4. Der magische Perlenvorhang

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Unser Wohnzimmer, wo wir immer abends essen, sieht aus wie aus einem Märchenbuch ausgeschnitten. Orientalische Tische mit Sitzkissen drum herum, lange Gold gewirkte Schals, die von der Decke herabfallen, Kerzenlicht von allen Fensterbänken her und Oma zündet auch immer noch so hübsch duftende Räucherstäbchen an und kocht eimerweise Tee zum Brot. Im Ganzen ist unser Wohnzimmer also auch wieder nicht wie andere Wohnzimmer normalerweise sind.

Der frühere Scheich aus dem Emirat Bahrain hat Oma diesen Raum höchst persönlich geschenkt, hat sie mir mal erzählt. Das heißt, er hat ihr den Raum geschenkt in dem sie bei ihm im Palast gewohnt hat und über das Meer hierher transportieren lassen und da ist er nun. Ein ganzer, prächtiger Palastraum mitten in Omas altem Haus. Mit vielen orientalischen Bilder an den Wänden von stolzen Pferden, schönen Tänzerinnen und goldenen Tigern. Die gefallen mir nun wirklich am allermeisten. Es wirkt verträumt und einfach nur schön. Einmal hatte ich sogar eine Klassenkameradin zu Gast, Bianca Semmelbrot. Die hat minutenlang nur gestaunt und sich dann aber am nächsten Tag, in der Schule, so richtig gemein über mich und meine Oma lustig gemacht, dass ich sie nicht noch einmal zu mir nach Hause eingeladen hab und auch keine der anderen Puten, die mit gelacht haben. Wir mögen es eben immer ein wenig unkonventionell, wie Oma oft sagt. Ihren eigenen Freundinnen macht das ja schließlich auch nichts aus, dass wir einen Teil vom Orient in Schwalmstadt haben. Außerdem esse ich da drin ja immer mit Oma zu Abend. An dem niedrigen orientalischen Tischchen. Wir liegen dabei immer ganz genüsslich herum, wenn wir nicht gerade die Brote schmieren und lassen es uns richtig  gut gehen. Manchmal spielen wir auch dabei. Sie ist eine orientalische Königin und ich ihre Prinzessinnen-Enkeltochter. Das macht furchtbar viel Spaß, kann ich Euch sagen und hat so gar nichts mit den normalen Tischsitten zu tun, die Oma mir aber, der Richtigkeit halber, auch beigebracht hat, für den Fall, dass wir mal bei einer Freundin von ihr Essen gehen. 

Doch heute spielen wir natürlich nicht. Heute  bin ich viel zu traurig, um auch nur irgendetwas zu spielen.

Was mache ich nur wenn Willbur wirklich geht?

Und was ist, wenn er sich gerade jetzt auf den Weg macht? Der Gedanke erschreckt mich zutiefst. Eilig schlinge ich mein hübsch dick bestrichenes Honigbrot herunter und schmiere Willbur mit zitternder Hand schleunigst seine drei großen  Teewurstbrote. Oh je, oh jemine.
Wenn er nun einfach jetzt gleich abhaut ohne sich noch von mir zu verabschieden? Ich muss zurück ins Zimmer hoch, muss ihn aufhalten, muss mich beeilen...
Oma guckt mich schon ganz schief von der anderen Seite des Tisches herüber an, bevor sie sich wieder ihrer Zeitschrift zuwendet.  Schlagartig bin ich wieder ganz ruhig und denke noch einmal gründlicher über alles nach. Und - Nein, ach nein, was mache ich mir den überhaupt so große Sorgen? Willbur will ja doch noch seine Teewurstbrote essen. Vorher geht er garantiert nicht weg, eher heute Nacht wenn alles schläft.
Trotzdem möchte ich jetzt lieber doch schnell wieder zu ihm ins Zimmer hochgehen und stehe leise seufzend auf.

„Lilly...", rügt Oma mich sogleich sanft. „Iss bitte ordentlich zu Ende, sonst hast Du bald schon wieder Hunger!"

Meine Oma denkt immer, dass ich, wenn ich nicht genügend zum Abendbrot esse heimlich nachts den Kühlschrank plündern gehe. Na ja. Scheint so als hätte Willbur das wirklich mal gemacht und es nachher auf mich geschoben, der alte Schlawiner. Seither meint Oma aber immer, ich müsste mindestens zwei Brote essen, um richtig satt zu werden. Und sie lässt mich vorher auch nie mehr gehen, es sei denn ich bin krank und hab deshalb keinen Hunger.

Missmutig setzte ich mich also wieder hin, lege die geschmierten Brote wieder auf den Teller zurück und greife nach einer weiteren Scheibe Brot und dem Honig. Sowieso muss ich mir die Sache mit Willburs Weggang noch einmal gut überlegen. Vielleicht sollte ich ihn einfach irgendwo verstecken?  Wo könnte Willbur denn vielleicht vor den Monstermachern aus seiner Welt sicher sein?
Oben auf dem Dachboden?
- Nein zu durchschaubar.
Vielleicht unten im Keller unter den Kartoffelkisten?

Aber wenn die Monster wirklich riesengroß sind, wie Willbur gesagt hat, kann es ja sein, dass sie gar nicht erst in unser Haus rein passen. Was, wenn sie es einfach zertrümmern, um an Willbur ran zu kommen? Also das würde Oma garantiert nicht gefallen, überlege ich nun doch ziemlich beunruhigt

Willburs Worte fallen mir wieder ein. „Es gibt da eine alte Legende, nach der es einen Ausweg aus den bösen Regeln des Obermonsters Zarroch gibt... einen Zauberspruch den die Kinder ihm sagen..."

Vielleicht sollte ich ihn doch besser gehen lassen und ihm nur heimlich in seine Welt folgen, überlege ich mir und beiße nachdenklich in mein zweites Honigbrot.
Wenn wir dann erst einmal zusammen da sind, bringt er mir vielleicht noch schnell den Zauberspruch bei und dann erlöse ich ihn damit und nehme ihn wieder ganz richtig und ehrlich mit zu mir nach Hause und unter mein Bett.  So könnten wir dann auch Oma umgehen, die ich lieber nicht in diese Sache mit reinziehen möchte, schließlich ist sie ja schon alt und wenn Menschen alt werden sind sie oft ängstlich. Oma will ja noch nicht einmal etwas über die Schrullenmemmen erzählen, weil sie denkt ich bin noch zu klein dazu. Und wenn ich ihr dann jetzt sage das ich vor habe Willbur gegen einen Haufen Riesenmonster zu verteidigen und ihm zu helfen macht sie sich bestimmt große Sorgen.

„Lilly? Schatz...! Hörst Du mir überhaupt zu?", fragt Oma mich plötzlich ziemlich besorgt.

Ich sehe sie an und verstehe nur Bahnhof. Hat sie was zu mir gesagt? Also zucke ich nur kurz mit den Schultern. Das ist meistens richtig, egal was man gerade auch gefragt wird.

„Ich hab' jetzt ganz ehrlich keinen Hunger mehr, Oma.", erkläre ich ihr eilig und klappe mein angebissenes Honigbrot einfach zu, lege es auf den Stapel Teewurstbrote oben drauf und stehe hastig auf, um ihr wie immer einen Kuss auf die Wange zu drücken, wenn ich von ihr weg gehe.

Oma nickt nur besorgt guckend und ich flüchte eiligst die Treppe wieder hinauf und in mein Zimmer.  Zum Glück ist Willbur noch da. Er grummelt und brummelt und bedankt sich noch nicht mal für die Teewurstbrote, als ich sie ihm unter das Bett schiebe.

Während er noch mampft, schluckt und rülpst gehe ich heimlich an meinen Schrank rüber und gucke mir meine Sachen darinnen genauer an, sortiere mir schon mal unauffällig zwei oder drei Dinge in meinen Rucksack rein den ich normalerweise immer zum Wandern benutze und die mir jetzt sinnvoll erscheinen mit mir zu nehmen.
Doch ich muss schnell und vorsichtig sein, das es Willbur und Oma nicht am Ende noch mit bekommen. Und ich muss noch irgendwie Proviant und Vorräte einpacken. Dann noch meine dicke Daunenjacke, meine vielen, dicken gestrickten Kniestrümpfe, weil Oma ja immer meint es lässt sich auf jedem noch so steilen oder steinigen Weg  wunderbar wandern, Hauptsache ist, man hat dabei immer richtig warme Füße in den Schuhen.

Und wenn Oma das sagt, dann ist das auch so!
Dann brauche ich also auch noch meine alten Wanderstiefel.
Die stehen unten im Keller, und natürlich noch was zum Schnucken für Willbur und mich  -  muss ich mir nachher beim Zähneputzen noch aus dem Wandschrank raus stibitzen.
Ich will ja schon fast mein ganzes Leben lang gerne selbst ein eigenes, supertolles und streng geheimes Geheimabenteuer in einer anderen Welt erleben.

Dann ist die Nacht auch schon gekommen.

Ich liege im Bett und sehe zum Mond hinauf, der hell strahlend und silbrig schimmernd durch das Fenster herein scheint. Ich ziehe nie den Vorhang zu, weil ich es nämlich wirklich gerne mag gleich im ganz Hellen auf zu wachen, zumindest im Sommer, denn im Winter ist es ja immer dunkel.

Gleich ist es Mitternacht - Geisterstunde!

Mein Wecker tickt unglaublich laut in meinen Ohren.

Ich darf nicht einschlafen, obwohl ich nun schon so schrecklich müde bin.
Doch meine Sorge um Willbur, dass er ohne mich ab hauen könnte, dass ich ihn doch noch vergessen könnte, ist noch viel größer.

Plötzlich raschelt es leise unter meinem Bett. Ich liege ganz still und öffne nur meine Augen. Willbur schleicht sich gerade auf allen Vieren kriechend, schwer beladen mit einem selbst gebastelten Rucksack und einigen Puppensachen über dem Arm unter meinem Bett hervor.

Ich bleibe immer noch ganz still liegen. Eigentlich müsste ich ja jetzt schrecklich wütend werden, mich aufsetzen und ihn anbrüllen, doch ich bin einfach nur traurig. Er will wirklich und wahrhaftig ohne mich fort gehen. Sich noch nicht einmal mehr von mir verabschieden.

Als er dann nur zwei Sekunden später zur Tür raus schleicht, schlüpfe ich lautlos aus dem Bett und ziehe mir den Schlafanzug aus den ich über meine warmen Sachen drüber gezogen habe, damit ich mich jetzt nicht mehr so sehr beeilen muss.  Außerdem habe ich meinen Rucksack draußen neben dem Treppenpfosten geparkt mit noch mal zwei Tafeln Schokolade und drei Teewurstbroten die ich noch schnell aus der Küche Stibitzt hab. Schnell schlüpfe ich nun noch in meine warmen Stiefel, greife mir meine Jacke, Schal, Mütze und Handschuhe und schleiche dann, so schnell und leise ich nur kann hinter Willbur her, der gerade das Haus durch die Katzenklappe im Keller verlässt.

Meine Oma hatte früher nämlich mal einen grau getigerten Kater, doch der war superekelig, hat immerzu gefaucht, gebissen und gekratzt und eines Tages kam er einfach nicht mehr wieder. Oma meinte damals nur, er hätte wohl ein besseres zu Hause gefunden. - Soll er doch! Ich konnte ihn sowieso nie leiden! Und als Oma mich später mal gefragt hat, ob ich nicht gerne eine andere Katze haben will, habe ich rund heraus Nein zu ihr gesagt. Schließlich brauche ich kein Haustier mit einem Freund wie Willbur an meiner Seite.
Einem Freund der gerade dabei ist sich wirklich lächerlich zu machen, finde ich und stürme ihm, durch die Haustür rausschlüpfend und sie leise hinter mir zuziehend, durch den Garten rennend aber so, dass er mich möglichst nicht so gut hören und noch viel weniger sehen kann, wenn er sich umdreht, hinter ihm her.

Tatsächlich dreht er sich auch ziemlich oft um und schaut über die Schulter zurück, dann suche ich eilig Deckung hinter dem Apfelbaum, hinter dem Komposthaufen und dem zugeschneiten Zaun.

Der Mond leuchtet immer noch hell und strahlend vom Himmel herab. Es ist bitterkalt heute Nacht. Doch ich merke das alles gar nicht so sehr, denn vor  lauter Aufregung ist mir ganz warm.

Na, der kann was erleben, wenn ich ihn erst eingeholt habe!, denke ich finster und folge ihm den Weg entlang, das enge Apfelgässchen hinunter, dann durch die Unterführung, unter den Eisenbahnschienen hindurch, auf der anderen Seite wieder hinauf, den Weg ein gutes Stück an den Gleisen entlang, bis hin zum Bahnübergang.

Was will er denn hier?, denke ich verdutzt.
Die Schranke beginnt plötzlich rot glühend zu leuchten. Gleich kommt ein Zug, erkenne ich besorgt und renne so schnell ich nur kann los, hinter ihm her. Willbur überquert gerade nämlich schleunigst die Gleise. Ein silbernes Licht beginnt durch sein lautes Monsterrisch-Gebelle auf der anderen Seite der Bahnschiene zu schimmern. Es sieht aus der Ferne aus wie ein Vorhang aus winzigen, glitzernden Perlenschnüren. Noch bevor die Schranke sich vor mir schließt, sause ich darunter hindurch und zur anderen Seite hinüber.

Willbur schiebt gerade den Vorhang mit einem letzten wehen Stöhnlaut beiseite, dreht sich gottlob nicht noch einmal um, denn dann würde er mich nämlich garantiert kommen sehen und geht nur schnell hindurch. Jetzt aber schnell, denke ich noch, bevor der Vorhang wieder verschwindet - Und bevor der Zug kommt!

Ich renne! Ich fliege!

Das helle Licht beginnt schon zu verblassen der Perlenvorhang beginnt zu schrumpfen und ich springe so weit ich nur kann nach vorne. Die Bahn tutet wie verrückt, sie ist schon ganz nahe, die Lichter blenden mich, dann stürze ich knallhart auf den Bauch,  bevor der magische Perlenvorhang auch schon wieder, hast-Du-nicht-gesehen, verschwindet.

Es ist wieder dunkel. Aber nichts hat sich geändert, finde ich als ich mich verwirrt aufsetzte und umblicke. Es ist kalt und alles sieht aus wie eben gerade noch. Die Bahnschranken klimpern, gehen wieder auf. Der Zug muss also vorbei gefahren sein, so schnell...!

„Auuu...!", stöhne ich enttäuscht auf. Es hat also doch nicht mehr funktioniert. Mist!

Werde ich Willbur nun also gleich für immer vergessen? Warum habe ich das eigentlich noch nicht. Er hat das doch gesagt, überlege ich mir betrübt mein Knie reibend weil es nämlich vom harten Aufknallen auf den Boden doch ziemlich weh tut.
Da senkt sich das Eisenbahngitter erneut herab, die Lampen am Bahnübergang glühen sofort wieder leuchtend rot  - glühen und verglimmen wieder, glühen und verglimmen. Ich schniefe leise vor mich hin und wische mir niedergeschlagen den Schnee aus dem Gesicht und aus den Haaren. Seltsam, es hat aufgehört zu schneien.

„Lilly!", ruft Willbur plötzlich vollkommen entsetzt aus den dunklen Schatten heraus. Er springt wie ein Affe auf mich zu und sieht aus, ... tja..., schon wieder mal ganz verändert, ganz neu und vor allem nun viel größer als sonst. Mindestens doppelt so groß, statt fünfunddreißig Zentimeter nun mindestens sechzig Zentimeter. Aber seine Stimme erkenne ich auf der Stelle. Die bleibt nämlich immer gleich. Es ist tatsächlich Willbur.
Ich rapple mich hastig auf. Freue mich tierisch... freue mir glatt ein Loch in den Bauch! Ich bin doch noch durchgekommen! Oder ist er am Ende da geblieben? Ich weiß es nicht, ich freu mich nur.
„Willbur!", rufe ich strahlend und hüpfe glatt einmal kurz im Kreise herum. „Ich hab's geschafft!"

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