16 - Die Gischt der Erinnerung

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Verwirrt streckte sie die Hände aus nach dem Leuchten, doch ehe sie es berühren konnte, zuckten ihre Finger wieder zurück. Beinahe, als hätte sie sich an der Luft verbrannt. Keelie hatte diese Magie erschaffen. Gemeinsam mit Meia, der Heilerin die zu ihrer engsten Freundin und einer weiteren Schwester geworden war während des Krieges.

„Um ehrlich zu sein bin ich nicht ganz sicher, wie es funktioniert... aber wenn es funktioniert, wird es dir vielleicht eines Tages das Leben retten", hatte Keelie erklärt, während sie konzentriert daran arbeitete feine Symbole in die Oberfläche zu kratzen. Neben ihr ausgebreitet waren die alten Dokumente gelegen, die sie aus den Tempeln der eingenommenen Städte genommen hatten. Uralte Schriften aus einer Zeit, in der Hexen noch keine Sklaven gewesen waren und frei in ihrer Magie experimentierten. Teile einer Geschichte die verloren gegangen war und deren Fetzen vereinzelt wieder ans Tageslicht getragen wurden. Undeutlich, und so modrig wie der Geruch einer lange verschlossenen Höhle. Aber es regte die wachen Köpfe an, selbst wenn es nur für eigene Experimente war.

„Ich dachte sie hätte es nie fertig gestellt", murmelte Ioanne, während das Echo der eigentlich doch nur wenige Tage alten Erinnerung durch ihren Schädel hallte.

„Wer?", kam die Frage des Mannes vor ihr. Sie riss den Kopf in die Höhe, als hätte sie vergessen, dass er vor ihr stand. Dann streckte sie doch noch einmal die Hände aus und schnappte nach dem Anhänger. Rasch schloss sie die Finger darum und ließ das Leuchten darunter verschwinden. Vielleicht in dem Reflex es zu schützen, vielleicht, da sie nicht ertragen konnte es weiter zu sehen. Ihre eigenen Emotionen waren ihr genauso fremd, wie die Zukunft, in die sie gezogen worden war.

„Meine Schwester, Keelie. Sie hat mit alten Schriften experimentiert. Aber ich dachte es sollte nur ein Talisman werden. Nicht, dass es jemanden von den Toten zurückholen könnte."

Der Griff ihrer Finger wurde fester, bis ihre Knöchel weiß hervortraten und sie zu spüren meinte, wie sich die eingeritzten Symbole in ihre Haut pressten.

„Sie wusste es wahrscheinlich selbst nicht und hat trotzdem daran gearbeitet, weil sie mich beschützen wollte. Obwohl ich so unglaublich stur war und..."

Eine Tür in dem Haus, zu dem der Hinterhof gehörte, wurde geöffnet und eine ältere Frau mit Küchenschürze sowie einem Eimer voller Küchenabfälle, trat heraus. Als sie die beiden Fremden unterhalb der Treppen zwischen den Scherben eines zerstörten Blumentopfes sah, riss sie erschrocken die Augen auf.

Hastig murmelte Rikkon eine Entschuldigung, ehe er sich und Ioanne zurück auf die Gasse schob. Rasch zog er die Kapuze wieder über seinen Kopf.

„Wir sollten nicht hierbleiben. Gehen wir an einen sicheren Ort, dann erklär ich dir..." Er stockte, denn die Hexe, die er eben erst gefunden hatte, hörte ihm gar nicht mehr zu. Ioanne lief bereits zügig auf die viel belaufene Straße zu. Gerade so holte er sich ein und schob seine größere Gestalt vor ihre.

„Was soll das werden?", keuchte er irritiert.

„Ich gehe", antwortete sie knapp. Sie zog die Kette über ihren Hals und ließ den leuchtenden Anhänger in ihrem Ausschnitt verschwinden, um das Leuchten nun unter dem Stoff zu verbergen.

„Dann geh in die andere Richtung."

Schnaubend sah Ioanne zu ihm auf.

„Ich gehe nicht mit dir. Selbst wenn du Kenaens Urenkel bist... nein... Gerade weil du Kenaens Urenkel bist, werde ich nicht mit dir gehen. Er hat mich verraten kurz bevor wir Lutejan angegriffen haben. Warum sollte ich dir vertrauen? Du schleichst durch Gassen und versteckst dich unter deiner Kapuze."

Überrascht sah er auf sie herab. Beinahe so, als wäre er nie auf die Idee gekommen, sie könne sich weigern mit ihm zu gehen, sobald er sie aufgespürt hätte. Einen Moment später hatte er sich aber schon wieder gefangen und verschränkte beinahe gereizt die Arme vor der Brust.

„Gut und wohin willst du dann?"

Herausfordernd sah er auf sie herab. Ganz ebenso stechend, wie Kenaen es immer getan hatte. Allerdings war dieser schnell dazu übergegangen Magie aufflackern zu lassen. Sein Urenkel schien die Gabe nicht geerbt zu haben. Ioanne knurrte. Statt zu antworten drückte sie sich an ihm vorbei. Wieder stellte er sich dabei kurz darauf in ihren Weg.

„Du bist verwirrt", erkannte er zutreffend, auch wenn er dabei einige andere der in ihr tobenden Emotionen außer Acht ließ. „Das verstehe ich. Jeder würde das. Wenn du mit mir gehst, kannst du Antworten finden auf alle Fragen, die du hast."

„Ich will keine Antworten", knurrte sie ungeduldig und stemmte sich grob gegen ihn in ihrem erneuten Versuch ihn aus ihrem Weg zu schaffen. Was sie wollte, wusste sie nicht. Nicht wirklich. Flucht saß wieder in ihren Gliedern. Der Stein schien unter dem Kleid auf ihrer Brust zu vibrieren und an ihr zu ziehen, als wäre er zu einem Felsen geworden.

„Einhundert Jahre sind vergangen und du willst nicht wissen was geschehen ist?" Er ließ sie einfach nicht vorbei. Wie eine lästig verklemmte Tür.

„Es scheint doch alles wunderbar zu sein!", keuchte sie und riss gereizt die Hände in die Höhe. Ihre Stimme schwappte gegen die Häuserwände wie eine plötzlich aufgewirbelte Welle die krachend gegen Felsen schlug und schäumende Gischt in die Luft schleuderte. „Hexen und Menschen leben Seite an Seite. Sie regieren und haben die Unterdrückung besiegt. Alles ist fantastisch geworden. Mehr muss ich nicht wissen."

„Du bist seit einem Tag hier, was willst du wissen." Diesmal war er es der zischte und Wut aus seinen Worten rauschen ließ. „Oder bist du enttäuscht, dass die Stadt wieder steht, die du so mühevoll dem Erdboden gleich gemacht hast?"

Entsetzt sah sie ihn an. Es war, als hätte er sie mit seiner Stimme allein gegen die Wand geschleudert. Ihre Schultern bebten ihre Lippen zitterten und über ihr Gesicht glitt ein finsterer Schatten. Sie stieß ihn gegen die Brust, so dass er einen Schritt zurück wankte. Mit der anderen Hand zog sie an der Kette um ihren Hals, bis der Stein wieder zwischen ihnen leuchtete.

„Ich weiß nicht, warum du denkst, dass das hier dir oder irgendjemandem sonst ein Recht geben würde mich einzusammeln wie ein verlorenes Kind. Meine Schwester hat es erschaffen. Meine kleine wunderbare Schwester, die die wahnwitzige Idee hatte, mich beschützen zu wollen, obwohl sie mir immer und immer wieder versucht, hat klar zu machen, dass ich zu weit gehen würde. Als sie mir davon erzählt hat, war ich aber nicht dankbar, ich war gereizt und ungeduldig und kurz davor diesen verdammten Krieg zu beenden. Ganz gleich wie viel Blut ich dafür noch würde vergießen müssen." Noch einmal stieß sie ihn gegen die Brust. Diesmal traf die Häuserwand auf seinen Rücken. Er hätte sich wehren können. Ohne Magie, wäre er stärker gewesen als sie. Stattdessen sah er sie mit zusammengebissenen Zähnen an.

„Sie wollte einen anderen Weg als ich, das hat sie mir immer und immer wieder gesagt und ich habe sie immer und immer wieder fortgeschickt, weil ich es nicht hören wollte. Weil ich den Krieg wollte. Deshalb ist sie selbst mit der Handvoll Hexen gegangen, die ihre Meinung teilten, um irgendwie einen Frieden auszuhandeln. Aber sie wurden gefangen genommen. Sie wurden zu Geiseln des verfluchten Königs, der meinte mich damit aufhalten zu können."

Ihre Worte wirbelten in der Gasse wie die Strömung unter der Erde, die sie tief in die Dunkelheit hatte ziehen wollen. Irgendwie war es ihr da gelungen zu entkommen. Doch nun schien es fast, als wäre das Wasser zurückgekehrt, um sie abermals zu ertränken. Deshalb konnte sie kaum atmen, deshalb schwammen Tränen in ihren Augen.

„Und dann, weil er ein Narr war, hat er sie umgebracht. Er hat sie verbrannt und mir den Stein zurückgeschickt, den sie erschaffen hatte, um mir das Leben zu retten!"

Sie stieß sich von ihm ab. Als er ihr diesmal wieder in den Weg gehen wollte, legte sie ihre Hand auf die Mauer der gegenüberliegenden Wand. Ein Licht schoss durch die feinen Mörtelritze und stach ihm in die Augen. Er kniff sie zusammen und riss die Hände vor sein Gesicht. Es dauerte nur den Bruchteil eines Moments. Ein Atemzug. Doch als er blinzelnd versuchte durch den Schleier seines geblendeten Blickes zu sehen, erkannte er nur noch eine Silhouette, die zwischen den Schatten einer unaufhörlich treibenden Straße verschwand.

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