärgerlich. Er zieht ein Gesicht, wie sieben Tage Regenwetter ... oh jemine!

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