9 - Wünsch dir was

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Auf dem Rücken von Mister Krakenstein fühle ich mich sicher. Er gleitet anmutig durch das Wasser und bringt mich unversehrt auf die andere Seite des Sees. Ich bin ihm unheimlich dankbar dafür, dass er in dieser kurzen Zeit so ein treuer Freund und Begleiter geworden ist.

Nachdem auch die anderen das Seeufer erreicht haben, laufen wir noch etwa zwei Stunden durch den Dschungel aus Palmen. Wir haben Glück, dass die Sonne langsam von weißen Schäfchenwolken verdeckt wird und eine kühle Meeresbrise durch das Blätterdach über unseren Köpfen fegt.

„Was haltet ihr davon, wenn wir hier unser Nachtlager aufschlagen?", erkundigt sich Marlo bei uns, als wir mitten auf einer kleinen Lichtung zum Stehen kommen. Auf der rechten Seite ragen noch immer Palmen bis in die Wolkenspitzen hinauf, wohingegen sich auf der linken Seite ein plätschernder Bach erstreckt, in dem zwei quakende Frösche um eine Seerose kämpfen.

„Gerne!", antworte ich erschöpft. Noch in derselben Sekunde lasse ich mich in das weiche Gras plumpsen und schließe meine Augen.

Der Tag war furchtbar aufregend und anstrengend. Keine Ahnung, ob ich im echten Leben eine Sportskanone bin oder nicht, aber mir tut der ganze Körper weh. Vor allem meine Waden und Oberschenkel brennen wie Feuer.

Gott sei Dank sind Mister Krakenstein, Licht-Luigi und Bade-Berta ebenfalls mit diesem Rastplatz einverstanden. Nur Pack-Paul ist mal wieder anderer Meinung. Wahrscheinlich aus Prinzip. Und um mich zu ärgern.

„Also ich bin noch topfit!", behauptet er großkotzig. „Meinetwegen können wir noch eine Stunde weiterlaufen."

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Marlo einen besorgten Blick in meine Richtung wirft. Für ein paar Sekunden beobachtet er mich stumm, ehe er entscheidet: „Nein, wir bleiben hier. Es war für uns alle ein langer Tag."

Damit ist die Diskussion beendet.

Ich kann nicht genau sagen, wie lange ich im Gras liege und die angenehm warmen Windböen auf meiner Haut genieße, doch irgendwann gesellt sich Marlo zu mir. Ein schüchternes Lächeln umspielt seine Lippen, als er mich fragt: „Hilfst du mir, Holz für ein Lagerfeuer zu suchen?"

Überrascht richte ich mich auf.

Auch wenn ich mich eigentlich keinen einzigen Millimeter mehr bewegen möchte, freut es mich, dass Marlo von sich aus das Gespräch zu mir sucht. Das ist auch der Grund, weshalb ich meine Schmerzen beiseiteschiebe und möglichst euphorisch säusele: „Klar, gerne!"

„Super!"

Als hätte er Gentleman-Nachhilfestunden bei Mister Krakenstein genommen, streckt mir Marlo seine Hand entgegen und hilft mir beim Aufstehen. Seine Haut fühlt sich weich und warm an. Außerdem löst die Berührung seiner Fingerspitzen ein elektrisches Prickeln in meinem Magen aus. Als würden dort lauter Brausetabletten explodieren.

Seite an Seite schlendern wir über die Lichtung. Nach wenigen Minuten tauchen wir wieder in dem Dschungel aus Palmen unter und suchen nach brennbarem Holz.

„Darf ich dich etwas fragen, Marlo?", wende ich mich neugierig an ihn, um das Schweigen zwischen uns zu brechen.

„Hast du doch schon", erwidert er grinsend, „aber du darfst mir gerne noch eine zweite Frage stellen."

„Wow", lache ich. „Wie gnädig von dir."

Ich muss zugeben, dass es Spaß macht, mit Marlo herumzualbern. Seit ich beinahe in dem See ertrunken wäre, ist unsere Beziehung auf einem ganz neuen Level. Ständig erkundigt er sich nach meinem Wohlergehen und sucht meine Nähe.

Dass mich das freut, muss ich nicht extra erwähnen, oder?

Ich vereine meinen Blick mit dem von Marlo, ehe ich von ihm wissen möchte: „Was haben wir damals eigentlich immer so gemacht? Ich meine, die Möglichkeiten waren ja bestimmt begrenzt, oder?"

Bei meiner Frage hebt Marlo überrascht die Augenbrauen, sodass sie beinahe unter seinen schwarzen Locken verschwinden. Für ein paar Sekunden legt er seine Stirn in Falten und scheint nachzudenken, bis er mir lächelnd antwortet: „Eigentlich haben wir alles zusammen gemacht. Fahrrad fahren, Zähne putzen, Kaninchen füttern, Zaubertricks einstudieren ... Ich war immer bei dir, Frankie." Seine Iriden füllen sich mit einem sehnsuchtsvollen Leuchten. „Es war wirklich schön, so viel Zeit mit dir zu verbringen und so viele neue Sachen zu lernen."

„Ja, das kann ich mir vorstellen", stimme ich ihm zu, obwohl meine Erinnerungen noch immer hinter schwarzen Gitterstäben eingesperrt sind.

Wir kämpfen uns tiefer in den Dschungel und suchen den Boden nach brauchbarem Holz ab. Da sich unsere Suche schwieriger gestaltet als erwartet, bitte ich Marlo irgendwann darum: „Erzähl mir etwas über dich. Ich möchte dich besser kennenlernen."

Wieder wirkt er überrascht. Als hätte ihn mein Wunsch unvorbereitet getroffen. „Was willst du denn wissen?"

„Hm ...", grübele ich. „Wenn du so fragst, dann alles!"

Daraufhin muss Marlo schmunzeln. Es sieht süß aus, wie sich winzige Grübchen in seine Wangen bohren und seine Augen hell aufleuchten. „Ich liebe Flamingos", verrät er mir mit einem Fingerzeig auf seine Badehose, „und Cocktails."

Das glaube ich ihm aufs Wort.

„Ich bin sehr kommunikativ und mag es, Verantwortung für die verlorenen Schätze und unsere Insel zu übernehmen", spricht Marlo weiter. „Ansonsten bin ich handwerklich begabt und kann fließend chinesisch sprechen. Frag mich aber bitte nicht, wie ich diese Sprache gelernt habe. Ich habe nämlich absolut keine Ahnung!"

Dieses Mal liegt es an mir, zu schmunzeln. Ich mag es, Marlo besser kennenzulernen, denn so nimmt seine Persönlichkeit immer mehr Form an.

Während wir weiterhin nach Brennholz suchen, erfahre ich, dass Marlo manchmal im Schlaf redet, er im echten Leben gerne Arzt geworden wäre und am liebsten tausende kleine Kätzchen adoptieren würde. Wenn er mal nicht in seiner Bar oder am Wasserfall zu finden ist, erkundet er wahrscheinlich die Insel und stürzt sich von einem Abenteuer ins nächste. Außerdem möchte er unbedingt mal die Schwerelosigkeit im All testen.

Sobald wir genug Holz gefunden haben, helfe ich Marlo dabei, ein Lagerfeuer anzuzünden. Wir sind ein gutes Team und ergänzen uns perfekt.

Nur eine Viertelstunde später hocken wir alle gemeinsam vor den lodernden Flammen und rösten Marshmallows.

Wo Mister Krakenstein die Süßigkeiten herbekommen hat? Keine Ahnung.

„Oktopusgeheimnis", raunt er mir verschwörerisch zu.

„Ja ja, schon klar", erwidere ich grinsend.

Mein Blick verliert sich nun am Horizont, wo die Sterne miteinander um die Wette funkeln. Ihr silbrig-weißes Licht fällt auf die Erde hinab und hüllt die Lichtung in einen magischen Schleier.

„Schön, oder?", spricht mich Marlo plötzlich von der Seite an. Kaum merklich rückt er näher zu mir, sodass sich unsere Oberarme streifen und mein Herz schneller schlägt.

„Ja", bestätige ich nickend.

„Als du noch klein warst, haben wir uns auch oft zusammen die Sterne angeschaut", behauptet Marlo. Wie immer, wenn er über die Vergangenheit spricht, schwingt ein Hauch Sehnsucht in seinen Worten mit. „Manchmal saßen wir stundenlang auf der Veranda und haben nach Sternschnuppen gesucht."

„Das hört sich toll an", antworte ich ehrlich. „Sogar ein bisschen magisch."

„Das war es auch." Marlo lächelt verträumt. Dabei legt er wie von selbst seinen Arm um meine Schulter und zieht mich vorsichtig an seine Brust.

Intuitiv halte ich die Luft an. Aus Angst, er könnte mich wieder loslassen oder von sich stoßen, sollte ich mich bewegen.

Es fühlt sich gut und vertraut an, Marlo so nahe zu sein. Obwohl ich mich nicht an unsere gemeinsame Zeit erinnern kann, spüre ich eine besondere Verbindung zwischen uns. Je mehr Zeit ich mit ihm verbringe und je besser ich ihn kennenlerne, umso mehr verfalle ich ihm auch.

Und nein, diese Gefühle machen mir keine Angst, denn sie sind wunderschön.

„Einmal hatten wir sogar Glück und haben wirklich eine Sternschnuppe gesehen", setzt Marlo seine Erzählung fort.

„Und was haben wir uns gewünscht?", erkundige ich mich aufgeregt bei ihm.

Das ist der Moment, in dem Marlo seine Augen vom Nachthimmel löst. Seine dunklen Iriden, die das Lichtermeer aus Sternen widerspiegeln, richten sich auf mich und brennen sich wie eine Erinnerung der Ewigkeit auf meiner Seele ein.

„Wir haben uns gewünscht, dass ich lebendig werde", verrät mir Marlo. „Damit wir noch mehr Zeit zusammen verbringen können."

Ein sanftes Lächeln zupft an meinen Mundwinkeln. „Scheint so, als wäre unser Wunsch endlich erhört worden."

Marlo erwidert mein Lächeln und streicht mir vorsichtig eine widerspenstige Haarsträhne hinter das Ohr. Er möchte sich gerade zu mir hinüberbeugen, da ertönt die nervige Stimme von Pack-Paul. „Euer Rumgeflirte ist ja nicht zu ertragen!", grummelt er. „Mir wird schon ganz schlecht." Um seine Worte zu unterstreichen, gibt er würgende Geräusche von sich.

Na, vielen Dank für nichts!

„Du bist ja nur neidisch!", zieht Mister Krakenstein den Rucksack auf.

„Pah, von wegen!", schnaubt Pack-Paul empört. „Worauf denn?"

„Weil Frankie und Marlo so glücklich sind, du aber vorgestern einen Korb von Haar-Hanna bekommen hast", kichert der Oktopus vergnügt.

Nun werden auch Licht-Luigi und Bade-Berta hellhörig. „Du hast einen Korb bekommen?", hakt die Sonnenbrille schadenfroh nach. „Davon hast du mir ja gar nichts erzählt, Kumpel."

Nur eine Sekunde später vermutet Bade-Berta: „Bestimmt bist du ihr zu unromantisch. Du weißt doch, dass Haar-Hanna Blumen und andere, kleine Aufmerksamkeiten liebt."

„Was?!" Pack-Paul sieht überrascht aus. Und auch ein bisschen entsetzt. „Nein, das wusste ich überhaupt nicht! Woher denn auch?"

Sofort zählt Bade-Berta mehrere Sachen auf, mit denen Pack-Paul seiner Haar-Hanna eine Freude machen könnte. Zwar ist es lustig und spannend, der Quietscheente zuzuhören, aber ich habe auch nichts dagegen einzuwenden, als mich Marlo vorsichtig anstupst und leise flüstert: „Komm mit."

Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt schnappt er sich meine Hand und hilft mir auf die Beine. Dann legt er verschwörerisch einen Finger auf seine Lippen und formt das Wort „Pscht!". Wahrscheinlich, weil er mit mir allein sein und nicht die anderen auf uns aufmerksam machen möchte.

Gemeinsam entfernen wir uns von dem Lagerfeuer und suchen uns ein freies Plätzchen am Rand der Lichtung. Dort, wo der Bach herläuft. Wir legen uns nebeneinander ins Gras und schauen zum Sternenhimmel hinauf. Unsere Hände sind nach wie vor miteinander verflochten.

„Suchst du zusammen mit mir nach einer Sternschnuppe, Franny?" Ich sehe, wie Marlo seinen Kopf in meine Richtung dreht und mich für ein paar Sekunden lächelnd von der Seite beobachtet. „Ich habe nämlich einen neuen Wunsch."

Automatisch poltert mein Herz kräftiger gegen meinen Brustkorb. Meine Stimme zittert, als ich von ihm wissen möchte: „Verrätst du mir deinen Wunsch?"

„Nein." Marlo malt kleine Kreise auf meinen Handrücken. „Aber keine Sorge, Frankie, du wirst schon merken, wenn mein Wunsch in Erfüllung gegangen ist. Versprochen."

Und so läuten wir eine magische Nacht ein, in der wir stundenlang zum Horizont schauen und auf ein kleines Wunder warten.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro