15 - Überall helfende Hände

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Es ist erstaunlich, mit welch einer Liebe zum Detail Marlo die Baupläne angefertigt hat. Jeder Bleistiftstrich sitzt perfekt und stellt ein eigenes Kunstwerk dar.

Wie zuvor angekündigt, ist der gesamte Strand mit Baumaterialien übersäht. Wohin mein Auge auch reicht: Überall sehe ich Holzbretter, Steine, Pinsel, Leim, Werkzeug und vieles mehr.

Wo Marlo die ganzen Utensilien herbekommen hat? Ich habe keine Ahnung.

Erst jetzt fällt mir auf, dass es auf dieser Insel weder einen Baumarkt noch ein Lebensmittelgeschäft oder eine Drogerie gibt. Scheinbar ist das aber auch überhaupt nicht notwendig, denn bisher hat kein Hunger- oder Durstgefühl bei mir eingesetzt. Nicht mal meine Blase hat sich zu Wort gemeldet.

Na ja, auf einer magischen Insel mit lebendigen, sprechenden Gegenständen sollte mich das eigentlich nicht überraschen, oder?

„Hey, Frankie! Nicht einschlafen!", reißt mich auf einmal die belustigte Stimme von Mister Krakenstein in die Realität zurück. Er steht ungefähr zehn Meter entfernt von mir und fuchtelt wild mit seinen acht Tentakeln in der Luft herum. „Wir haben viel zu tun. Trödeln ist nicht, Fräulein!"

Sofort salutiere ich und schließe die Lücke zwischen uns. „Wird nicht nochmal vorkommen, Chef!", tröste ich den Oktopus mit einem entschuldigenden Grinsen.

Nach langer Bedenkzeit haben sich Mister Krakenstein und ich dazu entschieden, gemeinsam ein Bett zu bauen. Der Plan und die Materialien, die wir benötigen, liegen vor dem Plüschtier im Sand verstreut und lachen mir hämisch entgegen. Als wollten sie sagen: „Du weißt doch eh nicht, wie du mit uns umgehen musst."

Leider befürchte ich, dass sie Recht haben, denn trotz meiner Erinnerungslücken kann ich mir nicht vorstellen, ein handwerkliches Geschick zu haben. Auch bei der Krake bin ich mir nicht sicher, wie gut sie mit ihren Tentakeln hantieren kann.

Na ja, Hauptsache, wir stechen uns nicht mit dem Schraubenzieher die Augen aus!

Sobald ich Mister Krakenstein erreicht und die letzten Nägel neben die Holzbretter gelegt habe, hocken wir uns zusammen in den Sand und studieren den Bauplan, den Marlo für uns angefertigt hat. Obwohl die Anleitung simpel aussieht, vermute ich, dass die praktische Umsetzung um einiges komplizierter sein wird.

Gerade als wir damit anfangen möchten, die ersten Bretter zusammenzuschrauben, ertönt eine schüchterne Stimme hinter uns. „Ähm, hi?" Ich drehe mich um und ziehe überrascht die Augenbrauen hoch, als ich einen blauen Labello mit Armen, Beinen und Gesicht entdecke.

„Hey", erwidere ich möglichst freundlich, obwohl sich mein Magen verknotet. Innerlich bereite ich mich schon mal darauf vor, mich im Notfall gegen Sandbälle verteidigen zu müssen.

Zum Glück passiert aber nichts dergleichen.

„Ich bin Gary-Glossi", stellt sich der Labello vor und streckt mir seine kleine Hand entgegen. Für einen kurzen Moment zögere ich, doch dann verwebe ich unsere Finger miteinander. „Erinnerst du dich noch an mich, Frankie?"

Bei dieser Frage bildet sich ein Kloß in meinem Hals.

„Tut mir leid, aber all meine Erinnerungen wurden ausradiert", antworte ich ehrlich. „Ich kann mich an niemanden von euch erinnern."

„Oh nein, wie schade!" Gary-Glossi stößt ein mitleidiges Seufzen aus. „Du hast mich vor einem Jahr im Flugzeug vergessen. Ich bin aus deiner Jackentasche gefallen und war dann zwischen zwei Sitzen eingeklemmt."

Oh man ... Auch wenn ich nicht stolz darauf bin, ist es erstaunlich, an welch verschiedenen Orten ich meine Sachen bereits verloren habe. Hört sich ganz danach an, als hätte ich schon viele Abenteuer in der echten Welt erlebt.

„Na ja, ist auch egal!" Zum Glück klingt Gary-Glossi nicht vorwurfsvoll und straft mich auch mit keinem bösen Blick. Er macht einfach nur eine wegwerfende Handbewegung und zuckt mit den Schultern. „Eigentlich wollte ich euch fragen, ob ihr noch Hilfe gebrauchen könnt? Jetzt, wo du schon mal hier bist, Frankie, kann ich ja auch ein bisschen Zeit mit dir verbringen, oder?"

Seine Worte überraschen mich. Abgesehen von Marlo und Mister Krakenstein ist Gary-Glossi der Einzige, der mich nicht bis zum Mond zu verfluchen scheint.

Da ich so perplex bin und den Labello nur aus geweiteten Augen anstarren kann, übernimmt Mister Krakenstein den Part des Antwortens. „Klar!", säuselt er euphorisch. „Je mehr, desto besser!"

„Super!"

Den restlichen Tag sind der Oktopus, der Labello und ich damit beschäftigt, das Bett zusammenzubauen. Wie befürchtet sieht die Anleitung unkomplizierter aus als der Aufbau letztendlich ist.

Obwohl keiner von uns mit einem Talent fürs Handwerk gesegnet wurde, schaffen wir es irgendwie, in keine Nägel zu treten und uns nicht mit dem Hammer auf die Finger zu hauen. Zwar kommen wir nur sehr langsam mit der Arbeit voran, aber wenigstens haben wir Spaß und lachen viel zusammen.

Gary-Glossi fügt sich super in unser bestehendes Zweiergespann ein und lockert die Stimmung immer wieder mit frechen Sprüchen oder Witzen auf. Ich muss zugeben, dass ich den kleinen Kerl echt gernhabe.

Marlo sehe ich an diesem Tag so gut wie gar nicht. Er ist damit beschäftigt, von Gruppe zu Gruppe zu hüpfen und Anweisungen zu erteilen. Auch spät am Abend bekomme ich ihn leider nicht mehr zu Gesicht, weil er sich mit ein paar Gegenständen in seine Schankstelle zurückzieht, um Cocktails zu mixen.

Warum ich mich nicht einfach zu ihnen geselle? Aus Angst, unerwünscht zu sein.

Am nächsten Morgen nehmen wir die Arbeit noch vor Sonnenaufgang wieder auf. Obwohl jeder Muskel in meinem Körper schmerzt und ich hundemüde bin, freue ich mich darauf, etwas Gutes für die Insel tun zu können.

Anders als am Vortag entscheiden sich Mister Krakenstein, Gary-Glossi und ich dafür, kein weiteres Bett zu bauen. Ein zweites Mal wollen wir unser Schicksal nämlich nicht herausfordern. Stattdessen widmen wir uns dem gigantischen Schrotthaufen und fangen damit an, den Müll in riesigen Containern zu entsorgen.

Im Laufe des Tages gesellen sich immer mehr Gegenstände zu uns. Ganz zu meiner Freude scheinen sie ihren Hass mir gegenüber abgelegt zu haben und erzählen mir sogar lustige Geschichten aus unserer gemeinsamen Vergangenheit.

Ich lerne die Spielzeuglokomotive Fahr-Fiona, den Tampon Blut-Bella, das Shampoo Schaum-Sam und die Briefmarke Post-Phillip kennen. Es ist faszinierend, wie unterschiedlich sie alle sind und dass jeder seinen eigenen Charakter hat.

Im Handumdrehen bringen wir den Schrotthaufen zum Schrumpfen. Und zwar so lange, bis am Ende kein einziger Müllkrümmel mehr übrig ist.

„Sauber, Jungs!" Schaum-Sam klatscht mit Post-Phillip, Gary-Glossi und Mister Krakenstein ab. Erst als ich mich vorwurfsvoll räuspere, fügt das Shampoo hinzu: „Und natürlich auch sauber, Mädels!" Ich nicke zufrieden und gebe Fahr-Fiona und Blut-Bella einen High-Five.

Der heutige Tag hat mir gezeigt, wie wichtig Zusammenhalt und Teamarbeit sind. Alleine hätte ich diesen Monsterberg aus Müll niemals bezwungen, doch gemeinsam war das eine Sache von wenigen Stunden.

„Ich bin verdammt stolz auf uns!", spreche ich meine Gedanken laut aus. Während mich Mister Krakenstein daraufhin in seine blauen Stofftentakel zieht, werfen mir die anderen Gegenstände ein zustimmendes Lächeln zu.

Ich hoffe wirklich sehr, dass Nerina unseren Einsatz zu schätzen weiß und Gnade walten lässt. Denn ganz ehrlich? Ich möchte nicht für den Tod dieser wundervollen Schätze verantwortlich sein.

Spät am Abend, kurz bevor die Sonne untergeht, ist es dann endlich vollbracht: Jeder einzelne Bauplan wurde abgearbeitet.

Der Strand wird nun von mehreren kleinen Hütten gesäumt, die Schlafplätze für die Nacht bieten. Außerdem gibt es einen Bereich mit Fitnessgeräten und ein abgegrenztes Feld zum Entspannen. Auch der Schutzbunker gegen Unwetter, den Marlo gestern Morgen in seiner Rede angekündigt hat, ist fest im Sand verwurzelt und ragt majestätisch bis in die Wolkenspitzen hinauf.

Kaum zu glauben, dass wir dieses kleine Wunder in den letzten sechsunddreißig Stunden erschaffen haben!

Ohne es verhindern zu können, lösen sich vor lauter Stolz und Erleichterung ein paar Tränen aus meinen Augenwinkeln. Mister Krakenstein drückt mich sofort an sich und murmelt voller Zuversicht: „Jetzt wird alles gut, Frankie."

Hoffentlich behält er Recht ...

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